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· Fachbeitrag · Einkommensteuer

Aktuelle Fragen zur Einkommensteuer bei der Honorierung von Pflegeleistungen

von Prof. Dr. Gerd Brüggemann, Münster

| Die zunehmende Pflegebedürftigkeit und die hohen Kosten eines Pflegeheims führen vermehrt dazu, dass Pflege auf familiärer, freundschaftlicher oder nachbarschaftlicher Ebene geleistet wird. Damit einher geht oft die Frage, ob die Pflegeleistungen unentgeltlich erbracht oder - in welcher Form auch immer - honoriert werden sollen. Liegen keine konkreten Vereinbarungen vor, ergeben sich steuerrechtliche Abgrenzungsfragen. |

1. Ausgangslage

Stellt eine Schenkung oder eine nachgewiesene und anerkannte Erblasserschuld eine angemessene Entlohnung für Dienstleistungen des Erben oder sonstigen Erwerbers dar, erzielt der Erbe im Jahr des Zuflusses grundsätzlich Einkünfte, die der Einkommensteuer unterliegen (§ 19 EStG, § 22 Nr. 3 EStG). Allerdings erfüllen Entgelte für im Rahmen einer familiären Lebensgemeinschaft erbrachten Pflegeleistungen nach Auffassung des BFH nicht den Tatbestand der Einkünfteerzielung i.S. des § 2 EStG (BFH 14.9.99, IX R 88/95, BStBl II 99, 776). Der BFH hat allerdings offen gelassen, ob bei außergewöhnlich hohen Zahlungen die Grenze zur Einkünfteerzielung überschritten sein kann.

 

PRAXISHINWEIS | Ist im Einzelfall eine Einkommensteuerpflicht zu befürchten, könnte es im Hinblick auf die Steuersätze bei der ESt und ErbSt günstiger sein, bei einer Schenkung keine bereicherungsmindernde Gegenleistung bzw. im Erbfall keine Nachlassverbindlichkeit anzustreben, wenn darin ein Entgelt für erbrachte Dienstleistungen gesehen werden könnte, sondern stattdessen die Steuerbefreiung gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG in Anspruch zu nehmen.

 

2. Entscheidung des BFH vom 20.3.13

Da hinsichtlich der Frage der einkommensteuerlichen Wertung eine gewisse Vorsicht geboten ist, zeigt ein aktuelles Urteil des BFH (20.3.13, X R 15/11, BFH/NV 13, 1548), mit dem der BFH eine zuvor ergangene Entscheidung des Niedersächsischen FG (17.2.11, 10 K 258/10, EFG 11, 1605) bestätigt hat. Im Streitfall kam der BFH zu dem Ergebnis, dass ein Steuerpflichtiger Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt, wenn er aufgrund eines gegenseitigen Vertrags für einen anderen auf dessen Lebenszeit - wenn auch begrenzt auf eine Höchstdauer, die dessen mittlere statistische Lebenserwartung deutlich übersteigt - hauswirtschaftliche und pflegerische Leistungen erbringt, ohne dabei weisungsgebunden zu sein, und dafür als Gegenleistung ein Hausgrundstück übertragen erhält. Dem Urteil lassen sich wichtige Hinweise für die einkommensteuerliche Wertung entnehmen.

 

a) Sachverhalt des Verfahrens (BFH 20.3.13)

Die Klägerin K schloss im Januar 2002 mit ihrem 80 Jahre alten Nachbarn N, der nicht mit ihr verwandt war, einen notariell beurkundeten „Übergabevertrag nebst Pflegevereinbarung”. In der Präambel heißt es, K habe N seit Mitte 1997 versorgt und dafür bisher kein Entgelt erhalten. Die Parteien seien sich darüber einig, dass der Wert der von K erbrachten Leistungen mindestens 500 DM monatlich betrage, für die vergangenen 4 ½ Jahre also 27.000 DM. K habe N versprochen, ihn auch weiterhin zu versorgen, sodass er erst in ein Pflegeheim aufgenommen werden müsse, wenn dies nach ärztlicher Beurteilung unerlässlich sei.

 

Mit Rücksicht auf diese Zusage und die bisherige Pflege habe N sich entschlossen, sein mit einer Doppelhaushälfte bebautes Grundstück, dessen Verkehrswert er auf 90.000 DM schätze, K unter Nießbrauchsvorbehalt zu übertragen. Nach § 1 des Vertrags sollte die Übertragung Gegenleistung für die bisher erbrachten und die künftig zu erbringenden - von den Parteien mit durchschnittlich 900 DM monatlich bewerteten - Versorgungs- und Pflegeleistungen sein. N behielt sich ein lebenslanges Nießbrauchsrecht vor, das allerdings ersatzlos enden sollte, wenn er auf Dauer in ein Alten- oder Pflegeheim aufgenommen werden müsse (§ 3 des Vertrags). Mit Beendigung des Nießbrauchs sollten der unmittelbare Besitz sowie die Nutzungen und Lasten des Grundstücks auf K übergehen, wobei der mittelbare Besitz bereits mit Ablauf des 31.12.01 auf die K übergegangen sein sollte (§ 2 des Vertrags).

 

K verpflichtete sich, N in dem Gebäude in kranken und alten Tagen zu pflegen und zu versorgen, längstens allerdings für die anderthalbfache Dauer der im Zeitpunkt des Vertragsschlusses gegebenen mittleren statistischen Lebenserwartung des N, d.h. für höchstens 6 ½ Jahre (§ 4 des Vertrags). Für den Fall, dass K ihre Verpflichtung nicht erfüllen sollte, war sie zur Rückübertragung des Grundbesitzes verpflichtet. K erbrachte in der Folgezeit die vereinbarten hauswirtschaftlichen und pflegerischen Leistungen für N.

 

Nach dem Vorbringen der K in der mündlichen Verhandlung vor dem FG erlitt sie allerdings im Mai 2008 einen Unfall, sodass sie N ab diesem Zeitpunkt nicht mehr versorgen konnte. Zunächst übernahm ihre Tochter T „das Nötigste”, danach wurde ein Pflegedienst beauftragt. Etwa zur gleichen Zeit verschlechterte sich der Zustand des N, sodass die Pflegeversicherung ihn als pflegebedürftig einstufte und die T zu seiner Betreuerin bestellt wurde. T erfuhr in diesem Zusammenhang erstmals von dem Übertragungsvertrag und hat K daraufhin „praktisch entlassen“. Im November 2008 wurde N dauerhaft in ein Pflegeheim aufgenommen; am 27.12.08 händigte T der K die Löschungsbewilligung für das Nießbrauchsrecht aus.

 

b) Wertung des Finanzamts und der K

Das Finanzamt (FA) unterwarf die Einkünfte von jährlich 5.521 EUR den Einkünften aus Gewerbebetrieb. K wandte hiergegen ein, sie sei nicht als Gewerbetreibende anzusehen, weil sie weisungsgebunden gewesen sei, nur einen einzigen Auftraggeber gehabt habe und nicht am Markt aufgetreten sei. Vielmehr sei sie bei N im Rahmen eines geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses angestellt gewesen.

 

c) Wertung des BFH

Der BFH geht wie die Vorinstanz davon aus, dass die Tätigkeit der K als gewerblich anzusehen ist. Das K durch ihre hauswirtschaftliche und pflegerische Tätigkeit für N Einkünfte aus Gewerbebetrieb gemäß § 15 Abs. 1 und 2 EStG erzielt, leitet der BFH aus den Gesamtumständen und den vertraglichen Vereinbarungen ab.

 

Die Selbstständigkeit der Tätigkeit ergibt sich für den BFH daraus, dass der maßgebende Vertrag vom Januar 2002 keinen Hinweis auf eine Weisungsgebundenheit der K enthält. Auch aus dem Vorbringen der K zu ihrer Vertretung im Krankheitsfall, die durch ihre Tochter sowie einen Pflegedienst vorgenommen worden ist, folgert der BFH, dass K einen Erfolg und nicht lediglich ihre Arbeitsleistung schuldete. Die Ungewissheit über den im Laufe der Entwicklung des Gesundheitszustands des N möglicherweise noch erforderlich werdenden zeitlichen Aufwand für dessen Pflege und Versorgung begründet nach seiner Auffassung zudem ein erhebliches Unternehmerrisiko aufseiten der K. K habe sich auch am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr beteiligt. Auch wenn sie nur für einen einzigen Auftraggeber tätig geworden sei, könne nicht ausgeschlossen werden, dass sie zu vergleichbaren Bedingungen auch für andere Auftraggeber hätte tätig werden wollen. Zudem sei das Verhalten der K seit dem Abschluss des Übergabevertrags nebst Pflegevereinbarung erkennbar auf einen Leistungsaustausch gerichtet.

 

d) Steuerfreiheit der Einnahmen gemäß § 3 EStG

Einnahmen für Leistungen zur Grundpflege oder hauswirtschaftlichen Versorgung bis zur Höhe des Pflegegeldes nach § 37 SGB XI bleiben gemäß § 3 Nr. 36 EStG steuerfrei, wenn diese Leistungen von Angehörigen des Pflegebedürftigen oder von anderen Personen, die damit eine sittliche Pflicht i.S. des § 33 Abs. 2 EStG gegenüber dem Pflegebedürftigen erfüllen, erbracht werden. Entsprechendes gilt, wenn der Pflegebedürftige Pflegegeld aus privaten Versicherungsverträgen nach den Vorgaben des SGB XI oder eine Pauschalbeihilfe nach Beihilfevorschriften für häusliche Pflege erhält.

 

§ 3 Nr. 36 EStG begünstigt - ergänzend zu den Steuerbefreiungen gemäß § 3 Nr. 1a und Nr. 26 EStG - die Pflege im Auftrag des Pflegebedürftigen selbst. Soweit daher die Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 36 EStG reicht, erübrigt sich die Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die vom Pflegebedürftigen erbrachte Gegenleistung überhaupt steuerbar ist. Pflegebedürftig i.S. von § 3 Nr. 36 EStG ist, wer wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem oder höherem Maße der Hilfe bedarf.

 

Voraussetzung für die Steuerbefreiung ist zunächst, dass es sich um Leistungen zur Grundpflege oder zur hauswirtschaftlichen Versorgung des Pflegebedürftigen handelt. Damit gemeint sind sämtliche Leistungen im Rahmen der sogenannten häuslichen Pflegehilfe nach § 36 Abs. 1 S. 1 SGB XI. Solche Leistungen können auch dadurch erbracht werden, dass der Pflegebedürftige in seinem eigenen Haushalt gepflegt wird.

 

Steuerbegünstigt kann die Pflegeleistung zudem nur durch einen Angehörigen des Pflegebedürftigen oder durch eine andere Person in Erfüllung einer sittlichen Pflicht erbracht werden. Gegenleistungen des Gepflegten an andere Personen, die zu seiner Pflege sittlich nicht verpflichtet sind, sind nicht steuerbefreit. Angehörige sind gemäß § 15 AO Verlobte, Ehegatten, Verwandte in gerader Linie (also Großeltern, Eltern, Kinder und Enkel), Verschwägerte in gerader Linie (also Ehegatten mit deren Verwandten in gerader Linie), Geschwister, Kinder der Geschwister, Ehegatten der Geschwister und Geschwister der Ehegatten, Geschwister der Eltern, Pflegeeltern und Pflegekinder. Bei diesem Personenkreis kommt es auf das Bestehen einer konkreten sittlichen Verpflichtung zur Erbringung der Pflegeleistung nicht an.

 

Bei anderen Personen als Angehörigen des Pflegebedürftigen ist es hingegen erforderlich, dass der Pflegende mit der Pflegeleistung eine sittliche Pflicht i.S. von § 33 Abs. 2 EStG gegenüber dem zu Pflegenden erfüllt. Dies setzt voraus, dass sich die pflegende Person aus sittlichen Gründen und damit nach dem mutmaßlichen Urteil eines billig und gerecht denkenden Menschen der Pflegeleistung nicht entziehen kann. Eine solche sittliche Verpflichtung zur Pflege ist aber - anders als im Rahmen von § 33b Abs. 6 EStG - nicht bereits dann anzuerkennen, wenn zwar eine enge, aber keine familiäre persönliche Beziehung zu der gepflegten Person besteht.

3. Abschließende Wertung

Entgeltlich zu erbringende Pflegeleistungen bedürfen einer eindeutigen rechtlichen Vereinbarung und führen, soweit die Grundpflege oder die hauswirtschaftliche Versorgung des Pflegebedürftigen um des Entgelts willen erbracht wird, je nach vertraglicher Ausgestaltung des Pflegeverhältnisses zu steuerbaren Einkünften aus Gewerbebetrieb, aus selbstständiger Arbeit oder aus nichtselbstständiger Arbeit oder zu sonstigen Einkünften. Soweit die Voraussetzungen des § 3 Nr. 36 EStG erfüllt sind, bleiben die Einnahmen einkommensteuerfrei.

 

Soweit die Pflegeleistungen nicht gegen Entgelt erbracht werden, sind sie nicht einkommensteuerbar. Dies ist auch der Fall, wenn die Pflege aus persönlichen Gründen - etwa im Rahmen der familiären Lebensgemeinschaft - erbracht wird und mögliche Zuwendungen des Gepflegten an den Pflegenden daher lediglich eine Art Anerkennungsleistung darstellen. Aus schenkung- bzw. erbschaftsteuerlicher Sicht kommt für entsprechende Zuwendungen die Steuerbefreiung gemäß § 13 Nr. 9 ErbStG in Betracht.

 

Liegt keine entgeltlich vereinbarte Pflegeleistung vor, trägt der Pflegende das Risiko, ob eine spätere Honorierung durch Schenkung oder Verfügung von Todes wegen erfolgt.

 

Weiterführender Hinweis

  • Zu weiteren rechtlichen und steuerrechtlichen Fragen rund um die Honorierung von Pflegeleistungen, Brüggemann, SR 14, 157
Quelle: Ausgabe 11 / 2014 | Seite 198 | ID 43049518