24.06.2003 · IWW-Abrufnummer 031337
Bundesarbeitsgericht: Urteil vom 27.03.2003 – 2 AZR 627/01
Der Kündigungsschutz nach § 18 Abs. 2 Satz 2 BErzGG (in der vom 1. Januar 1997 bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung) gilt auch für Arbeitsverhältnisse, die nach der Geburt des Kindes begründet worden sind, wenn bei Vertragsschluß ein zuvor bestehendes anderes Arbeitsverhältnis bereits beendet war.
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 24. Oktober 2001 - 3 Sa 266/01 - wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.
Tatbestand
Die Klägerin macht die Unwirksamkeit einer ordentlichen Kündigung des Beklagten geltend.
Die Klägerin ist Notarfachangestellte. Der Beklagte ist Notar. Im Jahre 1995 war die Klägerin in ein Ausbildungsverhältnis zu einer anderen Notarin getreten. Das Ausbildungsverhältnis endete im Juni 1998, nachdem die Klägerin die Abschlußprüfung bestanden hatte. Am 27. Juni 1998 gebar die Klägerin ein Kind.
Sie bezog in der Zeit vom 27. Juni 1998 bis zum 26. Juni 2000 zunächst Erziehungsgeld nach dem BErzGG, danach bis zum 26. Dezember 2000 Erziehungsgeld nach dem LErzGG Thüringen.
Auf Grund Arbeitsvertrages vom 23. Juli 1999 trat die Klägerin, die in keinem weiteren Arbeitsverhältnis stand, am 16. August 1999 in die Dienste des Beklagten. Nach dem Arbeitsvertrag betrug die wöchentliche Arbeitszeit 19 Stunden. Bei Abschluß des Arbeitsvertrages war dem Beklagten bekannt, daß die Klägerin Erziehungsgeld bezog.
Mit Schreiben vom 19. Juni 2000 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31. Juli 2000.
Mit der am 16. August 2000 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat die Klägerin - soweit noch von Interesse - geltend gemacht, die Kündigung sei nach § 18 Abs. 2 Nr. 1 BErzGG, jedenfalls aber nach § 18 Abs. 2 Nr. 2 BErzGG unwirksam. Hierzu hat die Klägerin behauptet, sie habe dem Beklagten bei Vertragsschluß mitgeteilt, sie befinde sich im Erziehungsurlaub und erhalte Erziehungsgeld. Die vereinbarte Stundenzahl solle bis zum Ablauf des Bezugs von Erziehungsgeld - voraussichtlich Dezember 2000 - bestehen bleiben.
Die Klägerin hat beantragt,
es wird festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die ordentliche Kündigung des Beklagten vom 19. Juni 2000 zum 31. Juli 2000 nicht beendet worden ist.
Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Da die Klägerin ihm gegenüber Erziehungsurlaub nicht geltend gemacht habe, habe kein Kündigungsschutz nach § 18 Abs. 1 BErzGG bestanden. Bei Vertragsschluß sei ihm lediglich bekannt gewesen, daß die Klägerin Mutter eines einjährigen Kindes sei, Erziehungsgeld beziehe und eine Teilzeitbeschäftigung suche. Die Kündigung sei auch nicht nach § 18 Abs. 2 Nr. 2 BErzGG unwirksam. Diese Norm gelte nicht für nach der Geburt begründete Erstarbeitsverhältnisse, jedenfalls aber nur für solche, in denen der Arbeitnehmer Erziehungsurlaub verlangt habe. Abgesehen davon habe die Klägerin den ihr angeblich zustehenden Kündigungsschutz zu spät geltend gemacht.
Das Arbeitsgericht hat nach dem Klageantrag erkannt. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt der Beklagte weiterhin Klageabweisung.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Die Kündigung des Beklagten hat das Arbeitsverhältnis nicht beendet.
I. Das Arbeitsgericht - und ihm folgend das Landesarbeitsgericht - hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet: Die Kündigung sei nicht schon nach § 18 Abs. 2 Nr. 1 BErzGG iVm. § 18 Abs. 1 BErzGG unwirksam. Die Klägerin habe nicht mit der erforderlichen Substantiierung dargelegt, daß sie gegenüber dem Beklagten Erziehungsurlaub in Anspruch genommen habe. Die Unwirksamkeit der Kündigung folge aus § 18 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 BErzGG. Daß die Klägerin beim Beklagten keinen Erziehungsurlaub in Anspruch genommen habe, sei schon vom Wortlaut der Vorschrift her unschädlich. Ob der Kündigungsschutz nach § 18 Abs. 2 Nr. 2 BErzGG nur auf zwei Jahre begrenzt sei, könne dahinstehen, da die Kündigung innerhalb dieser etwa anwendbaren Zweijahresfrist erklärt worden sei. Ebenso komme es nicht darauf an, ob der Arbeitnehmer gehalten sei, den Kündigungsschutz nach § 18 Abs. 2 Nr. 2 BErzGG innerhalb gewisser Fristen geltend zu machen. Dies sei nämlich jedenfalls dann nicht erforderlich, wenn dem Arbeitgeber die tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm bei der Kündigung schon bekannt seien. Zwar genieße der Arbeitnehmer den Schutz des § 18 Abs. 2 Nr. 2 BErzGG nicht in einem nach der Geburt des Kindes begründeten Zweitarbeitsverhältnis, wenn § 18 BErzGG bereits im ersten - bei der Geburt bestehenden - Arbeitsverhältnis eingreife. Hier habe jedoch ein "sonderkündigungsschutzfähiges" Erstarbeitsverhältnis nicht mehr bestanden. Daß das vorherige - hier - Ausbildungsverhältnis nicht durch Kündigung, sondern durch planmäßige Beendigung der Ausbildung geendet habe, ändere am Eingreifen des § 18 Abs. 2 Nr. 2 BErzGG nichts.
II. Dem folgt der Senat im Ergebnis und in der Begründung.
1. Die Kündigung ist nicht nach § 18 Abs. 2 Nr. 1 iVm. § 18 Abs. 1 BErzGG, § 134 BGB unwirksam. Die Vorinstanzen haben für den Senat bindend festgestellt, daß die Klägerin beim Beklagten Erziehungsurlaub nicht in Anspruch genommen hat. Damit sind die Voraussetzungen des § 18 Abs. 2 Nr. 1 BErzGG nicht erfüllt.
2. Die Kündigung ist jedoch nach § 18 Abs. 2 Nr. 2 BErzGG, § 134 BGB unwirksam.
a) Die in § 18 Abs. 2 Nr. 2 BErzGG genannten Tatbestandsvoraussetzungen liegen vor.
aa) Die Klägerin stand im Zeitpunkt der Kündigung nicht im Erziehungsurlaub.
bb) Sie bezog bei Zugang der Kündigung Erziehungsgeld nach dem BErzGG. Ob Kündigungsschutz auch in Zeiten besteht, in denen der Arbeitnehmer Erziehungsgeld nach einem LErzGG bezieht, kann dahinstehen.
cc) Schließlich leistete die Klägerin auch Teilzeitarbeit.
dd) Entgegen der Auffassung der Revision ist weder nach dem Wortlaut noch nach dem Sinn des § 18 Abs. 2 Nr. 2 BErzGG für den Sonderkündigungsschutz Voraussetzung, daß das Arbeitsverhältnis bei der Geburt des Kindes bereits bestanden hat.
(1) Nach der Rechtsprechung des Senats gilt der Kündigungsschutz des § 18 Abs. 1 BErzGG auch für solche Arbeitsverhältnisse, die nach der Geburt des Kindes begründet werden, wenn der Arbeitnehmer Erziehungsurlaub in Anspruch nimmt (BAG 11. März 1999 - 2 AZR 19/98 - BAGE 91, 101). Schon aus den gesetzlichen Regelungen in § 16 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 BErzGG ergibt sich, daß der Erziehungsurlaub in Teilabschnitten genommen werden kann. § 15 BErzGG besagt nicht, daß der Erziehungsurlaub nur in dem Arbeitsverhältnis genommen werden dürfte, welches zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes besteht. Gegen diese Annahme spricht schon, daß nicht nur Mütter, sondern auch erziehende Väter erziehungsurlaubsberechtigt sind, so daß im letzteren Fall, wenn zB die Berechtigten nach einer erstmaligen Inanspruchnahme durch die Mutter später wechseln, nicht darauf abgestellt werden kann, ob das nunmehr "betroffene" Arbeitsverhältnis des Vaters auch schon zur Zeit der Geburt seines Kindes zu demselben Arbeitgeber bestanden hat.
(2) Für Teilzeitbeschäftigte kann nichts anderes gelten. Zwar fordert § 18 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 BErzGG, daß der Arbeitnehmer die Teilzeitarbeit bei "seinem" Arbeitgeber leistet. Das ist indes bei der Klägerin der Fall. Der Beklagte war nicht nur "ihr", sondern sogar ihr einziger Arbeitgeber. Zu Unrecht meint die Revision, "sein" Arbeitgeber sei nur der, bei dem der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Geburt des Kindes beschäftigt war.
"Sein", nämlich des Arbeitnehmers, Arbeitgeber ist nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch der Arbeitgeber, zu dem der Arbeitnehmer im Arbeitsverhältnis steht. Der Ausdruck "sein" beschreibt also dem Wortlaut nach nicht die von der Revision angenommene zeitliche Begrenzung auf den Arbeitgeber, zu dem der Arbeitnehmer bei der Geburt des Kindes besch äftigt war. Allerdings verwendet das BErzGG im allgemeinen den Ausdruck "der" Arbeitgeber, wenn es denjenigen Arbeitgeber kennzeichnen will, der den Sonderkündigungsschutz nach § 18 BErzGG zu beachten hat. Daß allein durch die Verwendung des Wortes "sein" in § 18 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 BErzGG etwas davon Abweichendes festgelegt werden sollte, ist nicht anzunehmen. Vielmehr soll hierdurch der "andere" Arbeitgeber (§ 15 BErzGG) ausgenommen werden. Das BErzGG versteht unter dem "anderen" Arbeitgeber den "Zweitarbeitgeber", bei dem der Arbeitnehmer während des bei "seinem" Arbeitgeber in Anspruch genommenen Erziehungsurlaubs eine Teilzeitbeschäftigung aufnehmen darf. Ob bei diesem "anderen" Arbeitgeber (Zweitarbeitgeber) ein Anspruch auf Erziehungsurlaub und Sonderkündigungsschutz besteht, wird überwiegend bezweifelt (KR-Etzel 6. Aufl. § 18 BErzGG Rn. 17 mwN). Der Beklagte ist jedoch kein solcher "anderer" Arbeitgeber. Die Klägerin stand in keinem weiteren Arbeitsverhältnis, als sie in die Dienste des Beklagten trat.
(3) Auch die von der Revision ins Feld geführte Gesetzesbegründung spricht nicht für die von ihr begehrte Auslegung. Der Beklagte stützt sich auf folgende Passage (BT-Drucks. 10/4212 S 6):
"Der Kündigungsschutz nach § 18 Abs. 1 gilt auch bei einer Reduzierung der Arbeitszeit auf eine zulässige Teilzeitarbeit. Diejenigen, die keinen Erziehungsurlaub in Anspruch nehmen, weil sie bereits vorher an eine im Rahmen des § 2 Abs. 1 zulässige Teilzeitarbeit bei ihrem Arbeitgeber angeknüpft haben und diese weiter ausüben wollen, mußten gleichgestellt werden."
Daraus wird zwar deutlich, daß der Gesetzgeber in erster Linie an Arbeitnehmer dachte, die schon Teilzeitarbeit leisteten, bevor die Voraussetzungen zum Bezug von Erziehungsgeld vorlagen (vgl. ErfK/Ascheid 3. Aufl. § 18 BErzGG Rn. 8; APS/Rolfs § 18 BErzGG Rn. 7). Wenn dort aber von einer Anknüpfung an die nach § 2 Abs. 1 zulässige Teilzeitarbeit die Rede ist, so besagt das nichts über den Zeitpunkt, zu dem die Teilzeitarbeit aufgenommen worden ist, außer, daß Anspruch auf Erziehungsgeld bestehen muß. Denn § 2 Abs. 1 BErzGG definiert lediglich, was als "keine volle" und deshalb erziehungsgeldunschädliche Beschäftigung anzusehen ist. Nicht nur derjenige Arbeitnehmer, der Erziehungsurlaub in Anspruch nimmt und währenddessen eine Teilzeittätigkeit aufnimmt (§ 18 Abs. 2 Nr. 1 BErzGG), sondern auch derjenige, der eine sich im Rahmen des § 2 Abs. 1 BErzGG haltende Teilzeittätigkeit ausübt und, obwohl er einen Anspruch auf Erziehungsurlaub hat, diesen nicht in Anspruch nimmt, soll den nach § 18 Abs. 1 BErzGG bestehenden Sonderkündigungsschutz haben. Damit soll derjenige, der auf eine Verringerung seiner bisherigen Arbeitszeit nicht angewiesen ist, weil er bereits bisher nur teilzeitbeschäftigt war, demjenigen gleichgestellt werden, der vorher vollbeschäftigt war und im Erziehungsurlaub einer Teilzeitbeschäftigung nachgehen will. Letztlich geht es darum, daß (von vornherein) Teilzeitbeschäftigte hinsichtlich des Sonderkündigungsschutzes nach § 18 BErzGG nicht gegenüber (früher) Vollzeitbeschäftigten benachteiligt werden.
(4) Auch Sinn und Zweck des Bundeserziehungsgeldgesetzes, insbesondere der Zweck des Kündigungsverbotes nach § 18 BErzGG bestätigen das gefundene Ergebnis. Das Gesetz will die ständige Betreuung des Kindes in der ersten Lebensphase durch einen Elternteil fördern und mehr Wahlfreiheit für die Entscheidung zwischen Tätigkeit in der Familie und au ßerhäuslicher Erwerbstätigkeit schaffen. Deshalb soll dem Arbeitnehmer der Arbeitsplatz ab dem Verlangen des Erziehungsurlaubs, höchstens jedoch sechs (jetzt acht) Wochen vor Beginn des Erziehungsurlaubs, und während der Zeiträume, für die regelmäßig Anspruch auf Erziehungsgeld besteht, erhalten bleiben und ihm so die Furcht vor einer Kündigung genommen werden (vgl. die Begründung zum jeweiligen Entwurf eines ersten und zweiten Änderungsgesetzes zum Bundeserziehungsgeldgesetz BT-Drucks. 11/4687 S 6 und BT-Drucks. 12/1125 S 7). Der Arbeitnehmer soll durch den starken Kündigungsschutz motiviert werden, den Erziehungsurlaub tatsächlich in Anspruch zu nehmen.
3. Auch die übrigen Annahmen der Vorinstanzen, insbesondere, daß es im vorliegenden Fall weder auf die Frage ankommt, ob der Kündigungsschutz nach § 18 Abs. 2 Nr. 2 BErzGG zeitlich auf zwei Jahre begrenzt ist, noch auf die weitere Frage, ob er innerhalb gewisser Fristen geltend gemacht werden muß, sind nicht zu beanstanden. Die Revision erhebt insoweit auch keine Rügen.
III. Die Kosten der erfolglos gebliebenen Revision fallen dem Beklagten nach § 97 Abs. 1 ZPO zur Last.