· Interview
Positionierung der Praxis (Teil 4): Die „Patient Journey“ ‒ quo vadis, dentales Praxismarketing?

von Dr. Sebastian Schulz, Münster, ieQ-health.de
| In den drei vorhergehenden Teilen dieser Reihe zur Positionierung der Praxis wurden die Praxisräume ( ZP 12/2020, Seite 6 ), die internen Kommunikationsabläufe ( ZP 05/2021, Seite 4 ) sowie der externe Medieneinsatz ( ZP 06/2021, Seite 6 ) und deren jeweilige Wirkung auf die Praxiszielgruppen beleuchtet. Zum Abschluss der Reihe interviewte die Redaktion den Marketingexperten Dr. Sebastian Schulz von der ieQ-health aus Münster zu seinen Einschätzungen in punkto Entwicklung des Praxismarketings. Die Langfassung des Interviews lesen Sie unter iww.de/zp . |
Redaktion: Herr Dr. Schulz, Sie sind seit über 15 Jahren im Krankenhaus- und Praxismarketing zu Hause. Welche Entwicklung hätten Sie vor 5 Jahren für das Jahr 2021 anders vorhergesagt?
Dr. Schulz: (lacht) Ich habe sicher erwartet, dass Social Media heute eine noch größere Rolle im Marketing der (Zahnarzt-)Praxen und Kliniken spielen wird. Bei dieser Einschätzung war und ist man bis heute zum Teil aber sicher auch stark durch die Entwicklungen im Handel beeinflusst, die man selber als Experte, aber auch als Verbraucher jeden Tag erlebt. Der Handel hat hier aber ganz andere Ziele, wie z. B. den raschen Abverkauf von Produkten, und im Marketing rechtlich, personell und auch budgettechnisch ganz andere Möglichkeiten. Wenn ich auf die knapp 900 Zahnarztpraxen blicke, die wir betreuen, gibt es sicher einige Praxen, die extrem fleißig und professionell unterwegs sind, in Summe nutzt aber nur ein Bruchteil Social Media für das eigene Praxismarketing.
Redaktion: Und woran könnte das Ihrer Einschätzung nach liegen?
Dr. Schulz: Das hat ganz unterschiedliche Gründe. Einige Praxen sagen uns, sie hätten nicht die richtigen Zielgruppen, wobei hier ein klarer Trend, gerade bei Facebook, zu älteren Nutzergruppen zu sehen ist. Social Media ist hier in der gesamten Alterspyramide angekommen und es gibt je Altersgruppe einfach andere Medien, die jeweils stärker genutzt werden. Das heißt, dass auch Praxen, die eher ältere Zielgruppen z. B. für Leistungen wie Zahnimplantate erreichen wollen, durchaus auch stärker an diese Medien denken könnten. Aber natürlich sind es derzeit vor allem Praxen mit den Zielgruppen Kinder, Teenager oder 30- bis 40-jährige Erwachsene bzw. bestimmten z. B. ästhetischen Leistungen, die verstärkt beispielweise ein Instagram-Profil nutzen. Parallel spielt auch der Standort eine Rolle sowie die persönliche Einstellung des Praxisinhabers/der Praxisinhaberin, inwieweit Social Media zur eigenen Positionierung und Praxisphilosophie passt.
Der Hauptgrund für mich, warum Social Media nicht von allen Praxen genutzt wird: Die meisten Praxen unterschätzen meiner Ansicht nach, wie viel Arbeit und Zeit eine redaktionell organisierte, regelmäßige Pflege von Social-Media-Profilen kostet. Daher bauen viele Praxen erstmal ein Profil auf, was keine große Arbeit ist, dann stagniert aber die eigentliche Kernaufgabe ‒ die Profilpflege ‒ nach kurzer Zeit. Oft kommen die Praxen mit Eindrücken aus dem gerade genannten Handel, wo alles sehr „locker flockig“ daherkommt, können aber schwer beurteilen, dass hier ganze Fotografen- und Videoteams im Hintergrund arbeiten, Redakteure nahezu täglich kreative Posts vorbereiten usw. Diese Ressourcen haben die klassischen Zahnarztpraxen nicht. Gut klappt die Pflege in der Regel dort, wo der Praxisinhaber selbst mit Herzblut dabei ist, das Team aktiv miteingebunden wird und täglich „Stories“ produziert sowie, wenn einer den Hut aufhat und immer wieder an den eigenen Redaktionskalender für dieses Medium erinnert, den ich jeder Praxis empfehlen würde.
Redaktion: Und die Social-Media-Pflege einkaufen?
Dr. Schulz: … ist natürlich möglich. Da aber diese Medien gerade von der „Persönlichkeit der Praxis“ leben, also den Storys, die im Praxisalltag entstehen, ist auch ein externer Anbieter immer auf gute Inhalte und damit verbunden auch auf Bilder aus der jeweiligen Praxis angewiesen, die er weiterverarbeiten kann. Externe Anbieter können nur begrenzt Ideen von außen liefern. Häufig sind es aus meiner Erfahrung Hybridformate, bei denen also eine Agentur ein Grundrauschen erzeugt, Grundideen entwickelt und immer wieder an die Posts erinnert ‒ das Praxisteam dann zuliefert und mitpostet, teilweise auch spontan ‒ die in der klassischen Zahnarztpraxis gut funktionieren. Es ist am Ende also meist eine Organisations- und Ressourcenfrage. Wie immer gibt es aber einige „Leuchttürme“, die Social Media extrem gut im Griff haben, jede Woche tolle Ideen kreieren und teilweise mehrmals die Woche posten. Hierfür sind dann teilweise aber auch halbe oder ganze Personalstellen plus Agentur eingeplant ‒ und auch notwendig.
Redaktion: Was wäre Ihr Tipp für Zahnarztpraxen, die sich unsicher sind, ob und wofür sie Social Media einsetzen sollten?
Dr. Schulz: Ich würde erst mal der Frage nach dem wofür nachgehen: Welche Zielgruppen sollen angesprochen werden, geht es um Patienten oder neue Mitarbeiter oder um beides? Für potenzielle Mitarbeiter ‒ und diese Zielgruppe hatten wir noch gar nicht ‒ rückt Social Media sicherlich überall in den Fokus. Gar nicht unbedingt immer die eigene Fanpage der Praxis, wobei die den Praxisalltag zeigenden Inhalte sicher Relevanz für neue Kolleginnen und Kollegen haben, sondern vor allem auch Jobanzeigen, die eine Praxis in Social Media sehr gut schalten kann.
Zur Frage nach dem Ob: Die erste Frage muss ein, ob ich das als Inhaber überhaupt will? Passt das zu mir? Bin ich selbst in diesen Medien unterwegs und warum vielleicht auch nicht? Mein Tipp: Erst mal privat anmelden sowie einigen Praxen und Personen folgen. Dann bekommt man gleichzeitig auch einen Eindruck von Best Practices und wie viel Arbeit das am Ende dann doch ist. Zugleich benötige ich für die meisten Funktionen zumindest ein privates Profil in diesen Medien.
Beantworte ich diese Frage mit Ja und ist klar, dass die jeweiligen Zielgruppen, die ich erreichen will, in einem bestimmten sozialen Medium zu finden sind, muss eine weitere Frage beantwortet werden: Erreiche ich diese Zielgruppen nun über Social-Media-Gruppen (dann kann dies auch jemand aus dem Team mit passendem Profil machen, für Jobanzeigen z. B. spannend), über Anzeigen und/oder über mein eigenes Praxisprofil in diesen Medien? Vielleicht mache ich auch alles drei parallel. Möchte ich eine eigene Fanbasis aufbauen, also wie bei privaten Profilen dauerhafte Kontakte „einsammeln“, die jeden meiner Posts mitbekommen und Kommunikationshebel zu den eigenen Kontakten in Gang setzen können, bleibt mir nur der Aufbau eines Praxisprofils in Social Media. Hier wird es für die Bestandspatientenbindung natürlich auch spannend ‒ man sollte also nicht nur in der Kategorie „Neupatientengewinnung“ denken. Weiterer Aspekt: Auch für die eigene Suchmaschinenplatzierung sind Links aus den sozialen Medien spannend.
Dann würde ich mir überlegen, wer das für mich umsetzt, also die berühmte Frage „Make or Buy“: Mache ich das als Praxisinhaberin selbst, dann aber zusammen mit jemandem aus dem Team, der mich entlastet und dem ich das zutraue, geht es komplett raus an eine Agentur (dann werde ich trotzdem etwas mitarbeiten müssen) oder wird es ein Hybridformat ‒ was es bei externer Vergabe sowieso wird.
Steht auch diese Entscheidung, geht es um eine Zeit- und Ressourcenplanung im Falle des Profils (Redaktionskalender: Was wird wann, wie von wem gepostet?, um eine Bildersammlung, um die regelmäßige Integration in das Teammeeting etc.) und im Falle von Anzeigen um eine Budget- und Inhaltsplanung.
Redaktion: Wie beurteilen Sie vor diesem Hintergrund bezahlte Werbung bei Google wie GoogleAds?
Dr. Schulz: Überall, wo ich mit einer guten Homepage in der organischen Suche bei Google nicht mehr weiterkomme, ist dies sicherlich nach wie vor ein spannender Kanal. Regelmäßig ist dies der Fall in Ballungsräumen mit vielen Anbietern. Hier ist der Pioniervorteil auch geringer, weil durch mehr Wettbewerb viele Themen schon stark bearbeitet werden und die Preisrahmen entsprechend ausfallen. Lohnen kann sich das Ganze dennoch, weil auch die Alternative Printmedium bei weniger Aussteuerungs- und auch weniger Kontrollmöglichkeiten teuer ist, ich also bei Google meiner Ansicht nach immer noch mehr für mein Budget bekomme bei weniger Streuverlusten. Zudem kommt es auf das Thema an: Für Spezialthemen mit weniger Suchvolumen kann ich auch in Ballungsräumen noch preiswerte, gute Anzeigenräume buchen.
Ländlich gelegene Praxen, die weniger Wettbewerb spüren, haben meist nicht die Dringlichkeit, könnten aber noch Pioniervorteile nutzen, weil sie für humane Budgets auch für Suchbegriffe mit größerem Volumen wie z. B. „Zahnarztpraxis“ über den eigenen Ort hinaus Patienten gezielt erreichen könnten. Und insbesondere auf dem Land wird für eine gute Dienstleistung weiter gefahren, als in der Stadt.
Redaktion: Welche Punkte sollten Praxisinhaber Ihrer Ansicht nach für die kommenden Jahre beim Praxismarketing unbedingt auf die Agenda setzen?
Dr. Schulz: Ich sehe nach wie vor den Marketing-Pflichtbereich für jede Praxis, gleich welcher Größe und gleich welchen Standorts, in den drei Säulen Patientenweiterempfehlungen, Praxiswebsite und Bewertungsportale (v.a. Jameda und Google) ‒ mit je nach Praxis, Praxisschwerpunkten und Zielgruppen dem Pflicht-Bereich schon zugehörigen Sozialen Medien. Diese Themen werden uns auch die kommenden Jahre noch beschäftigen.
Und das Fundament dafür sind ‒ ganz simpel ‒ zufriedene Patienten. Daher ist diese im Marketing „Customer Journey“ genannte Reise des Patienten „zu einer Praxis“ und dann „durch die Praxis“ für mich der Fokus im Marketing, wir könnten also von einer „Patient Journey“ sprechen. Leider wird das durch ein zu starkes Denken in Neupatienten-Kategorien häufig (wieder) vergessen, dabei ist uns allen die Wichtigkeit des Bestandspatienten eigentlich klar. Denn am Ende ist doch der Bestandspatient mit seiner Empfehlung die andere Seite der Medaille in der Neupatientengewinnung ‒ gerade auch oder vielleicht sogar vor allem in Zeiten, wo immer neue Medien beinahe täglich auf den Markt kommen. Und in den Sozialen Medien und Bewertungsportalen geht es in erster Linie um eines: Weiterempfehlungen als Folge einer zur individuellen Zufriedenheit führenden Dienstleistung.
Redaktion: Und was wären spannende Themen oder Aufgaben für die Praxen in der internen Kommunikation?
Dr. Schulz: Da gibt es natürlich die klassischen Fortbildungen, die wir sicher alle kennen, die wir alle schonmal besucht haben und die auch nicht oft genug wiederholt werden können, z. B. Kommunikations-, Telefon- und Rhetorik-Trainings, Schulungen zu den gängigen PC-Arbeitsprogrammen und natürlich die fachlichen (Aufstiegs-)Fortbildungen. Dies sind auch schöne Gelegenheiten, das Team auf einen Stand zu bringen, neue Teammitglieder abseits des Praxisalltags zu integrieren und zugleich Fundament für ein professionelles internes Praxismarketing, wo fachliche und rhetorische Dinge sitzen müssen. Außerdem ist Fortbildung und gemeinsame Aktivität für mich auch immer ein Zeichen von Team-Wertschätzung.
Redaktion: … was in Zeiten von Corona verstärkt virtuell stattfindet und fand…
Dr. Schulz: … das ist korrekt und macht als Präsenzveranstaltung mit nachfolgender Abendgestaltung unter „normalen Bedingungen“ natürlich auch viel mehr Spaß als virtuell. Aber auch virtuell in Zeiten von Corona gibt es tolle Kombinationsmöglichkeiten z. B. mit Gin- oder Wein-Tasting, die für eine gute Teamstimmung sorgen können. Da spreche ich auch aus eigener Erfahrung mit unserem Team.
Redaktion: An welche internen Kommunikationsthemen denken Sie noch?
Dr. Schulz: Daneben denke ich an bestimmte bauliche Maßnahmen bzw. Nutzung der Räume, die ich als Praxisinhaberin zur Verfügung habe: Schaffe ich z. B. professionelle Rahmenbedingungen für eine vertrauliche Patientenberatung ‒ bei Neugründern- und gründerinnen heute schon bei der Praxisplanung ein wichtiges Thema.
Dann: Habe ich die Medien und Inhalte, die ich dafür on top brauche? Denn am Ende geht es im Rahmen der „Patient Journey“ beim Bestandspatienten früher oder später um eine bestimmte Therapie mit allem was dazu gehört: Beratung, Alternativen, Kosten, Ängsten usw. ‒ dem Bestandspatienten geht es nicht mehr um eine Auswahlentscheidung, sondern um eine Bestätigung, dass er oder sie in der richtigen Praxis für die individuellen Bedürfnisse ist. Da wundert es mich, dass ich häufig noch erlebe, dass keine vertraulich-intime Atmosphäre für sensible Gesundheits- und Kostenthemen geschaffen wird, die wir in jedem Autohaus sowie in jeder Bank und jeder Versicherung wie selbstverständlich erwarten.
Dann folgt als Thema der gerade schon angedeutete Medieneinsatz: Habe ich entsprechende Bildschirme für die digitale Beratung vor Ort, ggf. Anschauungsmodelle, ggf. Printmedien zur Mitgabe nach Hause und parallel für den Bestandspatienten relevante, weiterführende und das Beratungsgespräch stützende Inhalte in der Praxishomepage? Letztere ist spannend, weil der Patient zuhause, wo vieles aus der Beratung in der Praxis wieder vergessen wurde und zudem ggf. ein Partner auch in die Entscheidung einbezogen wird ‒ neben den ggf. mitgegebenen Printmedien ‒ nur noch die Praxiswebsite als Informationsquelle der Praxis (sonst sucht er/sie online extern!) zur Verfügung hat. Das Team muss nur den Hinweis dazu charmant transportieren (darum ist die o. g. trainierte Rhetorik so wichtig). Mittlerweile können auch 3D-Animationen, Erklärfilme usw. zusätzlich eingesetzt werden und schwer Verständliches verständlich machen. Diese Medien sollten in der Praxis und zuhause erreichbar sein.
Schlussendlich gehört es dann für Praxisinhaberinnen auch zu den Aufgaben, die schon angesprochenen Momente der Wahrheit, also die Kontaktpunkte der Patienten mit der Praxis, ob externe oder interne Kontaktpunkte, immer wieder zu prüfen und zu optimieren, damit die „Patient Journey“ regelmäßig gelingt.
Zusammengefasst heißt interne Kommunikation also: Wissen und Rhetorik bei jedem im Team als Grundlage aufbauen und regelmäßig wiederholen, bauliche und mediale Voraussetzungen für einen vertraulich-professionellen Patientenkontakt schaffen, relevante Beratungs-Medieninhalte gerade auch für den Einsatz zuhause aufbauen und alle Kontaktpunkte, die sich daraus mit dem Patienten ergeben, regelmäßig prüfen und verbessern.
Redaktion: Wie haben Sie, kurz zusammengefasst, die Kommunikation rund um Corona in den Praxen erlebt und wie blicken Sie auf das restliche Jahr?
Dr. Schulz: „Krisenkommunikation“ war sicherlich in 2020 das bestimmende Thema und wir haben uns für unsere Kunden regelmäßig News und Posts für die Homepage, v. a. die Startseite überlegt, die den Patienten die Angst nehmen sollten und sollen. Z. B. wurden die hohen Hygiene-Standards, die ohnehin jede Praxis jeden Tag setzt, herausgestellt und natürlich wurde auf verstärkte Schutzmaßnahmen etc. online, vor Ort, in Social Media und teilweise sogar in Printanzeigen hingewiesen. Flankiert wurden diese Inhalte teilweise auch mit Werbemitteln wie Masken mit Praxislogo, Handdesinfektion mit Praxislogo usw. Das hat ganz gut geklappt und wir haben tolles Feedback seitens der Praxen bekommen, die wiederum ihrerseits entsprechende Rückmeldungen der Patienten bekommen haben.
Nach dem für uns alle sicher schockhaften ersten Lockdown 2020 hat sich aber die Lage zunehmend auch in der Kommunikation entspannt und in den nachfolgenden Lockdowns wurde, auch kommunikativ, zunehmend routiniert gehandelt und auch wieder verstärkt in Marketingmaßnahmen investiert. In vielen Fällen war genau dieser professionelle und professionell kommunizierte Umgang mit der pandemischen Extremsituation sogar für Patienten ein Grund, sich für eine bestimmte Praxis zu entscheiden. Schon Helmut Schmidt hat gesagt: „Charakter zeigt sich in der Krise“. Ich glaube, da ist viel dran und gut geführte Praxen haben diese „Charakter-Probe“ sogar sehr intelligent für die eigene Positionierung genutzt ‒ und dadurch Neupatienten gewonnen. Um es mit Paul Watzlawick zu sagen: „Man kann nicht nicht kommunizieren…“