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· Fachbeitrag · Gesetzliche Krankenversicherung

Wenn sich die Krankenkassen Zeit lassen …

| Krankenkassen müssen über Leistungsanträge kurzfristig entscheiden. Versäumen sie geltende Fristen, gilt die Leistung als genehmigt. Nun ist das BSG von seiner bisherigen Rechtsprechung abgerückt und verneint einen Sachleistungsanspruch (26.5.20, B 1 KR 9/18 R, Abruf-Nr. 216331 ). Das mögliche Selbstbeschaffungsrecht des Versicherten endet, wenn bestandskräftig über seinen Anspruch entschieden wurde. |

 

1. Kläger beantragt, künftige Medikamentenkosten zu übernehmen

Entscheiden Krankenkassen verspätet über den Antrag ihres Versicherten, wurden sie bisher häufig zur Leistung verurteilt. Vorliegend beantragte der Kläger ein Medikament gegen Gangstörungen im Rahmen einer Multiplen Sklerose. Er litt jedoch nicht an MS. Es ging daher um einen sog. Off-Label-Einsatz: Ein inländisch zugelassenes Arzneimittel wird bei einer Krankheit eingesetzt, für die es eigentlich nicht zugelassen ist. Die Krankenkasse lehnte den Antrag verspätet ab (Frist gem. § 13 Abs. 3a SGB V: drei bzw. fünf Wochen). Der Kläger hatte sich das Medikament nicht selbst beschafft, sondern klagte auf die künftige Versorgung auf Rezept. Die Vorinstanzen verurteilten die Krankenkasse, die Kosten zu übernehmen. Das BSG hob das Urteil auf. Allein aus der Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a SGB V lasse sich kein eigenständiger Anspruch auf eine beantragte Sachleistung herleiten.

 

2. Neue BSG-Rechtsprechung: Hier endet das Selbstbeschaffungsrecht

Der Kläger habe aufgrund der Genehmigungsfiktion lediglich eine vorläufige Rechtsposition. Er darf sich die Leistung zwar selbst beschaffen, allerdings muss er zum Zeitpunkt der Selbstbeschaffung gutgläubig gewesen sein. Er durfte eben weder wissen noch grob fahrlässig Unkenntnis haben, dass er keinen Anspruch hat. Allerdings ist die Genehmigungsfiktion kein Verwaltungsakt. Die Krankenkasse muss über den Leistungsantrag entscheiden. Die Möglichkeit der Selbstbeschaffung endet, wenn die Krankenkasse rechtlich bindend entschieden hat. Solange hierüber jedoch noch ein Widerspruchs- oder ein Gerichtsverfahren läuft, besteht auch das Selbstbeschaffungsrecht (sofern der Versicherte gutgläubig ist). Das BSG hat also den Kostenerstattungsanspruch begrenzt. Ein Sachleistungsanspruch lasse sich aus der Genehmigungsfiktion nicht ableiten.

 

MERKE | Das Medikament wurde hier als Off-Label-Präparat eingesetzt. In solchen Fällen ist gemäß den BSG-Grundsätzen zu prüfen, ob ein Ausnahmefall vorliegt und die Krankenkasse die Kosten übernehmen muss (vgl. 20.3.18, B 1 KR 4/17 R, NZS 18 546). Hierzu hatte das LSG jedoch in seiner Entscheidung keine Feststellungen getroffen.

 

Weiterführende Hinweise

  • Hörgerät: Kasse muss auch bei gering verbessertem Hören zahlen, SR 20, 39
  • Wann muss die Krankenkasse einen Aktivrollstuhl bezahlen?, SR 20, 21
  • Krankenkasse muss GPS-Alarm für behinderte Person mit Weglauftendenz erstatten, SR 20, 25
Quelle: Ausgabe 07 / 2020 | Seite 117 | ID 46632598