· Fachbeitrag · Ausländische Investmentfonds
Intransparente Besteuerung nach § 6 InvStG europarechtswidrig?
von RA Dr. Martin Schraufl, LL.M. (New York University), München
| Nachdem der BFH die Europarechtswidrigkeit der unterschiedlichen Behandlung in- und ausländischer Fonds durch das bis Ende 2003 geltende Nebeneinander des KAGG und des AuslInvG festgestellt hat ( BFH 18.11.08, VIII R 24/07, BFHE 223, 398 und BFH 25.8.09, I R 88, 89/07, BFHE 226, 296), richtet sich zunehmend das Augenmerk auf das zum 1.1.04 in Kraft getretene InvStG. Auf den ersten Blick scheinen die Regelungen (weitgehend) unterschiedslos ohne Rücksicht auf die Fonds-Domizilierung zu gelten. Doch sind sie nach wie vor europarechtlich nicht unproblematisch. |
1. Besteuerungsalternativen nach dem InvStG
Mit Wirkung zum 1.1.04 wurden das Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften (KAGG) und das Auslandsinvestmentgesetz (AuslInvG) und deren immanente steuerliche Regelungen nicht zuletzt aufgrund berechtigter europarechtlicher Kritik durch das für in- und ausländische Investmentvermögen geltende Investmentsteuergesetz (InvStG) ersetzt. Oberster Grundsatz blieb das Transparenzprinzip, wodurch die (weitgehende) Gleichbehandlung von Fonds- und Direktanlage erzielt werden soll. § 5 InvStG legt in diesem Zusammenhang fest, dass die erfassten Fonds bestimmte Besteuerungsgrundlagen nach den Regeln des deutschen Steuerrechts zu ermitteln und bis spätestens vier Monate nach Ablauf des Fondsgeschäftsjahres (bei thesaurierenden Fonds) bzw. nach Ausschüttungsbeschluss (bei ausschüttenden Fonds) im Bundesanzeiger zu veröffentlichen haben. Die Veröffentlichung ist in deutscher Sprache zu verfassen und mit einem Richtigkeitsvermerk seitens eines deutschen Steuerberaters oder Wirtschaftsprüfers zu versehen.
Beachten Sie | § 5 InvStG gilt nur für Publikums-, nicht dagegen für Spezialfonds (§ 15 Abs. 1 S. 1 InvStG). Daher findet konsequenterweise auch § 6 InvStG auf Spezialfonds keine Anwendung, sodass sich die nachfolgenden Ausführungen ausschließlich auf Publikumsfonds beziehen.
Während die Regelungen des § 5 Abs. 1 Nr. 1 - 3 InvStG unterschiedslos für in- und ausländische Fonds gelten, reglementiert § 5 Abs. 1 Nr. 4 - 5 InvStG nur Letztere. Daraus ergibt sich vor allem die Anforderung für ausländische Fonds, den sog. akkumulierten ausschüttungsgleichen Ertrag zu ermitteln und zusammen mit dem Rücknahmepreis zu veröffentlichen. Daneben ist die Richtigkeit der nach § 5 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4 InvStG gemachten Angaben gegenüber dem Bundeszentralamt für Steuern auf Anforderung innerhalb von drei Monaten nachzuweisen.
Bei Anlegern von Fonds, die den dargestellten Publikationspflichten genügen, tritt die sog. Regelbesteuerung nach §§ 2, 4 InvStG ein, die - etwas vereinfacht ausgedrückt c- dem Transparenzprinzip folgt.
MERKE | Terminologisch werden solche Fonds dann folgerichtig als transparent bezeichnet. Es ist jedoch zu beachten, dass das Transparenzprinzip auch bei derartigen Investmentvermögen eine Reihe von Ausnahmen erfährt. So unterliegen z.B. auf Fondsebene realisierte und verbleibende Veräußerungsgewinne bei vielen Wertpapieren nicht der laufenden Besteuerung, da sie nicht zu den ausschüttungsgleichen Erträgen zählen (vgl. § 1 Abs. 3 Nr. 1 InvStG). |
Dagegen werden Anleger von Fonds, die die in § 5 InvStG geforderten Angaben nicht, nicht rechtzeitig oder nicht vollständig veröffentlichen, nach § 6 InvStG pauschal besteuert. Diese Pauschalbesteuerung wird häufig auch als „Strafsteuer“ bezeichnet. Als steuerliche Bemessungsgrundlage gilt dann 70 % des Mehrbetrags, der sich zwischen dem ersten und dem letzten im Kalenderjahr festgesetzten Rücknahmepreis ergibt, mindestens jedoch 6 % des letzten im Kalenderjahr festgesetzten Rücknahmepreises. Bereits diese abstrakten Zahlen lassen erkennen, dass die Pauschalbesteuerung gerade in Niedrigzinsphasen für Anleger regelmäßig nachteilhaft sein wird. Nur ausnahmsweise (etwa bei Erträgen ohne steuerliche Begünstigung, die mehr als 6 % p.a. betragen) kann sich etwas anderes ergeben.
Die Regelung des § 6 InvStG findet ohne Rücksicht auf die Haltedauer und auch im tatsächlichen Verlustfall Anwendung, ohne dass gesetzliche Ausnahmetatbestände formuliert wären.
Fonds, die gemäß § 6 InvStG pauschal besteuert werden, werden als „intransparent“ klassifiziert. Neben transparenten und intransparenten Fonds gibt es zudem semitransparente. Diese sehen letztlich von der Veröffentlichung bestimmter in § 5 Abs. 1 Nr. 1 InvStG aufgeführter Angaben ab, die für ihre Anleger günstig wirken würden (z.B. tatsächlich gezahlte oder fiktiv anrechenbare ausländische Quellensteuer). Für sie gilt die Pauschalbesteuerung des § 6 ebenfalls nicht (BMF 2.6.05, IV C 1 - S 1980 - 1 - 87/05, BStBl I 06, 728, Tz. 90). Vielmehr findet die Regelbesteuerung nach den §§ 2 und 4 InvStG mit der Maßgabe Anwendung, dass die für den Anleger vorteilhaften Tatsachen ohne deren Veröffentlichung auch nicht berücksichtigt werden (§ 5 Abs. 1 S. 2 InvStG).
Hinweis | Eine Pauschalversteuerung kann regelmäßig auch nicht durch Veräußerung der betreffenden Fondsanteile vor Kalenderjahresende vermieden werden. Intransparente Fonds werden kaum den nach § 5 Abs. 3 S. 1 InvStG bewertungstäglich zu ermittelnden Zwischengewinn veröffentlichen, sodass ersatzweise 6 % des Rücknahmepreises pro anno zeitanteilig anzusetzen ist. Im Ausnahmefall besteht jedoch die Möglichkeit, diese (zumeist für den Anleger negative) Konsequenz durch Publikation eines korrekten Zwischengewinns zu vermeiden.
2. Europarechtliche Würdigung der intransparentenBesteuerung
Der Erwerb von Fondsanteilen sowie der Fondsvertrieb unterfallen zweifelsfrei der Kapitalverkehrsfreiheit des Art. 63 AEUV, sodass die fragliche Vorschrift des § 6 InvStG hiermit in Einklang stehen muss. Die Pauschalbesteuerung dürfte also entweder zu keiner Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit führen (dazu 2.1) oder eine solche müsste zumindest gerechtfertigt sein (dazu 2.2).
Wichtig | Art. 63 AEUV findet dabei grundsätzlich nicht nur im Verhältnis zu anderen Mitgliedsstaaten Anwendung, sondern gilt auch gegenüber Drittstaaten. Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich daher nicht nur auf Anleger von Fonds aus dem EU-Ausland (z.B. Luxemburg, Irland), sondern auch von in Drittländern domizilierten Vehikeln (z.B. Kaimaninseln, USA).
2.1 Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit
Nach der gefestigten Rechtsprechung des EuGH liegen Beschränkungen der Kapitalverkehrsfreiheit unter anderem dann vor, wenn
- eine nationale Regelung bewirkt, dass in dem betreffenden Mitgliedstaat unbeschränkt steuerpflichtige Personen davon abgehalten werden, ihr Kapital bei Gesellschaften mit Sitz in einem anderen Mitgliedsstaat anzulegen (EuGH 6.3.07, C-292/04, Meilicke, DB 07, 612, Tz. 22) oder
- in anderen Mitgliedstaaten ansässige Gesellschaften in ihrem Bemühen behindert werden, in dem betreffenden Mitgliedstaat Kapital einzusammeln (EuGH 7.9.04, C-319/02, Manninen, Slg. 04, 7477, Tz. 20).
M.E. kann eine Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit unter beiden genannten Aspekten angenommen werden. Dies lässt sich bereits mit den normativ statuierten besonderen Anforderungen für ausländische Investmentfonds begründen: Wollen diese die Anwendung des § 6 InvStG verhindern, müssen sie - im Gegensatz zu inländischen Investmentvehikeln - die Anforderungen des § 5 Abs. 1 Nr. 4 und 5 InvStG erfüllen. Kommen sie diesen (inländischen Fonds nicht obliegenden) Verpflichtungen nicht nach, werden in Deutschland steuerpflichtige Anleger eine (regelmäßig) nachteilhafte Besteuerung erfahren, die sie von einem Investment in den ausländischen Fonds abhalten kann. Gleichzeitig bedeutet die aufgezeigte Konsequenz eine signifikante Behinderung beim Vertrieb des betreffenden Fonds an in Deutschland ansässige Anleger.
Beachten Sie | Insoweit liegt sogar eine offene Diskriminierung ausländischer Investmentfonds vor, die lediglich von einem der in 2012 befassten Finanzgerichte erörtert, aber ohne konkrete Entscheidungsrelevanz abgelehnt wurde (vgl. FG Berlin-Brandenburg 23.5.12, 1 K 1159/08, EFG 12, 1727, Revision unter VIII R 27/12).
Neben dieser offenen Diskriminierung kann auch eine verdeckte Benachteiligung, die ebenfalls gegen die Kapitalverkehrsfreiheit verstößt, angenommen werden. Eine solche liegt vor, wenn die fragliche Bestimmung
- keine ausdrückliche Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit normiert,
- sie sich aber regelmäßig in grenzüberschreitenden Konstellationen gegenüber reinen Inlandssachverhalten ungünstiger auswirkt.
Das kann im Falle des § 6 InvStG bejaht werden, da das intransparente Besteuerungsregime faktisch auf ausländische Investmentfonds abzielt, an denen sich im Inland voll steuerpflichtige Anleger beteiligen (so auch Rohde/Neumann, FR 12, 247, 253; dies., IStR 12, 663, 666; anders dagegen FG Hamburg 13.7.12, 3 K 131/11, EFG 12, 1856, Revision unter VIII R 36/12; FG Berlin-Brandenburg 23.5.12, 1 K 1159/08, EFG 12, 1727, Revision unter VIII R 27/12).
Die Bestimmungen des § 5 Abs. 1 InvStG, deren Einhaltung zur Nichtanwendung des § 6 InvStG führt, entstammen dem deutschen Steuerrecht. Sie sind äußerst komplex und verlangen spezifische Kenntnisse des deutschen Steuerrechts sowie der deutschen Sprache, die gerade bei ausländischen Investmentfonds häufig nicht oder nicht ausreichend vorhanden sein werden. Daher sind diese - im Gegensatz zu inländischen Vehikeln - vielfach auf kostspielige externe Beratungsleistungen angewiesen, sofern sie eine transparente Besteuerung in Deutschland erreichen wollen und die vielfältigen Voraussetzungen hierfür zu erkennen im Stande sind. Das ist umso gravierender als ausländische Investmentfonds häufig nicht spezifisch für den deutschen Markt konzipiert werden (vgl. hierzu auch Rohde/Neumann, FR 12, 247, 253; anders jedoch FG Berlin-Brandenburg 23.5.12, 1 K 1159/08, EFG 12, 1727, Revision unter VIII R 27/12).
2.2 Mögliche Rechtfertigung
Die durch § 6 InvStG verursachte Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit lässt sich auch nicht rechtfertigen. Das wäre nur dann der Fall, wenn sie
- durch zwingende Gründe notwendig wäre und
- nicht über das hinausgeht, was zum Erreichen des beabsichtigten Zieles erforderlich ist.
Unabhängig von der schwer zu beantwortenden Frage, ob § 6 InvStG überhaupt durch zwingende Gründe zu rechtfertigen ist, fehlt es zumindest an der zweiten Voraussetzung. Ebenso wie die (unzweifelhaft als europarechtswidrig anzusehende) Vorgängervorschrift des § 18 AuslInvG verwehrt es auch die strikte Regelung des § 6 InvStG dem Steuerpflichtigen, den Nachweis zu erbringen, wie hoch die ihm tatsächlich zugeflossenen oder zurechenbaren Erträge waren. Verbleibenden Unsicherheiten könnte die Finanzverwaltung im Übrigen im Wege der Schätzung begegnen. Diese Möglichkeiten stellen ein milderes Mittel zur Erreichung des Ziels einer gleichmäßigen Besteuerung aller Fondsanleger dar. Somit ist § 6 InvStG als nicht erforderlich und damit unverhältnismäßig anzusehen.
Hinweis | Gegen die zwingende Notwendigkeit einer strikten und ausnahmslos anwendbaren Pauschalbesteuerung nach § 6 InvStG spricht auch die Praxis der Finanzverwaltung, dass eine verspätete Veröffentlichung der Besteuerungsgrundlagen nach § 5 InvStG bei Zahlung eines Betrags von 25.000 EUR als noch fristgerecht angesehen werden kann. In diesen, in der Praxis fast ausschließlich bei ausländischen Fonds vorkommenden Fällen gestattet die Finanzverwaltung unter bestimmten Voraussetzungen eine Abweichung von der de lege lata einschlägigen Rechtsfolge des § 6 InvStG, ohne dass hierfür eine ausreichende Rechtsgrundlage ersichtlich wäre. Das zeigt gleichermaßen, dass es offensichtlich auch aus Sicht der Finanzverwaltung andere Mittel und Wege als § 6 InvStG gibt, um eine ordnungsgemäße und faire Besteuerung von Fondsanlegern im Falle eines Verstoßes gegen die Publikationspflichten des § 5 InvStG sicherzustellen. In die gleiche Richtung geht das Urteil des FG Hamburg, in dem ebenfalls die Möglichkeit von Einzelfallregelungen im Billigkeitsverfahren nach § 163 AO (z.B. bei kurzfristigen Überschreitungen der Veröffentlichungsfrist nach § 5 InvStG) angesprochen wird (FG Hamburg 13.7.12, 3 K 131/11, EFG 12, 1856, Revision unter VIII R 36/12).
3. Ausblick
Vor dem Hintergrund der hier vorgetragenen Auffassung und der davon abweichenden verbreiteten finanzgerichtlichen Rechtsprechung ist es sehr zu begrüßen, dass das FG Düsseldorf die Frage der Vereinbarkeit des § 6 InvStG mittlerweile dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt hat (FG Düsseldorf 3.5.12, 16 K 3383/10 F, IStR 12, 663, beim EuGH unter C-326/12). Daneben wird sich auch der BFH mit der Rechtmäßigkeit von § 6 InvStG auseinander setzen müssen, da jeweils Revision gegen die Urteile des FG Hamburg und des FG Berlin-Brandenburg eingelegt wurde (Az. beim BFH VIII R 36/12 bzw. VIII R 27/12).
PRAXISHINWEIS | Bis zu den endgültigen Entscheidungen sollten einschlägige Steuerfestsetzungen daher offen gehalten werden. Unter Hinweis auf eine der o.g. anhängigen Rechtssachen kann das Verfahren zum Ruhen nach § 363 Abs. 2 S. 2 AO gebracht werden. |
Neben den europarechtlichen Bedenken werden im Hinblick auf § 6 InvStG auch erhebliche verfassungsrechtliche Zweifel geäußert. Es wird teilweise eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) angenommen (so etwa Rohde/Neumann, FR 12, 247, 250; anders dagegen FG Düsseldorf 3.5.12, 16 K 3383/10 F, IStR 12, 663; FG Hamburg 13.7.12, 3 K 131/11, EFG 12, 1856, Revision unter VIII R 36/12; FG Berlin-Brandenburg 23.5.12, 1 K 1159/08, EFG 12, 1727, Revision unter VIII R 27/12). Das wird mit der Ungleichbehandlung von Anlegern transparenter und intransparenter Fonds (und nicht von in- und ausländischen) begründet, die sich ebenfalls als nicht erforderlich und damit nicht gerechtfertigt erweist.
PRAXISHINWEIS | Da diese Frage ebenfalls noch nicht höchstrichterlich entschieden ist, kann betroffenen Steuerpflichtigen im jetzigen Stadium nur angeraten werden, sich in einschlägigen Verfahren sowohl auf europa- als auch auf verfassungsrechtliche Erwägungen zu stützen. |
Weiterführende Hinweise
- Zur unzulässigen Diskriminierung ausländischer Investmentfonds, s. Schraufl, PIStB 12, 156
- Zu europarechtlichen Aspekten der Wegzugsteuer und der Pauschalbesteuerung „schwarzer“ Fonds, s. Schraufl, PIStB 10, 34