· Fachbeitrag · Risiken der Betriebsstättenbesteuerung
Ausweitung des Betriebsstättenbegriffs: Das Schließfach als inländische feste Einrichtung?
von Univ.-Prof. Dr. Stephan Kudert und M.Sc. Thu Thao Porebski, Frankfurt (Oder)
| Angestoßen durch die BEPS-Diskussion steht aktuell auch die Frage im steuerlichen Raum, ob der Begriff der Betriebsstätte ausgeweitet werden soll, um künftig auch in Inbound-Fällen Gestaltungen zu erfassen, die trotz inländischer Wertschöpfung nicht zu einer Besteuerung führen. Das Thema erhält durch ein Urteil des FG Sachsen (30.11.17, 1 K 123/17), das durch einen BFH-Beschluss (9.1.19, I B 138/17, BFH/NV 19, 681) im Grunde bestätigt wurde, zusätzliche Dynamik. Dabei urteilten beide Finanzgerichtsbarkeiten, dass ein Schließfach beim inländischen Kunden dem im Ausland ansässigen Freiberufler eine feste Einrichtung vermittelt, durch die ein Anknüpfungspunkt für eine Besteuerung der Einkünfte im Inland besteht. |
1. Sachverhalt und Streitpunkte
Der Steuerpflichtige war ein Flugzeugingenieur. In den Jahren 2008 bis 2010 wartete er Frachtflugzeuge in einem Hangar auf dem Gelände eines inländischen Flughafens. In diesem Zeitraum begründete er sowohl in Deutschland als auch in Großbritannien einen Wohnsitz. Streitbefangen war ein ausschließlich für ihn auf dem Flughafengelände zur Verfügung gestelltes Schließfach, das der Aufbewahrung des für die Wartung benötigten und selbst gestellten Werkzeugs diente.
Dabei ist das FG Sachsen richtigerweise darauf eingegangen, dass der Ingenieur durch einen inländischen Wohnsitz gemäß § 1 Abs. 1 S. 1 EStG i. V. m. § 2 Abs. 1 EStG im Inland der unbeschränkten Steuerpflicht unterlag. Ein weiterer Wohnsitz und der Mittelpunkt seiner Lebensinteressen befanden sich in Großbritannien. Somit unterlag er auch dort der unbeschränkten Steuerpflicht. Infolgedessen war er nach dem DBA Deutschland/Vereinigtes Königreich (v. 26.11.64, BStBl I 66, 730 i. d. F. des Revisionsprotokolls v. 23.3.70, BStBl I 1971, 140) in beiden Vertragsstaaten ansässig (Art. II Abs. 1 Buchst. h) Unterabs. ii) DBA D/VK). Aufgrund der Tie Breaker Rule gilt der Steuerpflichtige als in Großbritannien ansässig.
MERKE | Nach Art. XI Abs. 1 S. 1 DBA D/VK sind Einkünfte aus selbstständiger Arbeit, die eine in einem Gebiet (hier: Vereinigtes Königreich) ansässige Person erzielt, grundsätzlich in diesem Gebiet zu besteuern, es sei denn, die Person verfügt für die Ausübung ihrer Tätigkeit im anderen Gebiet über eine feste Einrichtung. Ist das der Fall, kann der Teil der Einkünfte, der dieser festen Einrichtung zuzurechnen ist, im anderen Gebiet der Besteuerung unterliegen (Art. XI Abs. 1 S. 2 DBA D/VK). |
Da der Steuerpflichtige auf der Grundlage eines „Freelancer Contract“ und damit selbstständig tätig war und das Finanzamt zudem eine im Inland belegene feste Einrichtung angenommen hatte, erhielt Deutschland das Besteuerungsrecht für die Einkünfte aus der selbstständigen Tätigkeit.
Der zentrale Punkt des Streitfalls betraf das Vorliegen einer festen Einrichtung in Deutschland. Die Auftraggeberin des Ingenieurs mietete Räume an, von denen einer auch ausgeschilderte Schließfächer mit dem Namen des Ingenieurs und dem seiner Auftraggeberin enthielt, die wiederum für die Aufbewahrung seiner selbst gestellten Werkzeuge vorgesehen waren. Die Finanzverwaltung sah in diesen die Begründung einer festen Einrichtung. Nach Ansicht der Finanzverwaltung lag das Besteuerungsrecht an der Vergütung damit auch bei Deutschland. Der Ingenieur verneinte dagegen eine feste Einrichtung explizit.
Daher klagte er vor dem FG Sachsen. Auch das FG stufte die Einkünfte des Ingenieurs als solche aus selbstständiger Arbeit ein. Daher ist es erforderlich, Art. XI Abs. 1 DBA D/VK zu betrachten und die darin geforderte feste Einrichtung, welche für eine inländische Besteuerung entscheidend ist, zu definieren. Da die feste Einrichtung die Betriebsstätte des Freiberuflers ist, ist auf § 12 AO bzw. Art. II Abs. 1 Buchst. l) DBA D/VK Bezug zu nehmen.
Die inländische Definition einer Betriebsstätte findet sich in § 12 AO. Jede Geschäftseinrichtung oder Anlage, die der Tätigkeit eines Unternehmens dient, ist gemäß § 12 Abs. 1 S. 1 AO eine Betriebsstätte. Satz 2 erweitert diese Definition. Aus Satz 1 lassen sich nach h. M. folgende Tatbestandsmerkmale ableiten:
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Das FG Sachsen hat alle Voraussetzungen als erfüllt erachtet, daher auch eine feste Einrichtung des Freiberuflers bejaht und die Klage als unbegründet abgewiesen. Die vom Ingenieur dagegen beantragte Revision wurde nicht zugelassen. Daraufhin erfolgte eine Nichtzulassungsbeschwerde beim BFH. Auch der BFH folgte in seinem Beschluss über die NZB dieser Ansicht und wies die Beschwerde des Ingenieurs wegen Nichtzulassung der Revision als unbegründet zurück.
2. Bewertung der Judikate
2.1 Unzureichende Begründungen und offene Fragen
Die Argumentationen des FG Sachsen sowie des BFH können nicht vollständig nachvollzogen werden. So wurde die Frage, wo sich der Ort der Geschäftsleitung befindet, nicht geprüft, sondern implizit unterstellt, dass dieser im Vereinigten Königreich liege. Da der Ingenieur aber einen Wohnsitz in Deutschland innehatte und mit seinem dortigen Kunden mehr als ein halbes Jahr kontrahierte, hätte zumindest geprüft werden müssen, ob der Ort der Geschäftsleitung tatsächlich in Großbritannien oder nicht vielmehr in Deutschland liegt. Das Urteil und der Beschluss bleiben hierzu sehr vage, obwohl die Prüfung für die steuerliche Beurteilung des Sachverhalts von zentraler Bedeutung gewesen wäre.
Vielmehr fokussierte sich das FG auf die feste Einrichtung in Deutschland. Die einzelnen Voraussetzungen zur Begründung einer Geschäftseinrichtung wurden zwar alle geprüft. Allerdings wurden diese vereinzelt ohne überzeugenden Grund bejaht:
- So wird die Bedingung der festen Verbindung mit einem bestimmten Punkt der Erdoberfläche durch das FG damit begründet, dass die Räume Bestandteile von Gebäuden waren, welche ihrerseits mit der Erdoberfläche fest verankert waren. Auffällig ist hierbei jedoch der fehlende Bezug zum Schließfach. Infolgedessen wurde auch nicht auf eine mögliche feste Verankerung der Schließfächer im entsprechenden Raum eingegangen, sodass von typischen Schließfächern und damit von freistehenden Schränken ausgegangen werden kann.
- Für die Prüfung einer weiteren Voraussetzung verlagerte sich der Fokus wieder zurück zu den Schließfächern, denn sowohl das FG als auch der BFH betrachteten die sichere Aufbewahrung der Werkzeuge als Teil der unternehmerischen Betätigung des Steuerpflichtigen. Dabei muss die Nutzung der Einrichtung nicht notwendigerweise einen größeren Umfang oder eine besondere Bedeutung für das Unternehmen haben (BFH 30.8.60, I B 148/59 U, BStBl III 60, 468; BFH 16.12.09, I R 56/08, BStBl II 10, 492; Buciek in: Gosch, AO § 12 Rz. 19). Dennoch muss diese zumindest überhaupt eine, wenn auch nur geringfügige, Relevanz für die unternehmerische Tätigkeit aufweisen. Die Wartung der Flugzeuge dient unzweifelhaft der Tätigkeit des Freiberuflers; für die Nutzung der Schließfächer ist dies hingegen fraglich und bedarf auch einer betriebswirtschaftlichen Betrachtung (vgl. unten 2.2), denn das Lagern der Werkzeuge ist u. E. nicht unter seine qualitative, unternehmerische Tätigkeit einzuordnen, sondern dient gerade der „Nichttätigkeit“.
2.2 Die beiden zentralen Fragen
Das Urteil des FG und der Beschluss des BFH lassen mehr Fragen offen als sie beantworten. Dabei stellen sich zwei zentrale Fragen:
- 1. Soll lediglich das Schließfach die feste Einrichtung sein oder ist das Schließfach ein starkes Indiz dafür, dass der Steuerpflichtige in den Räumen des Kunden eine feste Einrichtung unterhält?
- 2. Welche Einkünfte wären dieser festen Einrichtung zuzurechnen?
Die Judikative sieht abkommensrechtlich in der festen Einrichtung des Selbstständigen eine Betriebsstätte des Gewerbetreibenden und kann sich daher in der Argumentation auf die Betriebsstättendefinition in Art. II Abs. 1 Buchst. l) DBA D/VK stützen. Da das FG Sachsen zudem die feste Einrichtung mit der in § 12 S. 1 AO benannten festen Geschäftseinrichtung gleichsetzt, erfolgt die Prüfung im Gleichlauf mit dem nationalen Recht.
Dann wird von der Judikative scheinbar die erste der beiden Fragen beantwortet. Bereits im Leitsatz des BFH-Beschlusses steht explizit:
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„Ein Schließfach, das einem als Subunternehmer mit der Wartung von Flugzeugen befassten Ingenieur zur Aufbewahrung der von ihm zu stellenden Werkzeuge zur ausschließlichen Nutzung zur Verfügung steht, ist eine feste Einrichtung i. S. v. Art. XI Abs. 1 S. 1 DBA-Großbritannien 1964/1970 (Rn. 13).“ |
Daraus wäre zu schließen, dass nach Ansicht des BFH das Schließfach, und nur dieses, die feste Einrichtung sei. In Tz. 14 stellt der BFH einen unmittelbaren Bezug zwischen der Nutzung des Schließfaches und der unternehmerischen Betätigung her:
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„Vielmehr dient auch eine sichere Aufbewahrung der für die unternehmerische Tätigkeit benötigten Werkzeuge während der Zeiträume, in denen nicht mit ihnen gearbeitet wird, der unternehmerischen Betätigung. Durch die Rechtsprechung geklärt ist im Übrigen, dass die Nutzung der Einrichtung weder einen größeren Umfang noch für das Unternehmen eine besondere Bedeutung haben muss. Vielmehr können auch untergeordnete betriebliche Vorgänge zum Vorliegen einer festen Einrichtung führen […]“ |
Auch diese Tz. indiziert, dass der BFH wirklich nur das Schließfach selbst als die feste Einrichtung ansieht. Im gleichen Sinne stellt das FG bei seiner Prüfung der Verfügungsmacht explizit auf das Schließfach und nicht auf die Räume ab:
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„Dem Kl. wurde die Nutzung des Spinds und des Schließfachs (anders als in dem vom BFH in BStBl II 2008, 922 entschiedenen Fall) unmittelbar von dem Unternehmen eingeräumt, das ihn beauftragt hatte (W), sodass zumindest aus tatsächlichen Gründen angenommen werden kann, dass die Verfügungsmacht des Kl. über den Spind und das Schließfach von dem Unternehmen, in dessen Räumen er tätig war, nicht bestritten wurde […]“ |
2.2.1 Das Schließfach als feste Einrichtung
Insgesamt sprechen diese Textpassagen in beiden Judikaturen dafür, dass beide Gerichte das Schließfach selbst als die nämliche feste Einrichtung ansehen, und nicht die Räumlichkeiten, in denen der Steuerpflichtige seine Tätigkeit für den Kunden ausübte. Diese Rechtsansicht ist bei erster Betrachtung scheinbar skurril, da man wohl intuitiv mit einer Betriebsstätte Räume verbindet, die zumindest dazu geeignet sind, dass sich Menschen darin aufhalten. Allerdings kann es tatsächlich auch andere Räumlichkeiten geben, die unzweifelhaft Betriebsstätten bzw. feste Einrichtungen darstellen, ohne dass sie eine Eignung zur Beherbergung von Menschen hätten. Hier seien beispielhaft Pipelines oder Windkrafträder genannt (BFH 30.10.96, II R 12/92, BStBl II 97, 12, FG Münster 5.9.13, 5 K 1768/10 U).
Erhellend ist das BFH-Urteil 4.6.08, I R 30/07 (BStBl II 08, 922), in dem das Gericht mehrfach und mit großer Deutlichkeit darlegt, dass in dem nämlichen Raum eine betriebliche Tätigkeit ausgeübt werden muss:
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„Denn für die Begründung einer Betriebsstätte ist letztlich entscheidend, ob eine unternehmerische Tätigkeit in einer Geschäftseinrichtung oder Anlage mit fester örtlicher Bindung ausgeübt wird und sich in der Bindung eine gewisse ‚Verwurzelung‘ des Unternehmens mit dem Ort der Ausübung der unternehmerischen Tätigkeit ausdrückt.“ |
Dies wäre bei einem Windkraftrad oder einer Pipeline zu bejahen, bei einem Schließfach wäre diese entscheidende Voraussetzung hingegen fraglich. In der Pipeline werden Gase oder Flüssigkeiten transportiert, das Windkraftrad erzeugt Energie. Beides sind unternehmerische Leistungen, die am Markt abgesetzt werden können. Dass Wertschöpfungen in dem oder durch das Schließfach erbracht werden, ist hingegen nicht erkennbar.
Beachten Sie | Der BFH weist zwar im Beschluss darauf hin, dass nach seiner Ansicht auch das Aufbewahren der Werkzeuge im Schließfach in den Zeiten, in denen gerade nicht gearbeitet wird, der unternehmerischen Betätigung dient. Allerdings kann dieses Argument betriebswirtschaftlich nicht überzeugen. Mit dem gleichen Argument könnte, wenn das Werkzeug in der Wohnung des Steuerpflichtigen, in einem Bahnhofsschließfach oder Hotelsafe aufbewahrt werden würde, von einer dortigen Betriebsstätte auszugehen sein. Ebenso könnte ein verschließbarer Spind, in dem lediglich nachts Arbeitskleidung von Mitarbeitern gelagert werden, als feste Einrichtung angesehen werden, wenn dieser nur fest genug im Gebäude verbaut wurde.
Da beide Gerichte das Schließfach als inländische feste Einrichtung betrachten, könnte sich zusätzlich die Frage stellen, warum nicht Art. II Abs. 1 Buchst. l) Unterabs. (iii) DBA D/VK geprüft wurde. Dieser verneint explizit das Vorliegen einer Betriebsstätte, sofern die Einrichtung lediglich zur Lagerung von Waren und Gütern dient, die dem Unternehmen dienen. Das Ignorieren dieser Norm ließe sich im nämlichen Fall damit begründen, dass streitgegenständlich ja keine Betriebsstätte, sondern die feste Einrichtung war. Vorliegend wären damit die Voraussetzungen einer festen Einrichtung gegeben, aber nicht die einer Betriebsstätte. Dies hieße aber, dass die abkommensrechtliche Betriebsstättendefinition nicht vollumfänglich auf die feste Einrichtung übertragbar wäre.
Folgte man der Ansicht des FG und des BFH, muss anschließend die zweite Frage diskutiert werden. Welche Einkünfte werden dieser festen Einrichtung zugerechnet? Die Antwort auf diese Frage ist für die Besteuerung im Belegenheitsstaat fundamental. § 1 Abs. 5 S. 3 AStG, der den AOA umsetzen soll und der seine Konkretisierung in der Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung erfahren hat, regelt die Schritte, die anzuwenden sind, um die Gewinnabgrenzung einer Betriebsstätte bzw. einer Geschäftseinrichtung vorzunehmen.
Demnach sind zunächst die Personalfunktionen, die in der Betriebsstätte ausgeübt werden, zu bestimmen. Bereits hier scheitert die Abgrenzung über § 1 Abs. 5 S. 3 Nr. 1 AStG. § 2 Abs. 3 S. 1 und Abs. 4 BsGaV sehen als Ausgangspunkt der Zuordnung das unternehmerische Handeln von natürlichen Personen an, die dem Unternehmen zuzuordnen sind, also „die Tätigkeit der physisch in der Geschäftseinrichtung präsenten natürlichen Personen des Unternehmens.“ (Hruschka, IStR 16, 441). Diese ist bei einem Schließfach aus naheliegenden Gründen nicht existent.
§ 1 Abs. 5 S. 2, 2. HS AStG bietet aber für eine „andere Behandlung“ eine Öffnungsklausel. Hilfsweise könnte damit die Abgrenzung über den wirtschaftlichen Zusammenhang, der sich steuerrechtlich im Veranlassungszusammenhang konkretisiert, erfolgen. Dann müsste die Tätigkeit in der festen Einrichtung die Betriebseinnahmen und -ausgaben, die ihr zuzurechnen sind, veranlassen. Denn bei vollautomatisch arbeitenden Geschäftseinrichtungen, wie Pipelines oder Windkrafträdern reicht das Tätigwerden des Unternehmens mit (nicht in!) der Geschäftseinrichtung aus. Von einem Tätigwerden des Unternehmens kann aber bezüglich des Schließfachs nicht ausgegangen werden.
Beachten Sie | Im Entwurf zu den Verwaltungsgrundsätzen Betriebsstättengewinnaufteilung (VWG BsGa) verwies die Finanzverwaltung im Einklang mit der OECD-Auffassung anhand der Pipeline-Betriebsstätte noch explizit darauf, dass dieser „kein oder allenfalls ein geringer Gewinn“ zuzurechnen sei. Auch wenn die Passage letztlich nicht mehr in der VWG BsGa auftaucht, sollte diese Bewertung weiterhin gültig sein (Kraft, AStG, § 1 Rn. 663). Folgt man dieser Ansicht für eine Pipeline, ist eine Zuordnung eines signifikanten Gewinns zu einem Schließfach nicht nachvollziehbar.
Auch aus ökonomischer Sicht kann ein Schließfach nicht als Ort angesehen werden, in dem eine unternehmerische Leistungserstellung erfolgt. Es muss sich nur die Frage gestellt werden, ob ein Unternehmen ein Schließfach als Kostenstelle definieren würde, also einen Ort, an dem Leistungen erbracht und dem Kosten (veranlassungsbezogen) zugerechnet werden. Definiert also die Rechtsprechung das Schließfach wider ökonomischer Stringenz als feste Einrichtung, müsste sie u. E. in einem zweiten Schritt die Frage, ob ihr überhaupt Betriebseinnahmen und -ausgaben zurechenbar sind, negieren.
ZWISCHENFAZIT | Damit kann zunächst festgehalten werden, dass eine Besteuerung in Deutschland nicht erfolgen kann, wenn das Schließfach selbst als die feste Einrichtung angesehen wird. Dies ist u. E. auch sachgerecht, weil das Schließfach weder zur unternehmerischen Wertschöpfung beiträgt noch eine Attraktivkraft entwickeln kann, die die Wertschöpfung aus der Tätigkeit in den Räumen des Kunden mit einschließt. Würde es sich nicht um einen Freiberufler, sondern um einen Gewerbetreibenden als Steuerpflichtigen handeln, wäre zudem der Negativkatalog bei der abkommensrechtlichen Betriebsstättennorm zu berücksichtigen. |
2.2.2 Das Schließfach als starkes Indiz für eine feste Einrichtung
Wäre hingegen das Schließfach selbst nicht als die feste Einrichtung anzusehen, sondern die Verfügungsmacht darüber als Indiz dafür, dass der Steuerpflichtige auch über den Raum des Kunden, in dem er seine Leistung erbringt, eine Verfügungsmacht hat, würde sich die Situation u. E. anders darstellen. Dann könnte über den AOA oder den wirtschaftlichen Zusammenhang eine Erfolgszurechnung erfolgen.
Mit einer Interpretation der Ausführungen der Finanzgerichtsbarkeit in diesem Sinne würde Deutschland nach nationalem und nach Abkommensrecht berechtigt sein, die Gewinne, die aus der Tätigkeit in Deutschland entstehen, auch vollumfänglich zu besteuern. Damit würde der Betriebsstättenbegriff durch die Finanzrechtsprechung ausgeweitet werden. Allerdings ist u. E. weder das Urteil des FG Sachsen noch der BFH-Beschluss so zu interpretieren.
Beachten Sie | Dieser Weg ist u. E. steuerrechtlich zwar nachvollziehbarer als der in 2.1 dargestellte. Dennoch ist er aus den beiden Judikaten kaum ableitbar. Hilfreich wäre es, wenn sich die Rechtsprechung künftig wieder an der von der OFD Karlsruhe aufgrund der BFH-Rechtsprechung formulierten Faustformel orientieren würde (OFD Karlsruhe 16.9.14, S 130.1/316 ‒ St 222, IStR 15, 887). Danach ist die Frage zu beantworten, ob „der Unternehmer bei Betrachtung der Gesamtumstände als Gast im Unternehmen des Auftraggebers anzusehen ist oder ob er vielmehr in diesen Räumlichkeiten tatsächlich sein eigenes Unternehmen betreibt.“
FAZIT | Das Urteil des FG Sachsen wird in der Steuerberatungspraxis zu Verunsicherungen führen. Unklar ist, ob die Finanzgerichtsbarkeit den Betriebsstättenbegriff bzw. die Definition der festen Einrichtung damit ausweiten will. Sowohl das FG als auch der BFH lassen in ihren Begründungen die wünschenswerte Klarheit vermissen.
Das Schließfach selbst ist betriebswirtschaftlich weder eine Vor- noch eine Endkostenstelle. Aus ökonomischer Sicht kann es damit auch keine feste Einrichtung oder Betriebsstätte sein. Das kann die Rechtsprechung aber anders sehen. Wenn nach ihrer Ansicht das Schließfach die (alleinige) feste Einrichtung wäre, dürfte jedoch keine Erfolgszurechnung möglich sein, unabhängig davon, ob der AOA angewendet oder auf den wirtschaftlichen Zusammenhang abgestellt wird. Ursache ist, dass durch die Nutzung des Schließfachs keinerlei betriebliche Wertschöpfung erfolgt und eine Attraktivkraft dieser festen Einrichtung völlig überzogen wäre.
Es wäre im Sinne der Rechtssicherheit wünschenswert, wenn der BFH die nächste sich bietende Gelegenheit nutzen würde, für eine Klarstellung zu sorgen. Dabei sollte er sich von der Faustformel der OFD Karlsruhe leiten lassen. |
Weiterführende Hinweise
- Zur Erweiterung des Betriebsstättenbegriffs am Beispiel des jüngst geschlossenen DBA Australien s. Gaßmann, PIStB 17, 165
- Zur digitalen Betriebsstätte als Ergänzung zur klassischen physischen Betriebsstätte, s. Hidien, PIStB 19, 83