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  • · Fachbeitrag · Vertragsarztrecht

    Was bringt das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz für niedergelassene Ärzte?

    von RA FA MedizinR Dietmar Sedlaczek und RA Alexander Helle, Berlin, www.sps-steuerrecht.de 

    | Am 11.6.15 wurde das Gesetz zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-VSG) vom Bundestag beschlossen. Der Bundesrat hat es am 10.7.15 passieren lassen. Die Regelungen sollen überwiegend zum 1.8.15 in Kraft treten. Der Beitrag geht auf die für den Berater niedergelassener Ärzte wesentlichen Änderungen ein. Die Normen werden in der neuen Fassung zitiert. |

    1. Änderungen im Zulassungsrecht

    § 103 Abs. 3a S. 3 SGB V, der zum Einzug von Sitzen ermächtigt, wird eine Soll-Regelung. Das heißt, nur wenn besondere Gründe vorliegen, darf bei gegebener Überversorgung nicht eingezogen werden. Das bedeutet eine deutliche Verschärfung. Gleichzeitig ist der zulässige Versorgungsgrad von 110 % auf 140 % erhöht worden. Andererseits werden für die Gründung von medizinischen Versorgungszentren (MVZ) neue Spielräume eröffnet.

     

    1.1 Zulassung niedergelassener Ärzte

    Künftig wird der niedergelassene Arzt jährlich überprüft, ob er seinen Versorgungsauftrag eingehalten hat (§ 95 Abs. 3 S. 3 SGB V). Zwar gab es diese Prüfpflicht der KV schon vor dem GKV-VSG, doch sind nun die Zulassungsausschüsse zu informieren. So sollen die Zulassungsentscheidungen und Bedarfsfeststellungen vor Ort fundierter als bisher getroffen und begründet werden können. Dies gilt auch für mögliche Abweichungen von der Bedarfsplanungsrichtlinie zur Berücksichtigung regionaler Besonderheiten (BT-Drucks. 18/5123, S. 128). Die KV können in unterversorgten Gebieten nun schneller eingreifen.

     

    Diese Prüf- und Informationspflicht ist durchaus brisant. Die Landesausschüsse stellen fest, ob der allgemeine bedarfsgerechte Versorgungsgrad um 40 % überschritten ist. Der noch zulässige Versorgungsgrad liegt also bei 140 % (kurzfristig waren 200 % in der Diskussion). Zwar sollen die ermächtigten Ärzte nicht (mehr) in die Berechnung mit einbezogen werden, jedoch dürfte dies das Problem in Ballungsräumen mit Versorgungsgraden von 800 % und mehr nicht entschärfen. Denn die Feststellung ist wiederum Grundlage dafür, ob der Zulassungsausschuss den Antrag auf Nachbesetzung - gerade mit Blick auf die „Erforderlichkeit der Nachbesetzung des Vertragsarztsitzes aus Versorgungsgründen“ - ablehnen kann oder nicht (§ 103 Abs. 3a S. 7 SGB V).

     

    Gerade die Beurteilung der Erforderlichkeit könnte in Zukunft zum Einfallstor für eine ganze Reihe an Problemen werden. Beispielsweise könnten sich Konkurrenten gegen die Genehmigung der Nachbesetzung bei bestehender Überversorgung mit einer Klage zur Wehr setzen, wenn sie selbst noch eigene freie Kapazitäten haben.

     

    Es fällt auf, dass MVZ bei der Nachbesetzung wegen ihrer „besonderen Versorgungsangebote“ im Nachbesetzungsverfahrens wegen dieser berücksichtigt werden können (§ 103 Abs. 4 S. 10 SGB V).

     

    Aber auch die Einziehung des Vertragsarztsitzes muss nicht zwangsläufig zur finanziellen Katastrophe des Vertragsarztes führen, denn die KV ist hinsichtlich der Entschädigung des Vertragsarztes an den Verkehrswert gebunden, der sich bei der Fortführung der Praxis ergeben würde (§ 103 Abs. 3a S. 8 SGB V). Allerdings sollte auch hier eine gründliche Planung erfolgen, denn so kann die Pflicht der KV zum Aufkauf der Praxis möglicherweise vermieden werden, soweit der Vertragsarzt die Praxis nicht ohnehin aus Altersgründen ohne konkreten Nachbesetzungswunsch abgeben will. 

     

    1.2 Verbesserungen für die Zulassung von MVZ

    Das Kriterium „fachübergreifend“ verhinderte bisher, dass zwei fachgruppengleiche Ärzte ein MVZ gründeten. Es wurde gestrichen. Künftig sind arztgruppengleiche MVZ möglich. Ob allerdings ein „Mono“-MVZ, also ein MVZ mit nur einem Vertragsarzt ermöglicht wird, der vielleicht auch noch Träger des MVZ ist, ist momentan noch nicht abschätzbar. Allerdings lässt sich entgegen mancher Meinung in der juristischen Literatur aus dem Gesetzeswortlaut nicht so einfach ein Beweis für die Zulässigkeit eines „Mono“-MVZ ableiten:

     

    • Das Gesetz spricht weiterhin von Ärzten, Einrichtungen und MVZ im Plural.

     

    • Die Gesetzesbegründung stellt nur darauf ab, dass „arztgruppengleiche MVZt“ gegründet werden können (vgl. BT-Drucks. 18/4095 S. 10). Dabei muss man bedenken, dass der Gesetzgeber 2004 mit den MVZ die vertragsärztlichen Versorgungsstrukturen konzentrieren wollte. Dem würde ein „Mono“-MVZ eindeutig zuwider laufen.

     

    PRAXISHINWEIS | Es bleibt abzuwarten, wie sich die Rechtsprechung entwickeln wird. Zur Planung von „Mono“-MVZ kann nicht geraten werden. Die KV werden argumentieren, dass Nachbesetzungsregelungen in überversorgten Gebieten umgangen werden, wenn eine Einzelpraxis in ein „Mono“-MVZ überführt wird.

     

    2. Das Recht auf eine Zweitmeinung (§ 27b SGB V)

    Patienten, die sich einem planbaren Eingriff unterziehen müssen, steht künftig ein Recht auf die Einholung einer Zweitmeinung zu, soweit sich aufgrund der zahlenmäßigen Entwicklung der Eingriffe (der Gesetzgeber meint wohl Operationen) aus der Vergangenheit ablesen lässt, dass die ursprüngliche Indikation des geplanten Eingriffs durch intraoperative Gegebenheiten oder neu hinzutretende (Folge-/Begleit-)Erkrankungen durch weitere Indikationen zum gleichen Eingriff begleitet wird.  

     

    • Beispiel

    Für den Eingriff A stellt Chirurg X die Indikation 1 fest. Aus der Vergangenheit ist bekannt, dass meist noch die Indikationen 2 oder 3 zu der ursprünglichen Indikation für den Eingriff A hinzutreten. Jetzt soll in dieser Situation Chirurg Y entscheiden, ob hier der Eingriff B nicht besser wäre, da dieser nicht nur die Indikation 1 abdeckt, sondern möglicherweise auch Indikation 2 oder 3 oder evtl. die Indikationen 2 und/oder 3 durch den geänderten Eingriff nicht auslöst.

     

    Der Gemeinsame Bundesausschuss soll festlegen, welche Indikationen betroffen und welche Anforderungen an Zweitgutachter zu stellen sind. Die KV führen Verzeichnisse mit Zweitgutachtern, auf welche die Ärzte bei der Erstindikation verweisen sollen. Der Patient hat das Recht (§ 630g Abs. 2 BGB), seine Befundberichte in Kopie mitzunehmen. Auch hierauf muss ihn der Arzt hinweisen. Aus Sicht des niedergelassenen Arztes ist das Recht auf eine Zweitmeinung als Chance zu bewerten, da bei gleicher Indikation ein zweites Mal abgerechnet werden kann. Gleichzeitig können sich gerade niedergelassene Fachärzte über die Zweitbegutachtung besonders profilieren.

     

    PRAXISHINWEIS | Vertragsärzte, die als Zweitgutachter bestimmt sind, können aufgrund ihrer Tätigkeit eine Praxisbesonderheit im abrechnungsrechtlichen Sinne für sich in Anspruch nehmen, sodass sie bei etwaigen Abrechnungs- und/oder Wirtschaftlichkeitsprüfungen diese nutzen können, um ihren Mehraufwand zu begründen.

     

    3. Weiterbildung von Allgemeinmedizinern (§ 75a SGB V)

    Die KV und die Krankenkassen sind verpflichtet, die Weiterbildung in der Allgemeinmedizin zu fördern und diese Kosten je zur Hälfte zu tragen. Für den Weiterzubildenden und den niedergelassenen Vertragsarzt/das MVZ bietet die Regelung durchaus eine interessante Perspektive. Denn nun besteht ein gesetzlicher Anspruch auf die Förderung einer Weiterbildungsstelle. Allerdings geht der Gesetzgeber davon aus, dass zwischen der Förderung und der im Krankenhaus üblichen Vergütung eine Lücke bestehen bleibt, die der Arzt/das MVZ dem Weiterzubildenden ausgleichen muss. Da aber auf der anderen Seite die KV die Anzahl der zu fördernden Weiterbildungsstellen nicht begrenzen darf, kann sich dennoch die Weiterbildung des ärztlichen Nachwuchses für den niedergelassenen Vertragsarzt auszahlen. Denn die Weiterbildung ist nun gesetzlich angeordnet und die KV sind gehalten, die Weiterbildung ordentlich zu bezuschussen. Hierdurch kann der weiterbildende Vertragsarzt durch die Übernahme der Weiterbildung, finanziert durch die KV, möglicherweise Mehreinnahmen produzieren.

     

    PRAXISHINWEIS | Für den Nachwuchs wird es über die allgemeinmedizinische Weiterbildung hinaus interessant, sich auf eine der 1.000 Förderstellen der grundversorgenden Fachärzte zu bewerben.

     

    4. Verträge über die besondere Versorgung (§ 140a SGB V)

    Krankenkassen können mit Ärzten und MVZ oder deren Trägern, Pflegekassen und zugelassenen Pflegeeinrichtungen, Praxiskliniken, pharmazeutischen Unternehmern, Herstellern von Medizinprodukten sowie den KV, soweit diese zur Unterstützung von Mitgliedern tätig werden, Verträge zur besonderen Versorgung schließen.

     

    So sollen die Krankenkassen „eine verschiedene Leistungssektoren übergreifende oder eine interdisziplinär fachübergreifende Versorgung (integrierte Versorgung)“ ermöglichen. Hierdurch kann sogar der Sicherstellungsauftrag der KV nach § 75 Abs. 1 SGB V eingeschränkt werden, solange ein entsprechender Vertrag durch eine Krankenkasse abgeschlossen wurde. Hierbei kann es durchaus sein, dass durch den Vertrag über die besondere Versorgung die Abrechnungsmöglichkeiten der Vertragsärzte gestärkt werden.

     

    Nach § 140a Abs. 2 SGB V können die Krankenkassen in Verträgen zur besonderen Versorgung auch von Vorschriften des Vierten Kapitels des SGB V (Beziehungen der Krankenkassen zu den Leistungserbringern), des Krankenhausfinanzierungsgesetzes bzw. des Krankenhausentgeltgesetzes abweichen. Dies soll wohl dazu beitragen das Gesundheitssystem durchlässiger für orts- und/oder regionalangepasste Regelungen zwischen den Vertragsparteien zu machen. 

     

    PRAXISHINWEIS | Insgesamt ergibt sich zugunsten des niedergelassenen Arztes oder des MVZ aus den Verträgen zur besonderen Versorgung eine verlässliche Einnahmequelle, die die Zukunftssicherheit der Praxis und ihren Wert erhöhen dürfte.

     

    5. Neuregelung des Entlassmanagements ( § 39 Abs. 1a SGB V)

    Auch das Entlassmanagement ist neu geregelt. Die Versorgung des Patienten soll beim Übergang vom stationären zum ambulanten Sektor verbessert werden. Was zunächst wie eine simple Klarstellung zur alten Rechtslage daherkommt, enthält einen ganzen Kanon von Regelungen bis hin zur Abgabegröße von Medikamenteneinheiten. Wichtig ist, dass die Krankenhäuser mit den Leistungserbringern gemäß § 95 Abs. 1 S. 1 SGB V, also in erster Linie mit niedergelassenen Ärzten und MVZ, Verträge über das Entlassmanagement abschließen können (§ 39 Abs. 1a S. 2 SGB V).

     

    PRAXISHINWEIS | Möglichkeiten zur Gestaltung ärztlicher Tätigkeit in der Niederlassung, egal ob als Einzelpraxis, BAG, MVZ etc., sind gegenwärtig nur im Ansatz abzuschätzen. Fest steht, dass die Neuregelung des Entlassmanagements nicht nur in die Rechtsberatung zu Verträgen mit Krankenhäusern, sondern auch in die Bewertung von Praxissitzen eingehen wird. Denn die Verträge über das Entlassmanagement ermöglichen hier dem einzelnen Vertragsarzt eine dauerhafte regelmäßige Einkommensquelle, welche sich auch in Kaufpreisverhandlungen mit dem Nachfolger niederschlagen werden.

     

    6. Terminservicestellen (§ 75 Abs. 1a SGB V)

    Gerade Patientenvertretungen bemängelten, dass es zu lange dauert, bis Patienten einen Termin bei einem Facharzt bekommen. Ab August 2015 ist es Aufgabe der KV, „die angemessene und zeitnahe Zurverfügungstellung der fachärztlichen Versorgung“ durch Terminservicestellen zu sichern. Die Terminservicestelle soll binnen einer Woche einen Behandlungstermin bei einem Vertragsarzt, einem MVZ oder einem/r ermächtigten Arzt/Einrichtung vermitteln. Die Wartezeit des Patienten darf vier Wochen nicht überschreiten.

     

    Die Frage, ob der Facharzt diese Termine annehmen muss, lässt das Gesetz allerdings unbeantwortet. Es ist davon auszugehen, dass kein niedergelassener Facharzt (sei es in Einzelpraxis oder MVZ) verpflichtet ist, Termine der Servicestelle anzunehmen. Ist kein niedergelassener Facharzt erreichbar, können sich die Versicherten allerdings an nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende zugelassene Krankenhäuser wenden. Daher ist anzunehmen, dass die Regelungslücke auf Kammerbezirksebene geschlossen wird, damit Krankenhäuser nicht über den Umweg der Terminservicestellen im ambulanten Sektor wildern.

     

    PRAXISHINWEIS | Fachärzte sollten sich den Terminservicestellen nicht verschließen, sondern aktiv auf sie zugehen und zum Beispiel Kontingent-Verträge abschließen. Das erhöht die Terminplanungssicherheit für die Zukunft und schließt die Gefahr aus, dass die eigene Terminplanung durch eine mögliche Regelung zur Terminannahme konterkariert wird.

     

    7. Notdienst (§ 75 Abs. 1 SGB V)

    Künftig sollen die KV auch den Notdienst durch organisatorische Verknüpfung und Kooperation mit Krankenhäusern sicherstellen. Sie werden ermächtigt, entsprechende Verträge mit nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden zugelassenen Krankenhäusern und Ärzten zu schließen, die für den Notdienst an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen.

     

    Offensichtlich hat sich der Gesetzgeber von den Warnungen leiten lassen, dass die Notdienste in manchen Regionen nicht mehr ausreichend besetzt seien. Und mehr noch: Die Neuregelung erstreckt sich auch auf die notärztliche Versorgung des Rettungsdienstes, soweit nach Landesrecht die KV die notärztliche Versorgung durch Rettungsdienste sicherzustellen hat.

     

    PRAXISHINWEIS | Der Gesetzgeber hat den Notdienst nun fest bei den KV verankert und für nicht-vertragsärztlich tätige Ärzte und Einrichtungen geöffnet. Dies dürfte tatsächlich in manchen Regionen die Ärzte entlasten, da nun ausdrücklich keine vertragsärztliche Zulassung mehr nötig ist, um Leistungen im Notdienst abzurechnen.

     

    Weiterführender Hinweis

    Quelle: Ausgabe 08 / 2015 | Seite 228 | ID 43480291