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  • · Fachbeitrag · Auftragsbeschaffung

    Integrierte Projektabwicklung und Mehrparteienverträge: Mehr Chancen als Risiken für Planer

    von Rechtsanwältin Anja Teiwes, ZENK Rechtsanwälte, Hamburg

    | Die ersten Pilotprojekte sind so gut wie abgewickelt. Sie alle haben eines gezeigt: Die integrierte „Projektabwicklung unter Abschluss von Mehrparteienverträgen“ hat Zukunft. Deswegen sind auch schon mehr solcher Projekte „in der Pipeline“. Vielleicht tragen sie zum notwendigen Kulturwandel am Bau bei, der da lautet: Statt „jeder gegen jeden“ besser „alle miteinander für ein gemeinsames Ziel, ein erfolgreiches Projekt“. Erfahren Sie nachfolgend, welche Chancen und Risiken das Thema „Integrierte Projektabwicklung im Mehrparteienvertragu“ für Sie als Planer bereithält. |

    Die Ziele der „Integrierten Projektabwicklung“

    Es ist schon vielfach beschrieben worden, was „integrierte Projektabwicklung“ eigentlich bedeutet. Deshalb hier nur sehr kurz zusammengefasst: Statt erst nach einer weitgehend abgeschlossenen Planung werden die Bauausführenden bereits zu Beginn der Planung einbezogen und wirken an dieser mit. Zu diesem Zweck wird zu Beginn eines Projekts ein Vertrag geschlossen, an dem alle wesentlichen Projektpartner beteiligt sind („Mehrparteienvertrag“). Einzelheiten zu den Grundzügen eines solchen Vertrages hat Frau Rechtsanwältin Prof. Dr. Antje Boldt in der Fachzeitschrift NZBau unter dem Titel „Integrierte Projektabwicklung ‒ ein Zukunftsmodell für öffentliche Auftraggeber?“ beschrieben (NZBau, Ausgabe 9/2019, Seite 547-553).

    Die Chancen und Risiken für die planenden Berufe

    Ein Mehrparteienvertrag kann hinsichtlich Honorar, Haftung etc. ganz unterschiedlich gestaltet werden. Ein wesentlicher Aspekt ist jedoch allen Varianten der integrierten Projektabwicklung immanent: Gemeinsames Arbeiten der Beteiligten im Sinne von „best for project“.

     

    So sieht Ihr Status Quo aus

    Tatsache ist, dass der Stand der Planer heute ein schwieriger ist. Die Forderungen von Bauherren insbesondere hinsichtlich Kosten- und Terminsicherheit werden immer umfassender, auch getrieben von dem steigenden Druck, den die Bauherren selbst ausgesetzt sind. Die Vorgabe von Baukostenobergrenzen als Beschaffenheit, Vertragsstrafen für Terminüberschreitungen sind in Planerverträgen mittlerweile nicht mehr unüblich. Bonuszahlungen bei einer günstigeren oder früheren Fertigstellung werden dagegen kaum einmal gezahlt.

     

    Haftungsbegrenzungen können selten durchgesetzt werden. Das steigert das Risiko für Sie als Planer. Denn die Entscheidungen der Gerichte über Haftungsfragen setzen sehr hohe Maßstäbe. Überspitzt formuliert: Der Planer muss alles wissen, alles sehen und den Rest vorhersehen. Haftungsprozesse für Planer zu führen bedeutet, man muss verlieren können. Das weiß die Autorin aus eigener Erfahrung.

     

    Ein Bewusstseinswandel bei allen Baubeteiligten als größte Chance

    Die erste Chance, die die integrierte Projektabwicklung für Sie bietet, besteht deshalb schon allein darin, dass sich überhaupt etwas an der gegenwärtigen Situation und der damit verbundenen Denkweise aller Beteiligten ändert.

     

    Das herkömmliche Projektverständnis kann schon dadurch aufgebrochen werden, dass Sie bei einer integrierten Projektabwicklung eine Planung nicht mehr allein ‒ ggf. noch mit dem Bauherrn ‒ erarbeiten, sondern dass die bauausführenden Unternehmen da schon an Ihrer Seite sind und zu der Planung ihre Beiträge leisten. Darin liegen große Vorteile, nicht zuletzt der, dass der Einwand eines bauausführenden Unternehmens, die Planung sei (technisch) nicht baubar, nicht am Ende einer (fast) vollständigen Ausführungsplanung erhoben wird, begleitet von Behinderungsanzeigen, Bedenkenanmeldungen, Nachträgen, Mangelvorwürfen etc.

     

    Vielmehr werden die Ideen der Architekten und Ingenieure in einem frühen Planungsstadium mit den bauausführenden Unternehmen abgestimmt und es wird gemeinsam nach (technischen) Umsetzungsmöglichkeiten gesucht. Dabei haben die Beteiligten ‒ den Bauherrn natürlich eingeschlossen ‒ die gleichen Interessen hinsichtlich Umsetzbarkeit, Kosten und Terminen. Sie haben daher ein identisches Ziel.

     

    Planer müssen keine Abstriche in Sachen Kreativität machen

    Nun mag man einwenden, dass die Kreativität insbesondere der Architekten unter der technischen Begleitung leiden könnte. Die bisherige Praxis lehrt, dass eher das Gegenteil der Fall ist. Die gemeinsame Auseinandersetzung mit gestalterischen Ideen und deren technischer Machbarkeit gibt der Kreativität Raum und Sicherheit. Die bauausführenden Unternehmen sind die Fachleute der technischen Machbarkeit und Umsetzung. Deren Know-how kann den Architekten helfen, ihre gestalterischen Ideen zu realisieren; erst recht denjenigen, die überwiegend (nur) die Lph 1 bis 4/5 erarbeiten und weniger die Bauausführung begleiten.

     

    Auch die weiteren Vorteile sind überzeugend

    Gestaltung und Bautechnik werden also frühzeitig übereinandergelegt. Dadurch wird es sogar wahrscheinlicher, dass das Bauwerk am Ende auch so aussieht, wie es die Architekten geplant haben. Also auch eine Chance für die Kreativität. Die Vorteile in der Folge liegen auf der Hand: Die oben beschriebenen Konflikte können vermieden werden. Es bedarf keiner Auseinandersetzung über die Baubarkeit einer Planung, was

    • Aufwand (keine Umplanung, kein Schriftverkehr),
    • Zeit (keine Verzögerung durch Auseinandersetzungen) und
    • in der Folge Kosten spart.

     

    Unabhängig von der Haftungsgestaltung in Mehrparteienverträgen werden Haftungsrisiken der Architekten und Ingenieure schon dadurch deutlich minimiert.

     

    Kommen auch kleinere Büros zum Zug?

    Aus Vorstehendem lässt sich ableiten, dass vor allem Architekturbüros, die ihren Schwerpunkt in der Planung, weniger in der Bauüberwachung haben, eine Chance haben, in Projekte in Form der integrierten Projektabwicklung eingebunden zu werden, und zwar auch kleinere Büros. Entscheidend dürfte das jeweilige Fachwissen auf einem bestimmten (Spezial-)Gebiet sein.

     

    Die Frage ist also nicht, ob kleine Büros generell für die integrierte Projektabwicklung geeignet sind. Die richtige Frage ist: Handelt es sich um ein Projekt ‒ unabhängig davon, wie es realisiert wird ‒, das auch ein kleines Büro bewältigen kann.

     

    Es gibt sicher Projekte und Leistungsbereiche, für die ein Bauherr aufgrund der Projektgröße und -komplexität kaum ein kleineres Büro auswählen würde. Das unterscheidet aber herkömmliche Projekte nicht von integrierten Projektabwicklungs-Modellen. Dennoch scheint es im Rahmen einer integrierten Projektabwicklung eher möglich, kleine Büros (vielleicht auch zusätzlich) einzubeziehen, weil der Planer da in der Planungsverantwortung nicht allein ist, sondern von Beginn an Partner mit einem anderen Know-how an seiner Seite hat, die gemeinsam agieren: „best for project“.

    Wo können Sie sich mehr Informationen verschaffen?

    Sie interessieren sich für das Thema und wollen ihr Wissen vertiefen? Dann ist das German Lean Construction Institute (GLCI) ein gute Anlaufstelle. Das GLCI hat erst jüngst gemeinsam mit dem Deutschen Baugerichtstag und der Initiative Teambuilding eine Konferenz zur integrierten Projektabwicklung in Mehrparteienverträgen veranstaltet. Weitere werden folgen.

     

    Zweck des Vereins ist die Förderung der Wissenschaft, Forschung und Bildung auf dem Gebiet des ressourcenschonenden und wirtschaftlichen Planens, Bauens, Betreibens und des Rückbaus von Bauwerken, des Arbeits-, Umwelt- und Gesundheitsschutzes und der Qualitätssicherung bei der Abwicklung von Baumaßnahmen (https://www.glci.de/).

     

    FAZIT | Die integrierte Projektabwicklung steckt in Deutschland noch in den Kinderschuhen. Ein ganz wesentlicher Aspekt ist das gemeinsame Arbeiten von Planern und Bauausführenden, das für Sie mehr Chance als Risiko darstellt. Viele weitere Aspekte sind ebenso diskussionswürdig, hängen jedoch mehr mit der individuellen Gestaltung des Mehrparteienvertrags zusammen. Hier werden vor allem die Erfahrungen aus der Praxis zeigen, was sich bewährt.

     

    Weiterführende Hinweise

    • Die Autorin berichtet aus erster Hand. Sie hat das Architekturbüro Gerkan, Marg und Partner (gmp) bei deren ersten Mehrparteienvertrags-Projekt juristisch begleitet, dem Kongresshotel HafenCity Hamburg von ECE.
    • Beitrag „Der Mehrparteienvertrag: Ein neuer Ansatz zur erfolgreichen Realisierung von Projekten“, PBP 3/2020, Seite 20 → Abruf-Nr. 46179274
    • Den Beitrag von Frau Boldt „Integrierte Projektabwicklung ‒ ein Zukunftsmodell für öffentliche Auftraggeber?“ finden Sie in NZBau, Ausgabe 9/2019, Seite 547-553.
    Quelle: Ausgabe 08 / 2020 | Seite 15 | ID 46716199