· Fachbeitrag · Einführung des Multilateralen Instruments
Passive Ent- bzw. Verstrickung von Immobiliengesellschaften ‒ ein Leitfaden für die Praxis
von Prof. Dr. Wolfgang Kessler Frankfurt, StB Christoph Hübner, Frankfurt/M.
| Die Thematik der sog. passiven Entstrickung ist wieder in den Fokus des Schrifttums gelangt ‒ insbesondere durch die Veröffentlichung des BMF-Schreibens vom 26.10.18 (IV B 5 - S 1348/07/10002-01, BStBl I 18, 1104) sowie durch die Einführung des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e) Doppelbuchst. cc) EStG. Die Positionierung der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen des Multilateralen Instruments (MLI) in Bezug auf Anteile an Immobiliengesellschaften und die damit verbundene punktuelle Änderung diverser bestehender DBA kann eine erhebliche Breitenwirkung entfalten. Der nachfolgende Beitrag soll der Beratungspraxis hierfür als Leitfaden dienen. |
1. Hintergrund
Die Finanzverwaltung hat mit Schreiben vom 26.10.18 nunmehr ausdrücklich dahin gehend Stellung bezogen, dass der Tatbestand des Ausschlusses oder der Beschränkung des inländischen Besteuerungsrechts keine Handlung des Steuerpflichtigen voraussetzt (BMF 26.10.18, IV B 5 - S 1348/07/10002-01, BStBl I 18, 1104). Damit können auch Änderungen der rechtlichen Ausgangssituation, wie z. B. der Abschluss oder die Revision eines DBA, die Besteuerung von stillen Reserven zur Folge haben. Diese Auffassung wird im Schrifttum ‒ u. E. berechtigterweise ‒ erheblich kritisiert (u. a. Reiter, IStR 12, 357; Bron, IStR 12, 904; Herbort/Sendke, IStR 14, 499; Binnewies/Wollweber, DStR 14, 628; Schönfeld, FR 15, 156; Chuchra/Dorn/Schwarz, IWB 16, 745; Kessler/Spychalski, IStR 19, 193). Zur abschließenden Klärung bedarf es in letzter Konsequenz wohl einer Entscheidung durch den BFH.
Mit Stand 9.4.19 haben neben der Bundesrepublik Deutschland 86 weitere Staaten das MLI unterzeichnet (OECD, Mehrseitiges Übereinkommen zur Umsetzung steuerabkommensbezogener Maßnahmen zur Verhinderung der Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung vom 16.5.17, deutsche Fassung abrufbar unter www.iww.de/s2820). Jeder Vertragspartei stand es hierbei nach Art. 9 Abs. 8 MLI frei, sich für die Anwendung folgender Immobiliengesellschaftsklausel auszusprechen:
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„Für die Zwecke eines unter das Übereinkommen fallenden Steuerabkommens können Gewinne, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person aus der Veräußerung von Anteilen oder vergleichbaren Rechten an einer Personengesellschaft oder einem Trust, erzielt, im anderen Vertragsstaat besteuert werden, sofern der Wert dieser Anteile oder vergleichbaren Rechte zu irgendeinem Zeitpunkt während der 365 Tage vor der Veräußerung zu mehr als 50 % unmittelbar oder mittelbar auf in diesem anderen Vertragsstaat belegenem unbeweglichem Vermögen (Grundvermögen) beruhte.“ |
Beachten Sie | Auf besondere Ausführungen zu vergleichbaren Rechten an einer Personengesellschaft oder einem Trust wird im Rahmen dieses Aufsatzes verzichtet, da diese Ergänzung nach ausdrücklicher Auffassung des Gesetzgebers „wegen des Transparenzprinzips bei Personengesellschaften […] in Bezug auf deutsches nationales Recht jedoch nur klarstellenden Charakter [hat]“ (vgl. BT-Drs. 19/4455, 48; so auch BR-Drs. 372/18, 49).
Diese Klausel ändert ein unter das MLI fallendes Steuerabkommen jedoch nur, wenn sich beide Vertragsstaaten des jeweiligen Abkommens für die Anwendung der Immobiliengesellschaftsklausel entschieden haben (Art. 9 Abs. 8 S. 2 MLI ). Ausweislich der MLI-Database haben sich neben Deutschland weitere 37 Staaten für die Anwendung der Immobiliengesellschaftsklausel entschieden.
Da vergleichbare Immobilienklauseln erst nach Aufnahme in das OECD-MA i. d. F. vom 28.1.03 in der deutschen Abkommenspraxis an Bedeutung gewonnen haben (s. Wagner/Lievenbrück, IStR 12, 593), kann davon ausgegangen werden, dass mit der Anwendbarkeit des MLI in Deutschland vor allem in älteren DBA erstmalig eine Immobiliengesellschaftsklausel aufgenommen wird. Folgt man hierbei der Auffassung der Finanzverwaltung, sind zu diesem Zeitpunkt in einer Vielzahl von Fällen passive Entstrickungen und damit die Aufdeckung von stillen Reserven in entsprechenden Gesellschaftsanteilen von in Deutschland unbeschränkt Steuerpflichtigen denkbar.
2. Passive Entstrickung: Welche deutschen DBA sind von der Immobilienklausel betroffen?
Die 37 Staaten, die sich neben Deutschland im Rahmen des MLI für die Anwendung der Immobiliengesellschaftsklausel des Art. 9 Abs. 4 MLI entschieden haben, können hierbei zunächst danach unterteilt werden, ob zum jetzigen Zeitpunkt bereits ein DBA mit der Bundesrepublik Deutschland besteht oder nicht.
2.1 Kein Doppelbesteuerungsabkommen vorhanden
Soweit kein DBA besteht (hierbei handelt es sich um folgende Staaten: Burkina Faso, Kamerun, Kolumbien, Nigeria, Papua-Neuguinea, Peru, San Marino, Saudi-Arabien sowie Senegal), wird die Einführung des MLI in Deutschland zu keiner Einschränkung bzw. keinem Ausschluss eines Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland führen, sodass in der Folge eine passive Entstrickung ausgeschlossen ist.
Beachten Sie | Mit Kolumbien, Nigeria, San Marino sowie Senegal werden zum gegenwärtigen Zeitpunkt jeweils Verhandlungen über die Einführung eines erstmaligen DBA geführt (vgl. hierzu auch BMF 17.1.19, IV B 2 - S 1301/07/10017-10, BStBl I 19, 31). Soweit diese Verhandlungen zu einem erfolgreichen Abschluss führen, beschränkt sich der Umfang der passiven Entstrickung keineswegs nur auf Anteile an Immobiliengesellschaften, sondern stellt sich auch in Bezug auf andere Thematiken (s. grundlegend zur passiven Entstrickung bei Änderung bilateraler Verträge Kessler/Spychalski, IStR 19, 193 sowie beispielhaft anhand des DBA-Niederlande Kessler/Arnold, IStR 12, 519).
2.2 Doppelbesteuerungsabkommen vorhanden
Die Staaten, die zum jetzigen Zeitpunkt bereits ein DBA mit der Bundesrepublik Deutschland abgeschlossen haben, lassen sich weitergehend wie folgt unterteilen:
- DBA mit besonderer Klausel für Veräußerungen von Anteilen
- DBA mit einer speziellen Immobilienanteilsklausel
- DBA ohne eine spezielle Immobilienanteilsklausel
2.2.1 DBA mit besonderer Klausel für Veräußerungen von Anteilen
Die folgenden DBA enthalten eine besondere Klausel in Bezug auf Veräußerungen von Anteilen, nach der „Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an einer in einem Vertragsstaat ansässigen Gesellschaft […] in diesem Staat besteuert werden [können]“:
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DBA mit | bestehende Norm | Fundstelle |
Argentinien | Art. 13 Abs. 3 | |
Indien | Art. 13 Abs. 4 | BGBl II 96, 707 |
Tschechoslowakei *) | Art. 13 Abs. 3 | BGBl II 82, 1023 |
Tunesien | Art. 13 Abs. 3 |
*) Für die Slowakei gilt das DBA mit der Tschechoslowakei fort (vgl. BMF 17.1.19, IV B 2 - S 1301/07/10017-10, BStBl I 2019, 31).
Diese Klausel unterscheidet sich in ihrer Rechtsfolge somit grundlegend von dem ‒ sonst regelmäßig geltenden und sich aus Art. 13 Abs. 5 OECD-MA ergebenden ‒ alleinigen Besteuerungsrecht des Ansässigkeitsstaats des Veräußerers. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob sich durch die Einführung der Immobilienklausel des Art. 9 Abs. 4 MLI überhaupt noch eine weitergehende Einschränkung bzw. ein weitergehender Ausschluss des deutschen Besteuerungsrechts ergeben kann.
Hierbei ist zunächst festzuhalten, dass sich bei Gesellschaften die Ansässigkeit regelmäßig nach dem Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung richtet (Art. 4 Abs. 3 S. 1 OECD-MA) und damit zwingend von der Jurisdiktion des Gründungsstaats zu unterscheiden ist. Weiterhin stellt Art. 9 Abs. 4 MLI ‒ ausweislich des Wortlauts ‒ ausschließlich auf die Belegenheit des unbeweglichen Vermögens ab, sodass sowohl der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung als auch der Gründungsstaat der entsprechenden Gesellschaft in diesem Zusammenhang unberücksichtigt bleiben.
Entsprechend kann sich keine weitergehende Einschränkung bzw. ein weitergehender Ausschluss des inländischen Besteuerungsrechts ergeben, wenn die jeweilige Immobiliengesellschaft bereits vor Einführung des Art. 9 Abs. 4 MLI in dem anderen Vertragsstaat (hier Argentinien, Indien, Slowakei oder Tunesien) im doppelbesteuerungsrechtlichen Sinne ansässig war. Ist dies nicht der Fall, beispielsweise weil Immobilieninvestitionen typischerweise über ein Investitionsvehikel in einem anderen Land abgewickelt werden (im umgekehrten Fall der Inbound-Investition in deutsches Immobilienvermögen erfolgt diese typischerweise über eine luxemburgische oder niederländische Immobiliengesellschaft, vgl. grundlegend hierzu Lieber/Wagner, Ubg 12, 229), so können stille Reserven von in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtigen Anteilseignern in solchen „Drittstaaten“-Anteilen durch die Einführung des Art. 9 Abs. 4 MLI passiv entstrickt werden.
2.2.2 DBA mit vorhandener Immobilienklausel
Eine mit Art. 9 Abs. 4 MLI vergleichbare Immobilienklausel kann den folgenden 14 DBA entnommen werden:
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DBA mit | bestehende Immobilienklausel | Fundstelle DBA |
Armenien | Art. 13 Abs. 4 | |
Costa Rica | Art. 13 Abs. 2 | |
Kroatien | Art. 13 Abs. 2 | BGBl II 06, 1113 |
Frankreich | Art. 7 Abs. 4 | |
Irland | Art. 13 Abs. 4 | |
Israel | Art. 13 Abs. 2 | BGBl II 15, 1302 |
Japan | Art. 13 Abs. 2 | |
Kasachstan | Art. 13 Abs. 2 | BGBl II 98, 1593 |
Malta | Art. 13 Abs. 2 | |
Polen | Art. 13 Abs. 2 | BGBl II 03, 1305 |
Spanien | Art. 13 Abs. 2 | |
Türkei | Art. 13 Abs. 2 | BGBl II 12, 527 |
Ukraine | Art. 13 Abs. 2 | BGBl II 96, 499 |
Uruguay | Art. 13 Abs. 2 | BGBl II 10, 955 |
Zunächst ist hierzu festzustellen, dass keine dieser 14 Immobilienklauseln exakt dem Wortlaut des Art. 9 Abs. 4 MLI entspricht. Im DBA-Japan sowie im DBA-Spanien wird auf „mindestens“ 50 % abgestellt. Da Art. 9 Abs. 4 MLI diesbezüglich den bisherigen Anwendungsbereich der DBA nicht weitergehend einschränkt, kann der Tatbestand des Ausschlusses oder der Beschränkung des inländischen Besteuerungsrechts nicht erfüllt sein. Im Übrigen sollten die Fälle, bei denen sich das unbewegliche Vermögen genau auf 50 % des Gesamtvermögens beläuft, eine absolute Ausnahme darstellen. Alle bereits vorhandenen Immobilienklauseln der übrigen 12 DBA stellen durch die Verwendung der Begrifflichkeiten „zu mehr als 50 %“, „überwiegend“ oder „deren größter Teil“, wie das Multilaterale Instrument, auf ein wertmäßig überwiegendes unbewegliches Vermögen ab.
Des Weiteren fällt auf, dass in keinem der 14 DBA eine retrospektive Betrachtung der 365 Tage vor der (Anteils-)Veräußerung vorgenommen wird. Soweit es sich im Zeitpunkt der erstmaligen Anwendbarkeit von Art. 9 Abs. 4 MLI unverändert, d. h. seit mindestens 365 Tagen um eine Immobiliengesellschaft handelt, kommt es bei Anwendung der Verwaltungsauffassung zu keiner passiven Entstrickung (so auch Junkers, DStR 19, 660, 663).
Problematisch sind hingegen die Fälle, bei denen es sich in der Vergangenheit um eine Immobiliengesellschaft gehandelt hat, diese Gesellschaft jedoch zu irgendeinem Zeitpunkt während der 365 Tage vor der Einführung des Art. 9 Abs. 4 MLI ihren Status als Immobiliengesellschaft verloren hat (sei es durch Veräußerung des Immobilienbesitzes oder aber auch durch „Auffüllen“ der Gesellschaft mit anderen Wirtschaftsgütern, deren Wert mehr als 50 % des Gesamtvermögens der Gesellschaft ausmacht). Ohne eine derartige retrospektive Betrachtung des 365-Tage-Zeitraums vor der Anteilsveräußerung könnten die Gewinne aus der Veräußerung dieser Gesellschaftsanteile regelmäßig ausschließlich durch den Ansässigkeitsstaat des Veräußerers besteuert werden (Art. 13 Abs. 5 OECD-MA). Durch die erstmalige Einführung eines solchen Rückbetrachtungszeitraums ist somit eine ‒ ggf. nochmalige ‒ Einschränkung bzw. ein Ausschluss des deutschen Besteuerungsrechts denkbar (zur Möglichkeit der mehrfachen Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts vgl. Kessler/Spychalski, IStR 19, 193, 198).
Beachten Sie | Da nach Auffassung der Finanzverwaltung bereits eine abstrakte Beschränkung ausreichend sein soll, kann es dahinstehen, ob die Anteile auch tatsächlich bis zum Ablauf des 365-Tage-Zeitraums veräußert werden (BMF 26.10.18, IV B 5 - S 1348/07/10002-01, BStBl I 18, 1104).
Darüber hinaus kann der derzeit gültigen Immobiliengesellschaftsklausel mit Frankreich (Art. 7 Abs. 4 S. 2 DBA-Frankreich) einschränkend entnommen werden, dass „[b]ei der Anwendung dieser Bestimmung […] unbewegliches Vermögen, das von einem Rechtsträger unmittelbar zur Ausübung seiner Geschäftstätigkeit (zum Beispiel bei einem Bergwerk oder Hotel) verwendet wird, nicht zu berücksichtigen [ist]“. Eine weitere Einschränkung ergibt sich aus Art. 13 Abs. 4 DBA-Irland, nach dem die Immobilienklausel nicht für „börsengehandelte Aktien“ gilt. Durch die Einführung des Art. 9 Abs. 4 MLI werden diese Ausnahmetatbestände denklogisch wegfallen. Konnten entsprechend in der Vergangenheit Sachverhalte unter diese Ausnahmetatbestände subsumiert werden, so kann nach der Einführung des MLI für diese Gesellschaftsanteile erstmals eine passive Entstrickung eintreten.
2.2.3 DBA ohne vorhandene Immobilienklausel
Soweit durch das MLI erstmals eine Immobilienklausel eingeführt wird, so muss davon ausgegangen werden, dass der Tatbestand des Ausschlusses oder der Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts ‒ wie im Falle der revidierten DBA mit Luxemburg und Spanien ‒ erstmals für die Elfenbeinküste, Ägypten, Estland, Indonesien, Italien, Neuseeland, Portugal, Russische Föderation, Serbien und Slowenien erfüllt sein wird (BMF 26.10.18, IV B 5 - S 1348/07/10002-01, BStBl I 18, 1104. Zur anderen Ansicht vgl. Fn. 6).
PRAXISTIPP | In Bezug auf Spanien konnte in diesem Zusammenhang festgestellt werden, dass in einer nicht unerheblichen Anzahl von Fällen Gesellschaften durch das Halten der (Ferien-)Immobilie ihrer Gesellschafter als Immobiliengesellschaft i. S. d. Art. Art. 13 Abs. 2 DBA-Spanien zu qualifizieren waren (Binnewies/Wollweber, DStR 14, 628; zu den Folgen z. B. Schönfeld, FR 15, 156, aber auch Farré Español/Kaminski/Strunk/Ramallo Pallast, IStR 16, 653). Vor diesem Hintergrund sollte die Aufmerksamkeit auf vergleichbare Urlaubsdomizile gerichtet werden, gerade wenn diese ‒ wie z. B. Italien, Portugal oder Neuseeland ‒ |
auch anderweitig im (steuerlichen) Fokus stehen (vgl. z. B. zur italienischen Pauschalbesteuerung für zuziehende HNWI (High-Net-Worth-Individuals) von Oertzen/Zapf, IStR 17, 961; zum portugiesischen NHR-Steuerregime für Zuzügler Bader/da Palma Borges, IWB 18, 698 sowie zum neuseeländischen Investorenvisa Zapf, IStR 18, 408). |
3. Behandlung bei beschränkt Steuerpflichtigen
3.1 Korrespondierende passive Verstrickung
Spiegelbildlich zur passiven Entstrickung von Gesellschaftsanteilen unbeschränkt Steuerpflichtiger müssen Gesellschaftsanteile beschränkt Steuerpflichtiger durch Einführung des Art. 9 Abs. 4 MLI konsequenterweise in Deutschland passiv verstrickt werden. Die retrospektive Betrachtung der 365 Tage vor der (Anteils-)Veräußerung hat in diesem Kontext keine negative Auswirkung, da die Verstrickung der Immobiliengesellschaftsanteile erstmals mit Einführung des MLI eintritt (so auch Junkers, DStR 19, 660, 661).
Durch die Einführung des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e) Doppelbuchst. cc) EStG im Rahmen des Gesetzes zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 11.12.18 (BGBl I 18, 2338) wurde erstmals ein inländischer Besteuerungstatbestand für entsprechende (in- und ausländische) Immobiliengesellschaften geschaffen. Hierbei steht die Frage im Mittelpunkt, mit welchem Wert die Gesellschaftsanteile steuerverstrickt werden bzw. wie ein tatsächlicher Veräußerungsgewinn ggf. aufzuteilen wäre.
Eine vergleichbare Problematik ergab sich bereits mit Einführung des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe f) EStG durch das Missbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz (StMBG, BGBl I 93, 2310) ab dem Veranlagungszeitraum 1994. Danach führt insbesondere die Vermietung von inländischem Grundbesitz durch beschränkt Steuerpflichtige (erstmalig) zu Vermietungseinkünften, auch wenn sie zu einer gewerblichen Tätigkeit ohne Betriebsstätte gehören. Der BFH hat hierzu entschieden, dass bei einer fehlenden ausdrücklichen gesetzlichen Regelung davon ausgegangen werden kann, dass für die Ermittlung des Veräußerungsgewinns die allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften uneingeschränkt anwendbar bleiben sollen (BFH 5.6.02, I R 81/00, BStBl II 04, 344; zustimmend BMF 16.5.11, IV c 3 - S 2300/08/100 14, BStBl I 11, 530 unter Rz. 11).
Da dem § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e) Doppelbuchst. cc) EStG zum „Verstrickungswert“ von Anteilen an Immobiliengesellschaften keine entsprechenden Vorgaben entnommen werden können, wäre eine Bewertung allenfalls nach folgenden Gewinnermittlungsvorschriften denkbar (aus Wagner/Lievenbrück, IStR 12, 593, 600):
- § 4 Abs. 1 S. 8 2. HS EStG mit der Folge einer Bewertung mit den Anschaffungs- oder Herstellungskosten nach § 6 Abs. 1 Nr. 5 S. 1 Buchstabe b) EStG (die Vorschrift sollte jedoch mangels fiktiver Einlage in ein Betriebsvermögen nicht zur Anwendung kommen) sowie
- § 17 Abs. 2 S. 3 EStG mit der Folge des Wertansatzes der im Ausland durchgeführten Wegzugsbesteuerung (wobei diese Norm ausweislich des Wortlauts nur bei Begründung der unbeschränkten Steuerpflicht in Deutschland zur Anwendung kommt).
Mangels Anwendbarkeit der vorstehenden Spezialnormen müsste auf die historischen Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten der Gesellschaftsanteile abgestellt werden. Dieser Ansatz würde eine Verstrickung sämtlicher, in den Anteilen der Immobiliengesellschaften enthaltener stillen Reserven zur Folge haben (s. Wagner/Lievenbrück, IStR 12, 593, 600; Kempf/Loose/Oskamp, IStR 18, 527, 534). Im Hinblick auf die Rechtsprechung des BVerfG zur Absenkung der Beteiligungsgrenze i. S. d. § 17 EStG muss dieses Ergebnis jedoch bezweifelt werden, da nicht steuerbar entstandene Wertsteigerungen nicht der Ertragsbesteuerung unterworfen werden dürfen, gerade wenn es sich um Fälle einer steuerverstrickenden Gesetzesänderung handelt (BVerfG 7.7.10, 2 BvR 748/05, 2 BvR 753/05, 2 BvR 1738/05, BStBl II 11, 86; so auch Lindauer/Kutschka, BB 16, 669, 670).
3.2 Passive Entstrickung im weiteren Zeitablauf
Soweit Anteile an Immobiliengesellschaften durch beschränkt Steuerpflichtige im Zeitpunkt der Einführung des MLI in Deutschland steuerverstrickt wurden, stellt sich darüber hinaus die Frage, welche Auswirkungen eine ‒ zeitlich nachfolgende ‒ passive Entstrickung (beispielsweise durch Veräußerung des Immobilienbesitzes oder aber auch durch „Auffüllen“ der Gesellschaft mit anderen Wirtschaftsgütern, deren Wert mehr als 50 % des Gesamtvermögens der Gesellschaft ausmacht) hat.
Insbesondere bei natürlichen Personen als Gesellschafter entsprechender Immobiliengesellschaften wird von Teilen der Literatur die Anwendung von § 6 Abs. 1 S. 2 AStG in Betracht gezogen (s. Hecht/Gallert, BB 09, 2396, 2397 sowie von Bron/Seidel, IStR 10, 312, 314 f.). Diese Frage ist, soweit ersichtlich, weder von der Rechtsprechung entschieden noch positioniert sich die Finanzverwaltung im BMF-Schreiben vom 26.10.18 (IV B 5 - S 1348/07/10002-01, BStBl I 18, 1104) hierzu. Nach der wohl h. M. sollen die Ersatztatbestände keine Anwendung auf beschränkt Steuerpflichtige finden (ausführlich hierzu Meier, ISR 18, 347, 352 ff.).
Dies wird damit begründet, dass die in § 6 Abs. 1 S. 2 AStG genannten Ersatztatbestände nur das besteuerungsauslösende Ereignis der „Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht“ des § 6 Abs. 1 S. 1 AStG ersetzen wollen, nicht jedoch das Erfordernis der unbeschränkten Steuerpflicht selbst (Häck, in: F/W/B/S, § 6 AStG, 85. Erg.Lfg. Juni 2018, Rz. 26; Schönfeld/Häck, IStR 12, 582; Kraft, in: Kraft, 2. Aufl. 2019, § 6 AStG Rn. 350). Häck (Häck, in: F/W/B/S, § 6 AStG, 85. Erg.Lfg. Juni 2018, Rz. 26) führt weitergehend an, dass § 49 EStG einen abschließenden Katalog inländischer Einkünfte beinhaltet, welcher nicht durch § 6 Abs. 1 S. 2 AStG erweitert werden könne sowie dass in § 6 Abs. 2 und 3 AStG ebenfalls ausschließlich auf „unbeschränkt Steuerpflichtige“ Bezug genommen wird und damit § 6 AStG in Gänze nur für unbeschränkt Steuerpflichtige gelten könne.
PRAXISTIPP | Analog der Frage, ob der Tatbestand des Ausschlusses oder Beschränkung des inländischen Besteuerungsrechts eine Handlung des Steuerpflichtigen voraussetzt oder nicht, kann auch hier nicht ausgeschlossen werden, dass die Finanzverwaltung zu einem späteren Zeitpunkt eine ‒ fiskalpolitisch vorteilhafte ‒ weite Auslegung vornehmen wird, die im Ergebnis zu einer Anwendbarkeit des § 6 Abs. 1 S. 2 AStG bei beschränkt Steuerpflichtigen führen wird (so auch Meier, ISR 18, 347, 354). |
4. Schlussfolgerung
Das Agieren der Finanzverwaltung im Zusammenhang mit passiven Entstrickungen kann derzeit vermehrt in Bezug auf spanische Kapitalgesellschaften mit Immobilienbesitz beobachtet werden. Im Rahmen des revidierten DBA mit Spanien (BGBl II 12, 18) wurde erstmals zum 1.1.13 eine Immobiliengesellschaftsklausel in Art. 13 Abs. 2 eingeführt. Da entsprechende Entstrickungen regelmäßig nicht im Rahmen der Steuererklärung deklariert wurden, werden diese erwartungsgemäß insbesondere bei Betriebsprüfungen aufgegriffen und korrespondierend nachträgliche Steuerfestsetzungen vorgenommen (entsprechend BMF 26.10.18, IV B 5 - S 1348/07/10002-01, BStBl I 18, 1104).
Die Praxis zeigt, dass in einigen Fällen sogar vor (steuer-)strafrechtlichen Vorwürfen nicht zurückgescheut wird, sei es wegen der ursprünglich unterlassenden Deklaration der Entstrickung oder aber auch wegen einer vermeintlich zu späten Berichtigungserklärung des Steuerpflichtigen nach § 153 AO. Selbst im EU-/EWR-Kontext, bei dem ‒ zumindest im Rahmen von § 6 AStG ‒ die geschuldete (Entstrickungs-)Steuer zinslos und ohne Sicherheitsleistung auch bei einer passiven Entstrickung zu stunden ist, kann dies beobachtet werden. Als Begründung wird ‒ ungeachtet der Widerrufsmöglichkeit einer Stundung nach § 6 Abs. 5 S. 4 AStG ‒ das im Steuerstrafrecht gemäß § 370 Abs. 4 S. 3 AO geltende Kompensationsverbot angeführt, nach dem eine zwingend im EU-/EWR-Kontext zu gewährende Stundung bei der Ermittlung der etwaig verkürzten Steuer nicht zugunsten des Steuerpflichtigen zu berücksichtigen sein soll.
PRAXISTIPP | Es kann davon ausgegangen werden, dass die Finanzverwaltung mit der Einführung des MLI in einer Vielzahl von Fällen passive Entstrickungen und damit die Aufdeckung von stillen Reserven bei Anteilen von Immobiliengesellschaften vornehmen wird. Es ist daher zwingend anzuraten, jedwede vermeintliche passive Entstrickung von Anteilen an Immobiliengesellschaften zunächst profiskalisch in der Steuerdeklaration abzubilden und erst im Rahmen eines Rechtsbehelfsverfahrens aufgrund der ‒ u. E. begründeten ‒ Kritik im Schrifttum hiergegen vorzugehen. Soweit ein fiktiver Entstrickungsverlust im Rahmen von § 6 AStG ermittelt wird, darf dieser jedoch nicht in Ansatz gebracht werden (BFH 26.4.17, I R 27/15, BStBl II 17, 1194). |
Zu den Autoren | Prof. Dr. Wolfgang Kessler, Steuerberater, ist Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre an der Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg i. Br. und Gründungsgesellschafter der Tax Academy; Dipl.-BW (FH). Christoph Hübner, M. A. ist Steuerberater bei Flick Gocke Schaumburg in Frankfurt/M. sowie Doktorand an diesem Lehrstuhl.