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  • · Fachbeitrag · Umsatzsteuer

    Telefonische Hotline zur Gesundheitsberatung ist umsatzsteuerbefreit

    von StB Christian Herold, Herten, www.herold-steuerrat.de

    Telefonische Beratungsleistungen, die eine GmbH im Auftrag von gesetzlichen Krankenkassen durch „Gesundheitscoaches“ ausführt, können als umsatzsteuerfreie Heilbehandlungen gelten. Sofern bestimmte Qualitätsstandards gewährleistet sind, können die ‒ steuerfreien ‒ telefonischen Beratungen auch von medizinischen Fachangestellten oder Krankenpflegepersonal durchgeführt werden. So hat der EuGH mit Urteil vom 5.3.20 (C 48/19) nach einem Vorlagebeschluss des BFH entschieden (BFH 18.9.28, XI R 19/15, PFB-Nachricht vom 4.2.19).

     

    Sachverhalt

    Eine GmbH betrieb im Auftrag gesetzlicher Krankenkassen ein „Gesundheitstelefon“ zur medizinischen Beratung von Versicherten. Sie führte zudem Patientenbegleitprogramme durch, bei denen bestimmte Versicherte auf der Basis von Abrechnungsdaten und Krankheitsbildern über eine medizinische Hotline situationsbezogene Informationen zu ihrem Kranheitsbild erhielten. Die telefonischen Beratungsleistungen wurden durch Krankenpflegepersonal und medizinische Fachangestellte erbracht, die größtenteils auch als „Gesundheitscoach“ ausgebildet waren. In ca. einem Drittel der Fälle wurde ein Arzt hinzugezogen, der die Beratung übernahm bzw. bei Rückfragen Anweisungen oder eine Zweitmeinung erteilte. Der BFH vertrat im Vorlagebeschluss die Auffassung, dass die Leistungen bei engem Verständnis der Befreiungsvorschriften nicht in deren Anwendungsbereich fallen.

     

    Entscheidungsgründe

    Der EuGH sah das weniger eng: Telefonisch erbrachte Heilbehandlungen können unter die Steuerbefreiung in Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL fallen. Das steht auch im Einklang mit dem Zweck der MwStSystRL, die Behandlungskosten zu senken und die Behandlungen für den Einzelnen erschwinglicher zu machen. Zu den beiden Tatbestandsvoraussetzungen ‒ therapeutischer Zweck der Maßnahme und Qualifikation des Behandlers ‒ führt der EuGH aus:

     

    • Therapeutischer Zweck: Beratungen, die wie im Streitfall darin bestehen, die in Betracht kommenden Diagnosen und Therapien zu erläutern sowie Änderungen der durchgeführten Behandlungen vorzuschlagen, ermöglichen es der betroffenen Person, ihre medizinische Situation zu verstehen und entsprechend zu handeln, insbesondere indem sie ein bestimmtes Arzneimittel einnimmt oder nicht einnimmt. Sie können daher einen therapeutischen Zweck verfolgen und somit unter den Begriff „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin“ fallen. Dagegen sind allgemeine Auskünfte über Erkrankungen oder Therapien nicht geeignet, zum Schutz, zur Aufrechterhaltung oder zur Wiederherstellung der menschlichen Gesundheit beizutragen. Dasselbe gilt für Auskünfte administrativer Art, wie die Mitteilung der Kontaktdaten eines Arztes oder einer Schlichtungsstelle.

     

    • Qualifikation: Die Mitgliedstaaten verfügen über ein Ermessen bei der Bestimmung der Berufe, in deren Rahmen die Erbringung von Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin von der Mehrwertsteuer befreit ist, und insbesondere bei der Festlegung der Qualifikationen, die für die Ausübung dieser Berufe erforderlich sind. Dieses Ermessen ist jedoch nicht unbegrenzt, denn die Mitgliedstaaten müssen zum einen das Ziel dieser Vorschrift ‒ zu gewährleisten, dass die Befreiung nur auf Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin angewandt wird, die von Anbietern mit den erforderlichen beruflichen Qualifikationen erbracht werden ‒ und zum anderen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachten.

     

    Der BFH muss nun klären, inwieweit die telefonischen Beratungen unter den Begriff „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin“ in Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL fallen. Dabei wird er zu prüfen haben, ob

    • mit diesen Beratungen ein therapeutischer Zweck verfolgt wird, da dieser ausschlaggebend dafür ist, ob eine medizinische Leistung von der Mehrwertsteuer zu befreien ist und

     

    • ein Ausschluss der von Krankenpflegern und medizinischen Fachangestellten durchgeführten Beratungen und Patientenbegleitprogramme von der in Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL vorgesehenen Steuerbefreiung gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität verstößt, weil diese Berufsgruppen aufgrund ihrer beruflichen Qualifikationen in der Lage sind zu gewährleisten, dass solche telefonisch erbrachten Leistungen ein vergleichbares Qualitätsniveau aufweisen wie die von anderen Anbietern auf diese Weise erbrachten Leistungen.

     

    Relevanz für die Praxis

    Der EuGH lässt dem BFH und dem deutschen Gesetzgeber zwar einen gewissen Spielraum bei der Umsetzung seiner Entscheidung. Dennoch ist die Aussage deutlich: Beratungsleistungen, die per „Gesundheitstelefon" erbracht werden, fallen unter die Mehrwertsteuerbefreiung. Es liegt dann an den Anbietern, genau zu dokumentieren, wann tatsächlich Diagnosen gestellt und Therapien erbracht und wann lediglich allgemeine Auskünfte erteilt werden.

     

    Schwieriger vorherzusagen sind wohl die Konsequenzen der zweiten Vorlagefrage, also welche Qualifikation das Fachpersonal aufweisen muss, damit auch deren Leistungen der Umsatzsteuerfreiheit unterliegen. Über die fachlichen Anforderungen für die Erbringung von telefonischen medizinischen Beratungsleistungen bestehen in Deutschland keine Regelungen ‒ so der BFH in seinem Vorlagebeschluss. Von daher bedarf es wohl grundlegender Arbeit, etwa der Verbände der Krankenkassen oder des Bundesgesundheitsministeriums, um die Qualitätsstandards festzulegen. Da es um das übergeordnete Ziel der Senkung der Krankheitskosten geht, dürfte diese Arbeit durchaus im Interesse der Beteiligten liegen.

     

    Die Entscheidung zeigt, dass der deutsche Gesetzgeber und die deutsche Finanzverwaltung „hinterherhinken“, denn zunehmend werden Gesundheitsleistungen per Internet, App, per Kamera von „Telenotärzten“ oder letztlich unter Zuhilfenahme von Technologie im weitesten Sinne erbracht.

    Quelle: ID 46403657