· Fachbeitrag · Verbraucherschutz
Verträge in Seniorenheimen nach dem Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG)
von RA Karl-Heinz Steffens, Berlin
| Auch nach fast fünf Jahren Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG) kennen viele der ca. 750.000 Menschen, die im Alter in ein Pflegeheim ziehen, ihre Rechte nicht. Auch vielen Anwälten ist der Inhalt des WBVG unbekannt. Deshalb sollen hier die Grundzüge des WBVG und die wichtigste hierzu bereits ergangene Rechtsprechung vorgestellt werden. |
1. Ziel des Gesetzes und wichtige Ausgangsfragen
Durch die Föderalismusreform ist den Bundesländern die Gesetzgebungskompetenz für das Heimrecht zugewachsen (Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG). Das Heimgesetz des Bundes (HeimG) wird durch landesrechtliche Regelungen ersetzt. Der Bund hat die zivilrechtlichen Regelungen des alten Heimrechts im Gesetz zur Regelung von Verträgen über Wohnraum mit Pflege- und Betreuungsdienstleistungen (Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz - WBVG) neu gefasst. Ziel des Gesetzes ist, den Verbraucherschutz in diesem Bereich zu stärken, weil hier weitreichende Entscheidungen für das tägliche Leben hilfsbedürftiger alter Menschen getroffen werden(BT-Drucksache 16/12882, 1).
In der Praxis ergeben und ergaben sich einige Schwierigkeiten, die durch Urteile verschiedener Gerichte beseitigt wurden. Die Verbraucherzentralen und der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) haben einige Urteile zu den Vertragsklauseln erstritten. Die wichtigsten Ausgangsfragen sind:
- Welche Verträge sind vom Anwendungsbereich des Gesetzes erfasst?
- Welche Informationspflichten treffen den Anbieter vor Vertragsabschluss?
- Wie kann der Anbieter diesen Pflichten nachkommen?
- Inwieweit muss bei einer Änderung des Betreuungs- und Pflegebedarfs eine Vertragsanpassung erfolgen?
- Welche Umstände berechtigen zur Kündigung eines Vertrags?
- Für welche Gestaltungen und Fälligkeiten hat das Gesetz Konsequenzen?
- Welche Gerichtsurteile haben auf Vertragsklauseln Auswirkungen?
2. Anwendungsbereich des WBVG
Nach § 1 Abs. 1 S. 1 WBVG ist das Gesetz anzuwenden auf einen Vertrag zwischen einem Unternehmer und einem volljährigen Verbraucher, in dem sich der Unternehmer zur Überlassung von Wohnraum und zur Erbringung von Pflege- und Betreuungsleistungen verpflichtet, die der Bewältigung eines durch Alter, Pflegebedürftigkeit oder Behinderung bedingten Hilfsbedarfs dienen.
Solange ein Vertrag neben der Überlassung von Wohnraum lediglich die Erbringung von allgemeinen Unterstützungsleistungen vorsieht, wie z.B. die Vermittlung von Pflege- oder Betreuungsleistungen, Leistungen der hauswirtschaftlichen Versorgung oder Notrufdienste, ist das WBVG nicht anwendbar (Palandt/Weidenkaff, BGB, 73. Aufl., § 1 WBVG Rn. 2). Die Ausnahmen vom Anwendungsbereich sind in § 2 WBVG aufgezählt.
a) Klare Grundregel
Besondere Regeln sind nur geboten, wenn in einem Vertrag sowohl ein Mietverhältnis als auch ein Betreuungs- bzw. Pflegeverhältnis begründet wird. Bei dieser Art Abhängigkeitsverhältnis ist der Hilfebedürftige besonders zu schützen. Bei untergeordneten Leistungen wird kein Anwendungsbereich eröffnet. Bisher übliche Formen des sogenannten „Betreuten Wohnens“ fallen dagegen in den Anwendungsbereich des Gesetzes, wenn die vorgehaltenen Leistungen einen erheblichen Bestandteil des Vertragsverhältnisses ausmachen (hierzu bereits BGH NZM 06, 290).
b) Schwer überschaubare Ausweitung in § 1 Abs. 2 WBVG
In § 1 Abs. 2 WBVG kommt es zur schwer überschaubaren Ausweitungen:
- Nr. 1 erfasst den Fall, dass der Bestand des Wohnraumüberlassungsvertrags von dem Bestand des Dienstleistungsvertrags abhängig ist.
- Nr. 2 betrifft den Fall, dass das Recht des Verbrauchers, das Dienstleistungsverhältnis isoliert zu kündigen, ausgeschlossen ist.
- Schließlich stellt Nr. 3 auf die tatsächliche Abhängigkeit des Wohnraumüberlassungsvertrags von dem Dienstleistungsvertrag ab. In Abs. 2 S. 1 geht es um verbundene Unternehmen. Das WBVG ist grundsätzlich entsprechend anzuwenden, wenn getrennte Verträge von verschiedenen Unternehmen abgeschlossen werden. Sind die Unternehmen nicht rechtlich oder wirtschaftlich verbunden, ist das WBVG nicht anwendbar.
3. Informationspflichten vor Vertragsabschluss
Aus § 3 WBVG folgen umfassende Informationspflichten des Unternehmers vor Abschluss eines Vertrags. Der Verbraucher ist rechtzeitig vor Abgabe seiner Vertragserklärung in Textform und in leicht verständlicher Sprache über das allgemeine Leistungsangebot des Unternehmers und den wesentlichen Inhalt der für den Verbraucher in Betracht kommenden Leistungen zu informieren (§ 3 Abs. 1 WBVG). Dadurch soll eine umfangreiche Transparenz und Vergleichbarkeit von Angeboten erreicht werden. Die Darstellung der in Betracht kommenden Leistungen sind von den Angaben her in § 3 Abs. 3 WBVG genau beschrieben. Sollte der Unternehmer diese Informationspflichten vor Vertragsabschluss nicht erfüllen, muss der Unternehmer diese nach § 3 Abs. 4 WBVG unverzüglich nachholen. Es gibt dann eine fristlose Kündigungsmöglichkeit aus § 6 Abs. 2 S. 2 WBVG).
Probleme ergeben sich bei der Art der Information und dem Umfang der Information. Da die Kündigungsmöglichkeit unbefristet ist, steht dem Bewohner das Kündigungsrecht unbeschränkt - vielleicht durch die Verwirkung begrenzt - zu. In ländlichen Regionen ist das Kündigungsrecht ein stumpfes Schwert, wenn es nicht genügend Alternativen für den Hilfebedürftigen gibt. Es stellt sich auch die Frage, ob Verbraucherschutz durch umfangreiche Informationspflichten erfüllt werden kann. Diese Verpflichtung ergibt sich aus europarechtlichen Vorgaben. Wegen der möglichen Textfülle kann die Warnfunktion der vorvertraglichen Information nicht voll zur Wirkung kommen. Wie in anderen Bereichen muss dann ein Experte zu Rate gezogen werden.
4. Vertragsanpassung bei Änderung des Bedarfs
Von erheblicher praktischer Bedeutung ist die Regelung des § 8 Abs. 1 S. 1 WBVG. Danach ist der Unternehmer verpflichtet, dem Verbraucher eine Anpassung der Leistung anzubieten, wenn sich dessen Pflege- oder Betreuungsbedarf ändert. § 8 Abs. 1 S. 2 WBVG erlaubt es dem Verbraucher, dieses Angebot ganz oder teilweise anzunehmen. In der Konsequenz erhöht oder verringert sich das zu zahlende Entgelt entsprechend dem angepassten Leistungsumfang. Damit der Verbraucher über das unterbreitete Angebot entscheiden kann, muss der Unternehmer nach § 8 Abs. 3 WBVG die bisherigen und die nunmehr angebotenen Leistungen sowie die jeweils zu zahlenden Entgelte schriftlich gegenüberstellen und begründen.
Dem Bewohner soll ein Wohnen auf Lebenszeit ermöglicht werden. Deshalb ist der Vertrag nach § 4 Abs. 1 WBVG auch auf unbestimmte Zeit zu schließen. Der Gesetzgeber normiert eine umfassende Obhutspflicht des Trägers der Einrichtung, der folglich auch auf einen sich ändernden Pflege- oder Betreuungsbedarf des Bewohners reagieren muss (Palandt/Weidenkaff, BGB, 73. Aufl., § 8 WBVG, Rn. 2.)
a) Maßgeblichkeit des Bewohners (Anspruch auf Vertragsanpassung)
Die einschränkenden Regelungen schränken die Dispositionsfreiheit der Einrichtung erheblich ein. Entscheidend ist nach dem Konzept des § 8 Abs. 1 WBVG der Bewohner. Der Bewohner hat einen Anspruch auf Vertragsanpassung. Nimmt er ein entsprechendes Angebot nur in Teilen an, ist die Einrichtung an den in diesem Umfang angepassten Vertrag gebunden. Nur wenn die Einrichtung eine fachgerechte Pflege- oder Betreuungsleistung nicht mehr erbringen kann, weil der Verbraucher das Angebot zur Vertragsanpassung nicht angenommen hat und der Einrichtung deshalb das Festhalten am Vertrag nicht zugemutet werden kann, darf die Einrichtung den Vertrag insgesamt kündigen (§ 12 Abs. 1 S. 1 Nr. 2a WBVG).
Die Schwelle für eine Kündigung seitens der Einrichtung ist hoch angesetzt und lädt zudem zu Streit ein, denn im Einzelfall wird die Frage, wann eine Pflege- oder Betreuungsleistung noch fachgerecht ist, nur gutachterlich und teilweise sogar obergutachterlich zu klären sein (Weber, „Verbraucherschutz“ bei Verträgen über Wohnraum mit Pflege- und Betreuungsdienstleistungen - Das Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG), NZM 10, 337).
b) Ausschlussmöglichkeit der Einrichtung
Dieser gesetzlichen Verpflichtung kann der Unternehmer nach § 8 Abs. 4 WBVG entgehen, wenn er mit dem Verbraucher eine gesonderte schriftliche Vereinbarung bei Vertragsabschluss schließt und in dieser seine Verpflichtung zur Vertragsanpassung ganz oder teilweise ausschließt. Die Darstellung des Umfangs und der Folgen eines zu vereinbarenden Ausschluss nach § 8 Abs. 4 WBVG hat in den vor Vertragsabschluss zu erteilenden Informationen in hervorgehobener Form zu erfolgen (§ 3 Abs. 3 WBVG).
Sollte es sich um Verträge mit Bewohnern handeln, die Leistungen nach dem SGB XI in Anspruch nehmen oder denen Hilfe in Einrichtungen nach dem SGB XII gewährt wird, ist die Einrichtung auch berechtigt, bei Änderungen des Pflege- oder Betreuungsbedarfs den Vertrag durch einseitige Erklärung anzupassen (§ 8 Abs. 2 WBVG). Auch hier sind die bisherigen und zukünftigen Leistungen und Entgelte gegenüberzustellen und zu begründen. § 308 Nr. 4 BGB findet keine Anwendung, weil das WBVG eine spezialgesetzliche Regelung ist (leges speciales).
Beachten Sie | Generell gilt aber, dass auch der vorformulierte Vertrag nach dem WBVG als AGB der Einrichtung der Inhaltskontrolle nach §§ 305 ff BGB unterliegt (LG Berlin BeckRS 13, 02047, Drasdo, NJW-Spezial 11, 289).
5. Kündigungsrecht
Bewohner und Einrichtungen haben jeweils unterschiedlich gestaltete Kündigungsmöglichkeiten.
a) Bewohnerrechte
Der Verbraucher kann den Vertrag spätestens am dritten Werktag eines Kalendermonats zum Ablauf desselben Monats schriftlich kündigen (§ 11 Abs. 1 WBVG). Bei der Erhöhung des Entgelts ist eine Kündigung jederzeit möglich zu dem Zeitpunkt, zu dem das erhöhte Entgelt verlangt wird. Der Verbraucher kann nur das gesamte Vertragsverhältnis mit dem Unternehmer beenden (Weber, a.a.O.). Falls mehrere Einzelverträge geschlossen wurden, sind alle einheitlich zu kündigen (§ 11 Abs. 1 S. 3, 4, Abs. 4 WBVG).
In § 11 Abs. 2 WBVG wurde eine Probezeit eingeführt. Innerhalb von zwei Wochen nach Beginn des Vertragsverhältnisses kann der Verbraucher kündigen. Danach kann das Vertragsverhältnis jederzeit ohne Einhaltung einer Frist aus wichtigem Grund beendet werden(Palandt/Weidenkaff a.a.O. § 11 WBVG Rn. 3).
b) Rechte der Einrichtung
Der Unternehmer kann nur aus wichtigem Grund kündigen (§12 Abs. 1 WBVG). Die Gründe sind im Gesetz genannt. Von besonderer Relevanz ist die Frage der notwendigen Vertragsanpassung infolge der Veränderung des Pflege- oder Betreuungsbedarfs. Nur bei Unzumutbarkeit kann im Einzelfall gekündigt werden. Diese Unzumutbarkeit kann sich auch aus einer Verpflichtung der Einrichtung gegenüber ihrem Personal ergeben.
6. Entgelte
Nach § 7 Abs. 2 WBVG schuldet der Bewohner das vereinbarte Entgelt, soweit dieses insgesamt und nach seinen Bestandteilen im Verhältnis zu den Leistungen der Einrichtung angemessen ist. Als angemessen und vereinbart gelten bei Bewohnern, die Leistungen nach dem SGB XI oder SGB XII in Anspruch nehmen, die nach Kap. 7 und 8 SGB XI bzw. Kapital 10 SGB XII festgelegten Entgelte. Nach § 7 Abs. 3 S. 1 WBVG sind die Entgelte und die einzelnen Bestandteile für die Bewohner einheitlich zu bemessen. Eine Unterscheidung nach Kostenträgern ist damit nicht zulässig, es sei denn, betriebsnotwendige Investitionen werden nur für einen Teil einer Einrichtung öffentlich gefördert oder werden in der Vergütungsvereinbarung nach SGB XII gesondert getroffen (Weber, a.a.O., 342).
Fällig ist das Entgelt mangels ausdrücklicher Regelung jeweils nach Erbringung der Leistung, was entsprechend auch für die Wohnraumüberlassung gilt. Dies erfolgt im Umkehrschluss aus § 7 Abs. 5 WBVG, wonach sich die Einrichtung bei längerer Abwesenheit des Bewohners ersparte Aufwendungen auf den Entgeltanspruch anrechnen lassen muss. Abweichende Vereinbarungen sind nach § 16 WBVG unwirksam (Palandt/Weidenkaff (a.a.O.) § 7 WBVG Rn. 4).
7. Übergangsregelung und Urteile zum Verbraucherschutz
Es wurde in § 17 WBVG eine Übergangsregelung aufgenommen, die wegen des Zeitablaufs immer weniger von Bedeutung ist. Zum WBVG sind einige Urteile ergangen, auf die in der folgenden Übersicht kurz eingegangen werden soll.
RechtsprechungsÜbersicht / Wichtige Entscheidungen zum WBVG |
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FAZIT | In einem Artikel in DER TAGESSPIEGEL vom 31.3.14 wird Petra Hegemann von der Verbraucherzentrale Berlin zitiert. Laut ihr kennen selbst viele Anwälte den Inhalt des WBVG nicht. Das sollte sich im Interesse der älteren Mandanten schnellstens ändern. |