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  • · Nachricht · Praxisaufkauf

    Rechtliche Fragen rund um die Zwangsstilllegung von Arztpraxen

    von RA Philip Christmann, FA MedR, Berlin/Heidelberg, www.christmann-law.de

    | Zum 1.8.15 trat die Soll-Regelung zum Aufkauf von Praxissitzen durch die KV in überversorgten Gebieten in Kraft (§ 103 Abs. 3a SGB V i.d.F. des GKV-Versorgungsstärkungsgesetzes). Danach sollen nun die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) nicht mehr versorgungsrelevante Arztsitze in überversorgten Gebieten aufkaufen (während sie es vorher nur „konnten“ und davon de facto keinen Gebrauch gemacht haben). Dieser Beitrag befasst sich mit den wichtigen Fragen: Wer ist bedroht? Kann man Aufkauf verhindern? Wie kann man die Höhe der Entschädigung beeinflussen? |

    1. Welche Praxen sind vom Aufkauf bedroht?

    Nach Berechnungen der KBV werden bundesweit ca. 25.000 Praxen niedergelassener Ärzte und Psychotherapeuten vom Zwangsaufkauf betroffen sein. Persönlich betroffen werden vor allem Einzelpraxen in Ballungsräumen mit im Fachgruppenvergleich niedrigen Scheinzahlen sein.

     

    Die KV sprechen dagegen von bundesweit 12.000 betroffenen Praxen. Die westdeutschen KV haben zu der Gesetzesänderung gegenüber der Ärztezeitung Stellung genommen. Allen Stellungnahmen gemeinsam ist, dass die KV im Einzelfall die Versorgungsrelevanz der Praxis prüfen wollen und der neuen Regelung eher skeptisch gegenüberstehen. Interessant ist, dass fünf von sechs KV keine Rücklagen für Praxisaufkäufe gebildet haben. Von den ostdeutschen KV hat sich die KV Sachsen eindeutig gegen einen Aufkauf positioniert.

     

    Da Ärztevertreter und Kassenvertreter in den Zulassungsausschüssen in gleicher Zahl abstimmungsberechtigt sind und da ein Antrag auf Aufkauf bei Stimmengleichheit als abgelehnt gilt, können die Vertreter der Ärzte de facto jeden Aufkaufantrag blockieren.

     

    PRAXISHINWEIS | Welche Faktoren eine Nachbesetzung begünstigen und welche gegen eine solche sprechen, stellen Lindenau/Wildfeuer (PFB 15, 243) im Einzelnen in „Die kalte Enteignung der Ärzte nach neuem Recht“ dar.

     

    2. Gestaltungsmöglichkeiten zur Abwehr eines Aufkaufs

    Hinsichtlich der Abwehr eines Aufkaufs ist zu differenzieren nach:

    • Angehörigen, angestellten Ärzte und Gemeinschaftspraxispartnern und
    • Einzelpraxen.

     

    2.1 Angehörige, angestellte Ärzte und Gemeinschaftspraxispartner

    Der Arzt, dessen Ehegatte, Lebenspartner oder Kind gleichfalls Arzt ist, kann relativ sicher sein, dass er die Zulassung auf diesen Arzt nachbesetzen kann. Aber auch für angestellte Ärzte oder Partner der Gemeinschaftspraxis gelten Privilegien: Sind diese bereits drei Jahre gemeinsam mit dem abgebenden Arzt tätig, so kommt eine Stilllegung nicht in Betracht. Das Erfordernis dreijähriger Zusammenarbeit gilt nicht, wenn diese vor der ersten Lesung des Versorgungsstärkungsgesetzes im deutschen Bundestag (3.3.15) begründet wurde.

     

    Die Bildung einer Gemeinschaftspraxis und die Anstellung von Ärzten eröffnen dem Arzt also die Möglichkeit, die Zulassung auf Praxispartner oder die angestellten Ärzte nachbesetzen zu lassen. Dies sollte spätestens drei Jahre vor dem beabsichtigten Verzicht aus Altersgründen in die Wege geleitet werden. Daneben besteht die Möglichkeit, ein MVZ zu gründen.

     

    2.2 Einzelpraxen

    In Einzelpraxis tätige Ärzte in mehr als 140 % überversorgten Gebieten, die keine nachfolgewilligen Angehörigen haben und die auch keine Kooperationen eingehen wollen, sollten eine differenzierte Nachfolgeplanung betreiben.

     

    Keinesfalls sollte der Arzt in den letzten Jahren vor dem Verzicht aus Altersgründen die Scheinzahlen absinken lassen. Vielmehr sollte er sie im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten hochfahren. Denn je höher die Scheinzahl, desto versorgungsrelevanter ist die Zulassung. Praxen, die unter dem Fallzahldurchschnitt liegen, müssen dagegen den Aufkauf fürchten. Klare Vorgaben gibt es dazu nicht. Einige Zulassungsausschüsse betrachten Praxen mit weniger als 30 % des Fallzahlendurchschnitts als nicht (mehr) versorgungsrelevant, einige sehen das Potenzial zur Ablehnung der Nachfolge bereits bei etwa 50 % des Fallzahlendurchschnitts.

     

    PRAXISHINWEIS | Der Arzt kann seine Praxis auch in ein unterversorgtes Gebiet verlegen und dadurch einem Aufkauf entgehen. Lohnend ist dies aber nur, wenn er dort mindestens noch fünf Jahre tätig ist.

     

    Gegen das Verdikt „nicht versorgungsrelevant“ sollten Einwendungen erhoben werden, um die Versorgungsrelevanz der einzelnen Praxis zu betonen:

     

    • hohe Scheinzahl
    • hoher Mitversorgungsanteil (z.B. Arzt in Ballungsraum versorgt Patienten aus umliegenden Gebieten mit)
    • besondere Versorgungsangebote
    • besonderer lokaler Versorgungsbedarf
    • die Entfernung zu anderen Praxen und deren Auslastung
    • die topografische Lage der Praxis
    • die Verkehrsinfrastruktur
    • absehbare Praxisschließungen in der Umgebung

     

    Diese Aspekte sollte der Arzt zusammen mit dem Antrag auf Nachbesetzung schriftlich vorbringen und nach Möglichkeit belegen.

     

    Es wird empfohlen, vor Antragstellung beim Zulassungsausschuss nachzufragen, ob eine Ablehnung des Antrags nach § 103 Abs. 3a SGB V n.F. droht. Zwar ist der Antrag auf Nachbesetzung zwingend erforderlich. Ist ein Aufkauf wegen einer deutlichen Überversorgung wahrscheinlich, kann der nicht zum Streit bereite Arzt sich aber zeit- und kostenaufwendige Verhandlungen mit einem Wunschkandidat sparen (z.B. Abschluss eines Praxiskaufvertrags inkl. Wertbestimmung), wenn der Zulassungsausschuss die Zulassung ohnehin einziehen will. Denkbar ist auch, mit der KV eine vergleichsweise Lösung zu erarbeiten.

     

    PRAXISHINWEIS | Da Stellungnahmen der KV, die vor Beginn des Nachbesetzungsverfahrens abgegebenen werden, nicht verbindlich sind, ist es am sichersten, schon mit dem Nachbesetzungsantrag alle Aspekte vorzutragen, die dafür sprechen, den Sitz beizubehalten. Der Arzt sollte auch die Möglichkeit nutzen, eine (Teil-)Zulassung in eine (Teilzeit-)Arztstelle umzuwandeln und diese Arztstelle später wieder in eine Zulassung rückumzuwandeln.

     

    3. Wie kann man gegen einen Aufkauf juristisch vorgehen?

    Die Entscheidung zum Aufkauf der Zulassung kann nicht mit einem Widerspruch angegriffen werden. Stattdessen bleibt dem Arzt nur die Klage vor dem Sozialgericht. De facto ist dann aber die Praxis „vom Netz genommen“, weil das Sozialgerichtsverfahren lange dauert und sich die Patientenbindungen an die dann geschlossene Praxis schnell verflüchtigen werden.

     

    Für die Frage der Versorgungsrelevanz einer Zulassung steht den Zulassungsgremien ein Beurteilungsspielraum zu. Dieser unterliegt nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle, die sich darauf beschränkt, ob

    • der Verwaltungsentscheidung unter anderem ein vollständig ermittelter Sachverhalt zugrunde liegt,
    • die durch Auslegung des Begriffs „Erforderlichkeit aus Versorgungsgründen“ zu ermittelnden Grenzen eingehalten und ob
    • die Substitutionserwägungen so hinreichend in der Begründung der Entscheidung verdeutlicht wurden, dass im Rahmen des Möglichen die Anwendung des Beurteilungsmaßstabs erkennbar und nachvollziehbar ist (vgl. SG Nürnberg 20.3.14, S 1 KA 46/13).

     

    Im Ergebnis wird ein gerichtliches Verfahren daher wenig Erfolgsaussicht haben.

     

    PRAXISHINWEIS | Ein gerichtliches Vorgehen wird also nur dann Erfolg haben, wenn die KV den Sachverhalt nicht ausreichend festgestellt oder besondere Versorgungsgesichtspunkte nicht berücksichtigt hat.

     

    4. Kann die Höhe der Entschädigung beeinflusst werden?

    Für die Berechnung der Entschädigung gelten folgende Grundsätze:

     

    • Zur Ermittlung der Entschädigung nach § 103 Abs. 3a SGB V neuer Fassung ist auf den Verkehrswert abzustellen, der bei der Fortführung der Praxis durch einen Praxisnachfolger anzusetzen gewesen wäre. Was sich am Markt hätte erzielen lassen, ist grundsätzlich irrelevant. Der Marktpreis wäre nur dann in Ansatz zu bringen, wenn er den Verkehrswert der Praxis nicht übersteigt. Der Verkehrswert umfasst sowohl den materiellen als auch den immateriellen Wert der Praxis sowie den Erlös aus privatärztlicher Tätigkeit (vgl. BSG 14.12.11, B 6 KA 39/10 R).

     

    • Folgeschäden werden mit entschädigt. Der ausscheidende Vertragsarzt ist dabei aber zur Schadensminderung verpflichtet. Diese Verpflichtung dürfte zu vielen Streitigkeiten führen.

     

    • Materielles Vermögen kann der Arzt frei veräußern und so noch einen zusätzlichen (steuerpflichtigen) Gewinn erzielen. Dies ist mit Blick auf die Schadensminderungspflicht auch sinnvoll - denn die KV erwirbt mit der Stilllegung kein Eigentum an der Praxis und könnte Praxisausrüstungen etc. auch gar nicht verkaufen.

     

    • Ferner sind etwaige Vermögensvorteile, die dem ausscheidenden Vertragsarzt aus der Stilllegung erwachsen, auf die zu zahlende Entschädigung anzurechnen.

     

    Wie die Entschädigung zu ermitteln ist, sagt das neue Gesetz allerdings nicht. Die neuere Rechtsprechung zur Praxiswertermittlung von BGH, BFH und BSG tendiert zum „modifizierten Ertragswertverfahren“. Daneben kann auch die neue Bundesärztekammermethode verwendet werden.

     

    Ob und wie bei der Berechnung der Entschädigung die weiteren Praxiseinnahmen aus belegärztlicher oder honorarärztlicher Tätigkeit, Privatbehandlungen sowie bei den Ausgaben mit Dauerschuldverhältnissen wie z.B. Personal, Miete und eventuelle Rückbaukosten, insbesondere bei Radiologie-, Nuklearmedizin- und Strahlentherapiepraxen sowie aus Finanzierungsverträgen zu berücksichtigen sind, bleibt unklar.

     

    Wegen der Höhe der Entschädigung wird vereinzelt die Meinung vertreten, dass die KV pauschal zwei Quartalsumsätze bezahlen wollen. Dies stößt auf Kritik der Anwaltschaft. Der Sachverständigenrat schlägt vor, die Entschädigung allein nach dem GKV-Umsatzanteil zu bemessen und den Umsatz, der mit der Behandlung privater Patienten erwirtschaftet wurde, außer Acht zu lassen. Die Rechtsprechung hat sich mit der neuen gesetzlichen Regelung noch nicht befasst. Es besteht also eine erhebliche Rechtsunklarheit.

     

    PRAXISHINWEIS | Die Bundesregierung hat dies erkannt und prüft derzeit, ob in § 103 Abs. 3a S. 8 SGB V eine Klarstellung aufgenommen werden kann, mit der die Methode zur Ermittlung des Verkehrswerts einer Praxis vorgegeben wird, bzw. ob nicht zumindest verpflichtende Konfliktlösungsmechanismen bei Uneinigkeit über den Verkehrswert vorzusehen sind. Es bleibt abzuwarten, ob das Gesetz nach Abschluss dieser Prüfung noch präzisiert wird.

     

     

    Sollten die Zulassungsausschüsse tatsächlich die neue Regelung buchstabengetreu umsetzen, ist eine Flut von Rechtsstreitigkeiten zu erwarten, deren Ausgang in Anbetracht der bisher noch dürren Gesetzesbegründung und der Komplexität der Einzelfragen bezüglich der Wertbestimmung völlig unklar ist. Daher ist damit zu rechnen, dass die Zulassungsausschüsse die neue Regelung nur zögerlich umsetzen werden. Die bisher vorliegenden Stellungnahmen einzelner KV deuten in diese Richtung.

     

    PRAXISHINWEIS | Der Praxisinhaber sollte den Wert der Praxis durch einen Privatgutachter bestimmen lassen und dieses Gutachten dem Zulassungsausschuss übergeben.

     

    5. Ausblick

    Der Erlös aus dem Verkauf der Praxis ist wesentlicher Bestandteil der Altersvorsorge vieler niedergelassener Ärzte. Da die zu zahlende Entschädigung höchstwahrscheinlich geringer sein wird als der auf dem freien Markt zu erzielende Erlös und da zu erwarten ist, dass für den Wegfall der Einnahmen aus der Behandlung von Privatpatienten keine adäquate Entschädigung gezahlt wird, fürchten viele niedergelassene Ärzte nun den Verlust eines Teils ihrer Altersvorsorge.

     

    Überdies können durch die Zwangsstilllegung Folgekosten entstehen, die nicht entschädigt werden könnten: Zu denken ist dabei an weitere Kosten aus langfristigen Miet- und Wartungsverträgen, Personalkosten, Ausgleichsansprüche von Mitgesellschaftern, die nach dem Wegfall eines Sitzes in der Gemeinschaftspraxis nun die laufenden Kosten auf weniger Köpfe verteilen müssen.

     

    Behalten die KV aber ihre skeptische Haltung zum Zwangsaufkauf bei und nutzen die niedergelassenen Ärzte ihre gestalterischen Möglichkeiten zur Abwehr eines Zwangsaufkaufs, wird es in naher Zukunft nur zu wenigen Zwangsstilllegungen kommen. Dann könnte die Gesetzesänderung, die die Überversorgungen beseitigen will, zum Lackmustest der ärztlichen Selbstverwaltung werden.

     

    Weiterführende Hinweise

    • Die kalte Enteignung der Ärzte nach neuem Recht (Lindenau/Wildfeuer, PFB 15, 243)
    Quelle: Ausgabe 11 / 2015 | Seite 313 | ID 43560711