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  • · Fachbeitrag · Unfallschadensregulierung

    Der Zweitwageneinwand beim Nutzungsausfallersatz

    von VRiOLG a.D. Dr. Christoph Eggert, Leverkusen

    | Zum Standardrepertoire der Haftpflichtversicherer gehört, Ansprüche auf Nutzungsausfallersatz (abstrakte Nutzungsentschädigung/Mietwagen) mit dem Argument abzulehnen, der Anspruchsteller habe die Ausfallzeit mit einem Zweitfahrzeug überbrücken können. Ob und unter welchen Voraussetzungen dieser Einwand sticht, wird im Folgenden näher dargestellt. Zur Klarstellung: Es geht nicht um die gleichfalls spannende Frage, ob die tatsächliche Benutzung eines Gratis-Ersatzwagens (Werkstatt, Arbeitgeber) den Schädiger entlastet (dazu VA 11, 95, 98). |

     

    Checkliste I / Einwand „Zweitwagen“ bei der abstrakten Nutzungsausfallentschädigung

    • 1. Rechtlicher Ausgangspunkt: Grundvoraussetzung ist, dass die Gebrauchsbeeinträchtigung als wirtschaftlicher Schaden gewertet werden kann. Dabei legt der BGH einen strengen Maßstab an, wie er in dem Wohnmobil-Urteil VA 08, 145 ausdrücklich betont. Auf der gleichen Linie liegt sein Beschluss vom 13.12.11, VI ZA 40/11, Abruf-Nr. 120198 (Krad Yamaha).

    • 2. Zweites Fahrzeug stempelt Unfallfahrzeug zum Freizeitmobil: Der erforderliche „eigenwirtschaftliche Einsatz“ ist bei einem für den alltäglichen Gebrauch vorgesehenen Pkw ohne Weiteres zu bejahen; auch bei einem Kombi, VAN oder SUV. Schon auf dieser ersten Stufe („wirtschaftlicher Schaden“) problematisch sind dagegen reine Sportwagen, Oldtimer, Wohnmobile, Quads, Motor- und Rennräder; zumal, wenn der Anspruchsteller (wie in den o.a. BGH-Fällen) zusätzlich über einen „normalen“ Pkw verfügt.

    • Gleichviel, ob Erst- oder Zweitwagen, ob Haupt- oder Nebenfahrzeug: Der Besitz eines „normalen“ Pkw indiziert einen Einsatz des unfallbeschädigten (Sonder-)Fahrzeugs außerhalb des vermögensmäßig Erfassbaren und Schützenswerten (Freizeit, Hobby, Liebhaberei). Die Gerichte argumentieren zwar nicht mit einem Anscheinsbeweis, was auch verfehlt wäre. Faktisch ist es aber so, dass das Normalauto dem Sonderfahrzeug den Stempel „Freizeitmobil“ aufdrückt.

    • Praxishinweis für Geschädigten-RA | Den Stempel „Freizeitmobil“ durch konkreten Sachvortrag zum Einsatz des Unfallfahrzeugs auch oder gar ausschließlich als „normales“ Verkehrs- und Beförderungsmittel wieder loszuwerden, ist beim Vorhandensein eines anderen Fahrzeugs („Zweitwagen“) wenig erfolgversprechend. Der Versuch der Normalisierung, so wichtig er sonst ist, kann hier sogar ein Eigentor sein. Der Richter unterstellt die Behauptung über den Alltagseinsatz als wahr, um den Anspruch auf der nächsten Stufe mit dem Zweitwagenargument abzulehnen (vgl. OLG Düsseldorf 15.11.11, I-1 U 50/11, Abruf-Nr. 120944; s. auch LG Köln 1.2.11, 9 S 378/10, Abruf-Nr. 111624).

    • 3. „Fühlbarkeit“ der Nutzungseinbuße: Keinen „fühlbaren“ Ausfall hat der Geschädigte erlitten, wenn es ihm möglich und zumutbar ist, die Ausfallzeit mit einem zweiten Fahrzeug zu überbrücken (BGH NJW 76, 286). Seinerzeit hat der BGH offengelassen, ob dieses Ergebnis dogmatisch eine Frage des Schadensbegriffs oder des § 254 Abs. 2 S. 1 BGB ist. In der Folgezeit ist die Rspr. mehrheitlich nicht über § 254 BGB gegangen. Argumentiert wird mit dem Gesichtspunkt der „Fühlbarkeit“, mitunter auch mit seinem Ableger „Nutzungswille“ (BGH VA 08, 145 - Pkw neben Unfall-Wohnmobil; OLG Düsseldorf 15.11.11, I-1 U 50/11, Abruf-Nr. 120944 - Pkw neben Unfall-Oldtimer; OLG Jena NJW-RR 04, 1030 - Porsche neben Unfall-Ferrari).
    • 4. Darlegungs- und Beweislast
    • a) Ausgangslage: Verortet man das Zweitfahrzeugproblem bei der „Fühlbarkeit“, geht es - jedenfalls primär - um den Anspruchsgrund. Durch den Unfall einen „fühlbarent“ Ausfall erlitten zu haben, muss der Geschädigte darlegen und beweisen. Mit dem Entschädigungsverlangen ist die konkludente Behauptung verbunden, während der fraglichen Zeit keinen Zugriff auf ein eigenes Ersatzfahrzeug gehabt zu haben. Diese negative Tatsache ausdrücklich zu behaupten, ist der sicherste Weg.

    • Der Schädiger/VR muss der Negativbehauptung mit „qualifiziertem Vortrag“ entgegentreten (so AG Neu-Ulm 28.6.10, 4 C 79/10, Abruf-Nr. 111623). Dabei genügt die Behauptung, dass ein weiteres Fahrzeug auf den Geschädigten zugelassen ist. Das zu recherchieren, ist für die VR ein Leichtes. Mit Einführung des Wechselkennzeichens per 1.7.12 wird der Nachweis der Klassengleichheit noch leichter. Beispiel: Unfall-Pkw hat Wechselkennzeichen, Zweitfahrzeug ist gleichfalls ein Pkw.

    • Auch im Fall der Beschädigung eines Oldtimers muss der Schädiger konkret zum Zweitwagenbesitz vortragen (AG Strausberg 26.2.09, 25 C 205/08, Abruf-Nr. 111269). Dafür, dass ein Motorrad-Eigentümer zusätzlich über einen Pkw verfügt, spricht gleichfalls kein Lebenserfahrungssatz. Die Behauptung des VR, dem Kläger habe ein Zweitfahrzeug zur Verfügung gestanden, darf dieser nicht „einfach“ bestreiten. Er muss sich qualifiziert erklären. Inhalt und Grad der Substanziierung sind von der konkreten Fallgestaltung abhängig.

    • b) Fallgestaltungen und Praxisprobleme
    • aa) Auf den Anspruchsteller ist ein zweites Fahrzeug zugelassen: Ist dies unstreitig oder bewiesen, dreht sich der Streit erfahrungsgemäß um die Frage, ob der Einsatz des Zweitfahrzeugs dem Geschädigten im gesamten Ausfallzeitraum möglich und zumutbar gewesen ist. Wer erst am dritten oder vierten Tag auf einen Zweitwagen zurückgreifen kann, ist für die Vorlaufzeit ab Unfalltag zu entschädigen. Nicht stichhaltig ist das Argument, schon die Zulassung auf den eigenen Namen beweise die uneingeschränkte Verfügungsmöglichkeit. Die Eintragung im Brief (ZB II) ist nur ein Indiz, das bei der Würdigung der gesamten Umstände zu berücksichtigen ist.
    • Möglichkeit des Zweitwageneinsatzes. Hinderungsgründe sind z.B.:
      • Stilllegung (Abmeldung),
      • nur Saisonkennzeichen (dazu LG Saarbrücken SP 06, 67 - Ersatzanspruch wg. Anmeldemöglichkeit verneint),
      • kein TÜV (HU),
      • Fahrbereitschaft technisch nicht gegeben oder fragwürdig (dazu LG Lübeck VA 11, 184 für die Konstellation „Unfall-Rad/Ersatzrad“),
      • Ausrüstungsdefizite/Nutzungsnachteile, z.B. keine Winterreifen, keine Anhängerkupplung, kein Autotelefon (dazu BGH NJW 70, 1120), begrenzte Reichweite (Elektroauto),
      • kein Zugriff wegen Nutzung durch Ehegatten, Lebensgefährten oder Kinder. Dazu OLG Düsseldorf 15.11.11, I-1 U 50/11, Abruf-Nr. 120944: „Steht ein Zweitfahrzeug einem Angehörigen zur ständigen Verfügung, sodass der Geschädigte nicht darauf zurückgreifen kann, hat er Anspruch auf Ersatz eines Nutzungsausfallschadens trotz der Existenz eines Ersatzwagens. Die familiäre Gebrauchshinderung hat der Geschädigte darzulegen.“ Streng OLG Brandenburg VA 07, 118 („genauer Umfang der jeweiligen Fahrzeugnutzung durch andere Familienangehörige“). Weitere Rspr. zum „Familienauto“ s. I 4 b, bb.

    • Zumutbarkeit des Zweitwageneinsatzes
    • Unter diesem Gesichtspunkt, aber auch als eigenständige Voraussetzung wird die Forderung aufgestellt, dem Zweitfahrzeug müsse ein „zumindest ähnlicher Nutzungswert“ zukommen (OLG Düsseldorf VA 08, 93 - Unfall-Harley vs. Pkw; LG Passau 29.10.09, 3 S 7/09, Abruf-Nr. 121464 - Privat-Pkw vs. beruflich genutzter BMW X 5). Nach OLG Köln MDR 99, 157 muss der einsetzbare Zweitwagen „dem beschädigten Fahrzeug entsprechen“. Geschädigtengünstig auch LG Nürnberg-Fürth 4.7.05, 2 O 10232/01, Abruf-Nr. 060043: Rückgriff auf Mittelklasse-Pkw unzumutbar für Eigentümer eines „exklusiven“ Fahrzeugs.

    • Restriktiv OLG Düsseldorf 15.11.11, I-1 U 50/11, Abruf-Nr. 121944 - Unfall-Oldtimer vs. MB 200 E („Gleichwertigkeit“ bejaht); ebenso LG Passau a.a.O. Sich innerhalb der gleichen Fahrzeugklasse (Pkw/Lkw/Krad) vorübergehend etwas kleiner zu setzen, mutet man dem Geschädigten zu. Zur Parallele beim Mietwagen: BGH NJW 82, 1518; s. aber auch BGH NJW 70, 1120. Kurzformel: „Kleiner ja, anders nein.“

    • Weitere Aspekte der Zumutbarkeit:
      • Zweitwagen verbraucht deutlich mehr Kraftstoff,
      • Oldtimer statt Normal-Pkw, zumal außerhalb des Sommers,
      • steuerliche Nachteile beim Einsatz eines Dienst-Pkw zu Privatfahrten (dazu LG Passau a.a.O.),
      • kaskoversicherungsrechtliche Nachteile (Wenigfahrer-Tarif, Lady-Tarif u.a.)
      • kein Vollkaskoschutz für Zweitwagen, während Unfallfahrzeug Vollkasko hat.

    • bb) Zweites Fahrzeug ist auf Ehegatten/Lebensgefährten/Kind zugelassen. Die Fremdzulassung ist ein gewichtiges Indiz für die Unmöglichkeit vorübergehender Nutzung durch den Geschädigten. Verstärkt wird es, wenn der Ehepartner/Lebensgefährte nicht nur Halter, sondern auch Alleineigentümer ist. Bei Miteigentum/Mitbesitz kommt es auf die tatsächlichen Nutzungsverhältnisse an.

    • Rspr. zum „Familienauto“ (ergänzend zu oben I 4 b, aa): OLG Koblenz NZV 04, 258 (älterer Cadillac = Unfallwagen stand im Eigentum der kl. Ehefrau, benutzt wurde er überwiegend vom Ehemann, auf den ein Mazda zugelassen war, der wiederum überwiegend von der Ehefrau genutzt wurde); OLG Hamm VersR 90, 964 (Verfügungsmöglichkeit verneint, wenn der auf die Ehefrau zugelassene Zweitwagen von dieser für die Fahrt zur Arbeit benutzt wird); OLG München DAR 91, 103 (Kl. hat nicht vorgetragen, auf die „Familienautos“ keinen Zugriff gehabt zu haben); LG Bonn NZV 98, 417 (statt Mietwagen Zweitwagen). Argument pro Geschädigten: Wenn selbst die tatsächliche Benutzung des Ehepartner-Autos dem Schädiger nicht zugute kommt (BGH VersR 75, 261), darf er vom bloßen Vorhandensein erst recht nicht profitieren.

    • cc) Ersatzfahrzeug ist auf Firma zugelassen: Wem als Geschäftswagen ein Pkw zur Verfügung steht, muss sich bei einem Unfallschaden an seinem eigenen Fahrzeug darauf verweisen lassen (OLG Frankfurt a.M. SP 99, 347). Zum Fall eines Handelsvertreters mit Dienst-Pkw und zusätzlichem Privatwagen LG Passau a.a.O.; s. auch OLG Karlsruhe NZV 94, 316 (kein eigener Firmenwagen, sondern Lebensgefährte mit Firmenfahrzeug auch für private Zwecke, Anmietnotwendigkeit auch wegen geringer Fahrstrecke verneint).

     

    Checkliste II / Einwand „Zweitwagen“ beim Ersatz von Mietwagenkosten

    • 1. Ausgangslage: Nach dem in § 249 Abs. 2 S. 1 BGB verankerten Wirtschaftlichkeitsgebot hat der Geschädigte im Rahmen des ihm Zumutbaren stets den wirtschaftlichsten Weg der Schadensbehebung zu wählen. Statt Anmietung eines Ersatzfahrzeugs kann das die Benutzung eines Zweitwagens sein.

    • 2. Darlegungs- und Beweislast: Für die Notwendigkeit der Anmietung ist der Geschädigte darlegungs- und beweispflichtig. Dazu genügt zunächst der Vortrag, auf ein Mietfahrzeug angewiesen gewesen zu sein. Das Bestehen einer sog. Eil- oder Notsituation muss dazu nicht behauptet werden; ebenso wenig der Grund für den Mobilitätsbedarf, wenngleich nähere Angaben schon in der Klageschrift sinnvoll sind. Das Fehlen von Alternativen wie Taxi, Bus/Bahn oder Zweitfahrzeug braucht der Geschädigte nicht von sich aus katalogartig herunterzubeten.

    • Wird die Notwendigkeit der Inanspruchnahme eines Mietfahrzeugs nicht ausdrücklich bestritten, wendet der VR sich also - wie meist - nur gegen die Höhe der Mietkosten, darf das Gericht eine Klage nicht mit der Begründung abweisen, zur Deckung des Mobilitätsbedarfs habe ein Taxi genügt (BGH VA 08, 74). Mit Blick auf einen Zweitwagen kann nichts anderes gelten. Ihn als Alternative ins Spiel zu bringen, ist Sache des Schädigers/VR mit anschließender Erklärungsobliegenheit des Klägers (LG Düsseldorf 3.3.11, 2 O 624/09, Abruf-Nr. 120251). In der (Teil-)Regulierung kann ein Anerkenntnis der Anmietnotwendigkeit zu sehen sein.

    • 3. Möglicher und zumutbarer Einsatz eines Zweitwagens: Was den Anspruch auf abstrakte Nutzungsentschädigung mangels „Fühlbarkeit“ entfallen lässt, kann den Anspruch auf Mietkostenersatz wegen fehlender „Erforderlichkeit“ zu Fall bringen (LG Düsseldorf a.a.O.; AG Neu-Ulm 28.6.10, 4 C 79/10, Abruf-Nr. 111623). Wegen der Einzelheiten wird auf oben I 4 b verwiesen. Sonderregeln gelten für gewerblich genutzte Fahrzeuge (Stichwort Reservefahrzeug).
    Quelle: Ausgabe 06 / 2012 | Seite 97 | ID 33642140