20.02.2014 · IWW-Abrufnummer 140551
Finanzgericht Münster: Urteil vom 09.01.2014 – 3 K 742/13 KG, AO
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Münster
3 K 742/13 Kg, AO
Tenor:
Der Bescheid vom 24.03.2011 und die Einspruchsentscheidung vom 04.02.2013 werden aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Einspruchsfrist versäumt ist und wenn nein, ob die Beklagte zu Recht die Festsetzung des Kindergeldes für den Zeitraum November 2008 bis Dezember 2010 aufgehoben hat und die Rückforderung von Kindergeld in Höhe von 5.484 Euro rechtmäßig ist.
Der Kläger erhielt für seinen Sohn E, geboren am 00.00.0000, Kindergeld auch für den Zeitraum November 2008 bis Dezember 2010.
E hatte am 01.08.2007 eine Ausbildung als Elektroniker der Fachrichtung Energie- und Gebäudetechniker bei der Firma N in V begonnen. Auf die Ausbildungsbescheinigung vom 29.08.2008 wird Bezug genommen (in der Kindergeldakte abgeheftet zwischen Blatt 151 und Blatt 166, zwischen den Seiten befinden sich insgesamt 11 unpaginierte Seiten und sodann wiederum Blatt 143 und 144 und sodann eine unpaginierte Seite).
Mit Schreiben vom 03.03.2011 wandte sich die Familienkasse S an den Kläger und wies darauf hin, er sei darum gebeten worden, für E einen Nachweis über die Fortdauer bzw. das Ende der Berufsausbildung sowie eine Erklärung zu den Einkünften und Bezügen vorzulegen. Wenn er nicht innerhalb von zwei Wochen antworte, müsse die Festsetzung des Kindergeldes ab November 2008 aufgehoben werden. Handschriftlich ist auf dem Schreiben vermerkt „ZV vom 18.11.10“. Dieser Hinweis bezieht sich darauf, dass der Kläger bereits früher zur Vorlage dieser Unterlagen aufgefordert worden sein soll. In der Akte befindet sich aber lediglich ein Schreiben vom 18.11.2008, das das Kindergeld für die Tochter B betrifft und das im Übrigen an die Fachhochschule C gerichtet ist.
Mit Bescheid vom 24.03.2011 hob die Familienkasse S die Festsetzung des Kindergeldes gemäß § 70 Abs. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) für den Zeitraum November 2008 bis Dezember 2010 auf, da der Kläger trotz Aufforderung keinen Nachweis über das Ende der Ausbildung oder über eine daran anschließende Ausbildung vorgelegt habe. Außerdem fehle die Erklärung zu den Einkünften und Bezügen für den Zeitraum November 2008 bis Dezember 2010. Das Kindergeld sei in Höhe von insgesamt 5.484 Euro überzahlt worden. Der Betrag sei nach § 37 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) vom Kläger zu erstatten. Der Bescheid enthält eine Rechtsbehelfsbelehrung. Unter der Rechtsbehelfsbelehrung befindet sich folgender Text
„Hinweise:
Wenn Sie mit der oben aufgeführten Forderung grundsätzlich nicht einverstanden sind, wenden Sie sich bitte an Ihre zuständige Familienkasse.
Bei Fragen zur Rückzahlung wenden Sie sich bitte unverzüglich an das regionale Forderungsmanagement.
...“
Wegen der Einzelheiten wird auf den Bescheid vom 24.03.2011 Bezug genommen, Blatt 173 der Kindergeldakte.
Am 31.08.2011 ging bei der Regionaldirektion ein Schreiben ein, mit dem der Kläger sich gegen eine Mahnung der Familienkasse wendet. Er habe im März 2011 das ausgefüllte Formular und Kopien des Ausbildungsvertrags und des Prüfungsbescheids für seinen Sohn E eingereicht. Er übersende erneut Kopien des Ausbildungsvertrags und des Prüfungsbescheids. Aus der von ihm vorgelegten Bescheinigung des Prüfungsausschusses ergibt sich, dass E im Ausbildungsbetrieb N den Ausbildungsberuf Elektroniker erlernt und vor dem zuständigen Prüfungsausschuss die Gesellen-/Abschlussprüfung bestanden hat. Die Bescheinigung datiert vom 28.01.2011. Wegen der Einzelheiten wird auf die Bescheinigung, Blatt 180 der Kindergeldakte, Bezug genommen.
Die Familienkasse S teilte dem Kläger daraufhin mit Schreiben vom 12.09.2011 mit, dass die Festsetzung des Kindergeldes mit Bescheid vom 24.03.2011 aufgehoben worden sei, und deswegen von ihm Kindergeld für November 2008 bis Dezember 2010 zurückgefordert werde. Aufgrund des neuen Antrags könne Kindergeld nicht mehr erneut festgesetzt werden. Die für die Entscheidung notwendigen Tatsachen seien erst nachträglich bekannt gegeben bzw. die Unterlagen erst verspätet eingereicht worden. Die Entscheidung könne deshalb für die Vergangenheit nicht mehr korrigiert werden. Eine Korrektur nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO sei nicht möglich.
Im Oktober 2012 erkundigte sich der Kläger telefonisch nach dem Bearbeitungsstand.
Am 23.01.2013 riefen der Kläger und seine Frau bei der Familienkasse S an und teilten mit, sie hätten die Vordrucke abgeschickt, nach Erhalt der Mahnung seien im August 2011 nochmals alle Unterlagen an die Familienkasse übersandt worden.
Mit Schreiben vom 31.01.2013 wandten sich die Prozessbevollmächtigten an die Familienkasse S. Sie tragen vor, die Ehefrau des Klägers habe das im März 2011 übersandte Formularschreiben ausgefüllt und unter Beifügung des Ausbildungsvertrages sowie einer Kopie des Gesellenbriefes vom 28.01.2011 zurückgesandt. Die damals beigefügten Unterlagen würden erneut in Kopie beigefügt. Der Kläger habe dann lange nichts von der Familienkasse S gehört. Es werde vorsorglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und gegen den Bescheid vom 24.03.2011 Einspruch eingelegt.
Die Familienkasse S wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 04.02.2013, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, als unzulässig zurück. Die Einspruchsfrist sei überschritten worden, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand könne nicht gewährt werden. Es lägen keine Gründe vor, die das Fristversäumnis rechtfertigten. Der angefochtene Bescheid enthalte eine vollständige und verständliche Belehrung über Form und Frist des Einspruchs. Bei Beachtung der erforderlichen Sorgfalt hätte der Kläger diese Frist einhalten können.
Mit der Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Im Klageverfahren legte er vor eine Lohnsteuerbescheinigung für 2010; auf Blatt 49 der Gerichtsakte wird Bezug genommen. Er legte weiter Verdienstbescheinigungen des Ausbildungsbetriebs von E vom 05.08.2013 für 2008, 2009 und 2011 vor, wonach E folgende Bruttoverdienste erhielt:
2008 7.758,00 Euro
2009 7.318,88 Euro
2010 7.425,69 Euro
22Januar 2011 907,59 Euro.
Auf die Lohnsteuerbescheinigung für 2010 (Blatt 49 der Gerichtsakte) und die Verdienstbescheinigungen für 2008, 2009 und 2011 wird Bezug genommen.
Außerdem legte der Kläger eine Erklärung zu den Einkünften und Bezügen für E für 2008, 2009, 2010 und Januar 2011 vor. Danach erhielt E folgende Bruttobeträge:
11/2008 bis 12/2008: 1.440,00 Euro
01/2009 bis 12/2009: 7.318,00 Euro
01/2010 bis 12/2010: 8.228,33 Euro
01/2011 907,00 Euro.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Erklärung Bezug genommen, Blatt 63 f. der Gerichtsakte.
Eine entsprechende Erklärung liegt auch im Original vor, Blatt 71 f. der Gerichtsakte.
Mit Schreiben vom 03.12.2013 macht der Kläger berufsbedingte Aufwendungen in Höhe von insgesamt 495,33 Euro geltend.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 24.03.2011 und die Einspruchsentscheidung vom 04.02.2013 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie vertritt die Auffassung, dass der Bescheid vom 24.03.2011 bestandskräftig geworden sei. Der Einspruch sei nicht innerhalb der Frist eingegangen.
Auf die Frage des Gerichts, ob nach Auffassung der Beklagten der Grenzbetrag unterschritten worden sei, teilte die Beklagte zunächst mit Schreiben vom 11.09.2013 mit, dass zu dieser Frage weiter keine Stellung genommen werden könne, da nach hiesiger Rechtsauffassung die Klage unzulässig sei. Da das Gericht dies anders sehe, möge es auch in der Sache entscheiden.
Auf Hinweis des Gerichts teilte die Beklagte mit, dass der Grenzbetrag für die Zeiträume bis 2009 7.680 Euro und 2009 bis 2011 8.004 Euro betragen habe. Dieser Grenzbetrag scheine jeweils überschritten zu sein; auf das Schreiben vom 13.11.2013 wird Bezug genommen.
Auf weitere Nachfrage des Gerichts teilt die Beklagte mit, dass ein Nachweis zu den Einkünften des Kindes dem Beklagten nur zu dem Kalenderjahr 2010 in Form der Lohnsteuerbescheinigung vorliege, bei einem Bruttoeinkommen von 7.425,89 Euro sei die Einkommensgrenze unterschritten. Für den Monat Januar 2011 fehle eine Gehaltsabrechnung. Nach dem auf dem Vordruck angegebenen Einkommen sei der anteilige Grenzbetrag von 676 Euro ebenfalls unterschritten. Wegen der Einzelheiten wird auf das Schreiben vom 03.12.2013 Bezug genommen (Blatt 96 der Gerichtsakte).
Mit Schreiben vom 03.12.2013 macht der Kläger berufsbedingte Aufwendungen in Höhe von insgesamt 495,33 Euro geltend.
Der Senat hat am 09.01.2014 mündlich verhandelt; wegen der Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begr ündet.
Die angefochtene Bescheid und die Einspruchsentscheidung sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung -FGO-).
Die Einspruchsfrist ist im Streitfall nicht versäumt.
Die der Einspruchsentscheidung beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung ist unrichtig erteilt mit der Folge, dass das bei der Regionaldirektion am 31.08.2011 eingegangene Schreiben innerhalb der Einspruchsfrist von einem Jahr gemäß § 356 Abs. 1 AO fristgerecht eingereicht worden ist.
Nach § 356 Abs. 1 AO beginnt die Frist für einen Rechtsbehelf nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Behörde oder das Gericht, bei denen der Rechts-behelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist. Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist nach § 356 Abs. 2 Satz 1 AO die Einlegung des Rechtsbehelfs innerhalb eines Jahres seit Bekanntgabe des Verwaltungsakts zulässig, es sei denn, dass die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist in Folge höherer Gewalt unmöglich war oder eine schriftliche oder elektronische Belehrung dahin erfolgt ist, dass ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei.
Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist eine Rechtsbehelfs-belehrung unrichtig, wenn sie in einer der gemäß § 356 Abs. 1 AO, § 55 Abs. 1 FGO wesentlichen Aussagen unzutreffend bzw. derart unvollständig oder missverständlich gefasst ist, dass hierdurch – bei objektiver Betrachtung – die Möglichkeit zur Fristwahrung gefährdet erscheint (vgl. BFH-Beschluss vom 09.11.2009 IV B 54/09, BFH/NV 2010, 448 unter Hinweis auf BFH-Urteil vom 29.07.1998 X R 3/96, BStBl. II 1998, 748). Enthält eine Rechtsbehelfsbelehrung noch andere als die notwendigen Angaben, so müssen auch diese Angaben richtig, vollständig und unmissverständlich sein (vgl. BFH- Urteil vom 21.06.2007 III R 70/06, BFH/NV 2007, 2064).
Ob das der Fall ist, bestimmt sich nach der ständigen Rechtsprechung des BFH, der der erkennende Senat auch im Streitfall folgt, danach, wie der Erklärungsempfänger die Rechtsbehelfsbelehrung oder ergänzenden Angaben nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung der ihm bekannten Umstände verstehen musste, wobei Unklarheiten oder Mehrdeutigkeiten zu Lasten der Behörde gehen (vgl. BFH-Beschluss vom 09.11.2009 a. a. O.; BFH-Beschluss vom 26.05.2010 VIII B 228/09, BFH/NV 2010, 2080).
Grundsätzlich sollen nach der Rechtsprechung des BFH die von den Familienkassen verwendeten "wichtige Hinweise" regelmäßig keine unrichtige Rechtsbehelfsbelehrung darstellen (vgl. BFH-Urteil vom 21.06.2007 a. a. O.). Dem ist auch grundsätzlich zustimmen, wenn der Hinweis beispielsweise wie in dem vom BFH mit Urteil vom 21.06.2007 entschiedenen Fall zutreffend auf die Möglichkeit einer Korrektur der Kindergeldfestsetzung nach Ablauf des fraglichen Kalenderjahres gemäß § 70 Abs. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) und deren Voraussetzungen hinweist.
Der Senat kann im Streitfall offen lassen, ob die Rechtsbehelfsbelehrung selbst den Anforderungen des § 356 Abs. 1 AO entspricht. Sie ist jedenfalls sehr unübersichtlich gestaltet, nämlich einzeilig, Satz an Satz aneinandergereiht ohne Absatz, und enthält erst im fünften Satz den Hinweis auf die Monatsfrist, während sich die Sätze 2 und 3 mit der Frage befassen, in welchen Fällen ein Einspruch ausgeschlossen ist und welche Rechtsfolgen es hat, wenn während eines anhängigen Einspruchs-, Klage-, Revisions- oder Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren ein geänderter Bescheid ergeht – eine Problematik, die sich im vorliegenden Fall gar nicht gestellt hat.
In der Rechtsbehelfsbelehrung im Streitfall entstand nämlich aufgrund der ergänzenden Angaben in den Hinweisen der Familienkasse unmittelbar im Anschluss an die Rechtsbehelfsbelehrung, dass sich der Kläger an die zuständige Familienkasse wenden soll, wenn er mit der oben aufgeführten Forderung grundsätzlich nicht einverstanden sei, eine Mehrdeutigkeit mit der Folge, dass hierdurch die Möglichkeit zur Fristwahrung gefährdet war. Die Familienkasse hat durch die Beifügung dieses Satzes die zuvor erteilte Rechtsbehelfsbelehrung in ihr Gegenteil verkehrt.
Das bei der Regionaldirektion am 31.08.2011 eingegangene Schreiben ist, nachdem es an die Familienkasse weitergeleitet worden ist, im Rahmen rechtsschutzgewährender Auslegung (Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz) als Einspruch auszulegen. Dies entspricht auch dem Vorgehen der Familienkasse, die das Schreiben als neuen Antrag auf Kindergeld ausgelegt hat, was aus ihrer Sicht auch zutreffend war, da sie die Einspruchsfrist als versäumt angesehen hat. Der Kläger hat in dem an die Regionaldirektion gerichteten Schreiben nämlich begründet, weshalb ihm nach seiner Auffassung Kindergeld zusteht.
Aus dem Schreiben ist auch erkennbar, wer der Urheber des Einspruchs ist, denn er ergibt sich im Streitfall aus dem Briefkopf und der Angabe des Aktenzeichens. Da es nach § 357 Abs. 1 Satz 2 AO ausreicht, dass aus dem Schriftstück hervorgeht, wer den Einspruch eingelegt hat, muss der Einspruch nicht unterschrieben werden (vgl. Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, Kommentar, § 357 AO Tz. 12 mit Rechtsprechungsnachweisen). Daher ist es im Streitfall unerheblich, dass die Ehefrau des Klägers das Schreiben an die Regionaldirektion mit dem Zusatz „i. A.“ unterschrieben hat.
Nach den nunmehr vorliegenden Unterlagen ist im Übrigen unstreitig, dass der Grenzbetrag nicht überschritten ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.