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  • 16.10.2014 · IWW-Abrufnummer 142986

    Finanzgericht Düsseldorf: Urteil vom 15.08.2014 – 3 K 2493/12 E

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Finanzgericht Düsseldorf

    3 K 2493/12 E

    Tenor:

    Der Einkommensteuerbescheid für 2010 vom 23. Dezember 2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 5. Juni 2012 wird dahingehend abgeändert, dass Zivilprozesskosten i. H. v. 2.059 € als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden.

    Die Ermittlung des festzusetzenden Steuerbetrags wird dem Beklagten übertragen.

    Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

    Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

    Die Revision wird zugelassen.

    Tatbestand:

    Streitig ist die Berücksichtigung von Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastung nach § 33 des Einkommensteuergesetzes – EStG –.

    Die Klägerin erzielt Einkünfte aus selbständiger Arbeit als Ratsmitglied, Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit als Apothekerin sowie Einkünfte aus Kapitalvermögen.

    Die Klägerin ist von ihrem Ehemann geschieden. Nach der Scheidung kam es zu einer Vielzahl gerichtlicher Auseinandersetzungen zwischen den geschiedenen Eheleuten, die überwiegend mit dem Zugewinnausgleich und dem nachehelichen Unterhalt im Zusammenhang standen. Dabei wurde aus den jeweils erwirkten Titeln regelmäßig die Zwangsvollstreckung betrieben. Über das Vermögen des geschiedenen Ehemannes der Klägerin ist zwischenzeitlich das Insolvenzverfahren eröffnet worden.

    In ihrer Einkommensteuererklärung für 2010 machte die Klägerin Gerichtsgebühren i. H. v. 260 € (Rechnungen vom 11. August und 10. Dezember 2010, Blatt 26 ff. der Gerichtsakte) und Rechtsanwaltskosten i. H. v. 1.798,92 € (Kostenrechnung vom 3. September 2010, Blatt 25 der Gerichtsakte) – insgesamt 2.059 € – als außergewöhnliche Belastung geltend. Die Aufwendungen standen im Zusammenhang mit einem Beschwerdeverfahren vor dem Oberlandesgericht – OLG – A, dass die Klägerin im Anschluss an eine familienrechtliche Streitigkeit vor dem Amtsgericht – AG – B gegen ihren geschiedenen Ehemann geführt hatte. Der Beklagte ließ die Aufwendungen im Einkommensteuerbescheid vom 23. Dezember 2011 nicht zum Abzug zu.

    Dagegen legte die Klägerin rechtzeitig Einspruch ein und verwies auf das Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 12. Mai 2011 (VI R 42/10, Sammlung der Entscheidungen des BFH – BFHE – 234, 30, Bundessteuerblatt – BStBl – II 2011, 1015 mit weiteren Nachweisen). Mit Einspruchsentscheidung vom 5. Juni 2012 wies der Beklagte den Einspruch unter Berufung auf den Nichtanwendungserlass vom 20. Dezember 2011 (BStBl I 2011, 1286) als unbegründet zurück.

    Die Klägerin hat am 5. Juli 2012 Klage erhoben. Sie trägt ergänzend vor, dass sie und ihr geschiedener Ehemann in den Jahren nach der Ehescheidung mehrere Zivilprozesse gegeneinander geführt hätten. Daraus seien wechselseitig eine Vielzahl von Titeln erwachsen, aus denen in der überwiegenden Zahl der Fälle auch die Zwangsvollstreckung betrieben worden sei. In den Jahren 2009 und 2010 habe sie einen Rechtsstreit gegen ihren geschiedenen Ehemann geführt, in dem sie die Herausgabe vollstreckbarer Ausfertigungen von gegen sie ergangenen Urteilen bzw. die Unzulässigerklärung der Zwangsvollstreckung beantragt habe. Sie habe sämtliche Forderungen beglichen gehabt, sich nach den Erfahrungen der Vergangenheit aber gegen unzulässige Zwangsvollstreckungen schützen müssen. Da ihr geschiedener Ehemann die Titel nicht freiwillig herausgegeben habe, sei das Verfahren vor dem Familiengericht B geboten gewesen. Sie habe überwiegend obsiegt (AG B, Beschluss vom 24. Februar 2010, Blatt 5 ff. der Gerichtsakte). Dies gelte auch für das Beschwerdeverfahren vor dem OLG A (Beschluss vom 9. August 2010, Blatt 15 ff. der Gerichtsakte). Da über das Vermögen ihres geschiedenen Ehemannes ein Privatinsolvenzverfahren eröffnet worden und nicht davon auszugehen sei, dass sie die Kosten erstattet bekomme, habe sie die Gerichts- und Anwaltskosten selbst zu tragen.

    Der Abzug der Aufwendungen sei nach dem BFH-Urteil vom 12. Mai 2011 (VI R 42/10, BFHE 234, 30, BStBl II 2011, 1015) gerechtfertigt. Auf den Streitgegenstand komme es ebenso wenig an wie auf die Frage der Unausweichlichkeit der Prozesskosten. Sie, die Klägerin, habe sich auch nicht mutwillig oder leichtfertig auf den Prozess eingelassen. Da sie in beiden Verfahren überwiegend obsiegt habe, sei die hinreichende Erfolgsaussicht belegt. Aus den Erfahrungen, die sie mit ihrem geschiedenen Ehemann in der Vergangenheit gemacht habe, habe sich die Notwendigkeit ergeben, sich vor unzulässigen Vollstreckungsmaßnahmen durch die Herausgabe der vollstreckbaren Urteilsausfertigungen zu schützen. Dies ergebe sich aus den Beschlüssen. Als Verteidigung habe nur die Möglichkeit der Einleitung von Zivilprozessen bestanden. Bei einer Ex-ante-Betrachtung sei zumindest von einem überwiegenden Obsiegen auszugehen.

    Die Klägerin beantragt,

    den Einkommensteuerbescheid 2010 vom 23. Dezember 2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 5. Juni 2012 dahingehend zu ändern, dass die geltend gemachten Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt werden sowie

    die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.

    Der Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Zur Begründung verweist er weiterhin auf den Nichtanwendungserlass. Die Aufwendungen seien indes auch bei Anwendung der geänderten Rechtsprechung des BFH nicht zu berücksichtigen. § 33 EStG solle den Fällen Rechnung tragen, in denen das Existenzminimum des § 32a Abs. 1 Nr. 1 EStG durch außergewöhnliche Umstände im Bereich der privaten Lebensführung höher liege als im Normalfall. Die Vorschrift sei eng auszulegen und nicht auf jedwede Zivilprozesskosten anzuwenden. Der pauschale Hinweis des BFH auf Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes – GG – sei nur haltbar, wenn die Ausschlussgründe des mutwilligen oder leichtfertigen Prozessierens effektiv eingesetzt würden. Der BFH fordere hinsichtlich der Erfolgsaussichten oder des mutwilligen Eingehens des Prozesses eine Ex-ante-Betrachtung des Finanzgerichts. Vorliegend sei das Prozessieren wegen der Vielzahl der über viele Jahre hinweg wechselseitig geltend gemachten Ansprüche und der besonderen Umstände des Einzelfalles mutwillig. Die Aufwendungen seien daher nicht zwangsläufig erwachsen.

    Der Beklagte hat angeregt, das Verfahren bis zur Entscheidung des Revisionsverfahrens VI R 69/12, das seinerseits bis zur Entscheidung des Großen Senats des BFH in dem Verfahren GrS 1/13 ausgesetzt ist, sowie des Revisionsverfahrens VI R 70/12 ruhen zu lassen bzw. auszusetzen.

    Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Steuerakte des Beklagten Bezug genommen.

    Entscheidungsgründe:

    Die vom Beklagten vor dem Hintergrund der anhängigen Revisionsverfahren VI R 69/12 und VI R 70/12 angeregte Verfahrensruhe (§ 155 der Finanzgerichtsordnung – FGO – in Verbindung mit § 251 der Zivilprozessordnung – ZPO –) kommt nicht in Betracht, da die Klägerin ihr nicht zugestimmt hat. Eine Aussetzung des Verfahrens gemäß § 74 FGO hält der Senat für nicht angezeigt; den vom Beklagten genannten Revisionsverfahren liegen anders gelagerte Sachverhalte zugrunde. Zudem hat die Klägerin ein berechtigtes Interesse am Abschluss des entscheidungsreifen Rechtsstreits.

    Die Klage ist begründet.

    Der Einkommensteuerbescheid für 2010 vom 23. Dezember 2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 5. Juni 2012 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, soweit der Beklagte Zivilprozesskosten i. H. v. 2.059 € nicht als außergewöhnliche Belastung im Sinne des § 33 EStG berücksichtigt hat (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).

    1. Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung), so wird auf Antrag die Einkommensteuer dadurch ermäßigt, dass der Teil der Aufwendungen, der die dem Steuerpflichtigen zumutbare Belastung (§ 33 Abs. 3 EStG) übersteigt, vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen wird (§ 33 Abs. 1 EStG). Gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen.

    Nach dem BFH-Urteil vom 12. Mai 2011 (VI R 42/10, BFHE 234, 30, BStBl II 2011, 1015 mit weiteren Nachweisen) können Zivilprozesskosten – in Änderung der bis dato ständigen Rechtsprechung – unabhängig vom Gegenstand des Prozesses aus rechtlichen Gründen zwangsläufig erwachsen. Zur Begründung hat der BFH ausgeführt, dass die Auffassung, der Steuerpflichtige übernehme das Prozesskostenrisiko "freiwillig", verkenne, dass streitige Ansprüche wegen des staatlichen Gewaltmonopols regelmäßig nur gerichtlich durchzusetzen oder abzuwehren seien. Dies folge aus dem Rechtsstaatsgrundsatz. Es sei ein zentraler Aspekt der Rechtsstaatlichkeit, die eigenmächtig-gewaltsame Durchsetzung von Rechtsansprüchen grundsätzlich zu verwehren. Die Parteien würden zur gewaltfreien Lösung von Rechtsstreitigkeiten und Interessenkonflikten der Staatsbürger vielmehr auf den Weg vor die Gerichte verwiesen. Entgegen der bisherigen Rechtsprechung sei für die Frage der Zwangsläufigkeit von Prozesskosten nicht auf die Unausweichlichkeit des der streitgegenständlichen Zahlungsverpflichtung oder dem strittigen Zahlungsanspruch zugrunde liegenden Ereignisses abzustellen. Denn der Steuerpflichtige müsse, um sein Recht durchzusetzen, im Verfassungsstaat des Grundgesetzes den Rechtsweg beschreiten. Dieser Unausweichlichkeit stehe nicht entgegen, dass mit den Kosten eines Zivilprozesses in der Regel nur die unterliegende Partei (§ 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO) belastet sei. Denn der Einwand, der Unterliegende hätte bei gehöriger Prüfung seiner Rechte und Pflichten erkennen können, der Prozess werde keinen Erfolg haben, werde der Lebenswirklichkeit nicht gerecht. Als außergewöhnliche Belastungen seien Zivilprozesskosten jedoch nur zu berücksichtigen, wenn sich der Steuerpflichtige nicht mutwillig oder leichtfertig auf den Prozess eingelassen habe. Er müsse diesen vielmehr unter verständiger Würdigung des Für und Wider – auch des Kostenrisikos – eingegangen sein. Demgemäß seien Zivilprozesskosten des Klägers wie des Beklagten nicht unausweichlich, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung aus Sicht eines verständigen Dritten keine hinreichende Aussicht auf Erfolg geboten habe.

    Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsprechung mit den vom BFH vorgenommenen Erwägungen an. Dem zwischenzeitlich ergangenen anders lautenden Urteil des FG Düsseldorf vom 11. Februar 2014 (13 K 3724/12 E, EFG 2014, 850, BFH: VI R 17/14) folgt er hingegen nicht.

    In Anwendung dieser Rechtsgrundsätze sind der Klägerin die streitgegenständlichen Aufwendungen aus rechtlichen Gründen zwangsläufig erwachsen. Sie hat sich auch nicht mutwillig oder leichtfertig auf das Zivilverfahren eingelassen. Die Kosten stellen sich vielmehr als unausweichlich dar, da die Rechtsverfolgung aus der Sicht eines verständigen Dritten hinreichende Aussicht auf Erfolg bot. Dafür spricht bereits, dass die Klägerin im Beschwerdeverfahren weit überwiegend Erfolg gehabt hat (76 % zu 24 %). Der Zwangsläufigkeit der Aufwendungen steht nicht entgegen, dass die Klägerin aufgrund der Insolvenz ihres geschiedenen Ehemannes letztlich die gesamten Rechtsanwaltskosten und auch die auf ihren geschiedenen Ehemann entfallenden Gerichtskosten (Zweitschuldnerhaftung) tragen musste. Denn auch insoweit hat sich letztlich das jedem Verfahren innewohnende Prozess- bzw. Kostenrisiko realisiert. Dieser Umstand führt nicht dazu, dass die hinreichende Erfolgsaussicht (teilweise) rückwirkend entfällt.

    Auch die sonstigen Tatbestandsvoraussetzungen des § 33 Abs. 1 und 2 EStG sind erfüllt. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig.

    2. § 33 Abs. 2 Satz 4 EStG in der Fassung des Gesetzes zur Umsetzung der Amtshilferichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 26. Juni 2013 (BGBl. I 2013, 1809) – AmthilfeRLUmsG –, wonach Aufwendungen für die Führung eines Rechtsstreits (Prozesskosten) vom Abzug ausgeschlossen sind, es sei denn, es handelt sich um Aufwendungen, ohne die der Steuerpflichtige Gefahr liefe, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können, gelangt im Streitfall nicht zur Anwendung. Da der Gesetzgeber keine besondere Anwendungsbestimmung aufgestellt hat, gilt die am 1. Januar 2013 in Kraft getretene Norm (Art. 31 Abs. 1 des AmtshilfeRLUmsG) gemäß § 52 Abs. 1 EStG ab dem Veranlagungszeitraum 2013 (vgl. Urteile des FG Düsseldorf vom 8. August 2013 11 K 3540/12 E, EFG 2014, 199, BFH: VI R 62/13; vom 11. Februar 2014 13 K 3724/12 E, EFG 2014, 850, BFH: VI R 17/14; Urteil des FG Münster vom 20. März 2014 5 K 1147/12, EFG 2014, 1197, BFH: VI R 25/14).

    Die Übertragung der Ermittlung des festzusetzenden Steuerbetrags auf den Beklagten beruht auf § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO.

    Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

    Die Entscheidung über die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren beruht auf § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO.

    Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO zuzulassen.