20.02.2013 · IWW-Abrufnummer 130530
Finanzgericht Baden-Württemberg: Urteil vom 20.11.2012 – 11 K 838/10
1. Als Auftraggeber einer Handwerkerleistung i. S. d. § 35a Abs. 2 EStG kommt auch eine Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) in Betracht.
2. Dem Wohnungseigentümer steht die Steuerbegünstigung nach § 35a Abs. 2 EStG für Handwerkerleistungen, die von der WEG beauftragt wurden, im Jahr der Vorauszahlung an die WEG und nicht erst im Jahr der Genehmigung der Jahresabrechnung zu.
3. Die BMF-Schreiben v. 26. 10 .2007 ( BStBl 2007 I S. 783 Rz. 33; nachfolgend BMF-Schreiben v. 15.2.2010, BStBl 2010 I S. 140 Rz. 42) sind im Sinne eines Wahlrechts des Steuerpflichtigen zu verstehen, die Aufwendungen entweder im Veranlagungszeitraum der Vorauszahlung oder insgesamt im Veranlagungszeitraum der Jahresabrechnung geltend zu machen.
4. Den Steuerpflichtigen trifft kein grobes Verschulden i. S. d. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO, wenn er Handwerkerleistung erst nachträglich geltend macht, da er zum Zeitpunkt des Ergehens des ursprünglichen Einkommensteuerbescheides noch keine Kenntnis von Art und Umfang der begünstigten Handwerkerleistungen und der Höhe aufgewendeten Kosten hatte, da ihm noch keine Steuerbescheinigung der Hausverwaltung vorlag.
FG Baden-Württemberg v. 20. 11 .2012
11 K 838 / 10
Tatbestand
Strittig ist, ob Aufwendungen der Klägerin für Handwerkerleistungen im Sinne des § 35a Abs. 2 Satz 2 EStG in der im Streitjahr gültigen Fassung bereits im Jahr 2006 zu einer Steuerermäßigung führen.
Die Klägerin ist als Steuerfachangestellte nichtselbständig tätig. Sie wohnt in einer ihr gehörenden Eigentumswohnung in X, … straße 1 (Wohnung Nr. xx). Als Eigentümerin der Eigentumswohnung ist sie Gemeinschafterin der Wohnungseigentümergemeinschaft … straße 1 und 2, X (WEG). Bei der WEG fielen im Streitjahr 2006 Aufwendungen für eine geringfügige Beschäftigung im Sinne des § 8a SGB IV in Höhe von insgesamt 7.560,– EUR sowie für Handwerkerleistungen in Höhe von insgesamt 6.467,09 EUR an (vgl. zur Zusammensetzung der Aufwendungen im Einzelnen die Aufstellung der … dienste GmbH; FG-Akte Bl. 158). Die Handwerkerleistungen wurden nicht aus der Instandhaltungsrücklage der WEG, sondern aus den laufenden Vorauszahlungen der Wohnungseigentümer beglichen (vgl. Niederschrift über den gerichtlichen Erörterungstermin vom 26. April 2012; FG-Akte Bl. 97, sowie Schreiben der Bevollmächtigen im Einspruchsverfahren vom 28. Dezember 2009, FG-Akte Bl. 53). Auf die Klägerin entfielen von den begünstigten Aufwendungen anteilig (Wohnung und Garage) für die geringfügige Beschäftigung 182,95 EUR und für die Inanspruchnahme von Handwerkerleistungen 156,50 EUR. Aus der Hausgeldabrechnung für das Jahr 2006 vom 15. August 2009 ergab sich für die Klägerin aufgrund der von ihr geleisteten Vorauszahlungen ein Guthaben in Höhe von 101,62 EUR (vgl. FG-Akte Bl. 134 ff.).
Ihre Einkommensteuererklärung für das Jahr 2006 reichte die Klägerin am 28. Februar 2007 beim beklagten Finanzamt (FA) ein. Die Steuerermäßigungen gemäß § 35a EStG für die genannten Aufwendungen machte sie darin nicht geltend, da ihr noch keine Steuerbescheinigung der Hausverwaltung vorlag. Im Rahmen der Veranlagung übernahm das FA die erklärten Besteuerungsgrundlagen und setzte mit Bescheid vom 5. April 2007 die Einkommensteuer für 2006 in Höhe von 5.007,– EUR fest.
Mit Schreiben vom 17. September 2009 beantragte die Klägerin, den Einkommensteuerbescheid 2006 nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO zu ändern. Aufgrund der erst am 15. September 2009 beschlossenen Hausgeldabrechnungen für das Jahr 2006 beantragte sie, die anteilig auf ihre Eigentumswohnung entfallenden begünstigten Aufwendungen wie folgt gemäß § 35a EStG steuermindernd zu berücksichtigen (Bemessungsgrundlage):
Haushaltsnahes Beschäftigungsverhältnis, „Mini-Job” (§ 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG)
182,95 EUR
Handwerkerleistung (§ 35a Abs. 2 Satz 2 EStG)
156,50 EUR
Eine entsprechende Steuerbescheinigung der Hausverwaltung „… dienste GmbH” vom 15. August 2009 fügte die Klägerin dem Änderungsantrag bei.
Den Änderungsantrag lehnte das FA mit Schreiben vom 7. Oktober 2009 unter Hinweis auf die Bestandskraft des Einkommensteuerbescheides 2006 vom 5. April 2007 ab.
Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 10 . Oktober 2009 Einspruch ein. Als Begründung trug sie vor, die Voraussetzungen für eine Änderung gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO lägen vor. Die Vorlage der Hausgeldabrechnung erst nach Ergehen des ursprünglichen Steuerbescheides erfolge nicht grob schuldhaft, da sie die Abrechnung erst im Jahr 2009 erhalten habe.
Mit Schreiben vom 19. Oktober 2009 und 23. November 2009 unterbreitete das FA der Klägerin den Vorschlag, den Einkommensteuerbescheid 2006 zu ändern und die Aufwendungen für das haushaltsnahe Beschäftigungsverhältnis („Mini-Job”) gemäß § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG in Höhe von 182,95 EUR (Bemessungsgrundlage) zu berücksichtigen. Die Aufwendungen für die Handwerkerleistungen gemäß § 35a Abs. 2 Satz 2 EStG in Höhe von 156,50 EUR (Bemessungsgrundlage) könnten entsprechend den Regelungen im BMF-Schreiben vom 26. Oktober 2007 ( BStBl 2007 I S. 783 Rdnr. 33; nachfolgend BMF-Schreiben vom 15. Februar 2010, BStBl 2010 I S. 140 Rdnr. 42) jedoch erst im Jahr 2009 – also im Jahr der Genehmigung der Jahresabrechnung – angesetzt werden. Gleichzeitig wies das FA die Klägerin daraufhin, dass sie aber auch die gesamten Aufwendungen erst im Jahr 2009 geltend machen könne.
Nachdem sich die Klägerin nicht mit der vom FA vorgeschlagenen Erledigung einverstanden erklärte, änderte das FA mit Datum vom 14. Januar 2010 den Einkommensteuerbescheid 2006 nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO zugunsten der Klägerin ab. Das FA berücksichtigte die laufenden Aufwendungen gemäß § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO (haushaltsnahes Beschäftigungsverhältnis) in Höhe von 182,95 EUR (Bemessungsgrundlage) steuermindernd. Hieraus ergab sich einer Steuerermäßigung in Höhe von (aufgerundet) 19,– EUR ( 10 % von 182,95 EUR).
Im Übrigen wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom 25. Januar 2010 den Einspruch als unbegründet zurück. Eine Berücksichtigung der Aufwendungen für die Handwerkerleistung gemäß § 35a Abs. 2 Satz 2 EStG sei erst im Jahr der Genehmigung der Jahresabrechnung möglich. Zwar sei bei der Inanspruchnahme der Steuerermäßigung nach § 35a EStG grundsätzlich auf den Veranlagungszeitraum der Zahlung abzustellen ( § 11 Abs. 2 EStG ). Bei Wohnungseigentümern und Mietern erfolge der Nachweis der Aufwendungen mittels gesonderten Ausweises in der Jahresabrechnung oder durch Bescheinigung des Verwalters oder Vermieters. Dementsprechend könne dieser Personenkreis die Nachweisvoraussetzungen des § 35a EStG regelmäßig nicht bereits zum gesetzlichen Abgabetermin für seine Steuererklärung erfüllen. Dementsprechend stehe diesem Personenkreis ein Wahlrecht zu:
Aufwendungen für regelmäßig wiederkehrende Dienstleistungen (wie z.B. Reinigung des Treppenhauses, Gartenpflege, Hausmeister) seien grundsätzlich anhand der geleisteten Vorauszahlungen im Jahr der Vorauszahlungen zu berücksichtigen, einmalige Aufwendungen (wie z.B. Handwerkerrechnungen) dagegen erst im Jahr der Genehmigung der Jahresabrechnung. Es sei aber auch nicht zu beanstanden, wenn Wohnungseigentümer die gesamten Aufwendungen erst in dem Jahr geltend machten, in dem die Jahresabrechnung im Rahmen der Eigentümerversammlung genehmigt worden sei (vgl. Rdnr. 33 im BMF-Schreiben vom 26. Oktober 2007, a.a.O.; nachfolgend BMFSchreiben vom 15. Februar 2010, a.a.O., Rdnr. 42). Dem Änderungsantrag der Klägerin könne daher im Streitfall aufgrund der Regelungen im BMF-Schreiben nicht vollumfänglich entsprochen werden. Lediglich die Aufwendungen für die regelmäßig wiederkehrenden Ausgaben hätten im Änderungsbescheid vom 14. Januar 2010 zum Ansatz gebracht werden können. Die Aufwendungen für die Handwerkerleistungen könnten hingegen erst im Jahr 2009, also im Jahr der Genehmigung der Jahresabrechnung, berücksichtigt werden.
Hiergegen richtet sich die am 26. Februar 2010 bei Gericht eingegangene Klage. Zur Begründung trägt die Klägerin im Wesentlichen vor, aus dem Gesetzestext des § 35a EStG gehe nicht hervor, warum ein Teil der Aufwendungen im Jahr 2006, ein anderer jedoch erst im Jahr 2009 anzuerkennen sei. Die Anwendungsvorschrift des § 52 Abs. 50b EStG bestimme für alle „Versionen” des § 35a EStG, dass diese Vorschrift für in den jeweiligen Veranlagungszeiträumen geleistete Aufwendungen anzuwenden sei. § 11 Abs. 2 Satz 1 EStG bestimme ebenfalls in eindeutiger Weise, dass Aufwendungen für das Kalenderjahr anzusetzen seien, in dem sie geleistet würden. Ferner trug sie vor, dass gemäß Rdnr. 32 im BMF-Schreiben vom 26. Oktober 2007, a.a.O. die Steuerermäßigung im Veranlagungszeitraum der Zahlung in Anspruch genommen werden könne. Bei Wohnungseigentümern würden diese Aufwendungen als durch die Vorauszahlungen geleistet gelten. Es gebe keine Rechtsgrundlage für die Unterscheidung zwischen laufenden und einmaligen Aufwendungen. Es sei nicht mit den originären Grundsätzen des Steuerrechts vereinbar, dass gleiche Sachverhalte von der Finanzverwaltung unterschiedlich behandelt würden. Warum solle ein Hauseigentümer seine Aufwendungen im Sinne des § 35a Abs. 2 EStG im Jahr der Zahlung ansetzen können, ein Wohnungseigentümer jedoch nicht bereits im Jahr der Zahlung, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt im Jahr der Jahresabrechnung. Diese unterschiedliche Behandlung widerspreche eindeutig Gesetz und Verfassung. Sie – die Klägerin – habe im Jahr 2006 laufende Vorauszahlungen an die Hausverwaltung geleistet. Diese Aufwendungen seien nach § 35a Abs. 2 EStG berücksichtigungsfähig. Entsprechende Bescheinigungen seien eingereicht worden. Auch scheitere die Änderung des bestandskräftigen Einkommensteuerbescheides 2006 nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht, da sie kein grobes Verschulden treffe.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 7. Oktober 2009 und der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 25. Januar 2010 das FA zu verpflichten, einen geänderten Einkommensteuerbescheid 2006 zu erlassen und eine Steuerermäßigung gemäß § 35a Abs. 2 Satz 2 EStG in Höhe von 20 % von 156,50 EUR, das sind aufgerundet 32,– EUR, zu berücksichtigen,
hilfsweise die Revision zuzulassen.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise die Revision zuzulassen.
Zur Begründung beruft es sich im Wesentlichen auf seine Ausführungen in der Einspruchsentscheidung. In der mündlichen Verhandlung führte der Vertreter des FA ergänzend aus, die Regelung im BMF-Schreiben vom 15. Februar 2010 , a.a.O., Rdnr. 42 bedeute hinsichtlich der Berücksichtigung von einmaligen Handwerkerleistungen erst im Jahr der Genehmigung der vom Verwalter erstellten Jahresabrechnung in erster Linie ein Entgegenkommen der Finanzverwaltung, das die Steuerpflichtigen vor Rechtsnachteilen bewahren solle, die anderenfalls infolge fehlender Änderbarkeit bereits ergangener Steuerbescheide drohen könnten.
Der Berichterstatter hat am 26. April 2012 einen gerichtlichen Erörterungstermin durchgeführt. Auf die Sitzungsniederschrift wird verwiesen (FG-Akte Bl. 96 ff.).
Der Senat hat den Streitfall am 20. November 2012 mündlich verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift wird verwiesen.
Dem Gericht lagen bei seiner Entscheidung die den Streitfall betreffenden Akten des FA vor (1 Bd. Rechtsbehelfsakten; 1 Bd. Einkommensteuerakten).
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 7. Oktober 2009 und der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 25. Januar 2010 wird das FA verpflichtet, einen geänderten Einkommensteuerbescheid 2006 zu erlassen und eine Steuerermäßigung gemäß § 35a Abs. 2 Satz 2 EStG in Höhe von 20 % von 156,50 EUR, das sind aufgerundet 32,– EUR, zu berücksichtigen. Die Sache ist spruchreif (§ 101 Satz 1 FGO).
I. Gemäß § 35a Abs. 2 Satz 2 EStG in der im Streitjahr gültigen Fassung des Gesetzes zur steuerlichen Förderung von Wachstum und Beschäftigung vom 26. April 2006 ( BGBl 2006 I S. 1091) ermäßigt sich die tarifliche Einkommensteuer auf Antrag um 20 %, höchstens 600 EUR, der Aufwendungen des Steuerpflichtigen für die Inanspruchnahme von Handwerkerleistungen für Renovierungs-, Erhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen, die in einem inländischen Haushalt des Steuerpflichtigen erbracht werden.
1. Grundsätzlich kann der Steuerpflichtige die Steuerermäßigung nach § 35a Abs. 2 EStG nur in Anspruch nehmen, wenn er Auftraggeber der Handwerkerleistung ist. Als Auftraggeber kommt aber auch eine Wohnungseigentümergemeinschaft in Betracht (vgl. FG Baden-Württemberg, Urteil vom 17. Mai 2006 , 13 K 262/04, EFG 2006, 1163; ebenso BMF-Schreiben vom 15. Februar 2010, BStBl 2010 I S. 140 Rdnrn. 23, 40).
2. Die Klägerin hat als Wohnungseigentümerin begünstigte Aufwendungen im Sinne des § 35a Abs. 2 Satz 2 EStG in Höhe von insgesamt 156,50 EUR im Wege laufender Vorauszahlungen an die WEG geleistet, die sie im Streitjahr für die Begleichung von Handwerkerleistungen verwendete (vgl. Steuerbescheinigungen des Hausverwalters, Rb-Akte Bl. 9 f.). Die von der Klägerin im Jahr 2006 geleisteten Vorauszahlungen deckten auch die Aufwendungen für die Handwerkerleistungen ab, denn aus der Hausgeldabrechnung für das Jahr 2006 vom 15. August 2009 ergab sich für die Klägerin aufgrund der von ihr geleisteten Vorauszahlungen ein Guthaben.
Damit steht der Klägerin eine Steuerermäßigung gemäß § 35a Abs. 2 Satz 2 EStG in Höhe von 20 % von 156,50 EUR, das sind (gerundet) 32 EUR, zu.
3. Zum im vorliegenden Verfahren allein streitigen Zeitpunkt der Inanspruchnahme der Steuerermäßigung bei Wohnungseigentümern vertritt die Finanzverwaltung in Rdnr. 42 des BMF-Schreibens vom 15. Februar 2010, a.a.O. (anzuwenden ab dem Veranlagungszeitraum 2006, Rdnr. 53) eine differenzierende Auffassung: Danach sollen Aufwendungen für regelmäßig wiederkehrende Dienstleistungen (wie z. B. Reinigung des Treppenhauses, Gartenpflege, Hausmeister) grundsätzlich anhand der geleisteten Vorauszahlungen im Jahr der Vorauszahlungen, einmalige Aufwendungen (wie z. B. Handwerkerrechnungen) dagegen erst im Jahr der Genehmigung der Jahresabrechnung berücksichtigt werden können. Soweit einmalige Aufwendungen durch eine Entnahme aus der Instandhaltungsrücklage finanziert werden, könnten die Aufwendungen erst im Jahr des Abflusses aus der Instandhaltungsrücklage oder im Jahr der Genehmigung der Jahresabrechnung, die den Abfluss aus der Instandhaltungsrücklage beinhaltet, berücksichtigt werden. Es sei aber auch nicht zu beanstanden, wenn Wohnungseigentümer die gesamten Aufwendungen erst in dem Jahr geltend machen, in dem die Jahresabrechnung im Rahmen der Eigentümerversammlung genehmigt worden ist.
Soweit damit von der Finanzverwaltung zum Ausdruck gebracht wird, dass Aufwendungen für Handwerkerleistungen bei Wohnungseigentümern entgegen § 11 Abs. 2 EStG nicht im Jahr ihrer Zahlung zu einer Steuerermäßigung führen können, schließt sich der erkennende Senat dem nicht an. Der Vertreter des FA gab in der mündlichen Verhandlung zur Begründung für die Regelung in Rdnr. 42 des BMF-Schreibens vom 15. Februar 2010, a.a.O., an, sie stelle eine Billigkeitsregelung zu Gunsten der Steuerpflichtigen dar. Sie solle die Steuerpflichtigen vor Rechtsnachteilen bewahren, die anderenfalls infolge fehlender Änderbarkeit bereits ergangener Steuerbescheide drohen könnten. Auch nach Auffassung des erkennenden Senats stellt dies auf der Ebene einer abweichenden Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen (§ 163 AO) ein begrüßenswertes und sinnvolles Anliegen dar. Andererseits kann hieraus jedoch einem Steuerpflichtigen, der sich auf das in § 11 Abs. 2 Satz 1 EStG geregelte Abflussprinzip beruft, die Anerkennung seines Begehrens nicht verwehrt werden. Dies kann für den Steuerpflichten etwa dann von Bedeutung sein, wenn er – wie vorliegend die Klägerin – durch die Häufung mehrerer Jahresabrechnungen in einem Jahr über die gesetzlich vorgesehene Höchstgrenze der berücksichtigungsfähigen Aufwendungen gelangt. Zudem verhält sich die Finanzverwaltung nach Auffassung des Senats widersprüchlich, wenn sie die Steuerermäßigung bei Aufwendungen für regelmäßig wiederkehrende Dienstleistungen (wie z.B. Reinigung des Treppenhauses, Gartenpflege, Hausmeister) – anders als solche für Handwerkerleistungen – bereits im Jahr der geleisteten Vorauszahlungen gewährt, obwohl diese sich auch von Jahr zur Jahr ändern können. Schließlich führt auch die Finanzverwaltung selbst im genannten BMF-Schreiben vom 15. Februar 2010 , a.a.O., Rdnr. 40 aus, dass für die Inanspruchnahme der Steuerermäßigung grundsätzlich auf den Veranlagungszeitraum der Zahlung abzustellen sei (vgl. auch Schmidt/Kulosa, EStG, Kommentar, 31. Auflage, § 35a Rz. 17; Apitz, in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, Kommentar, § 35a Anm. 26 „Zahlungszeitpunkt”; Heß/Görn, DStR 2007, 1804, 1806; Bode, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, Kommentar, § 35a Rdnr. D 15).
Der Senat folgt der Auffassung von Schmidt/Kulosa, a.a.O., sowie von Heß/Görn, a.a.O., die Regelung in Rdnrn. 41 – 43 des BMF-Schreibens im Sinne eines Wahlrechts des Steuerpflichtigen zu verstehen, die Aufwendungen entweder im Veranlagungszeitraum der Vorauszahlung oder insgesamt im Veranlagungszeitraum der Jahresabrechnung geltend zu machen. Es würde einen nicht gerechtfertigten Verstoß gegen das in § 11 Abs. 2 EStG geregelte und auch im Bereich der Steuerermäßigungen zu beachtende Abflussprinzip bedeuten, würde man einzelne Aufwendungen – wie die hier streitigen Handwerkerleistungen – hiervon ausnehmen.
Auch mögliche Praktikabilitätserwägungen stehen dem – jedenfalls im vorliegenden Fall – nicht entgegen. Denn das FA erließ unter dem Datum 14. Januar 2010 ohnehin einen geänderten Einkommensteuerbescheid 2006, um die Steuerermäßigung für das haushaltsnahe Beschäftigungsverhältnis zu gewähren. Angesichts dessen hätte es gerade einer verwaltungsökonomischen Handlungsweise entsprochen, sogleich auch die Steuerermäßigung für die Handwerkerleistung in Ansatz zu bringen.
II. Die Änderungsvoraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO liegen vor.
Danach sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt geworden sind.
Dem FA ist im Streitfall nachträglich eine Tatsache bekannt geworden, die zu einer niedrigeren Steuer führt. Tatsache im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO ist alles, was Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Steuertatbestandes sein kann, also Zustände, Vorgänge, Beziehungen, Eigenschaften materieller oder immaterieller Art (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 9. August 1991 III R 24/87, BFHE 165, 454, BStBl II 1992, 65). Die Klägerin hatte in ihrer Einkommensteuererklärung 2006 keine Angaben zu den Handwerkerleistungen gemacht. Erst mit dem Änderungsantrag vom 17. September 2009 erlangte das FA positive Kenntnis von den Handwerkerleistungen. Der ursprüngliche Einkommensteuerbescheid 2006 datierte vom 5. April 2007. Insoweit ist dem FA diese Tatsache erst nachträglich bekannt geworden (vgl. FG Münster, Urteil vom 15. Dezember 2011, 11 K 4034/09 E , EFG 2012, 1003.)
Die Klägerin trifft auch unter Berücksichtigung ihrer Tätigkeit als Steuerfachangestellte kein grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden der Tatsache. Als grobes Verschulden im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO hat der Steuerpflichtige Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten. Die hier allein in Betracht kommende grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Steuerpflichtige die ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 19. Dezember 2006 VI R 59/02, BFH/NV 2007, 866). Hiervon kann im Streitfall nicht ausgegangen werden (vgl. auch OFD Münster, Verfügung vom 17. Dezember 2007, DStR 2008, 254 für die erstmalige Beantragung einer Steuerermäßigung). Die Klägerin erhielt die Steuerbescheinigung der Hausverwaltung für das Jahr 2006 erst im August 2009. Zum Zeitpunkt des Ergehens des ursprünglichen Einkommensteuerbescheides 2006 am 5. April 2007 hatte sie noch keine Kenntnis von Art und Umfang der begünstigten Handwerkerleistungen und der Höhe der hierzu auch für ihre Rechnung aufgewendeten Kosten; sie konnte demzufolge hierzu auch keine Angaben in ihrer Steuererklärung machen. Der erkennende Senat kann auch kein grobes Verschulden darin erkennen, dass es der Klägerin nicht gelungen ist, bei der Hausverwaltung eine schnellere Vorlage der Steuerbescheinigung zu erreichen. Schließlich hat auch das FA bei Ergehen des geänderten Einkommensteuerbescheides 2006 vom 14. Januar 2010 kein grobes Verschulden i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO erkannt, da es den Steuerbescheid vom 5. April 2007 wegen der Steuerermäßigung für das haushaltsnahe Beschäftigungsverhältnis unter Anwendung dieser Korrekturvorschrift geändert hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO nicht vorlagen. Die Berücksichtigungsfähigkeit der Steuerermäßigung im Streitjahr ergibt sich eindeutig aus dem in § 11 Abs. 2 EStG geregelten Abflussprinzip.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 155 FGO i. V. mit §§ 708 Nr. 11 , 709, 711 ZPO .