23.01.2014 · IWW-Abrufnummer 140197
Bayerisches Landesamt für Steuern: Verfügung vom 20.11.2013 – S 0624.1.1-1/2 St 42
Verfügung betr. Fristsetzung nach § 364 b AO
Vom 20. November 2013 (AO-Kartei BY § 364b AO Karte 1)
(LfSt Bayern S 0624.1.1-1/2 St42)
1. Allgemeines
§ 364 b AO sieht vor, dass das Finanzamt im Einspruchsverfahren dem Einspruchsführer in bestimmten Fällen eine Frist mit ausschließender Wirkung setzen kann. Die Fristsetzung kann nur gegenüber einem Einspruchsführer, nicht jedoch gegenüber einem Hinzugezogenen (§ 360 AO) ergehen.
Zweck der Vorschrift ist es, dem Missbrauch des Rechtsbehelfsverfahrens zu rechtsbehelfsfremden Zwecken entgegenwirken. Von der Möglichkeit des § 364 b AO ist deshalb insbesondere in Einspruchsverfahren die einen Schätzungsbescheid wegen Nichtabgabe der Steuererklärung betreffen, Gebrauch zu machen (vgl. AEAO zu § 364 b, Nr. 1). Dies schließt jedoch nicht aus, dass die Finanzämter auch in anderen als geeignet erscheinenden Fällen eine Ausschlussfrist setzen.
Der Finanzbehörde steht eine Aufklärungsverfügung mit Ausschlussfrist nach § 364 b Abs. 1 AO nur im Einspruchsverfahren zur Verfügung. Im Verfahren über einen Antrag auf Änderung eines Steuerbescheids (§§ 164 Abs. 2, 165 Abs 2 AO) ist die Vorschrift hingegen nicht anwendbar
2. Zuständigkeit im Finanzamt
Wegen des engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhangs zwischen der Fristsetzung nach § 364 b AO und der Entscheidung über den Einspruch sollte die Fristsetzung nach § 364 b AO grundsätzlich von der zur Fertigung der Einspruchsentscheidung befugten Stelle (in der Regel der Rechtsbehelfsstelle) durchgeführt werden.
In Fällen wiederholter Vollschätzung kann bereits die Arbeitseinheit nach Rücksprache mit der Rechtsbehelfsstelle die Frist nach § 364 b AO setzen. Wird die Fristsetzung von der Arbeitseinheit durchgeführt, ist stets mit der Abgabe des Einspruchs an die Rechtsbehelfsstelle bis zum Ablauf der Präklusionsfrist zu warten, da der Einspruch gegen den Schätzungsbescheid nach Eingang der Steuererklärung ggf. durch Abhilfebescheid der Arbeitseinheit erledigt werden kann.
3. Zeichnungsrecht/Erfassung in der Datenbank DB-Rb
Fristsetzungen nach § 364 b AO sind als Vorgänge von rechtlicher oder tatsächlicher Schwierigkeit vom Sachgebietsleiter zu unterzeichnen (vgl. Anlage 2[1] , Nr. 1.4 der Ergänzenden Bestimmungen zu Abschnitt 4 der FAGO ZeiReFÄ, AIS: Organisation>Amtsorganisation>FAGO/AGO/Zeichnungsrecht in den Finanzämtern). Die Vornahme der Fristsetzung und die Präklusionsgründe sind in DB Rb auf der Registerkarte „Rechtsbehelf“ zu vermerken.
4. Bestimmtheit der Fristsetzung
Nach § 364 b Abs. 1 AO kann das Finanzamt dem Einspruchsführer eine Frist setzen
– zur Angabe der Tatsachen, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung er sich beschwert fühlt (§ 364 b Abs. 1 Nr. 1 AO)
– zur Erklärung über bestimmte klärungsbedürftige Punkte (§ 364 b Abs. 1 Nr. 2 AO)
– zur Bezeichnung von Beweismitteln oder zur Vorlage von Urkunden, soweit er dazu verpflichtet ist (§ 364 b Abs. 1 Nr. 3 AO).
Bei Fristsetzungen in Einspruchsverfahren zu Schätzungsbescheiden (§ 364 b Abs. 1 Nr. 1 AO) steht die Vorlage „Fristsetzung § 364 b AO“ (Ordner Allgemein> Rechtsbehelfe sowie Ordner Rechtsbehelfsstelle) zur Verfügung.
Soweit eine Fristsetzung in anderen als geeignet erscheinenden Fällen vorgenommen wird, ist diese nur wirksam, wenn die vom Finanzamt für klärungsbedürftig angesehenen Punkte bzw. die vorzulegenden Beweismittel oder Urkunden so genau bezeichnet werden, dass es dem Einspruchsführer ohne weiteres möglich ist, der Aufforderung nachzukommen. Der Einspruchsführer muss aus der Formulierung erkennen können, mit welchen Beweismitteln etc. er nach Ablauf der Frist nicht mehr gehört werden kann. Es muss also konkret angegeben sein, welches Verhalten binnen welcher Frist der Einspruchsführer zu erbringen hat. Diesem Erfordernis wird z. B. nicht genügt, wenn der Einspruchsführer allgemein zu einer Stellungnahme oder pauschal zur Vorlage von Unterlagen aufgefordert wird. Ist die Aufforderung inhaltlich unbestimmt, ist sie unwirksam (vgl. BFH-Urteil vom 25. 4. 1995 IX R 6/94, BStBl. II S. 545). Die Fristsetzung nach § 364 b ist außerdem unwirksam, wenn der Einspruchsführer über die Rechtsfolgen der Fristversäumnis nicht belehrt wurde.
Die Entscheidung, ob dem Steuerpflichtigen eine Frist zur Vorlage von Erklärungen und Beweismitteln gesetzt werden soll, liegt im Ermessen des Finanzamts. Es wird bei seiner Ermessensentscheidung zu berücksichtigen haben, ob der Einspruchsführer das Einspruchsverfahren erkennbar verzögern will. Bei Einspruchsverfahren zu Schätzungsbescheiden ist die Fristsetzung daher regelmäßig ermessensgerecht Werden Einwendungen gegen die Fristsetzung erhoben, ist soweit nicht abgeholfen wird die Ermessensausübung im Rahmen der Entscheidung über den Einspruch gegen den Steuerbescheid darzustellen (vgl. auch Tz. 8).
5. Dauer der Frist
Der Gesetzgeber hat in § 364 b AO bewusst davon abgesehen, eine Mindestfrist zu benennen. Dadurch soll es den Finanzämtern ermöglicht werden, eine auf den Einzelfall bezogene angemessene Frist zu setzen. Für die Abgabe von Steuererklärungen sollten zwischen 6 und 8 Wochen vorgesehen werden, für Erklärungen über einzelne Punkte mindestens 4 Wochen. Im Übrigen wird es i. d. R. zweckmäßig sein, vor einer Fristsetzung nach § 364 b AO den Einspruchsführer mit „einfacher“ Fristsetzung zur Abgabe von Tatsachen und Beweismitteln aufzufordern.
Bei § 364 b AO handelt es sich um eine behördliche Frist, die nach § 109 Abs. 1 Satz 1 AO verlängert werden kann. Hierfür hat der Einspruchsführer vor Ablauf der nach § 364 b AO gesetzten Frist deren Verlängerung zu beantragen. Geht der Fristverlängerungsantrag allerdings erst nach Ablauf der Ausschlussfrist beim Finanzamt ein, kann nur nach § 110 AO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden (vgl. AEAO zu § 364 b, Nr. 4). Über Einwendungen gegen die Fristsetzung ist – soweit nicht abgeholfen wird – im Rahmen der Entscheidung über den Einspruch gegen den Steuerbescheid zu entscheiden.
6. Wirkungen der Fristsetzung
Erklärungen und Beweismittel, die der Einspruchsführer erst nach Ablauf der Ausschlussfrist vorbringt, sind nicht zugunsten des Einspruchsführers im Rahmen des Einspruchsverfahrens (§ 364 bAbs 2 Satz 1 AO) und auch nicht in der laufenden Klagefrist durch Abhilfebescheid (vgl. Tz. 7.2) bzw. im Klageverfahren ohne Hinweis des Finanzgericht (vgl. Tz. 7.3) zu berücksichtigen. Solche verspätet vorgebrachten Erklärungen und Beweismittel können lediglich zuungunsten des Einspruchsführers verwendet werden Dies ergibt sich aus dem Hinweis auf die Verböserung nach § 367Abs. 2 Satz 2 AO in § 364 b Abs. 2 Satz 2 AO.
Hat der Einspruchsführer eine nach § 364 b AO gesetzte Frist ergebnislos verstreichen lassen, kommt eine erneute Fristsetzung nach § 364 b AO wegen desselben Punktes nicht in Betracht. Eine wiederholte Fristsetzung wäre mit dem Ausschlusscharakter des § 364 b AO nicht vereinbar. Vielmehr sollte nach dem ergebnislosen Ablauf der Ausschlussfrist unverzüglich über den Einspruch entschieden werden. Nur so kann die durch § 364 b AO beabsichtigte Straffung und Verkürzung des Einspruchsverfahrens erreicht werden. Von der Fristsetzung ist deshalb nur Gebrauch zu machen, wenn sichergestellt ist, dass das Finanzamt alsbald über den Einspruch entscheiden kann.
Lässt der Einspruchsführer die Ausschlussfrist ergebnislos verstreichen, ist der Einspruch – soweit nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 110 AO) gewährt werden kann – als unbegründet zurückzuweisen.
7. Auswirkungen auf Änderungsvorschriften
Unberührt von der Präklusion bleiben die Berichtigungs- und Änderungsvorschriften nach der AO.
7.1. Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO)
Steht der angefochtene Verwaltungsakt unter dem Vorbehalt der Nachprüfung und hat der Einspruchsführer die Ausschlussfrist nach § 364 b AO verstreichen lassen, müssen ungeachtet des Fristablaufs nachträglich vorgelegte Tatsachen und Beweismittel nach § 164 Abs. 2 AO berücksichtigt werden. Um dies zu vermeiden, ist spätestens mit der Fristsetzung nach § 364 b AO der Vorbehalt der Nachprüfung durch Änderungsbescheid nach § 164 Abs. 2 AO und § 164 Abs. 3 AO aufzuheben (vgl. Vorlage „Fristsetzung § 364 b AO“). Die maschinelle Erfassung der Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung bzw. der erstmaligen Beifügung von Katalogvorläufigkeiten nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO und der Endgültigkeitserklärungen nach § 165 Abs 2 Satz 4 AO sind über den Festsetzungsmanager (Langbescheidverfahren) bzw. das Kurzbescheidverfahren zu veranlassen.
7.2. Änderung wegen neuer Tatsachen (§ 173 AO)
Grundsätzlich anwendbar ist auch § 173 AO. Allerdings werden die Voraussetzungen für eine Änderung nach dieser Vorschrift in der Regel nicht vorliegen. Zum einen wird regelmäßig ein grobes Verschulden des Einspruchsführers zu bejahen sein, wenn er Tatsachen und Beweismittel erst nach Ablauf der Fristsetzung vorbringt. Zum anderen ist maßgebend für die Anwendung des § 173AO der Zeitpunkt, an dem die Einspruchsentscheidung abschließend gezeichnet wurde; vorher bekannt gewordene Tatsachen und Beweismittel sind nicht „nachträglich“ bekannt geworden. Tatsachen und Beweismittel, die der Einspruchsführer nach Ablauf der Ausschlussfrist und vor Abzeichnung der Einspruchsentscheidung geltend macht, können deshalb schon aus diesem Grund nicht nach § 173 AO berücksichtigt werden.
7.3. Antrag auf schlichte Änderung während der Klagefrist (§ 172 AO)
In § 172 Abs. 1 Satz 3 AO ist festgelegt, dass durch einen Antrag auf schlichte Änderung innerhalb der Klagefrist eine wirksame Präklusion nicht umgangen werden kann.
7.4. Abhilfebescheid gem. § 172 Abs. 1 Nr. 2 a AO während des finanzgerichtlichen Verfahrens
Lässt das Finanzgericht die im Einspruchsverfahren präkludierten Tatsachen und Beweismittel gem. § 76 Abs. 3 FGO i. V. m. § 79 b Abs. 3 FGO für das finanzgerichtliche Verfahren zu, kann das FA trotz einer rechtmäßigen Fristsetzung nach entsprechendem Hinweis des Finanzgerichts einen Abhilfebescheid gem. § 172 Abs. 1 Nr. 2 a AO erteilen (vgl. hierzu AEAO zu § 364 b, Nr. 5 und BFH-Beschluss vom 13. 5. 2004 IV B 230/02, BStBl. II S. 833)
7.5. Anwendung des § 177 AO
Die Präklusion nach § 364 b AO kann zu einer materiell-rechtlichen Unrichtigkeit im Sinn des § 177 Abs. 3 AO führen. Wird der Verwaltungsakt später korrigiert, sind deshalb ggf. auch die präkludierten Tatsachen im Rahmen des § 177 AO (Saldierung innerhalb des Änderungsrahmens) zu berücksichtigen.
8. Anfechtbarkeit der Fristsetzung
Gem. AEAO zu § 364 b, Nr. 4 ist über Einwendungen gegen die Fristsetzung – soweit nicht abgeholfen wird – im Rahmen der Entscheidung über den Einspruch gegen den Steuerbescheid zu entscheiden.
Legt der Einspruchsführer gegen die Fristsetzung gesondert Einspruch ein und hält er den Einspruch trotz Hinweis auf die Verwaltungsauffassung aufrecht, ist dieser Einspruch als unzulässig mit der Begründung zu verwerfen, dass kein selbständig anfechtbarer Verwaltungsakt vorliegt (vgl. Urteil des FG München vom 4. 12. 1997 13 K 2613/97, EFG 1998 S. 436). Die Entscheidung über den Einspruch ist mit der Entscheidung über den angefochtenen Verwaltungsakt (Hauptsacheverfahren) zu verbinden. Dabei ist jedoch zu beachten dass über zwei selbständige Einsprüche entschieden wird.
Lehnt das Finanzamt einen Antrag auf Fristverlängerung ab, ist der Einspruchsführer vor Ergehen der Einspruchsentscheidung darüber zu informieren, da er anderenfalls zu der Annahme gelangen könnte, seinem Antrag sei stillschweigend entsprochen worden.
Die Ablehnung der Fristverlängerung stellt im Gegensatz zur Fristsetzung einen Verwaltungsakt dar. Wird die Ablehnung des Fristverlängerungsantrags angefochten und kann dem Einspruch nicht abgeholfen werden, ist die Entscheidung mit der Entscheidung über den angefochtenen Verwaltungsakt zu gemeinsamer Entscheidung zu verbinden.
Wurde die Präklusionsfrist versäumt, ist bei Ablehnung eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht isoliert zu entscheiden. Es gilt der allgemeine Grundsatz, dass es sich bei der Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag um einen unselbständigen Teil der Hauptsache-Entscheidung handelt.
9. Überprüfung im finanzgerichtlichen Verfahren
Die Vorschrift des § 364 b AO steht in Zusammenhang mit § 76 Abs. 3 FGO. Danach ist die Pflicht des Finanzgerichts zur Sachaufklärung begrenzt, wenn das Finanzamt eine Frist nach § 364 b AO gesetzt hatte und der Steuerpflichtige diese Frist verstreichen ließ.
Das Finanzgericht hat in einem ersten Schritt zu prüfen, ob
– das Finanzamt eine ausreichende Frist gesetzt hatte,
– die Belehrung nach § 364 b Abs. 3 AO erfolgt ist,
– Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vorliegen.
Hält das Finanzgericht die Fristsetzung für rechtmäßig und verneint es gleichzeitig Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, kann es aber die verspätet vorgebrachten Erklärungen und Beweismittel nur dann zurückweisen und ohne Ermittlungen entscheiden, wenn
– die Zulassung des nachträglichen Vorbringens nach der freien Überzeugung des Finanzgerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und
– die Verspätung nicht genügend entschuldigt wird (§ 76 Abs. 3 i. V. m. § 79 b Abs. 3 Satz 1 FGO).
Eine Verzögerung tritt nach dem BFH-Urteil vom 10. 6. 1999 IV R 23/98, BStBl. II S. 664, dann ein, wenn der Rechtsstreit bei Zulassung der verspäteten Erklärungen oder Beweismittel länger als bei deren Zurückweisung dauern würde. Danach kann es nach Auffassung des BFH zu keiner Verzögerung des Rechtsstreits kommen, wenn eine Erledigung in der ersten vom Finanzgericht nach pflichtgemäßen Ermessen – unter Berücksichtigung seiner Geschäftslage, nicht aber unter Berücksichtigung des Aufklärungsbedarfs im Streitfall – terminierten mündlichen Verhandlung möglich ist.
Ferner kann das Finanzgericht nachträgliches Vorbringen dann zulassen, wenn es dem Gericht mit geringem Aufwand möglich ist, den Sachverhalt auch ohne Mitwirkung der Beteiligten zu ermitteln (§ 79 b Abs. 3 Satz 3 FGO).
Zur Möglichkeit der Erteilung eines Abhilfebescheids während des finanzgerichtlichen Verfahrens vgl. Tz 7.4.
10. Kosten des finanzgerichtlichen Verfahrens
In Fällen, in denen das Gericht nach § 76 Abs. 3 FGO Erklärungen und Beweismittel berücksichtigt, die im Einspruchsverfahren rechtmäßig zurückgewiesen wurden, sind dem Kläger insoweit die Kosten aufzuerlegen (§ 137 Satz 3 FGO).
Hinweis:
Die bisherige Karteikarte § 364 b Karte 1 (Kontrollnummer 30/2004)[2] bitte ich auszureihen.