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  • · Fachbeitrag · Kindergeld

    Ermittlungspflichten des FG bei Auslandssachverhalt und Bindung des BFH

    von RA Prof. Dr. Ralf Jahn, Würzburg

    In zwei aktuellen Entscheidungen hat der BFH zum Umfang der Ermittlungspflichten des Finanzgerichts beim Kindergeldanspruch mit Auslandsbezug und der sich hieraus ergebenden Bindungswirkung für den BFH Stellung genommen (BFH 13.6.13, III R 63/11 und III R 10/11, StBW 13, 914, Abruf-Nr. 133055 und 133054).

     

    Sachverhalt

    In beiden Verfahren beantragte ein polnischer Vater mit deutschem Wohnsitz für seine in Polen lebenden Kinder gemäß § 62 Abs. 1 EStG Kindergeld. Nach Ablehnung der Familienkasse sprach das FG in dem einen Fall das Kindergeld vollständig zu, weil ausschließlich deutsches Kindergeldrecht anwendbar sei (BFH III R 10/11). Der Anspruch sei nicht nach § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG ausgeschlossen, weil in Polen während des Streitzeitraums weder kindergeldähnliche Leistungen bezogen worden seien noch ein Anspruch nach polnischem Recht bestanden habe. Im zweiten Streitfall versagte das FG 
teilweise nach § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG den Kindergeldanspruch, weil ein konkurrierender Anspruch auf kindergeldähnliche Leistungen nach polnischem Recht bestanden habe (BFH III R 63/11).

     

    In beiden Fällen machte die Familienkasse im Revisionsverfahren eine fehlerhafte Auslegung des § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG geltend: Die Prüfung des Anspruchs auf polnische Familienleistungen bedürfe vertiefter Kenntnisse. Das FG habe selbst das Bestehen des Anspruchs nach polnischem Recht geprüft, ohne aber eine entsprechende Prüfungspflicht zu haben. Der BFH hat diese Ansicht nicht geteilt.

     

    Anmerkungen

    Nach deutschem Recht regelt § 62 Abs. 1 EStG die Anspruchsvoraussetzungen für Kindergeld bei Sachverhalten mit Auslandsbezug. Kindergeld wird nach § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG allerdings nicht gezahlt, wenn für das Kind im Ausland Leistungen gewährt werden, die dem (deutschen) Kindergeld vergleichbar sind. Der Tatbestand des § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG ist erfüllt, wenn entweder kindergeldähnliche Leistungen nach ausländischem Recht zu zahlen sind oder bei entsprechender Antragstellung zu zahlen wären.

     

    Für die Tatbestandsverwirklichung reicht es nach der Rechtsprechung des BFH aus, dass ein materiell-rechtlicher Anspruch auf die entsprechende Leistung nach ausländischem Recht besteht (BFH 27.11.98, VI B 120/98, BFH/NV 99, 614). Es kommt also nicht darauf an, ob der Anspruch der nach deutschem Recht kindergeldberechtigten Person oder einem Dritten zusteht. Nach den beiden neuen BFH-Urteilen sind folgende Grundsätze zu beachten:

     

    • § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG verpflichtet das FG grundsätzlich, eine eigene Entscheidung darüber zu treffen, ob für ein Kind ein Anspruch auf Gewährung dem Kindergeld vergleichbarer Leistungen nach ausländischem Recht besteht. Hierbei hat das FG das maßgebende ausländische Recht gemäß § 155 FGO i.V.m. § 293 ZPO von Amts wegen zu ermitteln und festzustellen.

     

    • Den für die Subsumtion unter das maßgebliche Recht entscheidungserheblichen Sachverhalt hat das FG unter Beachtung der erweiterten Mitwirkungspflichten des Klägers von Amts wegen zu ermitteln und festzustellen (§ 76 Abs. 1 S. 4 FGO; § 90 Abs. 2 AO).

     

    • Auch wenn die bei Prüfung der Voraussetzungen des § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG zu Bestehen und Inhalt des ausländischen Rechts getroffenen Feststellungen des FG revisionsrechtlich wie eine Tatsachenfeststellung zu behandeln sind, ist der BFH an diese Feststellung nicht gebunden, soweit sie nur auf einem kursorischen Überblick über die zu behandelnde Materie beruhen (BFH 13.06.13 III R 10/11).

     

    PRAXISHINWEIS | Mit der Revision kann zwar nicht geltend gemacht werden, dass die Vorentscheidung auf einer fehlerhaften Anwendung ausländischen Rechts beruhe. Denn die Feststellungen zum Inhalt des ausländischen Rechts sind für das Revisionsgericht bindend und wie Tatsachenfeststellungen zu behandeln. Beruhen die erstinstanzlichen Feststellungen des FG aber nur auf einem kursorischen Überblick der zu behandelnden Rechtsmaterie, liegt ein materieller Mangel der Vorentscheidung vor. In diesem Fall entsteht keine Bindung des BFH.

    Quelle: Ausgabe 12 / 2013 | Seite 319 | ID 42350654