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Kein Recht, ins Tagebuch zu schauen
| Viele ältere Mandanten führen ein Tagebuch. Die Aufzeichnungen darin enthalten intimste Gedanken und Erlebnisse der Person. Diese sind deshalb in einem Gerichtsverfahren auch besonders schutzwürdig, so das OLG Dresden (6.8.20, 4 U 2751/19, Abruf-Nr. 218333 ). Werden die Aufzeichnungen gutachterlich ausgewertet, müssen sie der anderen Partei regelmäßig nicht zugänglich gemacht werden. |
Vorliegend stritten die Parteien um die Zahlung von Krankentagegeld. Im Rahmen eines medizinischen Sachverständigengutachtens wurden auch Tagebuchaufzeichnungen der Klägerin einbezogen. Die Beklagte verlangte, das Tagebuch gem. § 142 Abs. 1 ZPO vorzulegen. Hierzu war das LG jedoch nicht verpflichtet, so das OLG Dresden. Die Urkundenvorlage dient dazu, die richterliche Aufklärungsmacht zu stärken und liegt im Ermessen des Tatrichters. Das Gericht hat sowohl den zu erwartenden Erkenntniswert als auch berechtigte Belange des Geheimnis- und Persönlichkeitsschutzes zu würdigen.
Ein solcher Erkenntniswert war hier nicht zu erwarten: Weder trug die Beklagte hierzu vor, noch ergab sich aus der Akte ein Anhaltspunkt dafür, dass der Gutachter die Aufzeichnungen unzutreffend gewürdigt oder deren Inhalt verfälscht zugrunde gelegt hätte. Die Beklagte trug auch ansonsten nicht vor, inwieweit das fachliche Know-how des Gutachters mangelhaft sein oder dieser vielleicht parteiisch sein könnte.
Mit ihren Tagebüchern offenbare die Klägerin ihre innersten Vorgänge, wie sie es sonst mündlich auch beim Untersuchungsgespräch tun würde, zumindest tun sollte, so das OLG. Hier aber ist anerkannt, dass dem Gegner regelmäßig aufgrund der allgemeinen Persönlichkeitsrechte des zu Begutachtenden ein Anwesenheitsrecht nicht gestattet wird. Insofern tritt die Parteiöffentlichkeit hinter den Schutz der Menschenwürde des Patienten zurück (OLG München 1.6.15, 24 W 881/15).
PRAXISTIPP | Dass in solchen Fällen kein Anwesenheitsrecht besteht, ist nachvollziehbar. Gespräche über Leben, Krankheitsverlauf und aktuelle Gesundheitsbeschwerden erfordern zwingend eine vertrauliche Atmosphäre. Diese ist kaum vorhanden, wenn dabei die Gegenpartei oder ihre Bevollmächtigten anwesend sind. Ein Patient ist auch nicht verpflichtet, sich durch seinen ehemaligen, nun von ihm wegen eines behaupteten Behandlungsfehlers verklagten Arzt untersuchen zu lassen. Er muss auch nicht gestatten, dass dieser seiner Untersuchung beiwohnt (OLG München, a. a. O). |
Weiterführende Hinweise
- Betroffene dürfen ins Gutachten schauen, SR 20, 151
- Widersprüche zwischen SV-Gutachten und fachärztlichen Stellungnahmen sind aufzuklären, SR 20, 114
- Betroffenem muss vor Anhörung das Sachverständigengutachten überlassen werden, SR 19, 171