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  • · Fachbeitrag · Umsatzsteuerfreiheit

    Landesbehördenbescheinigung entfaltet nur eingeschränkte Rückwirkung

    von Georg Nieskoven, Troisdorf

    Die für Schulungs- bzw. Berufsbildungsleistungen geltende Umsatz-steuerbefreiung erfordert gemäß § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG regelmäßig eine Landesbehördenbescheinigung, der nach bisheriger Rechtsprechung die Wirkung eines Grundlagenlagenbescheides i.S. von § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO zukam. Wie der BFH (21.02.13, V R 27/11) nun allerdings klargestellt hat, ist die Korrekturfolge solcher ressortfremder Grundlagenbescheide auf noch nicht festsetzungsverjährte Umsatzsteuerfestsetzungen beschränkt.

     

    Sachverhalt

    Unternehmerin U betrieb eine Ballettschule und unterwarf in den Streitjahren 1972 bis 1992 ihre Umsätze dem Regelsteuersatz. Erst 2004 stellt die U einen Antrag auf Erteilung einer Bescheinigung i.S. von § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG. Die Bezirksregierung bescheinigte ihr, dass ihre Ballettschule in der Zeit zwischen 1971 und 1995 ordnungsgemäß auf einen Beruf als Ballettlehrer, Balletttänzer oder Musicaldarsteller vorbereitet habe. Die U beantragte daraufhin die Änderung der Umsatzsteuerbescheide 1972 bis 1992, was das FA jedoch unter Verweis auf fehlende Korrekturmöglichkeiten nach der AO ablehnte. Nach erfolglosem Einspruch gab das FG dem Begehren statt, da auch eine nachträglich und mit Rückwirkung erteilte Landesbehördenbescheinigung für steuerliche Zwecke einen Grundlagenbescheid darstelle. Die Korrekturfolgen solcher Grundlagenbescheide schränkte der BFH in seiner Revisionsentscheidung jedoch ein.

     

    Anmerkungen

    Das FG hatte argumentierte, nach bisheriger BFH-Rechtsprechung sei die Landesbehördenbescheinigung ein Grundlagenbescheid i.S. von § 171 Abs. 10 AO, der das FA ab Ausstellungsgültigkeit zur rückwirkenden Korrektur der Umsatzsteuerfestsetzung gemäß § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO verpflichte. Dies wirke ohne zeitliche Begrenzung in die Vergangenheit zurück - auch soweit sich die Bescheinigung auf Zeiträume vor ihrer Ausstellung beziehe. Der BFH schränkt diese Folgewirkung bei ressortfremden (außersteuerlichen) Grundlagenbescheiden nun jedoch ein: Nach § 169 Abs. 1 S. 1 AO sei eine Steuerfestsetzungskorrektur nur innerhalb der Festsetzungsfrist möglich, was im ersten Schritt auch für Berichtigungen nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO gelte. Dabei sei jedoch § 171 Abs. 10 AO zu beachten, der eine partielle Ablaufhemmung für Änderungen im Umfang des Grundlagenbescheides vorsehe. Nach der in den Streitjahren geltenden Fassung dieser Vorschrift ende die Festsetzungsfrist damit nicht vor Ablauf eines Jahres nach Bekanntgabe des für die Steuerfestsetzung bindenden Grundlagenbescheids.

     

    Gleichwohl kam nach BFH-Ansicht eine Änderung der Umsatzsteuerbescheide 1977 bis 1992 aufgrund der erteilten Landesbehördenbescheinigungen nicht in Betracht. Denn bei Anwendung von § 171 Abs. 10 AO sei systematisch danach zu differenzieren, ob es sich bei dem die Ablaufhemmung bewirkenden Grundlagenbescheid um den Grundlagenbescheid einer Finanzbehörde i.S. von § 6 Abs. 2 AO oder (wie hier) um einen anderen Grundlagenbescheid einer aus Sicht der AO ressortfremden Behörde handele:

     

    • Steuerrechtliche Grundlagenbescheide (z.B. Feststellungsbescheide) - unterliegen den Regelungen der AO, die für deren Erlass - anders als bei der unbefristet nachträglich beantragbaren Landesbehördenbescheinigung - eine eigene Feststellungsfrist vorsieht (§ 181 Abs. 1 AO). Nach § 181 Abs. 5 AO kann darüber hinaus eine gesonderte Feststellung nach Ablauf der für sie geltenden Feststellungsfrist nur noch insofern erfolgen, als die gesonderte Feststellung für solche Steuerfestsetzungen von Bedeutung ist, für die die Festsetzungsfrist im Zeitpunkt der gesonderten Feststellung noch nicht abgelaufen ist. Der AO liegt danach ein wechselseitiger - in sich stimmiger - Regelungsmechanismus zugrunde, wonach Grundlagenbescheide, soweit eine ausdrückliche von der Festsetzungsfrist des betreffenden Folgebescheides abweichende Regelung zur Feststellungsfrist für den Grundlagenbescheid fehlt, steuerrechtlich nur zu berücksichtigen sind, wenn sie innerhalb der Festsetzungsfrist für den betreffenden (Folge-)Steuerbescheid erlassen wurden.

     

    • Bei Grundlagenbescheiden ressortfremder Behörden besteht eine solche Regelung jedoch nicht, sodass der BFH hier von einer durch Rechtsprechung schließungsbedürftigen Regelungslücke in § 171 Abs. 10 AO ausgeht. Die Vorschrift muss in diesen Fällen mittels teleologischer Reduktion dahingehend ausgelegt werden, dass die von § 171 Abs. 10 AO angeordnete Ablaufhemmung voraussetzt, dass der ressortfremde Grundlagenbescheid noch vor dem Ablauf der Festsetzungsfrist für den Folgebescheid (hier: Umsatzsteuerfestsetzung) bekanntgegeben wird. Denn nach ihrem Grundgedanken und System dienen die §§ 169 ff. AO dazu, Rechtssicherheit und Rechtsfrieden dadurch herzustellen, dass Steueransprüche nur innerhalb bestimmter Fristen geltend gemacht werden können. Dieser auch für die Auslegung des § 171 Abs. 10 AO zu beachtende Normzweck wird für den Fall ressortfremder Grundlagenbescheide jedoch nicht verwirklicht, wenn diese wie Feststellungsbescheide der Finanzbehörden i.S. von §§ 179 ff. AO auch bei einer Bekanntgabe nach Ablauf der regulären Festsetzungsfristen des § 169 AO zu einer Ablaufhemmung gemäß § 171 Abs. 10 AO führen, ohne dass für den Erlass derartiger Grundlagenbescheide (wie für steuerliche Bescheide nach § 181 Abs. 5 AO vorgesehen) zeitliche Grenzen bestehen.

     

    Insofern verneinte der BFH auch die vorgebrachten unionsrechtlichen Bedenken, denn auch für möglicherweise anwendbare EG-Rechtsbefreiungsvorschriften seien die nationalstaatlichen Verfahrensvorschriften (hier der AO) zu beachten. Auch der Gesichtspunkt der „Emmotschen Fristenhemmung“ ändere daran nichts, denn es sei nicht ersichtlich, dass die Klägerin von fristgerechten Änderungsanträgen für die Umsatzsteuer in nicht verjährter Zeit abgehalten worden wäre.

     

    Praxishinweise

    Bislang ging die herrschende Meinung davon aus, dass sowohl die Gleichwertigkeitsbescheinigung für Künstler und Ensembles (§ 4 Nr. 20 Buchst. a S. 2 UStG), als auch die Landesbehördenbescheidung (§ 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG) für Schulungseinrichtungen und Dozenten uneingeschränkt die Qualität von Grundlagenbescheiden i.S. von § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO zukam. So verfügt auch die Finanzverwaltung bislang in A. 4.21.4 Abs. 2 S. 4 UStAE ohne verjährungsbezogene Einschränkungen unter Verweis auf die BFH-Rechtsprechung, dass die entsprechende Bescheinigung die Finanzbehörden insoweit als Grundlagenbescheid nach § 171 Abs. 10 i.V. mit § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO bindet. Unterstrichen wird diese Rechtseinschätzung zur bisherigen Sichtweise der Finanzverwaltung i.S. einer fehlenden Verjährungseinschränkung auch durch die mit dem Jahressteuergesetz 2010 in § 4 Nr. 20 Buchst. a S. 3 UStG mit Wirkung ab 1.1.11 eingefügte Fristenregelung i.S. von § 181 Abs. 5 AO und der im JStG 2010 enthaltenen Gesetzesbegründung, die dieser Gesetzesmodifizierung nicht lediglich klarstellende, sondern rechtsändernde Qualität attestierte. Dieser Rechtsänderungen hätte es - so die Auslegungslogik - nicht bedurft, wenn die Finanzverwaltung auch schon bislang von einer verjährungsbezogenen Einschränkung hätte ausgehen wollen.

     

    PRAXISHINWEIS | Während die vom BFH nun verfügte Fristeneinschränkung im Bereich des § 4 Nr. 20 UStG seit 1.1.11 gesetzlich abgesichert ist, basiert die nun judizierte entsprechende Einschränkung für den Bereich des § 4 Nr. 21 UStG nur auf einer „Lückenschließungs-Rechtsprechung“. Es bleibt daher abzuwarten, ob die Finanzverwaltung die jüngste BFH-Aussage zu § 4 Nr. 21 UStG mit einer Vertrauensschutz wahrenden Übergangsregelung versieht oder - z.B. unter Verweis darauf, dass A. 4.21.4 Abs. 2 S. 4 UStAE ja keine explizite Aussage zu Verjährungseinschränkungen enthielt - die BFH-Entscheidung für alle noch offenen Fälle anwenden will. Im zweiten Fall wäre für alle noch offenen Fälle eine nachträgliche und rückwirkende Beantragung bzw. Erteilung der Landesbehördenbescheidung nur noch innerhalb der USt-Festsetzungsfristen korrekturwirksam.

     

    Die BFH-Aussage wirkt allerdings zugunsten wie zuungunsten des Unternehmers, denn auch gegen den Willen des Unternehmers konnte die Finanzbehörde bislang nachträglich die Landesbehördenbescheinigung - und damit eine vorsteuerschädliche Steuerbefreiung - beantragen und umsetzen. Hinzuweisen ist zudem darauf, dass der BFH (20.8.09, V R 25/08) die Grundlagenbescheidwirkung nicht nur für die Schulungseinrichtung selbst (§ 4 Nr. 21 Buchst. a UStG), sondern auch für die dort als selbstständige Dozenten tätigen Lehrkräfte (§ 4 Nr. 21 Buchst. b UStG) bejaht hat. Auch für diese hat die neue einschränkende Rechtsprechung mithin entsprechende Folgewirkung.

     

    Die vorliegende Fristenrechtsprechung ist insbesondere für Ballett- und Musikschulen (und die dort selbstständig tätigen Lehrkräfte) von Relevanz, denn insofern hatte die Finanzverwaltung (BMF 2.4.12, IV D 3 - S 7179/07/10006, BStBl I 12, 484) bereits ihre bisherige restriktive Haltung zu „Kursinhalten mit der Nähe zu Freizeitbetätigungen“ und insbesondere zur Drei-Jahres-Altersgrenze aufgegeben (vgl. PFB 12, 117).

    Quelle: Ausgabe 08 / 2013 | Seite 203 | ID 40113940