· Fachbeitrag · Vertragsarztrecht
MVZ erstreitet vorläufige Genehmigung zur Fortführung einer Dialyse-Zweigpraxis
von Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Rudolf J. Gläser, Hammer und Partner, Bremen, www.hammerundpartner.de
| Sind die Erfolgsaussichten eines Hauptsacheverfahrens offen, ist es nicht zu beanstanden, wenn einem MVZ im einstweiligen Verfahren die vorläufige Fortführung einer Dialysezweigpraxis zugestanden wird. Den Interessen der in der Zweigpraxis behandelten Patienten und dem Interesse des MVZ am Fortbetrieb der bestehenden Zweigpraxis sei höheres Gewicht beizumessen als dem Gewinnerwartungsinteresse eines Konkurrenten, befand das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg (Beschluss vom 22. Mai 2014, Az. L 5 KA 4979/13 B-ER, Abruf-Nr. 141927 ). |
Der Fall
Ein MVZ betreibt eine Dialysepraxis. Im Mai 2003 wurde dem MVZ bzw. dessen Rechtsvorgänger eine auf 10 Jahre befristete Genehmigung für den Betrieb einer Zweigpraxis im Ort S nach Abs. 1 b) des Anhangs 9.5 zur Anlage 9.1 des Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) erteilt. Die Befristung erfolgte, weil die projektierte Zweigpraxis in 29,3 km Entfernung zur Hauptpraxis und damit nicht in deren Versorgungsbereich liege.
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Anders als bei einer „normalen“ Zweigpraxis wird die Genehmigung für eine Dialyse-Zweigpraxis im Einvernehmen zwischen der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) und den zuständigen Verbänden der Krankenkassen auf Landesebene erteilt, wobei neben anderen Voraussetzungen die projektierte Zweigpraxis grundsätzlich in der Versorgungsregion der bestehenden Dialysepraxis liegen muss, „es sei denn, die Einrichtung der projektierten Zweigpraxis (…) ist aus Gründen der Sicherstellung der Dialyseversorgung notwendig“. Fehlt es an diesen Voraussetzungen, kann gleichwohl eine befristete Genehmigung für die Dauer von 10 Jahren erteilt werden. Diese Genehmigung wiederum ist um weitere 10 Jahre zu verlängern, wenn ein Jahr vor Fristablauf festgestellt wird, dass „die Zweigpraxis (…) die wohnortnahe Versorgung unter Berücksichtigung der einzelnen Dialyseformen und -verfahren gewährleistet oder die Zweigpraxis nicht in der Versorgungsregion einer anderen Praxis liegt“. |
Eine im Wettbewerb stehende Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) begehrte 2005 vergeblich eine Dialyse-Zweigpraxisgenehmigung für den Ort S. In der Folge entbrannte ein über mehrere Streitgegenstände und Instanzen führender Rechtsstreit zwischen dem MVZ, der BAG sowie der KV.
Im vorliegenden Fall hatte das MVZ fristgerecht im April 2012 die Verlängerung der Zweigpraxisgenehmigung um weitere 10 Jahre beantragt. Die Zweigpraxis liege - so das MVZ - nicht in einer Versorgungsregion der BAG oder deren Zweigpraxis im Ort M. Dies sah die KV anders und lehnte den Antrag ab, der Widerspruch blieb erfolglos. Das MVZ klagte beim Sozialgericht (SG) Stuttgart und beantragte zugleich eine einstweilige Anordnung. Im einstweiligen Verfahren erteilte die KV im Einvernehmen mit den Krankenkassen am 26. April 2013 eine vorläufige Genehmigung zur Fortführung der Zweigpraxis in S, befristet bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache.
Gegen diese vorläufige Genehmigung wandte sich die BAG mit Widerspruch vom 17. Juli 2013. Diesen stellte die KV dem MVZ zu und wies auf die aufschiebende Wirkung hin. Das MVZ beantragte nun eine weitere einstweilige Anordnung mit dem Ziel, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs zu beseitigen. Diesem Anliegen entsprach das SG mit Beschluss vom 18. Oktober 2013. Hiergegen erhob die BAG vor dem LSG Beschwerde.
Die Entscheidung
Das LSG wies die Beschwerde zurück: Das SG habe eine Folgenabwägung vorgenommen, die zutreffend zugunsten des MVZ ausgefallen sei. Den Interessen der in der MVZ-Dialyse-Zweigpraxis behandelten Patienten und dem Interesse des MVZ am vorläufigen Fortbetrieb der lange bestehenden Zweigpraxis komme größeres Gewicht zu als dem Gewinnerwartungsinteresse der BAG durch eine mögliche Patientenübernahme.
Die nephrologische Versorgung chronisch niereninsuffizienter Patienten sei von so erheblicher Bedeutung, dass die Vertragspartner des BMV-Ä diese einem ausführlichen Regelwerk in Anlage 9 unterworfen hätten. Die Patienten müssten lebenslang und in kurzen Zeitabständen behandelt werden, woraus auch ein besonderes Vertrauen in die Ärzte und das Praxispersonal resultiere. Daher sei es - so das LSG - nicht zumutbar, die Patienten aus der Zweigpraxis des MVZ in eine andere (Zweig-)Praxis zu verweisen, solange die Berechtigung zur Fortführung rechtlich nicht abschließend geklärt sei.
Ferner spreche das Bestandsschutzinteresse zugunsten des MVZ. Ohne die vorläufige Genehmigung zum Fortbetrieb würde es zu einer vollständigen Einstellung des Betriebs in der Zweigpraxis und damit de facto zu einer Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung kommen. Dies sei nicht hinnehmbar, zumal für die BAG keine vergleichbaren Nachteile entstehen würden. Die von der BAG allein bemühte Gewinnerwartung - einhergehend mit bereits getätigten Personal- und Investitionsentscheidungen - sei nachrangig.
FAZIT | Angerissen hat das LSG im Rahmen der Entscheidung auch die Frage, in welchen Fällen überhaupt ein Drittwiderspruchsrecht besteht. Ein Drittwiderspruch gegen eine erteilte „normale“, also etwa eine hausärztliche Zweigpraxisgenehmigung, ist demnach regelhaft unzulässig und entfaltet somit keine aufschiebende Wirkung. Drittwidersprüche gegen die Genehmigung einer Dialyse-Zweigpraxis oder gegen eine entsprechende Verlängerungsgenehmigung sind demgegenüber nach Ansicht des LSG zulässig, im Fall der Verlängerungsgenehmigung aber nicht begründet, da diese keine Bedarfsprüfung im engeren Sinne beinhaltet, sondern nur eine Bestandsschutzregelung für bereits bestehende Zweigpraxen (so auch SG München, Urteil vom 28. März 2014, Az. S 49 KA 352/13; anders SG Saarland, Urteil vom 19. Februar 2014, Az. S 2 KA 9/13). |