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  • · Fachbeitrag · Schweiz

    Neue Entwicklungen der Rechtsprechung zum „leitenden Angestellten“ i. S. d. DBA-Schweiz

    von StB Dipl.-Fw. (FH) Florian Zepf, FB Internationales Steuerrecht, Zürich

    | Die Regelung für leitende Angestellte stellt eine außerordentlich praxisrelevante Spezialvorschrift des Doppelbesteuerungsabkommens zwischen Deutschland und der Schweiz dar (DBA-CH). Obgleich die Regelung dem Grunde nach seit Jahrzehnten unverändert Bestand hat, war sie in den letzten Jahren häufig Streitgegenstand vor den Finanzgerichten. Anhand ausgewählter Rechtsprechung wird nachfolgend dargestellt, dass neben den leitenden Angestellten auch die Unternehmen im deutsch-schweizer Kontext hiervon betroffen sind und sich steuerliche Risiken ergeben können. |

    1. Ausgangspunkt: Art. 15 Abs. 4 DBA-CH

    Art. 15 Abs. 4 DBA-CH bestimmt, dass eine natürliche Person, die in einem Vertragsstaat ansässig ist, aber als leitender Angestellter einer in dem anderen Vertragsstaat ansässigen Kapitalgesellschaft tätig ist, mit den Einkünften aus dieser Tätigkeit in dem Sitzstaat der Gesellschaft besteuert werden kann. Korrespondierend hierzu werden die entsprechenden Arbeitnehmereinkünfte im Ansässigkeitsstaat der natürlichen Person von der Besteuerung freigestellt (Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d) und Abs. 2 Nr. 1 DBA-CH). Voraussetzung hierfür ist zuallererst, dass die Tätigkeit des leitenden Angestellten für die Gesellschaft nicht so abgegrenzt ist, dass sie lediglich Aufgaben außerhalb des Sitzstaates der Gesellschaft umfasst. Das bedeutet, dass etwa Angestellte, die nur für bestimmte Aufgaben „im Ausland” zuständig sind, nicht unter die Sonderregelung fallen.

     

     

    Beachten Sie | Der BFH entwickelte die Fiktion, dass der leitende Angestellte stets am Sitzort der Kapitalgesellschaft tätig wird. Diese beruhte ursprünglich auf der Überlegung, dass die Haupttätigkeit eines leitenden Angestellten darin besteht, das Unternehmen zu leiten, mithin Entscheidungen zu treffen und Weisungen zu erteilen. Diese Weisungen entfalten mit Zugang beim jeweiligen Empfänger am Sitzort der Gesellschaft ihre Wirkung ‒ und zwar unabhängig vom tatsächlichen, physischen Aufenthaltsort des leitenden Angestellten.

    2. Merkmale des leitenden Angestellten und Abgrenzung

    Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit werden dem Tätigkeitsortprinzip folgend grundsätzlich in dem Staat besteuert, in dem die Tätigkeit physisch ausgeübt wird (Art. 15 Abs. 1 2. HS DBA-CH).

     

    Als Ausnahme von diesem Grundsatz geht die Sonderregelung für leitende Angestellte der Grundregel vor (Art. 15 Abs. 4 DBA-CH). Demnach steht das Besteuerungsrecht für die Einkünfte des leitenden Angestellten, wie eingangs aufgezeigt, dem Sitzstaat der Kapitalgesellschaft zu, bei der der Steuerpflichtige die Rolle des leitenden Angestellten innehat (Art. 15 Abs. 4 DBA-CH). Als Rückausnahme zu dieser Sonderregelung unterliegen Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit dem Ansässigkeitsstaat des Steuerpflichtigen, wenn dieser als Grenzgänger i. S. d. Art. 15a DBA-CH qualifiziert.

     

     

    Beachten Sie | Bei der Besteuerung von Grenzgängern gilt es wiederum, zahlreiche Besonderheiten und Sonderregelungen zu beachten, weshalb sich die Finanzgerichte in den letzten Jahren intensiv mit den unterschiedlichsten Fällen von Grenzgängern, u. a. mit den sog. Nichtrückkehrtagen, auseinandergesetzt haben.

     

    Für die Besteuerung des leitenden Angestellten spielt es damit keine Rolle, wo dieser sich tatsächlich physisch aufhält und tätig wird für den Arbeitgeber.

     

    Die entscheidende Frage ist, welche Angestellten als leitende Angestellte qualifizieren: Es besteht insofern Einigkeit dahin gehend, dass nicht alle Personen, welche in einem Unternehmen eine höhere Position bekleiden, unter die Sonderregelung fallen, sondern lediglich ein abgegrenzter Personenkreis. Ausweislich des Wortlauts des DBA-CH sind dies zumindest

    • Vorstandsmitglieder,
    • Direktoren,
    • Geschäftsführer sowie
    • Prokuristen.

     

    MERKE | Aufsichts- und Verwaltungsratsvergütungen fallen grundsätzlich unter Art. 16 DBA-CH; die Vermeidung der Doppelbesteuerung erfolgt in Deutschland sodann nach der Anrechnungsmethode gemäß Art. 24 Abs. 1 Nr. 2 DBA-CH. Einem Schweizer Verwaltungsrat obliegt grundsätzlich die Vertretung und Geschäftsführung der Gesellschaft, wobei er diese gemäß Art. 718a des schweizerischen Obligationenrechts (OR) an einen „Delegierten“ übertragen kann. In einem solchen speziellen Fall kann der Delegierte eine Stellung innehaben, die derjenigen eines leitenden Angestellten entspricht. Es findet in einem solchen Fall sodann ebenfalls die Sonderregelung des Art. 15 Abs. 4 DBA-CH Anwendung (BFH 14.3.11, I R 23/10).

     

    Die Behörden der beiden Vertragsstaaten einigten sich, dass darüber hinaus auch

    • stellvertretende Direktoren und
    • Vize- sowie Generaldirektoren

    unter die Vorschrift fallen können. Entscheidend insofern ist, dass die jeweilige Person aus zivilrechtlicher Sicht eine Stellung in dem Unternehmen einnimmt, die im Hinblick auf die damit verbundene Leitungs- und Vertretungsmacht derjenigen der in Art. 15 Abs. 4 DBA-CH angeführten Personen mindestens gleichsteht. Demnach sollten insbesondere Handlungsbevollmächtigte i. S. d. Art. 462 OR nicht von Art. 15 Abs. 4 DBA-CH erfasst sein. Es wurde zudem vereinbart, dass die Eintragung der Funktion und/oder Prokura im Handelsregister keine Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Vorschrift war.

     

    Nach Ansicht der Finanzverwaltungen führte der Verzicht auf das Erfordernis der Eintragung im Handelsregister jedoch zu erheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten des relevanten Personenkreises. Die Behörden trafen daher im September 2008 die Verständigungsvereinbarung, nach welcher Art. 15 Abs. 4 DBA-CH nur noch auf Personen anzuwenden ist, deren Prokura oder eine der oben genannten Funktionen im Handelsregister eingetragen war.

    3. Strittige Fragestellungen zum „leitenden Angestellten“

    Die folgenden ausgewählten Fragestellungen im Zusammenhang mit dem leitenden Angestellten gewinnen in der Praxis vermehrt an Bedeutung:

     

    3.1 Tatsächlicher Tätigkeitsbeginn ist entscheidend für die Qualifikation als leitender Angestellter

    Vor dem FG Münster (21.3.19, 6 K 2185/17 E, rkr.) stritten Finanzverwaltung und Steuerpflichtiger darüber, ab welchem Zeitpunkt ein leitender Angestellter als solcher zu qualifizieren ist.

     

    3.1.1 Sachverhalt

    Eine in Deutschland ansässige Person (mit Zweitwohnung in der Schweiz) hat am 1.7.13 eine Anstellung in der Funktion als „President R und Senior Vice President“ einer Schweizer AG angetreten. Der Angestellte war Geschäftsleitungsmitglied und mit „Kollektivprokura zu zweien“ im Handelsregister eingetragen. Die Eintragung ins Handelsregister erfolgte jedoch erst im Laufe des Jahres 2014. Die Tätigkeiten des Angestellten waren nicht so abgegrenzt, dass sie nur Aufgaben außerhalb der Schweiz erfassten. Auch qualifizierte er nicht als Grenzgänger im Sinne des DBA-CH.

     

    Nach Ansicht des Finanzamts erfüllte der Angestellte erst mit Eintragung der „Kollektivprokura zu zweien“ im Jahr 2014 die Voraussetzungen des Art. 15 Abs. 4 DBA-CH. Dies folge aus dem Zweck des § 19 Abs. 2 S. 2 KonsVerCHEV, nach welchem gerade bei der Abgrenzung des betreffenden Personenkreises Schwierigkeiten vermieden werden sollten. Das könne nur erreicht werden, wenn die Formstrenge dieser Vereinbarung eingehalten und streng auf die tatsächliche Eintragung im Handelsregister abgestellt werde. Das FG entschied im Sinne des Angestellten.

     

    3.1.2 Entscheidungsgründe

    Demnach bestätigt die Eintragung der Prokura im Handelsregister im Jahr 2014 die bereits seit 1.7.13 bestehende Zugehörigkeit zu dem in Art. 15 Abs. 4 DBA-CH genannten Personenkreis, sie begründet sie jedoch nicht erst. Das FG entwickelt diese Auffassung infolge der Entstehungsgeschichte sowie nach dem Sinn und Zweck des § 19 Abs. 2 S. 2 KonsVerCHEV. Demnach sollten insbesondere Abgrenzungsschwierigkeiten zu den nur begrenzt vertretungsberechtigten Handlungsbevollmächtigten i. S. d. Art. 462 OR vermieden werden. Diese Schwierigkeiten sind jedoch von vornherein ausgeschlossen bei einer Person wie dem Angestellten, der als Prokurist schon dem Wortlaut nach von dem in Art. 15 Abs. 4 DBA-CH genannten Personenkreis erfasst wird und zudem zu einem späteren Zeitpunkt auch mit dieser Prokura ins Handelsregister eingetragen wird. Im Übrigen würde es von Zufälligkeiten abhängen, ab wann genau ein leitender Angestellter in den Anwendungsbereich des Art. 15 Abs. 4 DBA-CH fällt, da dieser auf den Zeitpunkt der Anmeldung zum Handelsregister und der anschließenden Handelsregistereintragung kaum Einfluss nehmen kann.

     

    3.1.3 Fazit und Hinweis

    Das Urteil ist zu begrüßen. Das Verständnis der Finanzverwaltung hätte ansonsten im Ergebnis dazu führen können, dass eine Person nicht als leitender Angestellter qualifiziert, während rangniedrigere Angestellte die „zusätzlichenr“ Voraussetzungen des § 19 Abs. 2 S. 2 KonsVerCHEV erfüllen und somit unter die Vorschrift fallen. Ein Ergebnis, das kaum mit Art. 15 Abs. 4 DBA-CH zu vereinbaren gewesen wäre. Die ursprünglich von der Finanzverwaltung eingelegte Revision wurde wieder zurückgenommen. Das Urteil ist rechtskräftig und ein höchstrichterliches Urteil ist damit aktuell nicht absehbar.

     

    3.2 „Kollektivunterschrift zu zweien“ ausreichend für Qualifikation als leitender Angestellter

    Vor dem FG Baden-Württemberg (13.7.17, 3 K 2439/14) stritten Finanzverwaltung und Steuerpflichtiger darüber, ob die Eintragung der Prokura/Funktion im Handelsregister zwingende Voraussetzung für die Anwendung von Art. 15 Abs. 4 DBA-CH ist.

     

    3.2.1 Sachverhalt

    Der in Deutschland ansässige Angestellte war im Streitjahr 2012 als „Chief Financial Officer Group“ (CFO Group) einer Schweizer AG (CH-AG) angestellt. Als CFO Group war er der „Corporate Executive Group“ (CEG) zugeordnet, der höchsten Managementstufe des Konzerns. Die Tätigkeiten des Angestellten waren nicht so abgegrenzt, dass sie nur Aufgaben außerhalb der Schweiz erfassten. Auch qualifizierte er aufgrund von mehr als 60 Nichtrückkehrtagen nicht als Grenzgänger im Sinne des DBA-CH. Er war kein Mitglied des geschäftsleitenden Gremiums, eine organschaftliche Vertretungsmacht hatte er mithin nicht inne. Mit Zirkulationsbeschluss vom August 2008 erteilte der Verwaltungsrat dem Angestellten jedoch die „Kollektivunterschrift zu zweien (einschließlich Prokura)“, welche im Dezember 2009 auch im Handelsregister eingetragen wurde (ohne Funktionsbezeichnung).

     

    Die Finanzverwaltung vertrat unter Verweis auf die Konsultationsvereinbarung die Auffassung, dass die Sonderregelung nur bei Personen anwendbar sei, deren vom Anwendungsbereich der Vorschrift umfasste Funktion oder Prokura im Handelsregister eingetragen sei (Art. 15 Abs. 4 DBA-CH i. V. m. Art. 19 Abs. 2 KonsVerCHEV). Diese Voraussetzung sei für einen Prokuristen nur erfüllt, wenn neben der Zeichnungsberechtigung auch die Funktion „Prokurist“ oder ggf. auch „Kollektivprokura zu zweien“ als solche im Handelsregister eingetragen sei. Das FG Baden-Württemberg gab der hiergegen gerichteten Klage jedoch statt.

     

    3.2.2 Entscheidungsgründe

    Nach Ansicht des FG wird dem praxisorientierten Ansatz der Finanzverwaltung auch dann Genüge getan, wenn die Eintragung einer dem Personenkreis des Art. 15 Abs. 4 DBA-CH zugehörigen Funktion nicht nur dann angenommen wird, wenn diese ausdrücklich im Handelsregister genannt ist, sondern sie sich auch in anderer Weise aus der bestehenden Eintragung im Handelsregister ergibt.

     

    Die Zeichnungsberechtigung der zur Vertretung eines Unternehmens befugten Personen wird in der Handelsregisterpraxis als „Unterschrift“ bezeichnet, wobei die als „Kollektivunterschrift zu zweien“ erteilte Vertretungsmacht regelmäßig die organschaftliche Vertretungsmacht von Direktoren im Sinne von Art. 718 Abs. 2 OR bezeichnet. Die Eintragung eines (Kollektiv-)Zeichnungsrechts hat ‒ wie auch die Eintragung einer Prokura ‒ rein deklaratorischen Charakter. Im Gegensatz zur organschaftlichen Vertretungsmacht sowie zur Prokura ist die reine Handlungsvollmacht gemäß Art. 462 OR im Handelsregister demgegenüber nicht eintragbar.

     

    Aus der Eintragung mit „Kollektivunterschrift zu zweien“ lässt sich somit nach Auffassung des FG implizit die Vertretungsmacht eines Direktors ableiten ‒ und somit vor allem auch gegenüber der Stellung als Handlungsbevollmächtigtem ab- und eingrenzen. Der Qualifizierung als leitender Angestellter stand nach Auffassung des FG auch nicht entgegen, dass der Angestellte ohne Funktionsbezeichnung im Handelsregister eingetragen war. Das Verlangen der Finanzverwaltung nach einer dahin gehenden Funktionsangabe findet weder im DBA-CH noch in der deutsch-schweizerischen Konsultationsvereinbarungsverordnung (KonsVerCHEV) eine entsprechende Grundlage.

     

    3.2.3 Fazit und Hinweise

    Das Urteil des FG ist zu begrüßen. Auch überzeugt die Argumentation. Insbesondere stellte das FG klar heraus, dass nach dem Abkommenswortlaut einzig auf die Tätigkeit als leitender Angestellter abzustellen ist und die Eintragung der Funktion und/oder Prokura nach dem klaren Abkommenswortlaut nicht erforderlich ist.

     

    PRAXISTIPP | Das Urteil ist nicht rechtskräftig, da die Finanzverwaltung Revision beim BFH eingelegt hat (I R 60/17). Zur Erlangung von Rechtssicherheit ist daher in diesen Fällen zu empfehlen, neben der Eintragung „Kollektivunterschrift zu zweien“ zusätzlich eine der in Art. 15 Abs. 4 DBA-CH genannten Funktionen einzutragen. Alternativ wäre die Eintragung ggf. in „Kollektivprokura zu zweien“ zu ändern.

     

    3.3 Deutsche Tochtergesellschaft haftet für nicht einbehaltene Lohnsteuer des CEO der Schweizer Muttergesellschaft

    Dem Urteil des FG Thüringen vom 13.12.18 (3 K 795/16) lag folgender Sachverhalt zugrunde:

     

    3.3.1 Sachverhalt

    Die in der Schweiz ansässige AG hielt 100 % an einer in Deutschland ansässigen GmbH. Der CEO der AG war auch gleichzeitig deren Verwaltungsrat (VR) sowie, entscheidend in diesem Fall, Geschäftsführer (GF) der GmbH. AG und GmbH schlossen hierfür eine Dienstleistungsvereinbarung, nach welcher die GmbH der AG eine monatliche, pauschale Management-Fee von 12.200 EUR bezahlte (der Höhe nach angemessen). Der CEO/VR war nur Angestellter der AG, hatte hingegen keinen separaten Anstellungsvertrag mit der GmbH und erhielt auch kein zusätzliches Salär für die Übernahme der Tätigkeit als GF der GmbH. Der GF wurde in Deutschland nur an wenigen Tagen im Jahr sowie im Übrigen nur in der Schweiz tätig.

     

     

    Das Finanzamt vertrat im Rahmen einer Lohnsteueraußenprüfung die Auffassung, dass ein Fall der Entsendung vorliege und die GmbH zwar nicht als rechtlicher Arbeitgeber, jedoch als sog. wirtschaftlicher Arbeitgeber des GF anzusehen sei. Als solcher wäre sie zum Einbehalt von Lohnsteuer für Rechnung des GF verpflichtet gewesen. Aufgrund des fehlenden Einbehalts wurde die GmbH hierfür in Haftung genommen, wogegen sich die Klage der GmbH richtete. Das FG schloss sich der Auffassung der Finanzverwaltung an.

     

    3.3.2 Entscheidungsgründe

    Das FG sah bei der GmbH die Voraussetzungen einer wirtschaftlichen Arbeitgeberstellung aus folgenden Gründen als gegeben an:

     

    • 1. Die GmbH habe die Kosten der Entlohnung des entsandten GF getragen.
    • 2. Die GmbH habe das Risiko für die Arbeitsergebnisse des GF übernommen.
    • 3. Der GF sei in die Arbeitsorganisation der GmbH eingebunden gewesen.
    • 4. Der GF wurde unter der Leitung der GmbH tätig und sei gegenüber dieser weisungsgebunden gewesen.

     

    Vorstehende Kriterien sah das FG insgesamt als erfüllt bzw. als nicht erforderlich an, wobei die Argumentation des FG zu zwei dieser Kriterien besonders erwähnenswert ist: Nach Auffassung des FG Thüringen ist eine stärkere Form der „Einbindung in die Hierarchie und Organisation“ (oben 3. Kriterium) als die Übernahme der Geschäftsführung nicht vorstellbar. Das Erfordernis der „Weisungsgebundenheit“ (oben 4. Kriterium) gilt nach Auffassung des FG Thüringen hingegen nur für andere Arbeitnehmer als den Geschäftsführer. Denn dieser ist ‒ wenn auch nicht weisungsunterworfen ‒ stets in die Hierarchie eingebunden, weil er an der Spitze der Hierarchie steht.

     

    Letztlich entscheidend war für das FG insofern jedoch, dass die per 1.1.04 eingeführte Figur des wirtschaftlichen Arbeitgebers für Fälle der grenzüberschreitenden Arbeitnehmerentsendung tatsächlich dem DBA-Recht entlehnt ist. Diese Annäherung des lohnsteuerrechtlichen Arbeitgeberbegriffes an die abkommensrechtliche Rechtslage wurde seinerzeit vollzogen, gerade um Besteuerungslücken zu schließen. Das FG führte hierzu aus, dass „als Folge der vom Gesetzgeber […] vollzogenen Annäherungen des lohnsteuerrechtlichen Arbeitgeberbegriffes an die abkommensrechtliche Rechtslage […] ein inländisches Unternehmen, das wie die GmbH aufgrund der Spezialregelung des Art. 15 Abs. 4 DBA-CH im Streitfall als wirtschaftliche Arbeitgeberin ihres Geschäftsführers anzusehen ist, somit ebenfalls [nach nationalen Vorschriften] als inländischer Arbeitgeber [… gilt].“ Die GmbH ist deshalb nach Auffassung des FG verpflichtet gewesen, Lohnsteuer einzubehalten und abzuführen. Das FG hat die Revision zum BFH zugelassen, bei welchem es aktuell unter dem Aktenzeichen BFH VI R 22/19 geführt wird.

     

    3.3.3 Fazit und Hinweise

    Das FG Thüringen hat ‒ soweit ersichtlich ‒ das erste Mal in dieser Weise entschieden. Das ergangene Urteil steht im Widerspruch zu einem Urteil des FG Nürnberg aus 2001 (25.1.01, VII 45/97), in welchem dieses entschieden hatte, dass der abkommensrechtliche „wirtschaftliche Arbeitgeber” für den lohnsteuerrechtlichen Arbeitgeberbegriff ohne Bedeutung sei. Auch entschied der BFH mit Urteil vom 23.2.05 (I R 46/03, BStBl II 05, 547, Tz. II. 8) ausdrücklich, dass die beiden Arbeitgeberbegriffe des Lohnsteuerrechts sowie des Abkommensrechts nicht identisch sein müssen. Allerdings gilt zu beachten, dass diese beiden Urteile des FG Nürnberg sowie das des BFH noch zur Rechtslage vor Einführung der Neuregelung für grenzüberschreitende Arbeitnehmerentsendungen ergangen sind. Nach dieser Regelung galt in Fällen, in denen Arbeitnehmer vom ausländischen Unternehmen nach Deutschland entsandt wurden, das aufnehmende, in Deutschland ansässige Unternehmen als inländischer Arbeitgeber, wenn es den Arbeitslohn für die ihm geleistete Arbeit wirtschaftlich getragen hat.

     

    Das hier untersuchte Urteil des FG Thüringen ist zwar zur Rechtslage nach Einführung der Neuregelung ergangen. Dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Argumentation, insbesondere hinsichtlich der Eingliederung eines Geschäftsführers in die Hierarchie einer GmbH sowie der Weisungsgebundenheit des Geschäftsführers, zumindest klärungsbedürftig ist. Dies hatte der BFH in seinem Urteil vom 23.2.05 (I R 46/03, BStBl II 05, 547, Tz. II. 4) ‒ im Gegensatz zum FG Thüringen ‒ noch differenziert gesehen und betont, dass diese Beurteilung einzelfallabhängig zu erfolgen habe.

     

    Aus dogmatischer Sicht überrascht die Argumentation des FG Thüringen. So war bislang Konsens, dass DBA lediglich Besteuerungsrechte ein- und beschränken, diese jedoch nicht ausdehnen oder gar begründen können. Die Ableitung von steuerlichen Pflichten ‒ hier die Pflicht, Steuer einzubehalten und abzuführen ‒ unter Verweis auf eine DBA-Regelung ist damit zumindest begründungsbedürftig. Auch ist die Anwendbarkeit des wirtschaftlichen Arbeitgeberbegriffes im Rahmen der Spezialregelung des leitenden Angestellten i. S. d. Art. 15 Abs. 4 DBA-CH klärungsbedürftig. Folglich ist die Revision insgesamt zu begrüßen.

    4. Exkurs: Einbehalt von Lohnsteuer ab 2020

    Mit Wirkung vom 1.1.20 trat eine verschärfte Rechtslage zum wirtschaftlichen Arbeitgeber in Kraft. Seitdem ist für den Lohnsteuereinbehalt nicht mehr erforderlich, dass das aufnehmende Unternehmen den Arbeitslohn tatsächlich wirtschaftlich trägt. Vielmehr ist nunmehr bereits ausreichend, dass „das in Deutschland ansässige aufnehmende Unternehmen […] den Arbeitslohn für die ihm geleistete Arbeit […] nach dem Fremdvergleichsgrundsatz hätte tragen müssen.“ Damit ist die von der Finanzverwaltung schon in den BMF-Schreiben vom 12.11.14 (IV B 2 - S 1300/08/10027, BStBl I 14, 1467) und vom 3.5.18 (IV B 2 - S 1300/08/10027, BStBl I 18, 643) vertretene Auffassung gesetzlich kodifiziert worden.

     

    In der Praxis ist die Gesetzesänderung in erster Linie bei der Entsendung von Mitarbeitern zu beachten. Allerdings können dadurch auch leitende Angestellte, die beispielsweise als Geschäftsführer einer schweizerischen und deutschen Gesellschaft tätig sind, in den Fokus der Finanzverwaltung rücken. Wenn der Rechtsauffassung des FG Thüringen gefolgt wird, kann dies selbst dann gelten, wenn der leitende Angestellte (regelmäßig Geschäftsführer) der deutschen Gesellschaft kein Gehalt erhält.

     

    Für Betroffene ist eine umgehende Prüfung der derzeitigen Sachverhaltskonstellation zu empfehlen.

    Quelle: Ausgabe 08 / 2020 | Seite 219 | ID 46610489