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  • · Fachbeitrag · Umsatzsteuer

    Gutachtentätigkeit eines Arztes auf Veranlassung des Jobcenters

    von StB Jürgen Derlath, Münster

    | Von einem Arzt im Zusammenhang mit Maßnahmen der Arbeitsförderung erbrachte Leistungen können umsatzsteuerfrei sein ‒ entweder als Heilbehandlung nach § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG oder wenn der Arzt wenigstens mittelbar als „Einrichtung mit sozialem Charakter“ zu werten ist. In diesem Fall kann eine Steuerfreiheit aus § 4 Nr. 15 Buchst. b UStG resultieren oder sich zumindest unter Berufung auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL („eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen“) ergeben (FG Hessen 12.6.23, 6 K 798/20). |

    1. Sachverhalt

    Der Kläger war als Arzt in freier Mitarbeit einerseits für die A-GmbH (nach § 178 SGB III zertifiziert) und andererseits für das Gesundheitsamt tätig und rechnete hierfür medizinische Leistungen ab. Sowohl die A-GmbH als auch das Gesundheitsamt wurden letztlich für das Jobcenter tätig. Die Gutachtentätigkeit des Arztes erfolgte im Rahmen mehrerer Projekte und hatte zwei Hauptrichtungen:

     

    • Medizinisch-psychologische Begutachtung: Diese Begutachtung bestand u. a. aus einer ganzheitlichen Anamnese, der Erstellung eines positiven und negativen Leistungsbildes, der Ermittlung der körperlichen Arbeitsbelastung und der Feststellung der Eignung für bestimmte Berufsfelder trotz Einschränkungen sowie der Einschätzung von persönlichen Merkmalen in Hinblick auf die berufliche Zukunft. Gegebenenfalls erfolgte ein Gesundheitscoaching, das u. a. die Organisation von Arztbesuchen, gegebenenfalls die Begleitung zu diesen, und eine Unterstützung bei der Suche nach Therapeuten enthielt. Ferner hatte der Kläger u. a. Berichte zu geeigneten ärztlichen weiterführenden Behandlungsmöglichkeiten abgegeben.

     

    • Begutachtung der Erwerbs- und Leistungsfähigkeit: Hierbei ging es vornehmlich um die Begutachtung der Erwerbs- bzw. Leistungsfähigkeit von Leistungsbeziehern nach SGB II („Hartz IV“-Empfänger bzw. nun Bürgergeld-Empfänger). Die zu erstellenden Gutachten enthielten u. a. ein positives und negatives Leistungsbild, in dem Umfang und Art der möglichen Arbeitsleistung näher bestimmt waren. Die Gutachten dienten offenbar vor allem dazu, dem Jobcenter eine Entscheidungsgrundlage zu der Frage zu liefern, ob überhaupt eine Zuständigkeit des Jobcenters bestand sowie ob und gegebenenfalls in welchem Umfang ein Anspruch auf Leistungen des Jobcenters bestanden.

     

    Der Kläger ging davon aus, dass die Leistungen umsatzsteuerbefreit seien. Das FG lehnte eine Befreiung der Leistung jedoch ab. Die hiergegen gerichtete Klage hatte weitestgehend Erfolg.

    2. Entscheidung

    Bei ärztlichen Gutachten ist nach dem Zweck des Gutachtens zu differenzieren, denn bei im Übrigen ähnlichen Leistungen kommt für die Befreiung nach § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG dem Hauptzweck der erbrachten Leistung eine entscheidende Bedeutung zu. Das gilt auch für die hier zu beurteilenden Eignungsbescheinigungen:

     

    • Schutz der Gesundheit: Zielt das Ausstellen einer Bescheinigung über die körperliche Eignung darauf ab, gegenüber einem Dritten geltend zu machen, dass der Gesundheitszustand einer Person bestimmten Tätigkeiten Grenzen setzt oder diese nur unter besonderen Bedingungen erlaubt, so ist Hauptzweck dieser Leistung der Schutz der Gesundheit des Betroffenen. Hier kommt § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG in Betracht.

     

    • Entscheidungsfindung für Dritte: Handelt es sich um eine Eignungsbescheinigung, deren Vorlage an einen Dritten Voraussetzung dafür ist, dass der Betroffene eine besondere berufliche Tätigkeit oder bestimmte Tätigkeiten ausüben kann, die eine gute körperliche Verfassung erfordern, so besteht der Hauptzweck der vom Arzt erbrachten Leistung darin, dem Dritten die Entscheidungsfindung zu ermöglichen. Eine solche ärztliche Leistung zielt nicht in erster Linie auf den Schutz der Gesundheit der Person ab, die eine bestimmte Tätigkeit ausüben möchte und § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG kommt nicht in Betracht (allerdings könnte eine andere Befreiungsvorschrift einschlägig sein).

     

    Folglich waren die vom Kläger im Rahmen der medizinisch-psychologischen Begutachtung erbrachten ärztlichen Leistungen nach § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG umsatzsteuerbefreit, denn sie dienten hauptsächlich der Diagnose, der Behandlung und, soweit möglich, der Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen. Dem stand auch nicht entgegen, dass es letztlich darum ging, die Maßnahmenteilnehmer im Auftrag des Jobcenters auf den ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln. Denn das sollte über eine Verbesserung des Gesundheitszustandes erreicht werden (= unmittelbarer Zweck der erbrachten Leistungen) und die Arbeitsvermittlung war lediglich das Motiv dahinter. Die Begutachtungen zur Erwerbs- und Leistungsfähigkeit dienten dem Jobcenter hingegen zur Entscheidungsfindung und waren entsprechend nicht nach § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG umsatzsteuerbefreit. Jedoch kam hier Art. 132 Buchst. g MwStSystRL in Betracht. Danach befreien die Mitgliedstaaten eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen von der Umsatzsteuer.

     

    Beachten Sie | Allerdings galt die Befreiung nach Art. 132 Buchst. g MwStSystRL nur insoweit, als die Leistungen für die A-GmbH erbracht wurden. Hier kommt eine weitere Besonderheit des Falles zum Tragen. Dem Jobcenter war bekannt, dass die A-GmbH den Arzt als Subunternehmer beauftragen würde ‒ im Falle der Beauftragung durch das Gesundheitsamt war es das jedoch nicht. Das Entgelt, das der Arzt von der A-GmbH erhielt, wurde vom Jobcenter und damit von einer öffentlichen Einrichtung der sozialen Sicherheit getragen. Da der Kläger dem Jobcenter im Fall der Beauftragung über die A-GmbH bekannt war und eine explizite Unterbeauftragung des Klägers erfolgte, gilt er als Subunternehmer, auf den die Eigenschaft als soziale Einrichtung quasi „abfärbt“. Die Leistungen, die der Kläger gegenüber dem Gesundheitsamt erbracht hat, waren dagegen gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG steuerpflichtig, weil für sie weder die Steuerbefreiung in § 4 Nr. 15b UStG einschlägig war, noch konnte sich der Arzt unmittelbar auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL berufen. Anders als die nach § 178 SGB III zertifizierte A-GmbH ist das Gesundheitsamt keine Einrichtung der Sozialfürsorge. Da es zudem an einer expliziten Unterbeauftragung des Jobcenters über das Gesundheitsamt mangelte bzw. dem Auftraggeber der Subunternehmer nicht direkt bekannt war, konnte die Eigenschaft als soziale Einrichtung nicht auf den Kläger „abfärben“. Anders ausgedrückt: Es mangelte an einer bewussten Entscheidung des Jobcenters zur Beauftragung des Subunternehmers über das Gesundheitsamt.

    3. Relevanz für die Praxis

    Bereits der hier stark vereinfacht wiedergegebene Sachverhalt verdeutlicht, wie schwierig die umsatzsteuerliche Einordnung von ärztlichen Leistungen sein kann ‒ vor allem, wenn sie außerhalb des § 4 Nr. 14 UStG zu beurteilen sind.

     

    Sofern die Frage im Raum steht, ob eine Umsatzsteuerbefreiung aufgrund von „eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundenen Leistungen“ in Betracht kommt, empfiehlt es sich, das Schreiben des BMF (2.7.23, BStBl I 23, 1505) zur Hand zu nehmen. Es betrifft zwar § 4 Nr. 16 und Nr. 25 UStG und nicht § 4 Nr. 15b UStG, doch letztlich geht es in der dort umfassend zitierten Rechtsprechung auch um die Auslegung des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL und der Frage, wann ein Leistungserbringer als eine Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannt ist. Vor allem wird auch dargelegt, unter welchen Voraussetzungen ein Subunternehmer als anerkannte Einrichtung mit sozialem Charakter umsatzsteuerfreie Leistungen erbringen kann bzw. welche Subunternehmer insoweit begünstigt sind.

     

    In entsprechenden Fällen ist auf jeden Fall Beweisvorsorge angebracht. Es sollte dargelegt werden, dass die Beauftragung als Subunternehmer auf einer expliziten bzw. bewussten Entscheidung der Sozialeinrichtung bzw. der Einrichtung, die die Sozialleistungen bewilligt oder erbringt, beruht. Dabei sind nicht die subjektiven Vorstellungen des Arztes maßgebend. Vielmehr müssen konkrete Nachweise erbracht werden, um die Steuerbefreiung zu begründen.

     

    Zu guter Letzt sei darauf hingewiesen, dass Unternehmer „im Gesundheits- oder Sozialbereich“, wenn sie selbst oder einer ihrer Kollegen vor den FG obsiegen, oftmals nur einen Pyrrhussieg erringen, denn die „ersparte Umsatzsteuer“ kommt nicht ihnen zugute, sondern den Sozialträgern und damit der Gemeinschaft der Versicherten. Auch bei Pauschal- oder Bruttopreisabreden müssen sie die ersparte Umsatzsteuer weitergeben (siehe hierzu BSG 9.4.19, B 1 KR 5/19 R; BGH 20.2.19, VIII ZR 7/18).

    Quelle: Ausgabe 04 / 2024 | Seite 89 | ID 49848454