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  • · Nachricht · Doppelbesteuerung von Renten

    Hinterbliebenenrenten nicht vom Vorläufigkeitsvermerk umfasst

    von StB Christian Herold, Herten, www.herold-steuerrat.de

    | Der BFH (30.8.23, X B 58/23, Beschluss) weist darauf hin, dass eine mögliche Doppelbesteuerung von Hinterbliebenenrenten, also auch von Witwen- oder Witwerrenten berufsständischer Versorgungswerke, nicht vom aktuellen Vorläufigkeitsvermerk in den Einkommensteuerbescheiden umfasst ist. Entsprechende Bescheide müssen also mittels Einspruch angefochten werden. |

    1. Zur Vorgeschichte

    Im Jahre 2021 hat der BFH seine beiden Urteile zur möglichen Doppelbesteuerung von Renten veröffentlicht. Im Grundsatz hat der BFH eine Doppelbesteuerung verneint, hält sie aber im Einzelfall durchaus für möglich (BFH 19.5.21, X R 33/19 und X R 20/19). Betroffen könnten beispielsweise Freiberufler sein, die freiwillig (sehr) hohe Beiträge in ihr Versorgungswerk einbezahlt haben, ohne von der Öffnungsklausel profitiert zu haben. Gegen die beiden Entscheidungen des BFH haben die unterlegenen Kläger im Juni 2021 Verfassungsbeschwerde eingelegt (BVerfG 2 BvR 1143/21, 2 BvR 1140/21).

     

    Die Finanzverwaltung erlässt Steuerbescheide hinsichtlich des streitigen Punktes einer vermeintlichen Doppel- oder Übermaßbesteuerung von Renten vorläufig. Konkret: Steuerfestsetzungen ergehen vorläufig hinsichtlich der „Besteuerung von Leibrenten und anderen Leistungen aus der Basisversorgung nach § 22 Nr. 1 S. 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG“. Der Vorläufigkeitsvermerk wird sämtlichen Einkommensteuerbescheiden für Veranlagungszeiträume ab 2005 beigefügt, in denen eine Leibrente oder eine andere Leistung aus der Basisversorgung (also auch aus berufsständischen Versorgungswerken) erfasst wird (BMF 30.8.21, BStBl I 21, 1042).

     

    Beachten Sie | Sollte das BVerfG der Auffassung sein, dass die derzeitige Besteuerung von gesetzlichen Renten und Renten aus berufsständischen Versorgungswerken sowie ähnlichen Altersversorgungen verfassungswidrig zu hoch ist, so können die Steuerbescheide, die jetzt und in Zukunft ergehen, auch ohne vorherigen Einspruch geändert werden.

    2. Der Beschluss des BFH (30.8.23, X B 58/23)

    Nach Auffassung des BFH im Beschluss vom 30.8.2023 (X B 58/23) umfasst der genannte Vorläufigkeitsvermerk zur Rentenbesteuerung möglicherweise nicht die Hinterbliebenenrente.

    • Beispiel

    Die Klägerin bezog im Streitjahr 2020 eine Hinterbliebenenrente aus der Basisversorgung nach ihrem im Jahr 2019 verstorbenen Ehemann. Das FA legte einen Besteuerungsanteil von 78 %zugrunde. Der Einkommensteuerbescheid erging nach § 165 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AO vorläufig, unter anderem hinsichtlich der Besteuerung von Leibrenten und anderen Leistungen aus der Basisversorgung nach § 22 Nr. 1 S. 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG.

     

    Mit ihrem Einspruch rügte die Klägerin eine verfassungswidrige doppelte Besteuerung der Hinterbliebenenrente, da ihr Ehemann seine Altersvorsorgeaufwendungen nur teilweise habe abziehen können. Das FG und auch das FG sahen aber überhaupt kein Rechtsschutzinteresse, da der Steuerbescheid ohnehin vorläufig ergangen sei. .

     

    Der BFH ist anderer Meinung: Der Streitfall sei grundverschieden von den Sachverhalten, über die der BFH in den o.g. Verfahren entschieden hat. Es ging seinerzeit um die Ermittlung der doppelten Besteuerung bei einer auf eigenen Altersvorsorgeaufwendungen der dortigen Kläger beruhenden Renten; aktuell geht es hingegen um die Frage, ob und in welchem Umfang die Bezieherin einer Hinterbliebenenrente, die dafür keine eigenen Beiträge geleistet hat, eine doppelte Besteuerung geltend machen kann. Nun kommt es: „Diese Frage ist schon wegen der im entscheidenden Punkt unterschiedlich gelagerten Sachverhalte nicht Gegenstand der vom Finanzamt angeführten, beim BVerfG 2 BvR 1140/21 und 2 BvR 1143/21.“

     

    PRAXISTIPP | Wer eine Hinterbliebenenrente bezieht, sollte unbedingt ‒ trotz des Vorläufigkeitsvermerks ‒ Einspruch gegen alle noch offenen Einkommensteuerbescheide einlegen (siehe Mustereinspruch unten). Ansonsten besteht die Gefahr, dass bei einem eventuell positiven Urteil des Bundesverfassungsgerichts später die eigenen Steuerbescheide nicht geändert werden können und es bei einer zu hohen Besteuerung der Hinterbliebenenrente bleibt. Das steuerliche Verfahrensrecht kann also Probleme bereiten.

     
    • Einspruchsmuster

    Sehr geehrte Damen und Herren,

     

    hiermit lege ich Einspruch ein gegen den Einkommensteuerbescheid …… vom …

     

    Begründung:

    Sie haben meine Hinterbliebenenrente mit einem Besteuerungsanteil von …. % versteuert. Derzeit beschäftigt sich das BVerfG in den Verfahren 2 BvR 1140/21 und 2 BvR 1143/21 mit der Frage, ob die Besteuerung von Renten aus der Basisversorgung verfassungskonform ist oder ob eine Übermaßbesteuerung gegeben ist. Es besteht also durchaus die Möglichkeit, dass meine Hinterbliebenenrente mit einem zu hohen Besteuerungsanteil versteuert worden ist, zumal die Altersvorsorgebeiträge meines(r) verstorbenen Ehemannes (Ehefrau) nicht in voller Höhe abgezogen werden konnten.

    Ich beantrage ein Ruhen meines Einspruchsverfahrens, bis das Bundesverfassungsgericht in den genannten Verfahren entschieden hat. Zwar ist mein Steuerbescheid hinsichtlich der Besteuerung von Leibrenten und anderen Leistungen aus der Basisversorgung vorläufig ergangen, doch nach dem Beschluss des BFH (30.8.23, X B 58/23) ist fraglich, ob der Vorläufigkeitsvermerk auch den Fall der Besteuerung von Hinterbliebenenrenten umfasst. Es ist also ein Rechtsschutzbedürfnis gegeben.

     

    Eine weitere Begründung des Einspruchs erfolgt, sobald die Entscheidungen des BVerfG veröffentlicht worden sind.

     

    Beachten Sie | Allzu oft verlassen sich die Steuerbürger darauf, dass ein Vorläufigkeitsvermerk ‒ insbesondere aufgrund von Musterverfahren ‒ so umfassend ist, dass bei einem positiven Urteil des Gerichts auch der eigene Steuerbescheid geändert werden kann. Doch weit gefehlt! Ist ein Vorläufigkeitsvermerk zum Beispiel im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit einer Vorschrift ergangen, so geht es auch nur um die Frage der Verfassungsmäßigkeit - und um nichts anderes. Diese bittere Erfahrung mussten schon viele Steuerpflichtige machen.

     

    • Beispiel

    Herr Müller dachte, die Besteuerung seiner Pension oder Rente könne später geändert werden, weil der Steuerbescheid wegen der möglicherweise „verfassungswidrigen Besteuerung von Alterseinkünften“ vorläufig ergangen ist. Tatsächlich wollte er den Bescheid nach einiger Zeit geändert wissen, weil sich herausstellte, dass eine Pension, die er aus dem Ausland bezog, geringer zu besteuern war als zunächst angenommen. Doch eine Änderung scheidet hier aus, weil es in dem Vorläufigkeitsvermerk nur um die Frage der Verfassungsmäßigkeit ging, nicht aber um „einzelgesetzliche“, also einzelne materiell-rechtliche Fragen (FG Baden-Württemberg 12.12.18, 14 K 3172/17).

     

    Ein letzter Hinweis: Der BFH hat mehrfach entschieden, dass selbst in den Fällen, in denen eine Doppelbesteuerung von Renten vorliegt, die Beweislast beim Steuerzahler liegt. Eine mögliche Zuviel-Belastung von Alterseinkünften müsse vom Bürger belegt werden. Dies ist zwar ein äußerst seltsames Rechtsverständnis, das viel Kritik geerntet hat, doch in der Praxis wird die Kritik kaum weiterhelfen.

     

    PRAXISTIPP | Es kann sein, dass das Bundesverfassungsgericht zwar zugunsten der Rentner entscheidet, die Beweislast für die zu hohe Besteuerung indes beim Steuerbürger belässt. Rentner sollten, besser „müssen“ folglich nach wie vor Beweisvorsorge betreiben. Das heißt: Sie müssen alle Steuer- und Rentenbescheide der vergangenen Jahrzehnte aufbewahren.

     
    Quelle: ID 49745600