· Fachbeitrag · Steuerfallen
Achtung Umsatzsteuer! Behandlungen ohne Verordnung, Präventionsleistungen und Massagen
von Steuerberater Björn Ziegler, Kanzlei LZS Steuerberater, Würzburg
| Denke ich an die Finanzverwaltung und die Umsatzsteuer bei Physiotherapeuten, fällt mir spontan ein Satz von Pippi Langstrumpf ein: „Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt!“ Dem Fiskus gefällt es besonders, wenn im Ergebnis mehr Umsatzsteuer herauskommt. Wurde im Jahr 2011 die Umsatzsteuerpflicht von Leistungen ohne ärztliche (Neu-)Verordnung eingeführt, fällt ab 1. Juli 2015 nun teilweise auch noch der ermäßigte Umsatzsteuersatz von 7 Prozent für Massagen etc. weg. Der folgende Beitrag zeigt Ihnen, was Sie tun müssen, um Ihr Umsatzsteuerrisiko zu minimieren. |
Die Umsatzsteuer: Von „fast nie“ zu „fast immer“!
Früher war in physiotherapeutischen Praxen die Umsatzsteuer ein vernachlässigbares Thema. Umsatzsteuerpflichtige Umsätze waren höchstens beim Verkauf von Geräten, Kissen etc. denkbar oder wenn reine Wellness-Behandlungen mit angeboten wurden. Die breite Masse der Patientenkontakte wurde unter umsatzsteuerfreier Heilbehandlung verbucht. Die übrigen Umsätze waren in der Regel so gering, dass sie durch die umsatzsteuerliche Kleinunternehmerregelung befreit waren. Diese greift bei umsatzsteuerpflichtigen Einnahmen des Vorjahres von bis zu 17.500 Euro.
Im Jahr 2011 hat die Finanzverwaltung dann den Grundsatz formuliert, dass alle steuerfreien physiotherapeutischen Leistungen ab 1. Januar 2012 eine Verordnung durch einen Arzt, Zahnarzt oder Heilpraktiker erfordern. Liegt keine Verordnung vor, soll die Leistung umsatzsteuerpflichtig sein. Das gilt insbesondere auch dann, wenn es sich um eine Folgebehandlung handelt, die an eine vorherige verordnete Behandlung anknüpft. Das Merkmal „Heilbehandlung“ wurde an die ärztliche Verordnung geknüpft. Lesen Sie hierzu auch die weiterführenden Hinweise am Ende des Beitrags.
Bislang gilt (noch), dass auf die typischen physiotherapeutischen Leistungen - wenn schon - dann aber zumindest der ermäßigte Umsatzsteuersatz angewendet werden darf. Diesen Gürtel schnürt das Bundesfinanzministerium nun enger: Für Leistungen, die ab 1. Juli 2015 erbracht werden, gilt der ermäßigte Umsatzsteuersatz von 7 Prozent nur noch für Heilmittel, die auch verordnungsfähig sind.
Betroffen vom erhöhten Umsatzsteuersatz von 19 Prozent sind insbesondere die in Anlage zu § 5 der Heilmittelrichtlinie aufgeführten Therapiemaßnahmen wie Hippotherapie, nicht-invasive Magnetfeldtherapie, Fußreflexzonenmassage, Akupunktmassage etc. Hier ändert sich die Betrachtung, weil diese Heilmittel zwar Heilmittel, aber eben nicht verordnungsfähig sind. Ganzkörpermassagen fallen übrigens ausdrücklich unter die Annehmlichkeiten des Lebens und sind ebenfalls voll umsatzsteuerpflichtig.
Für Sie als Physiotherapeuten ist diese Entwicklung äußerst unbefriedigend. Denn Sie können nicht einfach die Preise für die nicht verordnungsfähigen Heilmittel um satte 19 Prozent erhöhen, ohne Widerstand von Ihren Patienten zu spüren und am Markt schlechter dazustehen als die Konkurrenz.
Der Weg zur Umsatzsteuerbefreiung
Im Hinblick auf die unerfreuliche Entwicklung im Bereich der Umsatzsteuer lohnt es sich, alles Erforderliche für eine Umsatzsteuerbefreiung zu tun. Ausgangspunkt des Ganzen ist die Frage, ob Sie eine ärztliche Verordnung benötigen, um eine bestimmte Heilbehandlung durchzuführen oder nicht - und zwar eine Heilbehandlung im rein steuerlichen Sinne. Die Gelegenheit ist günstig, um sich diesbezüglich ein anhängiges Musterverfahren zunutze zu machen.
Musterverfahren nutzen
Das Schleswig-Holsteinische Finanzgericht urteilte am 5. Februar 2014 über die Umsatzsteuerpflicht von Leistungen medizinischer Fußpfleger (Az. 4 K 75/12). Diese kategorisierten ihre Patienten entsprechend der vorhandenen Erkrankungen beispielsweise in Bluter, Diabetes-Patienten, Rheumapatienten etc. Die ärztlich verordnete Fußpflege war unstrittig umsatzsteuerfrei. Die ohne ärztliche Verordnung erbrachte Fußpflege war nach Ansicht der Richter ebenfalls weitgehend als steuerfreie Heilbehandlung anzusehen.
Die von den Patienten vorgelegten Unterlagen genügten, um den therapeutischen Zweck der Behandlungen auch ohne ärztliche Verordnung hinreichend zu beweisen. Das Finanzamt hat gegen die Entscheidung Revision eingelegt, sodass das Verfahren jetzt beim Bundesfinanzhof (BFH) anhängig ist (Az. XI R 13/14).
Empfehlungen für den Praxisalltag
Für die Praxis ergeben sich aus der aktuellen Rechtsunsicherheit folgende Empfehlungen:
- Lassen Sie sich für alle Behandlungen - falls möglich - eine Verordnung eines Arztes, Zahnarztes oder Heilpraktikers vorlegen. Viele Ärzte stellen trotz der rechtlichen Unsicherheit auch ihren Kassenpatienten auf Anfrage ein Privatrezept aus.
- Schließen Sie für die Behandlungen ohne Verordnung einen Behandlungsvertrag und lassen Sie sich soweit möglich Vorerkrankungen durch Atteste, Arztbriefe etc. belegen. So stellen Sie für die Behandlung einen Krankheitsbezug her und können später dem Finanzamt beispielsweise das Argument der Sekundärprävention entgegenhalten.
- Sofern es sich in Ihrer Praxis aufgrund entsprechender Fallhäufungen anbietet, führen Sie ähnlich dem oben beschriebenen Fall der medizinischen Fußpfleger Patientenkategorien nach Krankheitsbildern ein. Das erleichtert später die Prüfung, ob die Umsatzsteuerpflicht vorliegt oder nicht.
- Für Folgebehandlungen ohne eine neue Verordnung kann es hilfreich sein, sich vom Patienten schriftlich bestätigen zu lassen, dass seine Beschwerden noch vorhanden sind.
- Wenn Sie das Risiko einer Umsatzsteuernachzahlung fürchten, prüfen Sie jährlich unter Berücksichtigung aller vermeintlich steuerpflichtigen Umsätze die Kleinunternehmergrenze. Sie müssen nur Umsatzsteuer abführen, wenn die entsprechenden Vorjahresumsätze 17.500 Euro überstiegen haben. Erklären Sie die Umsatzsteuer dann auch auf Anschlussbehandlungen ohne Verordnung und auf Maßnahmen der Sekundär-/Tertiärprävention ohne Verordnung. Weitere umsatzsteuerpflichtige Leistungen (Warenverkäufe, Primärprävention, Wellness) fließen ebenfalls in die Umsatzsteuererklärung ein. Beachten Sie bei der Umsatzsteuererklärung die oben genannte Steuersatzerhöhung für nicht verordnungsfähige Heilmittel.
- Bewegen Sie sich mit den betroffenen Umsätzen bereits nahe der Kleinunternehmergrenze, kalkulieren Sie bei allen Behandlungen ohne Verordnung - wenn möglich - die Umsatzsteuer in den Preis Ihrer Behandlung mit ein. Das gilt vorrangig für Behandlungen, zu denen Ihnen noch gar keine Verordnung vorliegt. Bei Anschlussbehandlungen nach einer ersten Verordnung sprechen Liquiditätsaspekte dafür, die Umsatzsteuer ebenfalls mit zu erheben, wenn der Patient kein Rezept beschaffen kann oder will. Das Finanzamt wird bis zu einer gegenteiligen Gerichtsentscheidung gegebenenfalls die Umsatzsteuer von Ihnen haben wollen. Sollte sich die Verwaltungsansicht wider Erwarten durchsetzen, blieben Sie auf der Umsatzsteuer sitzen, weil Sie sie von ihren Patienten nicht nacherheben können.
- Haben Sie eine entsprechende Umsatzsteuererklärung abgegeben, beantragen Sie kurze Zeit später eine „Änderung nach § 164 AO“. Fordern Sie das Finanzamt unter Bezugnahme auf das oben genannte Revisionsverfahren beim BFH (Az. XI R 13/14) auf, die strittigen Leistungen von der Umsatzsteuer zu befreien. Hintergrund ist, dass alle Umsatzsteuererklärungen von Gesetzes wegen unter dem sogenannten Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abgabenordnung [AO]) stehen. Sie können vollumfänglich auf Antrag geändert werden. Der Nachprüfungsvorbehalt entfällt jedoch automatisch, wenn für die Umsatzsteuer nach vier Jahren die gesetzliche Festsetzungsverjährung eintritt. Mit dem Änderungsantrag verhindern Sie das und können auch bei einer langen Prozessdauer noch vom Musterverfahren profitieren.
- Der Veranlagungssachbearbeiter im Finanzamt wird den Änderungsantrag umgehend ablehnen. Hiergegen legen Sie Einspruch ein und verweisen nochmals auf das Musterverfahren. Ihr Einspruch wird dann an die Rechtsbehelfsstelle des Finanzamtes weitergeleitet und pausiert dort bis zur Entscheidung im Musterprozess (gesetzliche Verfahrensruhe). Geht der Prozess positiv aus, freuen Sie sich über eine mit 6 Prozent p.a. verzinste Steuererstattung. Scheitert er, müssen Sie zumindest keine Steuernachzahlung fürchten.
FAZIT | Mit der Neuregelung des Steuersatzes auf Heilbäder und Massagen hat das Bundesfinanzministerium bewiesen, dass es den Begriff der Heilbehandlung nach Bedarf neu definiert. In der zukünftigen Fassung des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses heißt es, dass nur Heilbäder ermäßigt besteuert werden dürfen, die der Behandlung einer Krankheit oder einer Gesundheitsstörung dienen. Davon sei auszugehen, wenn das Heilbad im Einzelfall nach der Heilmittelrichtlinie und dem zugehörigen Heilmittelkatalog „verordnungsfähig ist, unabhängig davon, ob eine Verordnung tatsächlich vorliegt“. Für den Fiskus ist es also - wenn es um den anzuwendenden Steuersatz auf Heilbäder geht - egal, ob eine Verordnung vorliegt oder nicht. Bei den Physiotherapeuten soll die Verordnung hingegen für die Steuerbefreiung erforderlich sein, obwohl in beiden Fällen die entscheidende Frage lautet, ob die Behandlung eine Heilbehandlung ist.
Auch der BFH und der Europäische Gerichtshof haben vielfach entschieden, dass es bei der Umsatzsteuerbefreiung auf die Art der Leistung und die Qualifikation des Behandlers ankommt. In keinem der Urteile ist die ärztliche Verordnung eine zwingende Voraussetzung für die Umsatzsteuerbefreiung. Richtig ist, dass es die ärztliche Verordnung erleichtert, eine Heilbehandlung als solche zu erkennen, insbesondere wenn Leistungen wie Massagen im Grenzbereich zwischen Heilbehandlung und Wellness liegen. Der Umkehrschluss, ohne Verordnung läge keine Heilbehandlung vor, ist jedoch weder vom Gesetz noch von der Rechtsprechung gedeckt. Die Abgrenzungsfrage lautet bei physiotherapeutischen Behandlungen alleine, wann die Behandlung einen individuellen Bezug zu einer Krankheit oder Gesundheitsstörung hat und deshalb eine Heilbehandlung ist.
Merke | Beim Umsatzsteuerrecht handelt es sich um ein auf EU-Ebene vorgegebenes Recht. Verstößt das deutsche Umsatzsteuergesetz gegen EU-Recht, können Sie sich jederzeit auf das für Sie günstigere EU-Recht berufen. Die Umsatzsteuerbefreiung von Heilbehandlungen in § 4 Nr. 14 Umsatzsteuergesetz (UStG) wurde im Jahr 2009 überarbeitet und an das EU-Recht angepasst. Umsatzsteuerfrei sind dem Gesetz nach „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut … durchgeführt werden.“
Am Ende bleibt die Erkenntnis, dass der Fiskus die Physiotherapeuten zwingt, sich zunehmend mit dem Thema Umsatzsteuer zu befassen und sich durch Abwehrmaßnahmen vor finanziellen Schäden zu bewahren. Der sichere Weg führt über eine vorsorgliche Beachtung der aktuellen Verwaltungsmeinung und damit einhergehend die eventuelle Weiterbelastung der Umsatzsteuer an die Patienten. Wer sich das nicht gefallen lassen möchte, sollte unbedingt gegen die Umsatzsteuerfestsetzung vorgehen. Das beim BFH anhängige Revisionsverfahren bietet Ihnen die Möglichkeit, Ihren Steuerfall bis zur gerichtlichen Klärung offenzuhalten. Die Erfolgsaussichten stehen mit Blick auf das vorrangige EU-Recht gut. |
Weiterführende Hinweise
- Ab 1. Januar 2012: Umsatzsteuer auf Anschlussbehandlungen von Physiotherapeuten (PP 11/2011, Seite 11)
- So vermeiden Sie die neue Umsatzsteuerpflicht (PP 11/2011, Seite 14)
- Anschlussbehandlungen: keine, 7 oder 19 Prozent Umsatzsteuer? (PP 02/2012, Seite 9)
- BMF konkretisiert: Anschlussbehandlungen sind ohne Rezept umsatzsteuerpflichtig (PP 09/2012, Seite 18)
- Umsatz- und Gewerbesteuerpflicht für therapeutische Leistungen (PP 04/2012, Seite 17)