17.04.2014 · IWW-Abrufnummer 141198
Finanzgericht Münster: Gerichtsbescheid vom 12.02.2014 – 5 K 2545/13 E
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:
Finanzgericht Münster, 5 K 2545/13 E
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
T a t b e s t a n d :
Streitig sind die Einkommensteuerfestsetzungen 2007 und 2008, dort insbesondere die Berücksichtigung von Freibeträgen nach § 32 Abs. 6 Einkommensteuergesetz (EStG), eines Ausbildungsfreibetrags und außergewöhnlicher Belastungen in Form von Aufwendungen zum Freikauf vom türkischen Wehrdienst.
Nachdem die Kl. trotz Aufforderung keine Einkommensteuer(ESt)-Erklärungen für 2007 und 2008 abgegeben hatten, schätzte der Beklagte (Bekl.) die Besteuerungsgrundlagen mit den unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden ESt-Bescheiden vom 22.03.2013 unter Berücksichtigung der von den Arbeitgebern auf elektronischem Weg übermittelten Daten und setzte die ESt 2007 auf … € und die ESt 2008 auf … € fest. Hiergegen richteten sich die Einsprüche der Kl. vom 23.04.2013. Als die Kl. die in Aussicht gestellten Steuererklärungen weiterhin nicht einreichten, wies der Bekl. die Einsprüche mit Einspruchsentscheidung vom 02.08.2013 als unbegründet zurück.
Daraufhin haben die Kl. Klage erhoben, zu deren Begründung sie die ESt-Erklärungen für 2007 und 2008 eingereicht haben. In diesem Zusammenhang haben die Kl. den Erlass der Nachzahlungsbeträge beantragt, weil Ihnen eine Zahlung in dieser Höhe nicht möglich sei.
Da sich aufgrund der nunmehr eingereichten ESt-Erklärung 2007 keine Änderung der bisher festgesetzten ESt ergab, hat der Bekl. mit Bescheid vom 21.08.2013 lediglich den Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben und die beantragte Arbeitnehmersparzulage gewährt. Die von den Kl. für 2008 nunmehr erklärte ESt i.H.v. … € war hingegen um … € höher als die bisher festgesetzte ESt, so dass der Bekl. die ESt 2008 mit dem gemäß § 164 Abgabenordnung (AO) geänderten ESt-Bescheid vom 21.08.2013 auf … € festgesetzt hat.
Nach Erlass der ESt-Änderungsbescheide 2007 und 2008 vom 21.08.2013 haben die Kl. mit dem an den Bekl. gerichteten Schreiben vom 10.09.2013 noch Folgendes geltend gemacht: Für ihre Kinder seien ihnen noch Kinderfreibeträge und Freibeträge für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf (Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG) zu gewähren. Diese Freibeträge seien nicht bloß bei der Berechnung des Solidaritätszuschlags und der Arbeitnehmer-Sparzulage zu berücksichtigen, sondern auch bei der Berechnung des zu versteuernden Einkommens, was jedoch nicht erfolgt sei. Allein durch das ausgezahlte Kindergeld sei die gebotene steuerliche Freistellung des Existenzminimums der Kinder nicht bewirkt worden. Für 2008 sei zudem ein Ausbildungsfreibetrag für ihr volljähriges Kind V zu berücksichtigen. Außerdem würden sie, die Kl., davon ausgehen, dass die Höhe der ESt weiterhin nur geschätzt sei. Schließlich seien ihm, dem Kl., in 2008 noch außergewöhnliche Belastungen entstanden, die zu berücksichtigen seien. So habe er sich in 2008 von der türkischen Wehrdienstpflicht freigekauft. Als türkischer Staatsangehöriger sei er in der Türkei wehrdienstpflichtig gewesen und sei verpflichtet gewesen, der 18 Monate andauernden türkischen Wehrdienstpflicht in der Türkei nachzukommen. Als in Deutschland ansässiger türkischer Staatsbürger habe er diese Wehrdienstpflicht längstens bis zum 38. Lebensjahr zurückstellen können. Um der regulären Dienstableistung in der Türkei zu entgehen, habe er von der bestehenden Möglichkeit Gebraucht gemacht, sich vom türkischen Wehrdienst für 5.112 € freizukaufen und nur für ca. drei Wochen einer kurzzeitigen Ausübung der Wehrdienst nachzukommen. Er, der Kl., habe sich dabei nicht freiwillig für den Freikauf entschieden. Der Freikauf sei für ihn vielmehr unvermeidbar und zwangsläufig gewesen. Denn die Ausübung des regulären türkischen Wehrdienstes hätte für ihn und seine Familienangehörigen, die sämtlich bereits die deutsche Staatsangehörigkeit erworben hätten, eine unvorstellbare Härte bedeutet. Er hätte nicht nur seine Arbeitsstelle verloren. Nach deutschem Aufenthaltsrecht wäre zudem die Aufenthaltserlaubnis wegen der langzeitigen Abwesenheit gelöscht worden; eine Weitererteilung sei nicht mehr möglich gewesen. Dies hätte die unerwünschte Auflösung der Familie bedeutet. Für den Freikauf seien Aufwendungen in Höhe von insgesamt 5.534 € angefallen: Zahlung zum Freikauf, Zahlungsbeleg vom 26.05.2008, in Höhe von 5.112 €, Konsulatsgebühren in Höhe von 122 € und pauschale Flugkosten in Höhe von 300 €.
Die Kl. beantragen sinngemäß,
die ESt-Änderungsbescheide 2007 und 2008 vom 21.08.2013 dahingehend zu ändern, dass für 2007 und 2008 jeweils Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG in Höhe von jährlich insgesamt 11.616 € bei gleichzeitiger Hinzurechnung des ausgezahlten Kindergeldes von jährlich insgesamt 3.696 € berücksichtigt werden sowie für 2008 ein Ausbildungsfreibetrag nach § 33a Abs. 2 EStG in Höhe von 924 € und weitere außergewöhnliche Belastungen in Höhe von 5.534 € berücksichtigt werden.
Der Bekl. beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung führt der Bekl. aus, dass die geänderten Bescheide vom 21.08.2013 den Angaben der Kl. in den Steuererklärungen entsprechen würden. Die erst mit Schreiben vom 10.09.2013 zusätzlich geltend gemachten Aufwendungen würden zu keiner Änderung der ESt-Festsetzungen führen. Die Vergleichsrechnung gemäß § 31 EStG habe ergeben, dass die gebotene Freistellung des Existenzminimums der Kinder durch die Auszahlung des Kindergeldes bewirkt worden sei. Auf die manuell durchgeführte Vergleichsrechnung in dem Schreiben des Bekl. vom 17.09.2013 (Gerichtsakte Blatt 26) wird Bezug genommen. Bei der ESt-Festsetzung seien somit keine Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG abzusetzen. Auch sei in 2008 kein Ausbildungsfreibetrag gemäß § 33a Abs. 2 EStG zu gewähren. Insoweit mangele es bereits an der notwendigen auswärtigen Unterbringung des Sohnes V. Die Aufwendungen für die Freistellung vom türkischen Wehrdienst könnten einkommensteuerlich nicht berücksichtigt werden. Die Ableistung des Wehrdienstes sei eine staatsbürgerliche Pflicht, die grundsätzlich jeden unter die entsprechenden Gesetze des Heimatlandes fallenden Bürger treffen würde. Der Freikauf von dieser staatsbürgerlichen Pflicht sei nicht zwangsläufig im Sinne des § 33 EStG. Der Bekl. verweist auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 20.12.1985 VI R 45/84, Bundessteuerblatt II 1986, 459, sowie auf den Beschluss des Finanzgerichts Hamburg vom 22.01.1982 V 425/81, EFG 1982, 293. Im Übrigen sei auch nicht erkennbar, dass die Erfüllung der staatsbürgerlichen Pflicht den Ruin der Familie bedeutet hätte.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Die Klage ist unbegründet.
Die ESt-Änderungsbescheide 2007 und 2008 vom 21.08.2013 sind rechtmäßig und verletzen die Kl. nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung - FGO).
Für die Kl. kommt es in den Streitjahren bei der Ermittlung der ESt nicht zu einer Berücksichtigung von Kinderfreibeträgen und Freibeträgen für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf von Kindern (Freibeträge im Sinne des § 32 Abs. 6 EStG). Es verbleibt vielmehr beim ausgezahlten Kindergeld. Nach § 31 EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung wird die steuerliche Freistellung eines Einkommensbetrags in Höhe des Existenzminimums eines Kindes einschließlich der Bedarfe für Betreuung und Erziehung oder Ausbildung durch die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG oder durch Kindergeld nach §§ 62 ff. EStG bewirkt (§ 31 Satz 1 EStG). Bewirkt der Anspruch auf Kindergeld für den gesamten Veranlagungszeitraum die nach Satz 1 gebotene steuerliche Freistellung nicht vollständig und werden deshalb bei der Veranlagung zur ESt die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG vom Einkommen abgezogen, erhöht sich die unter Abzug dieser Freibeträge ermittelte tarifliche ESt um den Anspruch auf Kindergeld für den gesamten Veranlagungszeitraum (§ 31 Satz 4 EStG). Ob der Anspruch auf Kindergeld die steuerliche Freistellung im Sinne des § 31 Satz 4 EStG vollständig bewirkt, ermittelt das Finanzamt von Amts wegen durch eine Vergleichsrechnung. Bei einer Zusammenveranlagung gehen die Freibeträge beider Ehegatten und der volle Anspruch auf Kindergeld in die Vergleichsrechnung ein. Vorliegend stellen sich die Kl. entsprechend der vom Bekl. durchgeführten Vergleichsrechnung günstiger, wenn es bei der Auszahlung von Kindergeld verbleibt. Bei Gewährung der Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG und gleichzeitiger Hinzurechnung des Kindergeldes zur tariflichen ESt würde sich für die Kl. eine höhere steuerliche Belastung ergeben. Ein Rückgriff auf die - weniger günstigen - Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG ist, wenn wie hier das ausgezahlte Kindergeld günstiger ist, nicht möglich.
Für 2008 steht den Kl. kein Ausbildungsfreibetrag gemäß § 33a Abs. 2 EStG zu. Nach dieser Vorschrift kann ein Steuerpflichtiger zur Abgeltung des Sonderbedarfs eines sich in Berufsausbildung befindenden, auswärtig untergebrachten, volljährigen Kindes, für das Anspruch auf einen Freibetrag nach § 32 Absatz 6 oder Kindergeld besteht, einen Freibetrag in Höhe von 924 Euro je Kalenderjahr vom Gesamtbetrag der Einkünfte abziehen. Ein solcher Freibetrag ist schon deshalb nicht für den Sohn V, geboren am …1990, zu gewähren, weil dieser laut der Anlage Kind der ESt-Erklärung 2008 bei den Eltern, den Kl., wohnte und damit nicht auswärtig untergebracht war.
Schließlich können auch die geltend gemachten Aufwendungen für den Freikauf vom türkischen Wehrdienst einkommensteuerlich nicht geltend gemacht werden.
Die Aufwendungen des Kl. für den Freikauf stellen zunächst keine Werbungskosten im Sinne des § 9 Abs.1 Satz 1 EStG bei den Einkünften aus nichtselbstständiger Tätigkeit dar. Zwar ist dem Kl. zuzugestehen, dass er die Aufwendungen auch deshalb getätigt hat, um seiner bisherigen beruflichen Tätigkeit ohne Beeinträchtigung durch die normale Wehrdienstzeit von 18 Monaten nachgehen zu können und um sich diesen Arbeitsplatz auch für die Zukunft zu erhalten. Die Aufwendungen für den Freikauf vom Wehrdienst können jedoch nicht als Werbungskosten bei den Einkünften des Kl. aus nichtselbständiger Arbeit anerkannt werden, weil sie in einem nicht unbedeutenden Umfang auch Aufwendungen für die allgemeine Lebensführung im Sinne des § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG darstellen und damit gemäß § 12 Nr. 1 EStG nicht abzugsfähig sind. Nach § 12 Nr.1 Satz 2 EStG dürfen Aufwendungen für die Lebensführung, die die wirtschaftliche oder gesellschaftliche Stellung des Steuerpflichtigen mit sich bringen, weder bei den einzelnen Einkunftsarten noch vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen werden, auch wenn sie zur Förderung des Berufs oder der Tätigkeit des Steuerpflichtigen erfolgen. Wie der Große Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) hierzu in den Beschlüssen vom 19.10.1970 GrS 2/70 (BFHE 100, 309, BStBl II 1971, 17) und GrS 3/70 (BFHE 100, 317, BStBl II 1971, 21) dargelegt hat, ist bei solchen gemischten Aufwendungen eine Aufteilung in nichtabziehbare Aufwendungen für die Lebensführung und in Betriebsausgaben oder Werbungskosten nur zulässig, wenn objektive Merkmale und Unterlagen eine zutreffende und leicht nachprüfbare Trennung ermöglichen und wenn außerdem der berufliche Anteil nicht von untergeordneter Bedeutung ist. Aufwendungen zur Förderung des Berufs, die zugleich die private Lebensführung berühren, können nach diesen Entscheidungen nur dann in vollem Umfang als Werbungskosten anerkannt werden, wenn die Förderung des Berufs bei weitem überwiegt und die Lebensführung ganz in den Hintergrund tritt. Vorliegend standen – wie der Kl. selbst vorträgt – für den Freikauf aus der Wehrdienstpflicht insbesondere private Gründe im Vordergrund – nämlich die Erhaltung der Aufenthaltserlaubnis mit Beibehaltung des gemeinsamen Familienwohnsitzes in Deutschland. Der Kl. wollte mit der Abstandszahlung die anstehende grundlegende Veränderung einer privaten Lebensführung vermeiden. Der Senat kann nicht feststellen, dass diese Gründe der privaten Lebensführung bei der Entscheidung, ob die Aufwendungen gemacht werden sollen, nur eine ganz untergeordnete Rolle gespielt haben. Zudem ist die Ableistung des Wehrdienstes eine staatsbürgerliche Pflicht, die grundsätzlich jeden unter die entsprechenden Gesetze seines Heimatlandes fallenden Bürger trifft, und zwar unabhängig vom Beruf. Die Erfüllung des Wehrdienstes betrifft daher bereits grundsätzlich die private Lebensführung aller Wehrpflichtigen (FG Nürnberg, Urteil vom 15.12.1981 VI 252/81, EFG 1982, 292). Eine Aufteilung der gemischten Aufwendungen in nichtabziehbare Kosten der Lebensführung und in Werbungskosten kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil keine objektiven Merkmale oder Unterlagen vorhanden sind, die eine zutreffende und leicht nachprüfbare Trennung ermöglichen.
Auch ein Abzug der Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen nach § 33 EStG - wie es der Kl. meint - scheidet aus. Als außergewöhnlich bezeichnet § 33 Abs. 1 EStG Aufwendungen, die größer sind, als sie der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands erwachsen. Da die Pflicht zur Ableistung des Wehrdienstes eine allgemeine staatsbürgerliche Pflicht für Personen bestimmten Alters und Geschlechts ist, die diese grundsätzlich gleichermaßen trifft, können Aufwendungen zur Ableistung und solche zur Abwendung des Wehrdienstes nicht als außergewöhnlich bezeichnet werden (FG Hamburg, Urteil vom 22.01.1982 V 425/81, EFG 1982, 293). Die Aufwendungen zum Freikauf vom Wehrdienst sind dem Kl. zudem nicht zwangsläufig erwachsen. Aufwendungen erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen, § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG. Im Streitfall hätte der Kl. sich den Aufwendungen entziehen können, indem er seiner Verpflichtung zur Ableistung des Wehrdienstes nachkommt.
Es ist nicht erkennbar, dass der Bekl. - wie die Kl. vermuten - die Höhe der ESt jeweils geschätzt hat. Unter Zugrundelegung der sich für die Kl. ergebenden "zu versteuernden Einkommen" ergeben sich gemäß § 32a EStG die festgesetzten Einkommensteuern.
Das Stundungs- oder Erlassbegehren der Kl. stellt ein anderes Verfahren (Billigkeitsverfahren) dar, für welches die Kl. zunächst beim Bekl. einen Stundungs- oder Erlassantrag stellen und dort ein (teilweise) erfolgloses Einspruchsverfahren im Sinne des § 44 FGO durchführen müssen, um eine auch insoweit zulässige Klage erheben zu können. Die Kl. sind hierauf bereits mit gerichtlichem Schreiben vom 29.10.2013 hingewiesen worden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.