Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • · Fachbeitrag · Umsatzsteuer

    Umsatzsteuerliche Behandlung von Ausfallhonoraren bei Vertragskündigung oder -aufhebung

    von Dipl.-Finanzwirt Marvin Gummels, Hage, www.steuer-webinar.de

    | Wie ist das Honorar zu versteuern, das aus einem Vertrag zufließt, den der Auftraggeber vorzeitig gekündigt hat oder der einvernehmlich aufgehoben wurde? Muss auch auf den Honorarteil Umsatzsteuer abgeführt werden, der auf Leistungen entfällt, die kündigungs- oder aufhebungsbedingt nicht mehr erbracht werden mussten bzw. konnten? Oder handelt es sich insoweit um nicht der Umsatzsteuer unterliegenden, nicht steuerbaren Schadenersatz? Mit diesen Fragen musste sich der BFH (26.8.21, V R 13/19) in einem Musterprozess befassen. |

    1. Die aktuelle Entscheidung des BFH

    Im konkreten Fall hatte der Architekt mit dem Auftraggeber vertraglich vereinbart, dass 22.747,66 EUR für tatsächlich erbrachte Planungsleistungen und darüber hinaus ein Ausfallhonorar in Höhe von 52.252,34 EUR abzurechnen sind. Der Architekt behandelte die 22.747,66 EUR als steuerpflichtigen Umsatz. Die 52.252,34 EUR sah er hingegen auf Grundlage der bisherigen BGH-Rechtsprechung als nicht steuerbaren Schadenersatz an. FA und FG behandelten jedoch auch diesen Vergütungsbestandteil als umsatzsteuerbar und umsatzsteuerpflichtig (FG Niedersachsen 28.2.19, 5 K 214/18). Der BFH (26.8.17, V R 13/19) konnte sich zu keiner endgültigen Entscheidung durchringen. Die Feststellungen des FG reichten nach Ansicht des BFH für eine rechtliche Beurteilung nicht aus. Deshalb hob der BFH die Vorentscheidung des FG auf und verwies das Verfahren an das FG zurück und gab dem FG allerdings die folgenden entscheidungserheblichen Rechtsgrundsätze mit auf den Weg.

    2. Zivilrechtliche Folgen der Kündigung/Aufhebung

    Kündigt ein Auftraggeber den Architekten- oder Ingenieurvertrag aus freien Stücken (keine Kündigung aus wichtigem Grund), hat der Auftragnehmer Anspruch auf die komplette vereinbarte Vergütung. Er muss sich nur das anrechnen lassen, was er infolge der Aufhebung des Vertrags an Aufwendungen erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erworben oder zu erwerben böswillig unterlassen habe (früher § 649 S. 2 BGB, seit 2018: § 648 S. 2 BGB). Folglich wird eine solche Honorarabrechnung in zwei Punkte gegliedert: in die Honorierung der erbrachten Leistungen und in die Honorierung der nicht mehr erbrachten Leistungen.

     

    Diese Aufteilung ist u. a. auch aus umsatzsteuerlichen Gesichtspunkten relevant. Auf den Honorarbetrag für die erbrachten Leistungen ist zweifelsfrei die Umsatzsteuer zum Regelsteuersatz aufzuschlagen. Das kann bei dem Honoraranspruch für die kündigungs- oder aufhebungsbedingt nicht mehr erbrachten Leistungen dagegen anders aussehen. Hier kommt es auf den Einzelfall an, ob Umsatzsteuer entsteht oder nicht.

    3. Umsatzsteuerliche Folgen der Kündigung/Aufhebung

    Der BGH ist der Auffassung, dass für die Vergütung für die kündigungsbedingt nicht mehr erbrachten Leistungen keine Umsatzsteuer anfällt (BGH 22.11.07, VII ZR 83/05). Der BFH (26.8.21, V R 13/19) sieht das im Prinzip genauso (Grundsatz: Tz. 3.1), allerdings differenziert er weiter, indem er unterscheidet, ob es sich um eine nicht ernsthaft gewollte Scheinaufteilung (Ausnahme 1: Tz. 3.2) oder um die Aufgabe einer vermögenswerten Rechtsposition (Ausnahme 2: Tz. 3.3) handelt.

     

    Der Hintergrund für die Unterscheidung ist folgender: Nach Auffassung des BFH ist die bloße zahlenmäßige Konkretisierung in einer Vereinbarung mit dem Auftraggeber über ein Ausfallhonorar nach vorzeitiger Kündigung des Architektenvertrags für sich genommen ungeeignet, eine Zuordnungsentscheidung darüber zu treffen, ob die Zahlung als Entgelt für eine teilweise erbrachte Leistung (umsatzsteuerpflichtig) oder als Zahlung ohne Entgeltcharakter (nicht steuerbar) i. S. d. Urteils des BFH (27.8.70, V R 159/66) anzusehen ist. Mit anderen Worten: Nur das auf Papier vereinbarte kann nicht maßgebend für die umsatzsteuerlichen Folgerungen sein. Entscheidend ist, was hinter der Vereinbarung steckt und welche Leistungen der Architekt tatsächlich erbracht hat.

     

    3.1 Grundsatz: Honorar für tatsächlich nicht erbrachte Leistungen

    Nach § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UStG unterliegen der Umsatzsteuer nur diejenigen Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt. Damit ein Vorgang der Umsatzsteuer unterliegt, muss deshalb ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der erbrachten Leistung und dem empfangenen Gegenwert bestehen. Deshalb stellen Entschädigungen und Schadenersatzzahlungen grundsätzlich kein Entgelt i. S. des Umsatzsteuergesetzes dar und unterliegen folglich nicht der Umsatzsteuer. Denn die Zahlung erfolgt nicht für eine Lieferung oder sonstige Leistung, sondern weil der Zahlende nach Gesetz oder Vertrag für einen Schaden und seine Folgen einzustehen hat.

     

    Deshalb entschied bereits früher der BFH (27.8.70, V R 159/66), dass die Vergütung, die ein Unternehmer nach Kündigung oder vertraglicher Auflösung eines Werklieferungsvertrags vereinnahmt, ohne an den Auftraggeber die bereitgestellten Werkstoffe oder das teilweise vollendete Werk geliefert zu haben, kein Entgelt i. S. des UStG darstellt. Folglich fällt hierauf keine Umsatzsteuer an. Dieser Auffassung folgt auch die Finanzverwaltung (Abschn. 1.3 Abs. 5 UStAE) sowie der BGH (22.11.07, VII ZR 83/05). Dies stellt somit den Grundsatz dar ‒ und infolgedessen unterliegt ein Ausfallhonorar für noch nicht erbrachte Leistungen nicht der Umsatzsteuer.

     

    • Beispiel 1

    Architekt Alfred ist für die Stadt Oldenburg tätig und plant einen Neubau. Nach einiger Zeit wird der Vertrag durch die Stadt Oldenburg gekündigt. Alfred berechnet der Stadt Oldenburg entsprechend der vertraglichen Vereinbarungen 20.000 EUR für bereits erbrachte und 30.000 EUR für noch nicht erbrachte Leistungen (Ausfallhonorar, vgl. § 648 S. 2 BGB).

    Lösung: Die erhaltenen 20.000 EUR stellen ein Entgelt für erbrachte Leistungen dar und unterliegen der Umsatzsteuer. Die zusätzlich berechneten 30.000 EUR weisen hingegen keinen Zusammenhang mit von Alfred erbrachten Leistungen auf. Es handelt sich um nicht steuerbaren Schadenersatz; Umsatzsteuer fällt keine an.

     

    3.2 Erste Ausnahme: Nicht ernsthaft gewollte Honoraraufteilung

    Etwas anderes gilt, wenn die Aufteilung des Honoraranspruchs auf erbrachte bzw. nicht erbrachte Leistungen nicht ernsthaft gewollt war. Entscheidend allein ist nämlich das, was die Parteien tatsächlich vereinbaren wollten ‒ und nicht die bloße zahlenmäßige Konkretisierung. Dient die Aufteilung in erbrachte und nicht erbrachte Leistungen nur dem Schein bzw. dem Umstand, die Entstehung der Umsatzsteuer zu verhindern oder zu mindern, kann auch der volle Betrag als Gegenleistung anzusehen sein. Es handelt sich also um Fallgestaltungen, in denen die Vergütungsbestandteile für erbrachte Leistungen in die Vergütung für nicht erbrachte Leistungen „verschoben“ werden, um die Umsatzsteuer zu reduzieren. Dies wird die Finanzverwaltung insbesondere prüfen, wenn der Leistungsempfänger nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt ist (typischerweise also die meisten öffentlichen Auftraggeber) und aus der Umsatzsteuer insoweit für den Leistungsempfänger eine tatsächliche Mehrbelastung entstehen würde.

     

    • Beispiel 2

    Wie Beispiel 1. Da die Stadt Oldenburg nicht vorsteuerabzugsberechtigt ist, berechnet Alfred lediglich ein Ausfallhonorar in Höhe von 50.000 EUR.

     

    Lösung: Die zahlenmäßige Konkretisierung und Verschiebung des Honorars in den Bereich „Ausfallhonorar“ reicht nicht aus, um die Zahlung nicht der Umsatzsteuer zu unterwerfen. Maßgebend ist allein, was die Vertragsparteien tatsächlich vereinbaren wollten (Honorar für erbrachte Leistungen 20.000 EUR und Honorar für nicht erbrachte Leistungen 30.000 EUR). Entsprechend unterliegt das Honorar für die erbrachten Leistungen weiterhin der Umsatzsteuer. Das FA wird ‒ wenn es den Sachverhalt aufdeckt ‒ vermutlich eine Schätzung oder Kalkulation des auf erbrachten Leistungen entfallenden Honoraranteils vornehmen bzw. im Zweifel das gesamte Honorar der Umsatzsteuer unterwerfen. Es empfiehlt sich deshalb, einerseits keine Honoraranteile zu verschieben und andererseits Unterlagen und Berechnungen bzgl. des Ausfallhonorars aufzubewahren.

     

    3.3 Zweite Ausnahme: Verzicht gegen Entgelt auf eine Rechtsposition

    Gleichermaßen kann sich ein entgeltlicher und damit der Umsatzsteuer unterliegender Leistungsaustausch ergeben, wenn ein Architekt auf eine ihm, sei es auf gesetzlicher oder vertraglicher Grundlage, zustehenden Rechtsanspruch gegen Entgelt verzichtet (BFH 16.1.14, V R 22/13). Auf dieser Basis wird beispielsweise auch die vertragliche Auflösung eines Mietvertrags gegen Abfindung beurteilt und als steuerbarer (aber steuerbefreiter) Umsatz angesehen (EuGH 15.12.93, C-63/92).

     

    Entscheidend für diese durchaus in der Praxis anzutreffende, ungünstige Alternative ist also, ob der Architekt zum Zeitpunkt der Vereinbarung über das Ausfallhonorar noch über eine (vermögenswerte) Rechtsposition aus dem Architektenvertrag verfügte, auf die er (gegen Entgelt) hätte verzichten können. Hat er selbst den Architektenvertrag gekündigt, ist diese Rechtsposition resultierend aus dem Architektenvertrag jedoch bereits erloschen, sodass sich bei einem anschließend vereinbarten Ausfallhonorar kein Leistungsaustausch ergeben kann.

     

    Heben die Vertragsparteien hingegen einen Architektenvertrag einvernehmlich unter gleichzeitiger Regelung der Vergütung auf, ohne dass der Vertrag zuvor gekündigt wurde, verzichtet der Architekt auf das ihm noch immer zustehende Recht der Leistungserbringung offener Vertragsbestandteile gegen entsprechende Honorierung. Dieser Verzicht auf eine dem Architekten zustehende Rechtsposition ist eine eigenständige Leistung mit Gegenleistung (Vergütung für nicht erbrachte Leistungen), sodass hieraus ein steuerbarer und regelmäßig steuerpflichtiger Vorgang erwächst. Umsatzsteuer fällt an und ist an das FA abzuführen.

     

    • Beispiel 3

    Architekt Bernd hat mit der Stadt Norden einen Architektenvertrag für ein Bauprojekt geschlossen. Der Vertrag wurde nicht gekündigt, soll jedoch wegen frühzeitiger Einstellung des Projekts aufgehoben werden. Bernd einigt sich mit der Stadt Norden dahin gehend, dass er anstelle des eigentlich vereinbarten Gesamthonorars von 100.000 EUR eine Zahlung von 15.000 EUR als Entschädigung für die Vertragsaufhebung erhält.

     

    Lösung: Der Architekt Bernd besitzt aufgrund des ungekündigten Architektenvertrags eine vermögenswerte Rechtsposition gegenüber der Stadt Norden. Durch die Vertragsaufhebung verzichtet Bernd auf das ihm zustehende Recht zur Leistungserbringung und damit auf das zu erzielende Honorar. Da er für diesen Verzicht eine Vergütung von 15.000 EUR erhält, ergibt sich ein Leistungsaustausch und Umsatzsteuer fällt an.

     

    4. Wirtschaftliche Folgen

    Unter der Voraussetzung, dass die Rechnungen von vornherein richtig ausgestellt wurden, ist es für den Architekten und den zum Vorsteuerabzug berechtigten Leistungsempfänger ohne Bedeutung, ob Umsatzsteuer anfällt oder nicht. Der Architekt erhält in jedem Fall die Nettovergütung und der Leistungsempfänger kann die Umsatzsteuer beim Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG zurückfordern. Zu einer Belastung wird die Umsatzsteuer nur dann, wenn der Leistungsempfänger nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt ist (z. B. Privatperson oder Verwendung der Architektenleistung zur Erzielung steuerfreier nicht privilegierter Umsätze). In diesem Fall wird der Leistungsempfänger naturgemäß versuchen, die Belastung mit Umsatzsteuern zu reduzieren oder die umsatzsteuerpflichtige Bemessungsgrundlage weitgehend zu verringern.

    Quelle: Ausgabe 07 / 2022 | Seite 176 | ID 47944420