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  • · Fachbeitrag · Einkommensteuer

    Pflegekosten: Als außergewöhnliche Belastung oder über § 35a Abs. 2 EStG geltend machen?

    | Wie kann ein behinderter und pflegebedürftiger Steuerzahler ambulante Pflegekosten am besten steuermindernd geltend machen? Als außergewöhnliche Belastung, über die Steueranrechnung für haushaltsnahe Dienstleistungen oder als Kombination beider Abzugstatbestände? SSP liefert die Antwort. |

    Typischer Sachverhalt

    Bei einem Ehepaar ist der Ehemann behindert und pflegebedürftig. Er wird zu Hause von einer Betreuungskraft aus Polen gepflegt. Die Ausgaben für die Pflege betrugen im Jahr 2015 genau 12.772 Euro. Von der Pflegekasse wurden 5.068 Euro Pflegegeld dazu gezahlt. Das Ehepaar beantragte in der Steuererklärung 2015 die Steueranrechnung nach § 35a Abs. 2 EStG für haushaltsnahe Dienstleistungen. Es gab an, dass jeder Ehegatte die Hälfte der Kosten getragen hatte. Zusätzlich hatte das Paar für den Ehemann einen Behindertenpauschbetrag beantragt. Daneben waren noch Krankheitskosten von 3.822 Euro angefallen. Der Gesamtbetrag der Einkünfte liegt bei 52.852 Euro.

     

    Lösung des Finanzamts

    Das Finanzamt hat die Steueranrechnung nur für die 50-prozentigen Kosten der Ehefrau gewährt. Für den Ehemann berücksichtigte es nur den Behindertenpauschbetrag.

     

    Kann das Ehepaar den Fall steuerlich besser lösen?

    Das wirft zwei Fragen auf: Hat das Finanzamt Recht? Wenn ja, wie kann das Ehepaar vorgehen, um alle Abzugstatbestände auszuschöpfen.

     

    Diese Abzugsvarianten kommen in Frage

    SSP untersucht deshalb die in Frage kommenden Abzugsvarianten.

    1. Die Steueranrechnung für Pflegekosten

    Es ist zum einen möglich, für die kompletten Pflegekosten eine Steueranrechnung nach § 35a Abs. 2 EStG zu beantragen (Bayerisches Landesamt für Steuern, Leitfaden Pflege- und Heimkosten, Rz. 1.4.9, Abruf-Nr. 187942). Wird jedoch für eine pflegebedürftige Person der Behinderten-Pauschbetrag nach § 33b Abs. 1 S. 1 i. V. m. Abs. 3 S. 2 oder 3 EStG beantragt, schließt das aus, dass Pflegeaufwendungen nach § 35a EStG bei ihr berücksichtigt werden (BMF, Schreiben vom 09.11.2016, Az. IV C 8 - S 2296b/07/10003 :008, Abruf-Nr. 190166; Tz. 33).

     

    Das Finanzamt war also im Recht, als es im Steuerbescheid nur für die Ehefrau eine Steueranrechnung nach § 35a Abs. 2 EStG gewährt hat. Die ermittelt sich wie folgt:

     

    • Ermittlung der Steueranrechnung

    Ehefrau

    1.277,20 Euro (beantragt 50 % von 12.772 Euro = 6.386 Euro x 20 %)

    Ehemann

    0 Euro, da zugleich ein Behinderten-Pauschbetrag geltend gemacht wurde

     

    2. Kombi aus außergewöhnlicher Belastung und § 35a EStG

    Günstiger dürfte es sein, eine Kombination aus einer außergewöhnlichen Belastung und einer Steueranrechnung für haushaltsnahe Dienstleistungen zu beantragen. Auf den Behinderten-Pauschbetrag muss in diesem Fall jedoch verzichtet werden.

     

    Ermittlung der außergewöhnlichen Belastung

    Verzichten Sie auf den Behinderten-Pauschbetrag, können Sie alle selbst getragenen Krankheitskosten, die Kosten für die ambulante Pflege und - je nach Grad der Behinderung - auch Fahrtkosten als außergewöhnliche Belastung geltend machen. Zahlungen der Pflegekasse müssen Sie von den Pflegekosten jedoch abziehen (BFH, Beschluss vom 14.04.2011, Az. VI R 8/10, Abruf-Nr. 111942). Die außergewöhnliche Belastung ermittelt sich im Beispielsfall wie folgt:

     

    • Ermittlung der außergewöhnlichen Belastung

    Selbst getragene Krankheitskosten

    3.822 Euro

    +

    Pflegekosten für ambulante Pflege

    12.772 Euro

    ./.

    Erhaltenes Pflegegeld

    5.068 Euro

    +

    Fahrtkosten wegen Behinderung 3.000 km x 0,30 Euro/km (beträgt der GdB mind. 80 oder 70 mit dem Merkzeichen „G“, werden 3.000 km pro Jahr ohne Nachweis für behinderungsbedingte Fahrten anerkannt)

    900 Euro

    =

    Außergewöhnliche Belastung

    12.426 Euro

    ./.

    Zumutbare Belastung nach § 33 Abs. 3 EStG (6 % des Gesamtbetrags der Einkünfte von 52.852 Euro)

    3.171 Euro

    =

    Abziehbare außergewöhnliche Belastung nach § 33 Abs. 1 EStG

    9.255 Euro

     

     

    Wichtig | SSP hat die zumutbare Belastung in dem Beispiel noch nach den alten Spielregeln berechnet. Im Einspruchsverfahren sollten Sie aber beantragen, dass das Finanzamt die zumutbare Belastung nach den neuen - meist steuerlich günstigeren - Rechenregeln des BFH ermitteln soll (BFH, Urteil vom 19.01.2017, Az. VI R 75/14, Abruf-Nr. 192930, SSP 5/2017, Seite 8).

     

    Ermittlung der Steueranrechnung nach § 35a Abs. 2 EStG

    Neben der außergewöhnlichen Belastung dürfen Sie für die Kosten, die sich bisher nicht als außergewöhnliche Belastung ausgewirkt haben, eine Steueranrechnung für haushaltsnahe Dienstleistungen beantragen. Insbesondere gilt das für folgende Posten (BayLfSt, Leitfaden Pflege und Heimkosten, Tz. 1.4.6):

     

    • Die zumutbare Belastung nach § 33 Abs. 3 EStG
    • Das Pflegegeld nach § 37 SGB XI (Pflegegeld für selbst beschafften Pflegedienst)
    • Das Pflegetagegeld

     

    Damit berechnet sich die Steueranrechnung für haushaltsnahe Dienstleistung in dem Fall wie folgt:

     

    • Ermittlung der Steueranrechnung

    Zumutbare Belastung nach § 33 Abs. 3 EStG

    3.171 Euro

    +

    Bei der Ermittlung der außergewöhnlichen Belastung abgezogenes Pflegegeld nach § 37 SGB XI

    5.068 Euro

    =

    Gesamte begünstige Aufwendungen für die Pflege

    8.239 Euro

    =

    Steueranrechnung nach § 35a Abs. 2 EStG (8.239 Euro x 20 %)

    1.647,80 Euro

     

     

    Nachweis der von der Pflegekasse erbrachten Leistungen

    Es kann sein, dass das Finanzamt bei der Ermittlung der Steueranrechnung die Pflegeleistungen nicht berücksichtigt. Hintergrund ist, dass nicht alle Leistungen der Pflegeversicherung bei der Steueranrechnung begünstigt sind. Eine Steueranrechnung gibt es wie oben ausgeführt nur für das Pflegegeld nach § 37 SGB XI und für das Pflegetagegeld. Nicht in die Ermittlung der Steueranrechnung werden dagegen einbezogen (BMF, Schreiben vom 09.11.2016, Tz. 42; LfSt Leitfaden Pflege- und Heimkosten, Tz.1.4.7):

     

    • Empfangene Leistungen der Pflegeversicherung
    • Leistungen im Rahmen des Persönlichen Budgets i. S. v. § 17 SGB IX, soweit sie ausschließlich und zweckgebunden für Pflege- und Betreuungsleistungen sowie für haushaltsnahe Dienstleistungen im Sinn des § 35a Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 5 EStG gewährt werden.

     

    Danach sind insbesondere Pflegesachleistungen nach § 36 SGB XI und der Kostenersatz für zusätzliche Betreuungsleistungen nach § 45b SGB XI nicht in die Ermittlung der Steueranrechnung einzubeziehen.

     

    PRAXISHINWEIS | Sollte das Finanzamt also Pflegeleistungen bei der Ermittlung der Steueranrechnung ignorieren, kann das daran liegen, dass es nicht weiß, um welche Art von Pflegeleistungen es sich handelt. In diesem Fall müssen Sie im Zweifel nachweisen, dass es sich bei den Pflegeleistungen um Leistungen nach § 37 SGB XI handelt oder um Pflegetagegeld.

     

    FAZIT | Im „durchdeklinierten“ Fall fährt das Ehepaar besser, wenn es die Abzugstatbestände außergewöhnliche Belastung und Steueranrechnung für haushaltsnahe Dienstleistungen kombiniert. Dazu muss gegen den ursprünglichen Steuerbescheid, in dem nur die Steueranrechnung für die Ehefrau gewährt wurde, Einspruch eingelegt und im Einspruchsverfahren die Kombination aus außergewöhnlichen Belastungen und Steueranrechnung beantragt werden. Sollte das Finanzamt von der von SSP vorgeschlagenen Vorgehensweise abweichen, fordern Sie für jede Abweichung eine detaillierte gesetzliche Fundstelle. Das dürfte helfen, die höchstmögliche Steuerersparnis durchzusetzen.

     
    Quelle: Ausgabe 06 / 2017 | Seite 7 | ID 44695265