· Fachbeitrag · Der praktische Fall
Zehn Musterfälle zum Kassenstaatsprinzip ‒ Teil 1: Besteuerung von Steuerausländern
von Univ.-Prof. Dr. Stephan Kudert und B. Sc. Yulian Strus, Frankfurt (Oder)
| Die grenzüberschreitende Arbeitnehmerbesteuerung erfolgt aufgrund des Tätigkeitsortprinzips im Grundsatz sehr systematisch. Das Entgelt wird in dem Staat besteuert, in dem der Arbeitnehmer tätig ist. Dieser Grundsatz wird jedoch durch mehrere Regelungen durchbrochen. Eine wichtige Ausnahme stellt das (in der Praxis zu Unrecht wenig beachtete) Kassenstaatsprinzip dar. Die folgenden Ausführungen sollen anhand von zehn praktischen Fällen dessen Inhalt und Stellenwert erläutern und so steuerliche Fallstricke in der Praxis verdeutlichen. |
1. Besteuerung nach dem Tätigkeitsortprinzip
|
Piotr lebt in Slubice (Polen). Er arbeitet für ein Steuerberatungsunternehmen in Berlin; an drei Tagen pro Woche vor Ort und an zwei Tagen im Homeoffice. Darf Deutschland sein Gehalt besteuern? |
Piotr hat seinen Wohnsitz in Polen und ist daher dort unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. In Deutschland hat er weder einen Wohnsitz noch den gewöhnlichen Aufenthalt und ist daher nicht unbeschränkt steuerpflichtig nach § 1 Abs. 1 EStG (Steuerausländer).
Durch die Ausübung der Tätigkeit an drei von fünf Tagen pro Woche in Deutschland im Rahmen eines Dienstverhältnisses ist er in Deutschland insoweit beschränkt einkommensteuerpflichtig mit inländischen Einkünften nach § 1 Abs. 4 i. V. m. § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a) EStG (Tätigkeitsortprinzip).
MERKE | Welche Bedeutung dem Tatbestandsmerkmal der Verwertung in § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a) EStG zukommt, ist rechtlich bislang ungeklärt. Klar ist lediglich, dass der Arbeitnehmer (und nicht der Arbeitgeber) das Ergebnis seiner Leistung verwerten muss (BFH 12.11.86, I R 38/83). Dem Tatbestandsmerkmal ist in der Praxis aber eine geringe Bedeutung beizumessen, denn in solchen Fällen verzichtet die Finanzverwaltung i. d. R. auf die Besteuerung (vgl. R 39.4 Abs. 3 Nr. 2 LStR). |
Dadurch ergibt sich eine Doppelbesteuerung hinsichtlich der 3/5 der Vergütung, da Polen im Rahmen des Welteinkommensprinzips sämtliche Einkünfte und Deutschland nach dem Territorialitätsprinzip die inländischen Einkünfte besteuern würden. Piotr ist gemäß Art. 4 Abs. 1 DBA D/PL aufgrund der dortigen unbeschränkten Steuerpflicht in Polen ansässig. Deshalb darf er das DBA D/PL in Anspruch nehmen (Art. 1 DBA D/PL). Der Verteilungsartikel 15 Abs. 1 DBA greift. Demnach sind Einkünfte aus unselbstständiger Arbeit nur in dem Staat zu besteuern, in dem die Person ansässig ist (hier Polen), es sei denn, die Person übt ihre Tätigkeit in dem anderen Vertragsstaat aus (hier Deutschland).
Im Ergebnis greift das Tätigkeitsortprinzip. Dem Tätigkeitsstaat wird abkommensrechtlich das Besteuerungsrecht zugewiesen. Piotr darf lediglich mit 3/5 seiner Einkünfte in Deutschland besteuert werden. Ist der Tätigkeitsort nicht im Ansässigkeits-, sondern im anderen Vertragsstaat, stellt der Ansässigkeitsstaat (hier: Polen) diese Einkünfte unter Progressionsvorbehalt frei (Art. 24 Abs. 2 Buchst. a) DBA D/PL).
MERKE | Hat der deutsche Arbeitgeber zu Unrecht die volle Lohnsteuer einbehalten, kann sich der Arbeitnehmer diese anteilig vom Betriebsstättenfinanzamt erstatten (vgl. BMF 27.6.22, IV B 8 - S 2301/13/10002) oder nach § 50 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 Buchst. b) i. V. m. S. 7 EStG veranlagen lassen. Bei der Veranlagung stehen jedoch seine nicht inländischen Einkünfte unter dem Progressionsvorbehalt nach § 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 5 EStG. |
2. Besteuerung nach dem Kassenstaatsprinzip
|
Der deutsche Staatsbürger Dieter lebt zurzeit mit seiner Familie in Frankfurt (Oder) und arbeitet beim Landesamt für Umwelt Brandenburg. Von seinem Arbeitgeber (Land Brandenburg) bekommt er ein Angebot für eine mehrjährige Tätigkeit in Chile, wo er seine Erfahrungen bei der Bekämpfung negativer Folgen des Klimawandels mit chilenischen Kollegen teilen soll. Dieter stimmt dem Angebot zu und zieht mit seiner Familie um. Er gibt seinen deutschen Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt auf und arbeitet für das Land Brandenburg in Valparaiso (Chile). Darf Deutschland sein Gehalt besteuern? Ist er ggf. in Deutschland beschränkt oder unbeschränkt steuerpflichtig? |
Es kommt auf das ausländische Steuerrecht an. Dieter ist nun scheinbar Steuerausländer. Nach dem Tätigkeitsortprinzip hätte Deutschland kein Besteuerungsrecht, weil keine inländischen Einkünfte nach § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a) EStG vorliegen. Das Ergebnis scheint auch sachgerecht, weil er allein in Chile lebt und arbeitet. Allerdings wird nunmehr das Tätigkeitort- durch das Kassenstaatsprinzip durchbrochen.
2.1 Beschränkte Steuerpflicht in Deutschland
Ist er in Chile unbeschränkt steuerpflichtig, greift in Deutschland § 1 Abs. 4 i. V. m. § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b) EStG. Somit hat Deutschland das Recht, die Einkünfte zu besteuern, deren Gewährung den öffentlichen Haushalt belastet, wenn diese Vergütungen der Person für ein gegenwärtiges oder vergangenes Dienstverhältnis gezahlt werden, ohne dass ein Zahlungsanspruch gegenüber der inländischen öffentlichen Kasse bestehen muss. Das Land Brandenburg gewährt Dieter eine Vergütung für ein gegenwärtiges Dienstverhältnis. Die Zahlung ist durch die Kasse einer juristischen Person des öffentlichen Rechts erfolgt. Damit liegen in Deutschland inländische Einkünfte vor.
Wenn Dieter in Chile durch seinen Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt unbeschränkt einkommensteuerpflichtig ist, droht eine Doppelbesteuerung, die durch das Welteinkommensprinzip in Chile und das Kassenstaatsprinzip in Deutschland verursacht wird. Es gibt kein DBA zwischen Deutschland und Chile, das die Beseitigung der Doppelbesteuerung anordnen könnte. Auch eine Anrechnung der chilenischen Steuer nach § 34c Abs. 1 EStG ist ausgeschlossen, weil diese eine unbeschränkte Steuerpflicht in Deutschland voraussetzt. Dass Chile die deutsche Einkommensteuer anrechnet, ist ebenfalls ausgeschlossen, wenn aus chilenischer Perspektive keine ausländischen Einkünfte vorliegen.
MERKE | Um die Doppelbesteuerung zu vermeiden, sollte Dieter einen Antrag auf Erlass der Steuer nach § 227 AO stellen. Die Finanzverwaltung erlaubt in diesem Fall eine Beseitigung der tatsächlich drohenden Doppelbesteuerung aus Billigkeitsgründen (vgl. BMF 13.11.19, IV C 5 - S 2300/19/10009, Rz. 17). |
2.2 Erweiterte unbeschränkte Steuerpflicht in Deutschland
Ein deutlich anderes Ergebnis würde sich ergeben, wenn Dieter im Tätigkeitsstaat (Chile) nicht der unbeschränkten Steuerpflicht unterläge, sondern lediglich in einem der beschränkten Einkommensteuerpflicht ähnlichen Umfang zu einer Steuer vom Einkommen herangezogen würde. In manchen Staaten (z. B. USA; vgl. BMF 10.11.94, IV B 4 - S 2102 - 27/94) gelten Angestellte im öffentlichen Dienst eines ausländischen Staates als im Tätigkeitsstaat nicht unbeschränkt steuerpflichtig. Dann würde Dieter in keinem der beiden Staaten unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sein.
Für solche Fälle hat der deutsche Gesetzgeber § 1 Abs. 2 EStG geschaffen. Demnach werden deutsche Staatsangehörige, die weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben (und ggf. bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen ihre Haushaltsangehörigen) zur Besteuerung nach dem Welteinkommensprinzip herangezogen, wenn sie in einem Dienstverhältnis zu einer inländischen juristischen Person des öffentlichen Rechts stehen und dafür Arbeitslohn aus einer öffentlichen Kasse beziehen und zudem im ausländischen Tätigkeitsstaat, in dem sie einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, keiner unbeschränkten Steuerpflicht unterliegen.
Damit unterliegt Dieter in Deutschland mit seinem Welteinkommen (sic!) der erweiterten unbeschränkten Steuerpflicht nach § 1 Abs. 2 EStG. Eine Anwendung des Auslandstätigkeitserlasses (ATE) ist nicht möglich, weil die Zahlung vollständig aus einer inländischen öffentlichen Kasse erfolgt (vgl. BMF 10.6.22, IV C 5 - S 2293/19/10012, BStBl I 22, 997, Rz. 14).
MERKE | Seine Einkünfte aus inländischen öffentlichen Kassen gelten nach § 34d Nr. 5 S. 2 EStG nicht als ausländische Einkünfte. Eine Anrechnung einer ausländischen Steuer nach § 34c Abs. 1 EStG ist daher nicht möglich. Lediglich ein Steuerabzug nach § 34c Abs. 3 EStG wird von Amts wegen vorgenommen. |
Für andere ausländische Einkünfte kann er § 34c Abs. 1 EStG geltend machen.
|
Christa ist Single und lebte bislang in Berlin. Sie zieht aufgrund ihres neuen Jobs nach Chile um. Ihre deutsche Mietwohnung gibt sie auf. Christa arbeitet für eine Limitada (S.L.) in einem Kooperationsbüro zur Intensivierung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Chile und Deutschland. Die Limitada wird zu 75 % durch das Land Brandenburg und zu 25 % durch den chilenischen Staat finanziert. Darf Deutschland ihr Gehalt besteuern? |
Christa ist nicht mehr in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig (§ 1 Abs. 1 EStG). Sie steht auch in keinem Dienstverhältnis zu einer juristischen Person des öffentlichen Rechts im Inland (§ 1 Abs. 2 EStG). Die Voraussetzungen der beschränkten Steuerpflicht nach § 1 Abs. 4 i. V. m. § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b) EStG sind aber erfüllt. Denn es liegt ein Dienstverhältnis mit der S.L. vor, für das die Bezüge aus einer inländischen öffentlichen Kasse (Kasse des Landes Brandenburg) gezahlt werden. Die Ausübung der Tätigkeit steht im engen Veranlassungszusammenhang mit der Zahlung aus der inländischen öffentlichen Kasse (BFH 28.3.18, I R 42/16, DB 18, 2155). Ein Dienstverhältnis mit der öffentlichen Kasse (Kassenträger) oder zumindest gegenüber dem auszahlenden Staat ist nach ständiger Rechtsprechung und Auffassung der Finanzverwaltung nach § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b) EStG nicht erforderlich, um die beschränkte Steuerpflicht zu begründen. Ein Dienstverhältnis mit dem privatwirtschaftlichen Arbeitgeber ist demgemäß ausreichend. Keine zwingende Voraussetzung ist auch, dass die Zahlungen unmittelbar von der öffentlichen Kasse gewährt werden. Im Ergebnis besteuert Deutschland anteilig den aus inländischen öffentlichen Kassen finanzierten Gehaltsanteil (75 %). Bezüglich der anderen 25 % ist Christa aus deutscher Sicht Steuerausländerin ohne inländische Einkünfte.
MERKE | Die Voraussetzungen der erweiterten unbeschränkten Steuerpflicht nach § 1 Abs. 2 EStG sind enger gefasst als die der beschränkten Steuerpflicht nach § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b) EStG, weil nach § 1 Abs. 2 EStG ein Dienstverhältnis zu einer inländischen juristischen Person des öffentlichen Rechts zwingend vorausgesetzt wird. |
Eine Anrechnung der chilenischen Steuer nach § 34c Abs. 1 EStG ist nicht möglich, weil die Steuerpflichtige in Deutschland nicht der unbeschränkten Steuerpflicht unterliegt. Sofern Chile die deutsche Steuer nicht auf die chilenische Steuer anrechnen würde, sollte ein Antrag nach § 227 AO gestellt werden.
|
Klaus ist Single und lebte bislang in Berlin. Er zieht aufgrund seines neuen Jobs nach Polen um. Seine deutsche Mietwohnung gibt er auf. Klaus arbeitet für eine Spółka z ograniczoną odpowiedzialnością (Sp. z o. o.) in einem Kooperationsbüro zur Verbesserung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Polen und Deutschland. |
Neben seinem Gehalt, das nur einen unwesentlichen Teil seines Arbeitsentgelts ausmacht (20 %), bezieht Klaus einen direkten Gehaltszuschuss vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (80 %). Darf Deutschland den Gehaltszuschuss besteuern? |
Nach nationalem Recht ist Fall 4 wie Fall 3 zu behandeln, mit dem Ergebnis, dass Deutschland im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht auf die Besteuerung des Gehaltszuschusses zugreifen will (§ 1 Abs. 4 i. V. m. § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b) EStG). Allerdings besteht zwischen Polen und Deutschland ein DBA. Da Klaus seinen Wohnsitz in Polen hat, ist er dort auch ansässig und kann damit auch den Abkommensschutz in Anspruch nehmen.
Gemäß Art. 15 Abs. 1 DBA D/PL hat allein Polen ein Besteuerungsrecht, da Klaus in Polen ansässig ist und arbeitet (Tätigkeitsortprinzip). Aber auch die DBA enthalten regelmäßig Kassenstaatsklauseln. Diese ist in Art. 19 DBA D/PL kodifiziert. Im Grundsatz wird das Besteuerungsrecht für Gehälter, die ein Vertragsstaat oder eine seiner Gebietskörperschaften an eine natürliche Person für diesem Staat oder seiner Gebietskörperschaft geleistete Dienste zahlt, dem Kassenstaat zugewiesen. Der Gehaltszuschuss gehört zu den Einkünften gemäß Art. 15 DBA D/PL und somit auch zu den Einkünften i. S. d. Art. 19 Abs. 1 DBA D/PL durch den Verweis „vorbehaltlich“ in Art. 15 Abs. 1 DBA D/PL.
Nach ständiger Rechtsprechung sind zwei Tatbestandsmerkmale, die i. d. R. in den Kassenstaatsklauseln der neueren deutschen DBA genannt werden, getrennt zu prüfen:
- Die Vergütung muss unmittelbar von dem Vertragsstaat oder einer seiner Gebietskörperschaften gezahlt werden. Dies ist im Streitfall erfüllt.
- Diese Vergütung muss für die diesem Vertragsstaat oder seinen Gebietskörperschaften geleistete Dienste gezahlt werden. Nicht zwingend vorausgesetzt wird ein Dienstverhältnis mit dem zahlenden Staat. Vielmehr ist es ausreichend, dass die Ausübung der Tätigkeit im öffentlichen Interesse liegt (vgl. FG Düsseldorf 31.1.12, 13 K 1178/10 E).
Ergänzend hat der deutsche Gesetzgeber § 50d Abs. 7 EStG geschaffen:
|
„Werden Einkünfte i. S. d. § 49 Abs. 1 Nummer 4 aus einer Kasse einer juristischen Person des öffentlichen Rechts im Sinne der Vorschrift eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung über den öffentlichen Dienst gewährt, so ist diese Vorschrift bei Bestehen eines Dienstverhältnisses mit einer anderen Person in der Weise auszulegen, dass die Vergütungen für der erstgenannten Person geleistete Dienste gezahlt werden, wenn sie ganz oder im Wesentlichen aus öffentlichen Mitteln aufgebracht werden.“ |
Die Norm fingiert also, dass die zweite Tatbestandsvoraussetzung des Art. 19 Abs. 1 DBA D/PL erfüllt sei, sofern der Sachverhalt die erste Tatbestandsvoraussetzung (sic!) erfüllt. Nach h. M. ist dies ein Treaty Override, während die Finanzverwaltung der Norm fälschlich nur klarstellende Bedeutung zuweist.
MERKE | Das „wenn sie ganz oder im Wesentlichen aus öffentlichen Mitteln“ in § 50d Abs. 7 EStG liegt nach Ansicht des BFH nur vor, wenn die Vergütung zu mindestens 75 % aus öffentlichen Mitteln aufgebracht wird (BFH 28.3.18, I R 42/16, DB 18, 2155). Aus dem „Wenn“ folgt, dass § 50d Abs. 7 EStG bei einer geringeren Finanzierungsquote (z. B. bei 70 %) vollständig nicht greift. Es wird also nicht gequotelt. Sonst müsste es nicht „wenn“, sondern „soweit“ heißen. Bei höherem Finanzierungsanteil (z. B. bei 80 %) wäre aber zu quoteln. |
Im Ergebnis möchte Deutschland im Fall 4 80 % der Einkünfte nach § 1 Abs. 4 i. V. m. § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b) EStG besteuern. Wegen § 50d Abs. 7 EStG wendet Deutschland das Kassenstaatsprinzip nach Art. 19 Abs. 1 Buchst. a) DBA D/PL an und beansprucht für diese 80 % der Einkünfte auch abkommensrechtlich ein Besteuerungsrecht. Polen könnte hingegen unterstellen, dass die Vergütung nicht für die diesem Vertragsstaat oder einer Gebietskörperschaft geleisteten Dienste gezahlt werden und daher Art. 19 Abs. 1 DBA D/PL nicht anwenden. Dann würde aus polnischer Sicht Art. 15 Abs. 1 DBA D/PL greifen und Polen würde selbst die Einkünfte voll besteuern, ohne die deutsche Steuer anzurechnen, da Deutschland diese aus polnischer Sicht zu Unrecht erheben würde. Das Problem der Doppelbesteuerung müsste dann durch ein Verständigungsverfahren gelöst werden.
MERKE | Ein Erlass der deutschen Steuer aus Billigkeitsgründen nach § 227 AO kommt nicht infrage, da diese Ausnahme laut BMF-Schreiben (BMF 13.11.19, IV C 5 - S 2300/19/10009, Rz. 17) nur in Nicht-DBA-Fällen anwendbar wäre. |
|
Paul ist Single und lebte bislang in Berlin. Anlässlich einer Stellenausschreibung, die ihn interessiert, kommt er erstmals nach Kolberg (Polen) und lernt bei dieser Reise seine große Liebe Ewa kennen. Er gibt seinen Beruf sowie seine deutsche Mietwohnung auf und zieht zu Ewa nach Kolberg. Paul arbeitet nunmehr für eine Sp. z o. o. in einem Kooperationsbüro zur Verbesserung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Polen und Deutschland. Er erhält, wie Klaus aus Fall 4, einen Gehaltszuschuss vom BMZ i. H. v. 80 % des Arbeitslohns. Darf Deutschland seinen Gehaltszuschuss besteuern? |
Nach nationalem Recht ist Fall 5 wie Fall 4 zu behandeln. Paul unterliegt in Polen vollumfänglich der unbeschränkten und in Deutschland mit dem Gehaltszuschuss von 80 % der beschränkten Steuerpflicht. Allerdings ist wiederum das DBA D/PL zu berücksichtigen. Da Paul seinen Wohnsitz in Polen hat, ist er dort auch ansässig und kann damit auch den Abkommensschutz in Anspruch nehmen. Gemäß Art. 15 Abs. 1 DBA D/PL hat allein Polen ein Besteuerungsrecht, da er in Polen ansässig ist und arbeitet (Tätigkeitsortprinzip).
Im Fall 5 ist wiederum Art. 19 Abs. 1 Buchst. a) DBA D/PL in Verbindung mit § 50d Abs. 7 EStG zu prüfen. Allerdings sieht hier Art. 19 Abs. 1 Buchst. b) DBA D/PL zwei Ausnahmen vor. Wenn Klaus in Polen ansässig ist und nach Doppelbuchst. bb) DBA D/PL nicht nur in Polen ansässig geworden ist, um die Dienste zu leisten, fällt das Besteuerungsrecht vollständig an den Ansässigkeitsstaat Polen zurück.
Wie die Finanzverwaltung es schaffen will, die höchstpersönliche Privatsphäre des Steuerpflichtigen zu beleuchten, bleibt unklar. Wäre Klaus erst aus dienstlichen Gründen nach Kolberg gezogen und dann die Beziehung mit Ewa eingegangen, hätte Deutschland, wie in Fall 4, ein vollumfängliches Besteuerungsrecht für den Gehaltszuschuss. Geht er aber erst die Beziehung ein, darf abkommensrechtlich allein Polen besteuern, weil er nicht nur aufgrund des Dienstverhältnisses in Polen ansässig geworden ist (Art. 19 Abs. 1 Buchst. b) Doppelbuchst. bb) DBA D/PL: „… nicht ausschließlich deshalb in diesem Staat ansässig geworden ist, um die Dienste zu leisten.“). Nicht Art. 19, sondern Art. 15 Abs. 1 DBA D/PL greift dann. Und steuerlich interessant wäre der Fall, wenn die Beziehung rasch, aber nach dem Umzug nach Kolberg zerbrechen würde.
Eine weitere Besonderheit liegt vor, wenn Paul später die polnische Staatsangehörigkeit erlangt.
|
Wie Fall 5. Paul lernt Ewa aber erst nach der Aufnahme der Tätigkeit kennen und heiratet sie. Jahre später erlangt Paul die polnische Staatsbürgerschaft. |
Wie in Fall 5 würde Deutschland eine beschränkte Steuerpflicht für 80 % der Einkünfte annehmen (§ 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b) EStG). Wenn Paul allein aus dienstlichen Gründen in Polen ansässig geworden ist, greift Art. 19 Abs. 1 Buchst. a) und nicht Buchst. b) Doppelbuchst. bb) DBA D/PL. Damit wird Deutschland auch das alleinige Besteuerungsrecht an den 80 % der Einkünfte zugewiesen.
Wird Paul aber polnischer Staatsbürger, greift die Ausnahme in Art. 19 Abs. 1 Buchst. b) Doppelbuchst. aa) DBA D/PL. Ortskräfte, also Staatsbürger des Tätigkeitsstaats, fallen nicht unter die Kassenstaatsklausel. Damit greift nicht Art. 19 Abs. 1 Buchst. a), sondern Art. 15 Abs. 1 DBA D/PL und Polen hat das alleinige Besteuerungsrecht.
MERKE | Im Zuge des Brexits haben viele britische Staatsbürger, die seit Jahren in Deutschland leben und arbeiten, aber Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst des Vereinigten Königreichs sind, die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt und erhalten und damit (i. d. R. ungewollt) den Wechsel des Besteuerungsrechts herbeigeführt. |
Weiterführender Hinweis
- In der nächsten Ausgabe werden vier Musterfälle zum Kassenstaatsprinzip bei der Besteuerung von unbeschränkt Steuerpflichtigen vorgestellt. Dabei geht es um die Besteuerung nach dem Auslandstätigkeitserlass sowie bei Mischfinanzierung.