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  • 22.08.2024 · IWW-Abrufnummer 243363

    Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern: Urteil vom 07.05.2024 – 5 Sa 56/23


    Tenor: 1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Schwerin vom 06.04.2023 - 5 Ca 1543/22 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen. 2. Die Revision wird nicht zugelassen.

    Tatbestand

    1

    Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer personenbedingten Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen.

    2

    Der im Dezember 1973 geborene Kläger nahm am 20.03.2006 bei der Beklagten, einem Unternehmen der Brot- und Backwarenindustrie, eine Beschäftigung als Maschinenbediener auf. Der Kläger war in der letzten Zeit vorwiegend in dem sogenannten Reinraum eingesetzt, in dem Toastbrot geschnitten und verpackt wird. Die Raumtemperatur liegt dort zwischen 17 und 21 °C. Der Raum ist klimatisiert. Als Maschinenbediener in der Verpackung hatte der Kläger insbesondere die Aufgabe, die Produktionsqualität zu kontrollieren, auf die Einhaltung der Hygiene- und Sicherheitsvorschriften zu achten, Störungen zu beseitigen und das jeweilige Verpackungsmaterial einschließlich der entsprechenden Clips gemäß den Vorgaben einzulegen. Der Kläger arbeitete regulär im 4-Schicht-System.

    3

    Ab dem Jahr 2018 war der Kläger in folgenden Zeiträumen arbeitsunfähig erkrankt:

    4

    Die Beklagte leistete für sämtliche Ausfallzeiten Entgeltfortzahlung.

    5

    Mit den Schreiben vom 24.05.2019 und 20.06.2019 bot die Beklagte dem Kläger ein betriebliches Eingliederungsmanagement an, worauf der Kläger nicht reagierte. Am 25.02.2020 und am 21.12.2021 nahm der Kläger sodann an einem betrieblichen Eingliederungsmanagement teil. Die Beklagte schloss mit dem Betriebsrat am 23.12.2021 eine Betriebsvereinbarung zum betrieblichen Eingliederungsmanagement, in der das Verfahren einschließlich der zu verwendenden Formulare im Einzelnen geregelt ist. Mit Schreiben vom 27.10.2022 lud die Beklagte den Kläger entsprechend der Betriebsvereinbarung erneut zu einem betrieblichen Eingliederungsmanagement ein. Auf dem Antwortformular teilte der Kläger am 02.11.2022 mit, von dem Angebot auf Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements keinen Gebrauch zu machen.

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    Mit Schreiben vom 07.12.2022 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu der beabsichtigten ordentlichen Kündigung des Klägers an. Das Schreiben enthält die Personalien des Klägers (Name, Anschrift, Geburtsdatum, Familienstand, Eintrittsdatum, Abteilung und Positionsbezeichnung) sowie Kündigungsfrist und -datum. Die Beklagte teilte dem Betriebsrat die Fehlzeiten des Klägers seit 2018 sowie die dadurch entstandenen Entgeltfortzahlungskosten mit. Die Betriebsratsanhörung enthält eine Gegenüberstellung der durchschnittlichen Arbeitsunfähigkeitszeiten des Werks im Verhältnis zu denen des Klägers, die demgegenüber mehr als doppelt so hoch sind. Die Beklagte verwies auf die Notwendigkeit einer Überbrückung der Ausfallzeiten durch eigene Mitarbeiter und Leiharbeitnehmer und stellte die jeweiligen Kosten dar. Des Weiteren informierte die Beklagte über die angebotenen und durchgeführten Gespräche zum betrieblichen Eingliederungsmanagement. Der Betriebsrat widersprach der beabsichtigten Kündigung mit Schreiben vom 15.12.2022.

    7

    Am 16.12.2022 endete die am 30.11.2022 eingetretene Arbeitsunfähigkeit. Die Fehlzeiten im Jahr 2022 beliefen sich letztlich auf insgesamt 50 Arbeitstage.

    8

    Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis des Klägers mit Schreiben vom 16.12.2022 ordentlich und fristgerecht zum 30.06.2023, hilfsweise zum nächstzulässigen Termin. Das Schreiben ging dem Kläger am 17.12.2022 zu. Der Kläger ist verheiratet. Die Lohnsteuerkarte weist keine Unterhaltspflichten gegenüber Kindern aus. Die durchschnittliche monatliche Vergütung betrug zuletzt € 3.657,22 brutto.

    9

    Der Kläger hat erstinstanzlich die Ansicht vertreten, dass die Kündigung unwirksam sei, da es schon an einer Negativprognose fehle. Der Kläger sei primär aufgrund von Gelenk- und Knochenbeschwerden oder muskulären Beschwerden in Behandlung gewesen. Diese Erkrankungen seien ausgeheilt. Soweit der Kläger aufgrund von Infektionen der oberen Atemwege nicht arbeitsfähig gewesen sei, hänge dies zum Teil mit der Corona-Pandemie und dem anschließenden Wegfall der Maskenpflicht zusammen. Eine Anzahl von fünf Infekten pro Jahr sei nach Auskunft der Ärztin normal. Eine Erkrankung der oberen Atemwege werde zudem durch die Klima- und Lüftungsanlagen im Reinraum begünstigt. Da die Arbeit anstrengend sei, schwitze der Kläger stark. Aufgrund der hygienischen Anforderungen im Betrieb müsse er, sobald er Erkältungssymptome aufweise, einen Arzt aufsuchen. Auch sei dem Kläger kein angepasster Gehörschutz zur Verfügung gestellt worden. Die Beklagte könne den Kläger durchaus anderweitig einsetzen, z. B. als Kartonaufrichter, Staplerfahrer oder im Brotlager. Eine Einarbeitung sei nicht erforderlich, da er diese Tätigkeiten bereits verrichtet habe. Das im Oktober 2022 angebotene betriebliche Eingliederungsmanagement habe der Kläger abgelehnt, da er aufgrund früherer erfolgloser Verfahren zum betrieblichen Eingliederungsmanagement davon ausgegangen sei, dass die Beklagte an einer Reduzierung der krankheitsbedingten Ausfallzeiten kein Interesse habe und diese billigend in Kauf nehme. Im Rahmen der Interessenabwägung sei zu berücksichtigen, dass der Kläger der deutschen Sprache nicht mächtig und deshalb auf dem Arbeitsmarkt nur sehr eingeschränkt zu vermitteln sei. Der Kläger habe zwei Kinder im Alter von 19 und 23 Jahren, von denen eines noch zur Schule gehe. Zudem verstoße die Kündigung gegen das Maßregelungsverbot, da die Beklagte diese ausgesprochen habe, nachdem sich der Kläger am 21.11.2022 über die Arbeitsbedingungen beschwert habe.

    10

    Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

    11

    1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers durch die Kündigung vom 16.12.2022 zum 30.06.2023 nicht aufgelöst worden ist,

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    2. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände aufgelöst ist, und

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    3. die Beklagte für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. zu verurteilen, den Kläger zu unveränderten Bedingungen als Maschinenbediener in der Verpackung zu beschäftigen.

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    Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.Die personenbedingte Kündigung sei aufgrund der umfangreichen Ausfallzeiten des Klägers berechtigt. Aus den Jahr für Jahr aufgetretenen erheblichen Arbeitsunfähigkeitszeiten ergebe sich eine negative Prognose für die Zukunft, die der Kläger nicht erschüttert habe. Der Kläger sei anfällig für orthopädische Krankheitsbilder und Infekte. Die Krankheiten seien gerade nicht ausgeheilt, zumal es sich teilweise um nur eingeschränkt behandelbare Erkrankungen handele. Auch zukünftig sei mit deutlich mehr als 30 Fehltagen pro Jahr zu rechnen. Die daraus entstehenden wirtschaftlichen und betrieblichen Belastungen des Arbeitgebers seien nicht mehr hinnehmbar. Der kurzfristige Ausfall des Klägers habe jeweils die Anordnung von Überstunden bzw. eine für die Beklagte kostenintensive Beschäftigung von Leiharbeitnehmern erfordert. In dem Reinraum gebe es keine ungünstigen klimatischen Bedingungen. Die Arbeit sei körperlich nicht besonders anstrengend. Ein Standard-Gehörschutz stehe jedem Mitarbeiter zur Verfügung. Nach einem angepassten Gehörschutz habe der Kläger nie gefragt.

    15

    Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die Kündigung wirksam sei. Angesichts der konstanten Fehlzeiten von jeweils mehr als sechs Wochen in den Jahren 2018 bis 2022 sei eine negative Gesundheitsprognose indiziert. Diese Prognose habe der Kläger nicht entkräftet, sondern lediglich behauptet, dass die Krankheiten ausgeheilt seien. Aufgrund welcher Behandlungen oder Therapien bzw. operativen Eingriffe eine Heilung eingetreten sei, lasse sich dem Vorbringen nicht entnehmen. Der Kläger sei seiner Darlegungslast nicht nachgekommen. Es genüge nicht, lediglich die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden. Angesichts der Entgeltfortzahlungskosten in Höhe von rund zwei Monatsbruttogehältern pro Kalenderjahr seien die betrieblichen Interessen der Beklagten erheblich beeinträchtigt. Bei der Interessenabwägung sei die annähernd 17-jährige Beschäftigungszeit des Klägers zu seinen Gunsten zu berücksichtigen. Dem gegenüber seien jedoch regelmäßige Fehlzeiten von durchschnittlich mehr als 40 Arbeitstagen pro Kalenderjahr auf Dauer nicht hinnehmbar. Der Kläger überschreite die durchschnittlichen Ausfallzeiten der Beschäftigten im Betrieb bei Weitem. Die Gespräche zum betrieblichen Eingliederungsmanagement hätten ebenfalls nicht zu einer Verringerung der Fehlzeiten geführt. Im Ergebnis überwiege das Interesse der Beklagten an einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

    16

    Die Beklagte habe den Betriebsrat ordnungsgemäß beteiligt. Sie habe die Einzelheiten zu der beabsichtigten Kündigung näher dargelegt und durch geeignete Unterlagen belegt. Die Beklagte habe den Betriebsrat auch über die ihr vorliegenden Sozialdaten des Klägers korrekt informiert.

    17

    Ein Verstoß gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB liege nicht vor, da es schon an einem engen zeitlichen Zusammenhang zwischen der Beschwerde und der Kündigung fehle. Die Kündigung beruhe vielmehr auf den regelmäßigen erheblichen Arbeitsunfähigkeitszeiten, zumal diese geeignet seien, eine personenbedingte Kündigung zu rechtfertigen.

    18

    Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung. Das Arbeitsgericht sei zu Unrecht von einer negativen Gesundheitsprognose ausgegangen. Der Kläger sei primär aufgrund von Gelenk- und Knochenbeschwerden oder muskulären Beschwerden in Behandlung gewesen. Zur Verbesserung seines Gesundheitszustandes habe er regelmäßig Kräftigungsübungen durchgeführt und sei von November 2020 bis September 2022 Mitglied in einem Fitnessstudio gewesen. Seit Juli 2022 habe er nicht mehr an solchen Krankheiten gelitten. Vermutlich seien die Bedingungen am Arbeitsplatz mitursächlich für die Atemwegserkrankungen. Maßgeblich seien deshalb die Ausfallzeiten vergleichbarer Arbeitnehmer, nicht jedoch der Durchschnitt aller Beschäftigten. Hinsichtlich des gerügten Verstoßes gegen das Maßregelungsverbot habe das Arbeitsgericht zu Unrecht einen Zusammenhang zwischen der Beschwerde des Klägers und der Kündigung verneint.

    19

    Der Kläger beantragt,

    das Urteil des Arbeitsgerichts Schwerin vom 06.04.2023, Az. 5 Ca 1543/22, abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers durch die Kündigung der Beklagten vom 16.12.2022 nicht zum 30.06.2023 aufgelöst worden ist.

    20

    Die Beklagte beantragt,

    die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

    21

    Sie verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts. Entgegen der Ansicht des Klägers sei von einer negativen Gesundheitsprognose auszugehen. Die Krankheiten seien gerade nicht ausgeheilt, was durch die erneuten erheblichen Fehlzeiten während der Kündigungsfrist bestätigt werde. Von Januar 2023 bis Ende Juni 2023 habe der Kläger an mehr als 60 Arbeitstagen krankheitsbedingt gefehlt. Angesichts dessen sei es nicht nachvollziehbar, wie der Kläger zu der Einschätzung gelange, die Arbeitsunfähigkeitszeiten würden zukünftig rückläufig sein. Die Behauptung des Klägers, dass es in dem Reinraum ungünstige klimatische Verhältnisse gebe, was Infekte begünstige, werde ausdrücklich zurückgewiesen. Es sei keine körperlich anstrengende Arbeit, Brote vom Fließband zu nehmen. Stehen, Gehen und ggf. Bücken sei allerdings typischer Bestandteil der Arbeit eines Maschinenbedieners. Ein Vergleich der Fehlzeiten des Klägers mit denen der anderen Beschäftigten im Werk sei zulässig, da dort nahezu ausschließlich gewerbliche Mitarbeiter tätig seien. Der Kläger sei, wie in vorangegangenen Gesprächen zum betrieblichen Eingliederungsmanagement vereinbart, rotierend eingesetzt worden, was allerdings nicht zu einer Verringerung der Fehlzeiten geführt habe.

    22

    Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen, die Sitzungsprotokolle sowie das angegriffene arbeitsgerichtliche Urteil verwiesen.

    Entscheidungsgründe

    23

    Die Berufung des Klägers ist zulässig, aber nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht und mit der zutreffenden Begründung abgewiesen. Das Berufungsgericht macht sich zunächst die Ausführungen des Arbeitsgerichts zu eigen.

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    Die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 16.12.2022 ist wirksam. Sie ist weder nach § 1 KSchG sozial ungerechtfertigt noch verstößt sie gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB .

    1.

    25

    Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist ( § 1 Abs. 1 KSchG ). Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist ( § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG ).

    26

    Häufige Kurzerkrankungen können eine personenbedingte Kündigung bedingen, wenn

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    a) im Kündigungszeitpunkt Tatsachen vorliegen, die die Prognose stützen, es werde auch künftig zu Erkrankungen im bisherigen - erheblichen - Umfang kommen (Negativprognose),

    28

    b) die prognostizierten Fehlzeiten zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen, sei es durch Betriebsablaufstörungen oder durch Entgeltfortzahlungskosten für einen Zeitraum von mehr als sechs Wochen jährlich, und

    29

    c) diese Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber unter Abwägung mit dem Interesse des Arbeitnehmers am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses nicht mehr hingenommen werden müssen

    30

    ( BAG, Urteil vom 25. April 2018 - 2 AZR 6/18 - Rn. 23, juris = NZA 2018, 1056; BAG, Urteil vom 16. Juli 2015 - 2 AZR 15/15 - Rn. 29, juris = NZA 2016, 99; BAG, Urteil vom 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 16, juris = NZA 2015, 612).

    31

    Treten während der letzten Jahre jährlich mehrere (Kurz-)Erkrankungen auf, spricht dies für eine entsprechende künftige Entwicklung des Krankheitsbildes, es sei denn, die Krankheiten sind ausgeheilt. Der Arbeitgeber darf sich deshalb auf der ersten Prüfungsstufe zunächst darauf beschränken, die Fehlzeiten der Vergangenheit darzustellen und zu behaupten, in Zukunft seien Krankheitszeiten in entsprechendem Umfang zu erwarten. Alsdann ist es Sache des Arbeitnehmers, gemäß § 138 Abs. 2 ZPO darzulegen, weshalb im Kündigungszeitpunkt mit einer baldigen Genesung zu rechnen war. Er genügt dieser prozessualen Mitwirkungspflicht schon dann, wenn er vorträgt, die behandelnden Ärzte hätten seine gesundheitliche Entwicklung positiv beurteilt, und diese von ihrer Schweigepflicht entbindet. Trägt der Arbeitnehmer selbst konkrete Umstände für seine Beschwerden und deren Ausheilung oder Abklingen vor, so müssen diese geeignet sein, die Indizwirkung der bisherigen Fehlzeiten zu erschüttern; er muss jedoch nicht den Gegenbeweis führen, dass nicht mit weiteren häufigen Erkrankungen zu rechnen sei ( BAG, Urteil vom 07. November 2002 - 2 AZR 599/01 - Rn. 41, juris = EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 50 ). Je nach Erheblichkeit des Vortrags ist es dann Sache des Arbeitgebers, den Beweis für die Berechtigung einer negativen Gesundheitsprognose zu führen ( BAG, Urteil vom 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 17, juris = NZA 2015, 612; LAG Köln, Urteil vom 8. November 2022 - 4 Sa 297/21 - Rn. 32, juris).

    32

    Vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalls ist für die Erstellung der Gesundheitsprognose ein Referenzzeitraum von drei Jahren maßgeblich ( BAG, Urteil vom 25. April 2018 - 2 AZR 6/18 - Rn. 23, juris = NZA 2018, 1056; BAG, Urteil vom 23. Januar 2014 - 2 AZR 582/13 - Rn. 32, juris = NZA 2014, 962; LAG Köln, Urteil vom 8. November 2022 - 4 Sa 297/21 - Rn. 32, juris).

    33

    Einer negativen Prognose steht nicht entgegen, wenn die Arbeitsunfähigkeitszeiten auf unterschiedlichen Erkrankungen beruhen. Selbst wenn die Krankheitsursachen verschieden sind, können sie doch auf eine allgemeine Krankheitsanfälligkeit hindeuten, die prognostisch andauert. Das gilt auch dann, wenn einzelne Erkrankungen - etwa Erkältungen - ausgeheilt sind. Der Wegfall einzelner Erkrankungen stellt die generelle Anfälligkeit nicht infrage. Anders verhält es sich mit Fehlzeiten, die auf einem einmaligen Ereignis beruhen. Sie lassen eine Prognose für die zukünftige Entwicklung ebenso wenig zu, wie Erkrankungen, gegen die erfolgreich besondere Therapiemaßnahmen (z. B. eine Operation) ergriffen wurden ( BAG, Urteil vom 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 20, juris = NZA 2015, 612; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 24. Januar 2023 - 8 Sa 115/22 - Rn. 68, juris).

    34

    Maßgeblicher Zeitpunkt zur Beurteilung der Wirksamkeit der Kündigung ist der Zeitpunkt der Kündigungserklärung (z. B. BAG, Urteil vom 27. Februar 2020 - 8 AZR 215/19 - Rn. 70, juris = NZA 2020, 1303; BAG, Urteil vom 26. Januar 2017 - 2 AZR 61/16 - Rn. 33, juris = NZA 2017, 1199). Es ist aber - insbesondere, wenn dem Kündigungsgrund ein prognostisches Element innewohnt - nicht unzulässig, die spätere Entwicklung in den Blick zu nehmen, soweit sie die Prognose bestätigt ( BAG, Urteil vom 23. Januar 2014 - 2 AZR 582/13 - Rn. 32 = ZTR 2014, 553; LAG Köln, Urteil vom 8. November 2022 - 4 Sa 297/21 - Rn. 32, juris).

    35

    Die Vorinstanz ist zutreffend davon ausgegangen, dass zum Kündigungszeitpunkt aufgrund der aufgetretenen Fehlzeiten mit weiteren Erkrankungen im bisherigen Umfang zu rechnen und damit eine negative Gesundheitsprognose gerechtfertigt war.

    36

    Wenn auch ein Zeitraum von drei Jahren regelmäßig bereits eine ausreichende Prognosegrundlage bietet, so ist es dem Arbeitgeber nicht verwehrt, den Arbeitnehmer über diesen Zeitraum hinaus zu beschäftigen und abzuwarten, ob sich der Gesundheitszustand des Arbeitnehmers verbessert und sich die Fehlzeiten verringern. Je länger erhebliche Fehlzeiten auftreten desto wahrscheinlicher ist mit einer Verfestigung dieser Situation zu rechnen. Eine fallende Tendenz bei den Fehlzeiten kann sich hingegen zugunsten des Arbeitnehmers auswirken.

    37

    Der Kläger war in den Jahren 2018 - 2022 mit Ausnahme des geringfügig abweichenden Jahres 2020 stets 40 - 44 Arbeitstage arbeitsunfähig. Selbst im Jahr 2020 beliefen sich die Fehlzeiten auf mehr als sechs Wochen, nämlich 33 Arbeitstage. Diese Fehlzeiten als solche rechtfertigen die Prognose, dass der Kläger auch zukünftig etwa 40 Arbeitstage ausfallen wird.

    38

    Der Kläger hat demgegenüber, worauf schon das Arbeitsgericht hingewiesen hat, keine Umstände dargelegt, die auf eine Verringerung der bisherigen Fehlzeiten schließen lassen. Die Diagnoseliste enthält nur vereinzelt Krankheiten, bei denen voraussichtlich nicht mit einem erneuten Auftreten zu rechnen ist. Das betrifft zudem nur wenige Arbeitstage, und zwar einen Arbeitstag im Jahr 2020 wegen einer Erkrankung der Zähne oder zwei Arbeitstage im Jahr 2022 wegen einer Verletzung von Muskeln und Sehnen. Auch nach Abzug dieser einzelnen Tage bleibt es bei Ausfallzeiten, die deutlich über sechs Wochen pro Jahr hinausgehen. Die Fehlzeiten beruhen im Wesentlichen auf Erkrankungen der Atemwege sowie orthopädischen Beschwerden. Die Atemwegserkrankungen hängen nicht allein mit der Corona-Pandemie zusammen. An Infektionen und Bronchitis hat der Kläger schon deutlich vor dem Auftreten des Corona-Virus gelitten. Nachvollziehbare Gründe, weshalb diese Krankheiten, wie der Kläger behauptet, zukünftig nicht mehr bzw. nicht mehr in diesem Umfang auftreten werden, gibt es nicht. Ein ärztliches Attest, das hierüber Aufschluss geben könnte, hat der Kläger nicht vorgelegt. Gleiches gilt für die orthopädischen Erkrankungen. Der Kläger belässt es bei der Behauptung, dass diese Krankheiten ausgeheilt seien. Eine ärztliche Einschätzung hierzu, die sich insbesondere auch mit dem jeweiligen Grundleiden auseinandersetzt, liegt nicht vor. Bestimmte Grundleiden und Krankheiten mögen nur zeitweise zu einer Arbeitsunfähigkeit geführt haben. Daraus ergibt sich aber noch nicht, dass der Kläger nunmehr für derartige Krankheiten weniger anfällig ist. Eine regelmäßige körperliche Betätigung, z. B. unter fachkundiger Anleitung in einem Fitnessstudio, kann für den Gesundheitszustand durchaus förderlich sein. Dass der gewünschte Erfolg eintritt, ist jedoch nicht garantiert. Der Kläger hat weder dargelegt, welche Maßnahmen die behandelnden Ärzte empfohlen haben, noch vorgetragen, wie die behandelnden Ärzte seinen Gesundheitszustand aktuell beurteilen und welche Umstände für eine Verringerung der Fehlzeiten sprechen.

    39

    Eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen liegt vor, wenn der Arbeitgeber Entgeltfortzahlung für jeweils mehr als sechs Wochen jährlich zu leisten hatte und voraussichtlich zukünftig zu leisten hat ( BAG, Urteil vom 10. November 2005 - 2 AZR 44/05 - Rn. 31, juris = NZA 2006, 655; LAG Köln, Urteil vom 12. März 2021 - 10 Sa 804/20 - Rn. 43, juris).

    40

    Die Beklagte hat in den zurückliegenden Jahren Entgeltfortzahlung für durchschnittlich 40,6 Arbeitstage an den Kläger geleistet. Zahlungen in einem solchen Umfang sind auch zukünftig zu erwarten. Darüber hinaus stören die Fehlzeiten des Klägers die betrieblichen Abläufe erheblich, da die Beklagte den Arbeitsplatz kurzfristig neu besetzen muss, sei es durch eigene Arbeitskräfte oder durch Leiharbeitnehmer. Das bringt einen erheblichen organisatorischen Aufwand sowie zusätzliche Kosten mit sich.

    41

    Eine auf Gründe in der Person des Arbeitnehmers gestützte Kündigung ist unverhältnismäßig, wenn sie zur Beseitigung der eingetretenen Vertragsstörung nicht geeignet oder nicht erforderlich ist. Eine Kündigung ist durch Krankheit nicht im Sinne von § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG "bedingt", wenn es angemessene mildere Mittel zur Vermeidung oder Verringerung künftiger Fehlzeiten gibt. Solche Maßnahmen können insbesondere die Umgestaltung des bisherigen Arbeitsbereichs oder die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf einem anderen - seinem Gesundheitszustand entsprechenden - Arbeitsplatz sein. Darüber hinaus kann sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Verpflichtung des Arbeitgebers ergeben, es dem Arbeitnehmer vor einer Kündigung zu ermöglichen, ggf. spezifische Behandlungsmaßnahmen zu ergreifen, um dadurch künftige Fehlzeiten auszuschließen oder zumindest signifikant zu verringern ( BAG, Urteil vom 18. November 2021 - 2 AZR 138/21 - Rn. 12, juris = NZA 2022, 253).

    42

    Das Angebot eines betrieblichen Eingliederungsmanagements nach § 167 Abs. 2 SGB IX vom 27.10.2022, das der Klärung dient, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann, hat der Kläger abgelehnt. Vorangegangene Gespräche zum betrieblichen Eingliederungsmanagement, an denen der Kläger teilgenommen hat, haben nicht zu einer Verringerung der Fehlzeiten geführt. Der Kläger hat auch unabhängig von einem betrieblichen Eingliederungsmanagement keine konkreten Maßnahmen angegeben, mit denen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt werden kann. Er ist als Maschinenbediener nicht ausschließlich in dem Reinraum tätig gewesen, sondern war auch auf anderen Arbeitsplätzen eingesetzt, weshalb er die hierfür notwendigen Kenntnisse besitzt. An den Fehlzeiten hat sich dadurch nichts geändert. Gewisse körperliche Belastungen wie Stehen, Gehen und Bücken sind bei einer Tätigkeit als Maschinenbediener nicht zu vermeiden.

    43

    Im Rahmen der Interessenabwägung haben die Arbeitsgerichte zu prüfen, ob die betriebliche Beeinträchtigung durch die Krankheit des Arbeitnehmers auf Grund der Besonderheiten des Einzelfalles vom Arbeitgeber billigerweise noch hinzunehmen ist oder ihn überfordert. Dabei sind im Rahmen der Interessenabwägung u. a. auch die familiären Verhältnisse des Arbeitnehmers, insbesondere seine Unterhaltspflichten sowie eine mögliche Schwerbehinderteneigenschaft zu berücksichtigen ( BAG, Urteil vom 10. November 2005 - 2 AZR 44/05 - Rn. 34, juris = NZA 2006, 655; LAG Köln, Urteil vom 12. März 2021 - 10 Sa 804/20 - Rn. 43, juris).

    44

    Die Abwägung der wechselseitigen Interessen führt nicht dazu, dass die Beklagte die mit Fehlzeiten von rund 40 Arbeitstagen je Kalenderjahr verbundenen Beeinträchtigungen hinzunehmen hat. Das Arbeitsgericht hat die maßgeblichen Gesichtspunkte angesprochen und angemessen gewichtet. Zugunsten des Klägers hat das Arbeitsgericht seine annähernd 17-jährige Beschäftigungszeit berücksichtigt, die jedoch in den letzten fünf Jahren aufgrund der Ausfallzeiten nicht mehr störungsfrei verlaufen ist. Unterhaltspflichten waren nach den der Beklagten vorliegenden Unterlagen nicht zu berücksichtigen. Eine Schwerbehinderung liegt bei dem Kläger nicht vor. Es gibt keine Umstände, die eine besondere, über den Normalfall hinausgehende Rücksichtnahme der Beklagten erfordern. Die hohen Fehlzeiten beruhen nicht auf einem Arbeitsunfall. Aufgrund der deutlichen Abweichung zu den durchschnittlichen Arbeitsunfähigkeitszeiten im Werk gibt es zudem keine Hinweise auf einen Zusammenhang mit den Arbeitsbedingungen im Betrieb. Fehlzeiten in diesem Umfang hat die Beklagte auch nicht deshalb dauerhaft hinzunehmen, weil bei dem Kläger ggf. bestimmte Vermittlungshemmnisse bei der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz vorhanden sind. Da die Beklagte hierauf keinerlei Einfluss hat, ist von ihr nicht ein höheres Maß an Rücksichtnahme zu fordern. Unabhängig davon stehen eingeschränkte Sprachkenntnisse der Aufnahme einer neuen Beschäftigung nicht zwangsläufig entgegen, wie die langjährige Tätigkeit bei der Beklagten zeigt.

    2.

    45

    Die Kündigung des Klägers verstößt nicht gegen das Maßregelungsverbot.

    46

    Nach § 612a BGB darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer bei einer Maßnahme nicht benachteiligen, weil der Arbeitnehmer in zulässiger Weise seine Rechte ausübt. Das Benachteiligungsverbot soll den Arbeitnehmer in seiner Willensfreiheit bei der Entscheidung darüber schützen, ob ein Recht ausgeübt wird oder nicht. Ein Verstoß gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB liegt vor, wenn die zulässige Rechtsausübung der tragende Beweggrund, d. h. das wesentliche Motiv für die benachteiligende Maßnahme ist. Es reicht nicht aus, dass die Rechtsausübung nur den äußeren Anlass für die Maßnahme bietet. Handelt der Arbeitgeber aufgrund eines Motivbündels, so ist auf das wesentliche Motiv abzustellen. Die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses kann eine Maßnahme im Sinne von § 612a BGB sein ( BAG, Urteil vom 18. November 2021 - 2 AZR 229/21 - Rn. 28, juris = NZA 2022, 200; BAG, Urteil vom 20. Mai 2021 - 2 AZR 560/20 - Rn. 26, juris = NZA 2021, 1096).

    47

    Der klagende Arbeitnehmer trägt die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen des § 612a BGB und damit auch für den Kausalzusammenhang zwischen benachteiligender Maßnahme und zulässiger Rechtsausübung. Er hat einen Sachverhalt vorzutragen, der auf einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Maßnahme des Arbeitgebers und einer vorangegangenen zulässigen Ausübung von Rechten hindeutet. Der Arbeitgeber muss sich nach § 138 Abs. 2 ZPO im Einzelnen zu diesem Vortrag erklären ( BAG, Urteil vom 18. November 2021 - 2 AZR 229/21 - Rn. 29, juris = NZA 2022, 200; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 14. Juli 2022 - 2 Sa 316/21 - Rn. 25, juris).

    48

    Der Kläger hat keine Umstände vorgetragen, die darauf schließen lassen, dass seine Beschwerde vom 21.11.2022 das wesentliche Motiv für den Ausspruch der Kündigung sein könnte. Darauf hat bereits das Arbeitsgericht hingewiesen. Da der Kläger den Inhalt seiner Beschwerde vom 21.11.2022 nicht dargelegt hat, lässt sich schon deshalb kein Ursachenzusammenhang mit der Kündigung herstellen. Es gibt keine Hinweise darauf, dass die Beklagte die personenbedingte Kündigung trotz der erheblichen Fehlzeiten nicht ausgesprochen hätte, wenn sich der Kläger nicht beschwert hätte. Vielmehr erscheint es naheliegend, die mit den Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers verbundenen betrieblichen Belastungen als wesentliches Motiv für die Kündigung anzusehen.

    49

    Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO . Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst.

    Vorschriften§ 1 KSchG, § 612a BGB, § 1 Abs. 1 KSchG, § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG, § 138 Abs. 2 ZPO, § 167 Abs. 2 SGB IX, § 97 Abs. 1 ZPO