24.01.2014 · IWW-Abrufnummer 140224
Bundeszentralamt für Steuern: Schreiben vom 20.12.2011 – S 2282 - PB/11/0002
Familienleistungsausgleich, Auswirkungen des Steuervereinfachungsgesetzes 2011: Ergänzend zum BMF-Schreiben vom 7.12.2011 (BStBl 2011 I S. 1318 = SIS 11 39 27) hat das Bundeszentralamt für Steuern eine Weisung zu den Auswirkungen des Steuervereinfachungsgesetzes 2011 herausgegeben. - Verw.; BZSt 20.12.2011, St II 2 - S 2282-PB/11/00002; SIS 11 41 33
BZSt 20.12.2011, St II 2 - S 2282-PB/11/00002
Familienleistungsausgleich, Auswirkungen des Steuervereinfachungsgesetzes 2011
§§:[EStG] § 9 a, § 32 Abs. 4, § 70 Abs. 4
BStBl 2012 I S. 40
Zitiert in ... / geändert durch ...
BZSt 16.7.2012, SIS 12 22 19, DA-FamEStG 2012: Das Bundeszentralamt für Steuern hat die ...
Fachaufsätze:
-> N. Bolz, AktStR 2/2012 S. 220, Berücksichtigung volljähriger Kinder nach Wegfall der ...
Die Anspruchsvoraussetzungen für die Berücksichtigung volljähriger Kinder im Familienleistungsausgleich sind durch das Steuervereinfachungsgesetz 2011 (StVereinfG 2011) vom 1.11.2011 (BGBl 2011 I S. 2131, BStBl 2011 S. 986) neu geregelt worden. Ergänzend zum BMF-Schreiben vom 7.12.2011, BStBl 2011 I S. 1318 = SIS 11 39 27 ergeht folgende Weisung:
1. Allgemeines
Für das steuerliche Kindergeld sind insbesondere die nachfolgend aufgeführten Rechtsänderungen von Bedeutung:
- Die Einkünfte- und Bezügegrenze in § 32 Abs. 4 Satz 2 bis 10 EStG 2011 entfällt mit Ablauf des 31.12.2011.
- Ab dem 1.1.2012 werden Kinder, die eine erstmalige Berufsausbildung oder ein Erststudium abgeschlossen haben und einen Grundtatbestand des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG erfüllen, nach § 32 Abs. 4 Satz 2 und 3 EStG nur berücksichtigt, wenn sie keiner schädlichen Erwerbstätigkeit nachgehen. Unschädlich ist eine Erwerbstätigkeit mit bis zu 20 Stunden regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit, ein Ausbildungsdienstverhältnis oder ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis im Sinne der §§ 8 und 8 a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch. Zur Anwendung siehe Abschnitt 2.
- Die Korrekturnorm § 70 Abs. 4 EStG wird ab dem 1.1.2012 aufgehoben und ist nach § 52 Abs. 62 a EStG noch für Anspruchszeiträume bis einschließlich 31.12.2011 anzuwenden. Zur Anwendung siehe Abschnitt 3.2.
- Der Arbeitnehmer-Pauschbetrag nach § 9 a EStG ist rückwirkend ab dem 1.1.2011 auf 1.000 EUR erhöht worden. Zur Anwendung siehe Abschnitt 3.2.
2. Materielles Recht
§ 32 Abs. 4 Satz 2 und 3 EStG hat ab 2012 folgenden Wortlaut:
“Nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung und eines Erststudiums wird ein Kind in den Fällen des Satzes 1 Nummer 2 nur berücksichtigt, wenn das Kind keiner Erwerbstätigkeit nachgeht. Eine Erwerbstätigkeit mit bis zu 20 Stunden regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit, ein Ausbildungsdienstverhältnis oder ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis im Sinne der §§ 8 und 8 a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch sind unschädlich.”
2.1 Erstmalige Berufsausbildung und Erststudium
Zur Auslegung der Tatbestandsmerkmale “Erstmalige Berufsausbildung” und “Erststudium” wird auf Abschnitt 2 des BMF-Schreibens vom 7.12.2011, BStBl 2011 I S. 1318 verwiesen.
Ergänzend dazu weise ich darauf hin, dass der Wortlaut des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG so auszulegen ist, dass bereits bei Vorliegen eines der beiden Tatbestandsmerkmale (Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder Abschluss eines Erststudiums) die Prüfung einer schädlichen Erwerbstätigkeit nach den Sätzen 2 und 3 erfolgen muss.
2.2 Abgrenzung des Tatbestandsmerkmals “für einen Beruf ausgebildet werden” zum Tatbestandsmerkmal “Berufsausbildung”
Ungeachtet der Änderungen durch das StVereinfG 2011 bleiben die Tatbestandsvoraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 EStG unverändert.
Die Tatbestände “für einen Beruf ausgebildet werden” nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG und “Berufsausbildung” nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG sind zu unterscheiden. Die zusätzlichen Tatbestandsvoraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 2 und 3 EStG sind lediglich nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung (oder eines Erststudiums) zu prüfen.
Der Tatbestand “Berufsausbildung” nach Satz 2 ist gegenüber Satz 1 enger gefasst. Es handelt sich bei einer “Berufsausbildung” im Sinne des Satzes 2 stets auch um eine Maßnahme, in der das Kind nach Satz 1 “für einen Beruf ausgebildet wird”. Jedoch ist nicht jede allgemein berufsqualifizierende Maßnahme gleichzeitig auch eine “Berufsausbildung”. Der Abschluss einer solchen Maßnahme soll nicht bereits dazu führen, dass ein Kind, das danach weiterhin die Anspruchsvoraussetzungen nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG erfüllt, nur noch unter den weiteren Voraussetzungen der Sätze 2 und 3 berücksichtigt wird.
Beispiel 1
Nach dem Abitur absolvierte ein 20-jähriges Kind ein Praktikum. Danach kann es eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatz nicht beginnen und geht zur Überbrückung einer Erwerbstätigkeit nach (30 Wochenstunden).
In der Zeit zwischen Praktikum und Beginn der Berufsausbildung erfüllt das Kind den Grundtatbestand des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe c EStG. § 32 Abs. 4 Satz 2 und 3 EStG ist nicht einschlägig, da das Praktikum zwar das Tatbestandsmerkmal des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a EStG (“für einen Beruf ausgebildet werden”) erfüllt, jedoch keine “Berufsausbildung” i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG darstellt. Der Kindergeldanspruch besteht somit unabhängig davon, wie viele Stunden das Kind in der Woche arbeitet.
2.3 Unschädlichkeit einer Erwerbstätigkeit
Das Beispiel in Abschnitt 3 des BMF-Schreibens vom 7.12.2011, BStBl 2011 I S. 1318 regelt den Fall, dass eine Ausweitung der Beschäftigung auf über 20 Wochenstunden unbeachtlich ist, wenn sie
- vorübergehend ist, d.h. nicht mehr als zwei Monate andauert, und
- die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit nicht mehr als 20 Stunden beträgt.
Ergänzend dazu gilt Folgendes:
Führt eine vor übergehende (höchstens zwei Monate andauernde) Ausweitung der Beschäftigung auf über 20 Wochenstunden dazu, dass die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit insgesamt mehr als 20 Stunden beträgt, ist der Zeitraum der Ausweitung schädlich, nicht der gesamte Zeitraum der Erwerbstätigkeit.
Beispiel 2
Ein Kind befindet sich während des gesamten Kalenderjahres 2012 im Studium. Diesem ist eine abgeschlossene Berufsausbildung vorausgegangen. Neben dem Studium übt das Kind ganzjährig eine Beschäftigung mit einer vertraglich vereinbarten Arbeitszeit von 20 Stunden wöchentlich aus. In der vorlesungsfreien Zeit von Juli bis August weitet das Kind seine wöchentliche Arbeitszeit vorübergehend auf 40 Stunden aus. Ab September beträgt die wöchentliche Arbeitszeit wieder 20 Stunden.
Durch die vorübergehende Ausweitung seiner Arbeitszeit erhöht sich die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit des Kindes auf über 20 Stunden. Aus diesem Grund ist der Zeitraum der Ausweitung als schädlich anzusehen. Für die Monate Juli und August entfällt daher nach § 32 Abs. 4 Satz 2 und 3 EStG der Anspruch.
Unabhängig von ihrem Umfang ist eine Erwerbstätigkeit im Rahmen eines Ausbildungsdienstverhältnisses unschädlich. Dazu gehört grundsätzlich auch ein Praktikum bzw. ein Volontariat, bei dem die Voraussetzungen nach DA-FamEStG 63.3.2.4 bzw. 63.3.2.2 Abs. 3 vorliegen. Ebenso ist eine Erwerbstätigkeit im Rahmen eines Freiwilligendienstes i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe d EStG unschädlich.
2.4 Monatlicher Anspruch
Liegen die Anspruchsvoraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 bis 3 EStG wenigstens an einem Tag im Kalendermonat vor, besteht nach § 66 Abs. 2 EStG für diesen Monat Anspruch auf Kindergeld. Hat ein Kind eine erstmalige Berufsausbildung oder ein Erststudium abgeschlossen und erfüllt es weiterhin einen Anspruchstatbestand des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG, entfällt der Kindergeldanspruch nur in den Monaten, in denen die vertragliche Vereinbarung über die schädliche Erwerbstätigkeit den gesamten Monat umfasst.
2.5 Behinderte Kinder
Ergänzend zu Abschnitt 5 des BMF-Schreibens vom 7.12.2011, BStBl 2011 I S. 1318 gilt für die Prüfung, ob ein behindertes Kind i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, DA-FamEStG 63.3.6.4 mit der Maßgabe fort, dass anstelle des Grenzbetrags nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG 2011 der Grundfreibetrag nach § 32 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG in H-öhe von derzeit 8.004 EUR als allgemeiner Lebensbedarf anzusetzen ist.
2.6 Verheiratete Kinder, Kinder in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft und Unterhaltsanspruch nach § 1615 l BGB
Zu Kindergeldansprüchen für verheiratete Kinder, für Kinder in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft und für Kinder, die einen Anspruch nach § 1615 l BGB haben, ist die Abstimmung mit dem Bundesministerium der Finanzen noch nicht abgeschlossen. Es werden zu gegebener Zeit nähere Weisungen folgen.
3. Verfahrensrecht
3.1 Anspruchszeiträume ab 2012
Besteht aufgrund der Änderungen in § 32 Abs. 4 Satz 2 ff. EStG kein Anspruch auf Kindergeld mehr, ist eine bestehende Festsetzung ab Januar 2012 gemä ß § 70 Abs. 2 EStG aufzuheben.
Nimmt ein Kind nach dem 1.1.2012 eine schädliche Erwerbstätigkeit auf, ist die Festsetzung erst ab dem Folgemonat der Aufnahme der schädlichen Erwerbstätigkeit aufzuheben (vgl. DA-FamEStG 70.2.1.3 Satz 3). Schließt das Kind eine erstmalige Berufsausbildung oder ein Erststudium ab, erfüllt jedoch weiterhin einen Grundtatbestand nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG und geht einer schädlichen Erwerbstätigkeit nach, ist die Festsetzung ebenfalls nach § 70 Abs. 2 EStG aufzuheben.
3.2 Anspruchszeiträume vor 2012
§ 70 Abs. 4 EStG entfällt ab dem 1.1.2012, ist jedoch auf Zeiträume vor 2012 weiterhin anwendbar (vgl. § 52 Abs. 62 a EStG). Somit können bestehende Kindergeldfestsetzungen im Rahmen der abschließenden Prüfung des Kalenderjahres 2011 weiterhin nach § 70 Abs. 4 EStG korrigiert werden.
Außerdem wurde der Arbeitnehmer-Pauschbetrag gemäß § 9 a Satz 1 Nr. 1 EStG auf 1.000 EUR erhöht. Der erhöhte Betrag ist entsprechend § 52 Abs. 23 e EStG bereits bei der abschließenden Prüfung des Kalenderjahres 2011 anzusetzen.
Sofern eine Kindergeldfestsetzung für 2011 aufgrund zu hoher Einkünfte und Bezüge bestandskräftig abgelehnt bzw. aufgehoben wurde, die Einkünfte und Bezüge jedoch durch die Erhöhung des Arbeitnehmer-Pauschbetrages den maßgeblichen Grenzbetrag nicht überschreiten, ist die Ablehnungs- bzw. Aufhebungsentscheidung nach § 70 Abs. 4 EStG zu korrigieren. Durch die Rechtsänderung hat sich die Höhe der Einkünfte nach dem Zeitpunkt der Prognoseentscheidung tatsächlich geändert und diese Änderung wird der Familienkasse nachträglich bekannt.
4. Überprüfung bestehender Festsetzungen
Die ab dem 1.1.2012 geltenden Rechtsänderungen dürfen nicht zu einer Einstellung der Kindergeldzahlung ohne vorherige Aufhebung der Festsetzung führen (vgl. DA-FamEStG 70.1 Abs. 9).
Bei bereits vor 2012 bestehenden Festsetzungen (Bestandsfälle) für Kinder, die weiterhin einen Grundtatbestand nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG erfüllen, ist zu prüfen, ob der Anspruch ab dem 1.1.2012 auch nach den Voraussetzungen der Sätze 2 und 3 vorliegt. Dabei ist der Vordruck “Erklärung zu den Verhältnissen eines über 18 Jahre alten Kindes für Zeiträume ab 2012” (KG 7 a) zu verwenden. Die Prüfung sollte spätestens bis zum Ende des Jahres 2012 abgeschlossen sein, um längere Rückforderungszeiträume zu vermeiden.