· Fachbeitrag · Steuererklärung
Neunter BFH-Senat: Regelung zu Nachzahlungszinsen ist verfassungswidrig
| Der Neunte Senat des BFH zweifelt daran, ob die Nachzahlungszinsenregelung in § 233a AO in den Jahren 2015 und 2016 noch verfassungsgemäß war. Er hat daher in einem summarischen Verfahren Aussetzung der Vollziehung gewährt. Da der Dritte BFH-Senat zumindest für Zeiträume von 2013 und früher eine andere Auffassung als der Neunte Senat vertritt, könnte die Sache beim BVerfG landen. |
Die Regelung zu Nachzahlungszinsen in der AO
Nach § 233a und 238 AO betragen die Zinsen für jeden Monat 0,5 Prozent einer nachzuzahlenden oder zu erstattenden Steuer. Allein bei der steuerlichen Betriebsprüfung hat der Fiskus über diese Paragrafen in den letzten Jahren mehr als 2 Mrd. Euro eingenommen. Im Streitfall waren es 240.831 Euro. Dagegen wehrte sich das Unternehmen mit einer Klage. Die Zinshöhe von 0,5 Prozent je Monat sei verfassungswidrig. Das Unternehmen forderte die Aussetzung der Vollziehung des Zinsbescheids. Der BFH gab dem Antrag statt (BFH, Beschluss vom 25.04.2018, Az. IX B 21/18, Abruf-Nr. 201148).
Die Entscheidung des Neunten BFH-Senats
Der Neunte Senat hat zumindest für Verzinsungszeiträume ab dem Jahr 2015 schwerwiegende Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit von § 233a AO in Verbindung mit § 238 Abs. 1 S. 1 AO. Der Zinssatz sei so realitätsfern bemessen, dass der allgemeine Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG verletzt sei. Der gesetzlich festgelegte Zinssatz überschreite den angemessenen Rahmen der wirtschaftlichen Realität erheblich, da sich im Streitzeitraum ein niedriges Marktzinsniveau strukturell und nachhaltig verfestigt habe.
Sinn und Zweck der Verzinsungspflicht bestehe darin, den Nutzungsvorteil wenigstens zum Teil abzuschöpfen, den Steuerzahler dadurch erhalten, dass sie während der Dauer der Nichtentrichtung über eine Geldsumme verfügen können. Dieses Ziel sei wegen des strukturellen Niedrigzinsniveaus im typischen Fall für den Streitzeitraum nicht erreichbar und trage damit die realitätsferne Bemessung der Zinshöhe nicht.
Diskrepanz zum Dritten BFH-Senat?
Wie erwähnt, vertritt der Dritte BFH-Senat zumindest für Zinszeiträume bis 2013 und früher eine andere Meinung. Er hält die Zinsregelung in diesen Zeiträumen für verfassungsgemäß (BFH, Urteil vom 09.11.2017, Az. III R 10/16, Abruf-Nr. 199918). Da sich der Neunte Senat auch mit den Argumenten des Dritten Senats auseinandergesetzt ‒ und diese verworfen ‒ hat, ist vieles offen. Experten beim BFH meinen, dass sich für Zinszeiträume 2013 und älter wohl nichts mehr ändern werde, aber für Jahre ab 2015 Bewegung in die Sache komme. Dazu muss der Neunte Senat aber in einem Hauptsacheverfahren (Revision) entweder die Frage dem BVerfG vorlegen ‒ oder der Gesetzgeber von sich aus schon vorher handeln.