15.07.2021 · IWW-Abrufnummer 223515
Landesarbeitsgericht Düsseldorf: Urteil vom 04.02.2021 – 13 Sa 637/20
Eine Altersbefristungsklausel in einem Formularvertrag ist nicht allein deshalb überraschend im Sinn des § 305c Abs. 1 BGB, weil sie sich in einer Regelung befindet, die mit "Kündigung" überschrieben ist.
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 27.08.2020 - 1 Ca 1463/20 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob ihr Arbeitsverhältnis aufgrund einer Befristung beendet ist.
Der am 25.12.1954 geborene Kläger war bei der Beklagten seit Februar 2012 zuletzt als Head of Regulatory Affairs F.&Q gegen ein Monatsbruttogehalt von 9.270,00 € beschäftigt. Er ist promovierter Biologe. Seine Tätigkeit bei der Beklagten betraf die Normen, welchen die Produkte und Rohstoffe unterfallen, mit denen die Beklagte handelt. Er war Ansprechpartner für die Veterinärbehörden und gegenüber der Bundesopiumstelle; zudem war er Datenschutz- und Qualitätsbeauftragter. Grundlage des Arbeitsverhältnisses bildete der Arbeitsvertrag vom 19.12.2011 (Bl. 17 ff. d. A.), in welchem es wie folgt heißt:
Im August 2020 erreichte der Kläger die gesetzliche Regelaltersgrenze von 65 Jahren und 8 Monaten.
Mit seiner am 15.06.2020 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger die Feststellung begehrt, dass sein Arbeitsverhältnis nicht durch eine Altersbefristung endet. Er hat sich darauf berufen, eine Befristung sei nicht wirksam vereinbart. Die entsprechende Vertragsklausel sei überraschend: Unter der Überschrift "Kündigung" müsse keine Regelung zu einer Vertragsbefristung und damit zu einem automatischen Ende des Vertrages erwartet werden. Bei einer Kündigung handele es sich um ein einseitiges Rechtsgeschäft. Es hätte eines besonderen Hinweises in der Überschrift bedurft. Dies gelte umso mehr aufgrund seines Alters bei Vertragsschluss. Er hat weiter gemeint, die Regelung sei unklar und verstoße gegen das Transparenzgebot. Es handele sich um eine Kombination einer Zeitbefristung und einer auflösenden Bedingung, ohne dass deren Verhältnis festgelegt werde. Die Regelung könne auch so verstanden werden, dass ihm ein Recht eingeräumt werde, mit dem Hinausschieben des Rentenbezugs eine Verlängerung des Vertrages zu bewirken.
Der Kläger hat - soweit für die Berufungsinstanz von Bedeutung - beantragt:
Die Beklagte hat beantragt,
Sie hat die Ansicht vertreten, die Befristung sei wirksam vereinbart. Weder nach dem Erscheinungsbild der Vertragsregelung noch aufgrund sonstiger Umstände sei die vereinbarte Altersbefristung so ungewöhnlich, dass der Kläger mit ihr nicht habe rechnen müssen. Die Überschrift "Kündigung" mache die Befristungsklausel nicht zu einer überraschenden im Sinne des § 305c Abs. 1 BGB, da hier erkennbar Regelungen zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses getroffen würden. Die Befristungsregelung befinde sich nicht an einer unerwarteten Stelle des Vertrages. Auch seien Befristungsabreden, die auf das Erreichen der Regelaltersgrenze für den Bezug von Altersrente abstellen, im Arbeitsleben so verbreitet, dass sie in Formulararbeitsverträgen nicht überraschend seien. Die Klausel sei auch nicht unklar.
Mit Urteil vom 27.08.2020, auf dessen Gründe im Einzelnen verwiesen wird, hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen.
Gegen das ihm am 02.09.2020 zugestellte Urteil hat der Kläger am 21.09.2020 Berufung eingelegt und diese - nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 02.12.2020 - mit einem am 27.11.2020 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.
Er wiederholt und vertieft seinen erstinstanzlichen Vortrag. Das Arbeitsgericht habe missachtet, dass bereits der Gesetzgeber in § 620 BGB eine eindeutige Unterscheidung zwischen Kündigung und Beendigung eines Arbeitsverhältnisses getroffen habe. Wenn schon das Gesetz zwischen Kündigung und Befristung unterscheide, könne von einer Naturalpartei nicht erwartet werden, eine zeitliche Begrenzung des Arbeitsverhältnisses unter der Überschrift "Kündigung" zu finden. Die Kündigung als einseitiger Tatbestand unterscheide sich von dem zweiseitigen Tatbestand "Befristung". Das ändere sich nicht deshalb, weil Altersbefristungsklauseln im Arbeitsrecht weit verbreitet seien. Eine drucktechnische Hervorhebung der Befristung sei auch deshalb erforderlich gewesen, weil der Arbeitsvertrag solche an anderen Stellen wie insbesondere dem Datum des Vertragsbeginns enthalte. Weil das Verhältnis der unterschiedlichen Beendigungsszenarien nicht geregelt sei, fehle es zudem an der erforderlichen Transparenz.
Der Kläger beantragt,
Die Beklagte beantragt,
Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil unter Bezugnahme auf den erstinstanzlichen Vortrag. Entgegen der Darstellung des Klägers unterscheide der Gesetzgeber nicht strikt zwischen Kündigung und Befristung, wie sich aus § 41 SGB VI ergebe.
Im Berufungstermin hat der Kläger erklärt, er habe den Vertrag vor der Unterzeichnung komplett in Ruhe gelesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften beider Instanzen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
A.
Die Berufung des Klägers ist zulässig, insbesondere unter Beachtung der Vorgaben der §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit § 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.
B.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Die Berufungskammer folgt dem Arbeitsgericht und sieht von einer nur wiederholenden Begründung gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG ab. Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen und die Erörterungen in der mündlichen Verhandlung ist lediglich wie folgt ergänzend auszuführen:
1. Nach § 305c Abs. 1 BGB werden Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht Vertragsbestandteil, wenn sie nach den Umständen, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrags, so ungewöhnlich sind, dass der Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen braucht. Eine Bestimmung hat überraschenden Charakter i. S. d. Vorschrift, wenn sie von den Erwartungen des Vertragspartners deutlich abweicht und dieser mit ihr den Umständen nach vernünftigerweise nicht zu rechnen braucht. Überraschenden Klauseln muss ein "Überrumpelungs- und Übertölpelungseffekt" innewohnen. Zwischen den durch die Umstände bei Vertragsschluss begründeten Erwartungen und dem tatsächlichen Vertragsinhalt muss ein deutlicher Widerspruch bestehen. Die berechtigten Erwartungen des Vertragspartners bestimmen sich nach den konkreten Umständen bei Vertragsschluss ebenso wie nach der Gestaltung des Arbeitsvertrags, insbesondere dessen äußerem Erscheinungsbild. So kann der ungewöhnliche äußere Zuschnitt einer Klausel oder ihre Unterbringung an unerwarteter Stelle die Bestimmung zu einer ungewöhnlichen und damit überraschenden Klausel machen. Im Einzelfall kann der Verwender gehalten sein, auf die Klausel besonders hinzuweisen oder die Klausel drucktechnisch hervorzuheben. Befristungsabreden, die auf das Erreichen der Regelaltersgrenze für den Bezug von Altersrente abstellen, sind im Arbeitsleben als Gestaltungsinstrument so verbreitet, dass ihre Aufnahme in Formularverträge nicht ohne weiteres i. S. d. § 305c Abs. 1 BGB überraschend ist. Auch eine fehlende drucktechnische Hervorhebung steht dem nicht entgegen, da zwischen den durch die Umstände bei Vertragsschluss begründeten Erwartungen und dem tatsächlichen Vertragsinhalt kein Widerspruch besteht (vgl. insgesamt BAG 20.08.2014 - 10 AZR 453/13 -; BAG 09.12.2015 - 7 AZR 68/14 -; BAG 20.03.2019 - 7 AZR 98/17 - jeweils mit mwN). Überraschend ist eine Klausel jedoch dann, wenn der Verwender nach dem gesamten Erscheinungsbild des Vertrags diese an einer aus Sicht eines redlichen Vertragspartners unerwarteten Stelle versteckt hat (BAG 31.08.2005 - 5 AZR 545/04 - juris RN 25).
2. Danach ist die Altersbefristungsklausel in § 4 Abs. 6 Satz 1 des Arbeitsvertrages nicht überraschend im Sinne des § 305c Abs. 1 BGB.
a) Auch der Kläger stellt ausdrücklich nicht in Abrede, dass Altersbefristungsklauseln im Arbeitsrecht weit verbreitet und damit nicht bereits als solche überraschend sind. Der vorliegende Sachverhalt unterscheidet sich davon auch nicht dadurch, dass der Kläger bei Vertragsunterzeichnung knapp 57 Jahre alt war und daher bis zum vereinbarten Vertragsende ein Zeitraum von gut achteinhalb Jahren in Rede steht. Zum einen kann der Kläger zur Überzeugung der Berufungskammer insoweit nicht als (bei Vertragsabschluss) rentennah bezeichnet werden. Zum anderen orientieren sich Altersbefristungsklauseln nicht am Interesse der Arbeitnehmer, etwa in den Sinn, sie vor Arbeit in vorgerücktem Alter zu schützen. Diese könnten ein unbefristetes Arbeitsverhältnis ohnehin jederzeit fristgerecht kündigen. Vielmehr berücksichtigen derartige Klauseln vor allem das Interesse der Arbeitgeberseite an einer gemischten Altersstruktur, an einem Ausgleich zwischen dem Routinevorsprung älterer und neuen Ideen sowie einem oft aktuelleren Wissensstand jüngerer Mitarbeiter und daran, altersbedingt nachlassendes Leistungsvermögen nicht mit einer personenbedingten Kündigung beantworten zu müssen.
b) Entgegen der Ansicht des Klägers ist die fragliche Klausel auch nicht aufgrund der konkreten Vertragsgestaltung, also nach ihrem Erscheinungsbild, als überraschend anzusehen.
Allerdings ist dem Kläger zuzugestehen, dass eine Überschrift "Beendigung des Arbeitsverhältnisses" statt "Kündigung" in § 4 des Arbeitsvertrages die dortigen Regelungen besser gekennzeichnet hätte. Zur Überzeugung der Berufungskammer führt die gewählte Überschrift jedoch nicht dazu, dass der Kläger von der Vereinbarung einer Altersbefristung überrumpelt worden ist, auch wenn es hier an einem besonderen Hinweis und einer Hervorhebung fehlt. Der Gesetzgeber differenziert zwar durchaus zwischen Kündigung und Befristung. Es gibt jedoch auch Beispiele, bei denen er in der Überschrift den Begriff Kündigung verwendet und dennoch Regelungen zur Befristung (§ 41 SGB VI) oder zum Auflösungsvertrag (§ 623 BGB) trifft. Kündigung und Befristung sind zudem dadurch gedanklich miteinander verknüpft, dass nach § 15 Abs. 3 TzBfG ein befristetes Arbeitsverhältnis nur dann kündbar ist, wenn dies vereinbart ist. Diesen Zusammenhang greift hier § 4 Abs. 6 aE des Arbeitsvertrages auf. Es handelt sich um derart verwandte Themen, dass eine gemeinsame Darstellung im Arbeitsvertrag nicht ungewöhnlich und daher nicht überraschend ist. Regelungen zu einer Altersbefristung sind daher auch im Hinblick auf ihre Üblichkeit im Arbeitsleben selbst dann nicht "versteckt", wenn sie unter der Überschrift "Kündigung" in den Vertrag aufgenommen werden.
3. Ist danach bereits nicht von einer überraschenden Klausel auszugehen, kommt es nicht darauf an, ob das Überraschungsmoment für den Kläger dadurch beseitigt wurde, dass er vor Vertragsschluss den gesamten Text und damit auch die fragliche Klausel gelesen hat (vgl. BAG 15.02.2007 - 6 AZR 286/06 - zu einem besonderen Hinweis des Arbeitgebers auf die maßgebliche Regelung ).
4. Die Berufungskammer vermag sich auch nicht der Auffassung des Klägers anzuschließen, die Regelung in § 4 Abs. 6 des Arbeitsvertrages und damit auch die fragliche Altersbefristung sei nach dem Maßstab des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB intransparent, weil das Verhältnis der verschiedenen Varianten nicht geklärt sei. Insbesondere ist die Ansicht des Klägers schlicht fehlerhaft, er habe glauben dürfen, durch einen späteren Rentenantrag die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinausschieben zu können. § 4 Abs. 6 des Arbeitsvertrages enthält drei verschiedene Beendigungsgründe. Es versteht sich von selbst, dass nur der zuerst eintretende das Arbeitsverhältnis beenden kann; die beiden anderen gehen dann zwangsläufig ins Leere. Eine Formulierung wie "spätestens" oder "längstens" ist nicht erforderlich, um das transparent zu machen. Das gilt ganz besonders deutlich für die beiden ersten Beendigungsgründe: Das Erreichen der Altersgrenze und der Zeitpunkt des tatsächlichen Rentenbezugs. Wenn der Kläger durch einen verzögerten Rentenantrag das Ende des Arbeitsverhältnisses hätte hinausschieben können, bliebe für den Beendigungsgrund des Erreichens der Altersgrenze kein Anwendungsbereich mehr. Eine solch sinnlose Regelung kann den Parteien aber nicht unterstellt werden und daher nicht das Ergebnis der Auslegung sein. Darauf, ob es vor diesem Hintergrund tatsächlich erforderlich sein soll, kenntlich zu machen, dass eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Fall des Bezugs einer Altersrente vor Erreichen der Regelaltersrente eintreten kann, wie der Kläger meint, kommt es nicht an. Die Beendigung ist hier durch das Erreichen der Altersgrenze eingetreten.
Dass der Kläger sich nach eigenem Bekunden im Arbeitsvertragsrecht nicht auskennt, bleibt ohne rechtliche Folge. Es handelt sich nicht in erster Linie um eine Rechtsfrage, sondern um einen logischen Schluss. Dieser ist Arbeitnehmern in der Position des Klägers durchaus zuzutrauen und zuzumuten.
C.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 64 Abs. 6 ArbGG, 525, 97 Abs. 1 ZPO. Die Kammer hat die Revision nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen.