· Fachbeitrag · Heimunfall
Sturz im Seniorenheim: Schadenersatz nur bei eindeutigem Nachweis einer Pflichtverletzung
| Sturzunfälle gehören leider zum Alltag in vielen Heimen. Das LG Coburg hat jetzt die Klage einer Krankenkasse auf Erstattung von Behandlungskosten gegen den Betreiber eines Seniorenheims abgewiesen. Das Gericht konnte keine Pflichtverletzung des Heims feststellen, die zum Sturz der Seniorin geführt hat (LG Coburg 24.1.14, 22 O 355/13, Abruf-Nr. 141992 ). |
1. Der Fall des LG Coburg
Die Krankenkasse verlangt Schadenersatz von einem Seniorenheim aus auf sie übergegangenem Recht wegen eines Sturzes einer ihrer Versicherten. Diese leidet an Demenz vom Typ Alzheimer. In einem Pflegegutachten wurden ihr Sturzneigung und eine Weglauftendenz bescheinigt. Das Betreuungsgericht hatte Maßnahmen zur Fixierung der alten Dame genehmigt. Am Unfalltag wurde sie wie jeden Tag in den Speisesaal geführt. Nachdem man sie in einen Sessel gesetzt hatte, wurde sie an den Tisch geschoben. Kurze Zeit später bemerkte das Pflegepersonal, dass die Seniorin nicht mehr in ihrem Sessel saß. Sie war in das Treppenhaus gelaufen, dort gestürzt und hatte sich Brüche zugezogen. Die Klägerin zahlte deswegen Behandlungskosten über 20.000 EUR, die sie vom Pflegeheim erstattet haben will.
- Sie ist der Ansicht, das Heim habe den Sturz pflichtwidrig verursacht. Die Weglauftendenz und die Sturzneigung sei bekannt gewesen. Am Sessel der Seniorin hätte ein Fixierbrett angelegt werden müssen. Zudem sei die Bewohnerin des Seniorenheims pflichtwidrig nicht beaufsichtigt worden.
- Das Seniorenheim verteidigt sich damit, dass es der Betroffenen seit etwa einem Jahr nicht mehr gelungen wäre, aus eigener Kraft aufzustehen. Man habe die alte Dame ausreichend beaufsichtigt. Es sei nicht notwendig gewesen, ein Fixierbrett am Sessel der Heimbewohnerin anzubringen.
2. Die Entscheidung des LG Coburg
Das LG Coburg wies die Klage mangels Pflichtverletzung des Heims ab. Die Pflicht eines Seniorenheims ist begrenzt auf die in Pflegeheimen üblichen Maßnahmen, die mit einem vernünftigen finanziellen und personellen Aufwand realisierbar sind. Dabei ist insbesondere auch zu beachten, dass beim Wohnen im Heim die Würde sowie die Interessen und Bedürfnisse der Bewohner zu wahren und zu fördern sind. Aus der Tatsache, dass ein Schaden eingetreten ist, kann nicht im Nachhinein der Schluss auf eine Pflichtwidrigkeit des Heimträgers gezogen werden. Der Heimträger hat einen Beurteilungsspielraum in der Entscheidung über die Anordnung freiheitsentziehender Maßnahmen. Sofern die Entscheidung vertretbar erscheint, führen eingetretene Unfälle nach der obergerichtlichen Rechtsprechung nicht zu einer Verantwortlichkeit des Heimträgers.
- Die Bewohnerin befand sich nicht in einer konkreten Gefahrensituation. Zwar hatte ein Pflegegutachten über ein Jahr vor dem Unfall eine Sturzneigung und eine Weglauftendenz bescheinigt. Jedoch bestätigten Zeugen, dass sie seit längerer Zeit nicht mehr selbst aus ihrer jeweiligen Sitzposition aufgestanden war. In der Pflegedokumentation ist für die Zeit vor dem Unfall ausgeführt, dass die Bewohnerin tagsüber sehr ruhig in ihrem Ohrensessel sitzt und deshalb auf eine Fixierung verzichtet wird. Auch findet sich dort die Einschätzung, dass sie nicht mehr aus eigener Kraft aus dem Bett oder Stuhl aufstehen kann. Beim Sitzen besteht keine Sturzgefahr. Daher gelangte das LG zu der Auffassung, dass eine zwangsweise Fixierung im Sessel nicht mehr erforderlich erschien.
- Darüber hinaus hätte das Anbringen eines Fixierbretts am Sessel eine Belastung für die Bewohnerin dargestellt. Eine Mitarbeiterin des Pflegepersonals hatte ausgesagt, dass die Bewohner das Fixierbrett als unangenehm empfinden, weil es auf dem Bauch aufliegt. Es sei erkennbar, dass Heimbewohner das Fixierbrett störe. Das LG sah es als nicht geringfügige Belastung an, mehrere Stunden am Tag mit einem Brett dicht am Körper fixiert zu sein, da dadurch die Sitzposition innerhalb des Sessels nur eingeschränkt verändert werden kann. Auch die Tochter der Verunfallten hatte vom Heim gewünscht, auf das Fixierbrett zu verzichten.
- Wichtig | Dass das Betreuungsgericht Fixierung genehmigt hatte, ist kein Befehl an den Heimträger, sondern lediglich die gerichtliche Erlaubnis.
- Das Gericht erkannte auch keine Pflichtverletzung darin, dass die Heimbewohnerin sich 10 bis 15 Minuten ohne Aufsicht im Speisesaal befunden hat. Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung sind bis zu 15 Minuten ohne Beaufsichtigung keine Pflichtverletzung des Heimträgers. Die Forderungen nach lückenloser Beaufsichtigung überschreite das wirtschaftlich Zumutbare. Im vorliegenden Fall waren die Türen des Speisesaals offen, so dass Blicke des Heimpersonals in den Saal auch innerhalb der 15 Minuten möglich waren. Das Nichterkennen des Weggehens eines einzelnen Heimbewohners stellt keine Pflichtverletzung dar.
PRAXISHINWEIS | Aus der Tatsache, dass ein Unfall im Pflegheim eingetreten ist, kann nicht auf eine Pflichtverletzung des Heimbetreibers gefolgert werden. Ob eine Pflichtverletzung des Heimbetreibers vorlag, kann nur im Rahmen einer sorgfältigen Abwägung sämtlicher Umstände des jeweiligen Einzelfalls entschieden werden. Dabei ist dem Heimträger auch ein gewisser Beurteilungsspielraum hinsichtlich der zu treffenden Maßnahmen zuzubilligen.
In diesem Zusammenhang ist es erfreulich, dass das LG Coburg die Sicherheit nicht über die Würde des Betroffenen gestellt hat. Zwischen beiden Zielen muss abgewogen werden. |
Weiterführender Hinweis
- Zu Verträgen in Seniorenheimen nach dem WBVG, Steffens, SR 14, 78