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  • 01.09.2007 | Abstands- und Geschwindigkeitsmessung

    Messfehler beim Einsatz der Video-Stoppuhr CG-P50E: Auswirkungen in der Praxis

    von RiOLG Detlef Burhoff, Münster/Hamm

    Seit Juli 2007 sind Messfehler mit dem Gerät JVC/Piller CG-P50E im Gespräch. Dieses Gerät wird in vielen Bundesländern bei Abstands- und Geschwindigkeitsmessungen zur Zeitmessung eingesetzt. Anlass für die Diskussion sind entsprechende Berichte in Fernsehsendungen von WISO (ZDF) und Plus-Minus (ARD). Vorausgegangen war ein Beitrag des Sachverständigen Dipl.-Ing. Stephan Wietschorke, Steinbach, in der Zeitschrift „Verkehrsunfall und Fahrzeugtechnik“ Heft 5, 2007. Außerdem existieren Ausführungen des Sachverständigen Dr. Johannes Priester, Saarbrücken. Wir wollen Ihnen die gutachterlichen Äußerungen kurz vorstellen und zu den sich daraus für die Praxis ergebenden Auswirkungen Stellung nehmen.  

     

    Kostenloser Leser-Service: Die beiden Stellungnahmen von Wietschorke und Priester über die Messfehler mit dem Gerät JVC/Piller CG-P50E können Sie unter www.iww.de mit der Abruf-Nr. 072634 bzw. der Abruf-Nr. 072635 kostenlos herunterladen.  

     

    Checkliste „Messfehler beim Gerät JVC/Piller CG-P50E“

    I. Funktionsweise des Messgerätes 

    Beim Einsatz des Messgerätes CG-P50E wird der zu überwachende Verkehr per Videokamera doku-mentiert. Diese liefert die Videobilder an einen Videorekorder. Zwischen Kamera und Recorder befindet sich der sog. Charaktergenerator CG-P50E. Mit Hilfe dieses Gerätes wird in das Videobild eine Zeit eingeblendet. Mit den auf der Fahrbahn angebrachten Referenzlinien und den Zeiten auf den Videobildern ist es dann möglich, die Geschwindigkeiten und Abstände der Fahrzeuge zu bestimmen (vgl. dazu Wietschorke a.a.O; Priester, a.a.O.). Für dieses Messverfahren gelten die allgemeinen Bedingungen für den Einsatz von technischen Geräten bei der Messung. Insbesondere muss die „Videostoppuhr“ (gültig) geeicht sein. Die Eichung fließt aber nur durch Benutzung eines geeichten Maßbandes bei der Festlegung der Fahrbahnmarkierungen sowie durch die geeichte Videostoppuhr CG-P50E ein. Weder die Kamera, noch der Videorecorder oder das Mischpult müssten geeicht sein (Wietschorke, a.a.O.).  

     

    II. Besonderheit: CG-P50E enthält keine Uhr 

    Bisher war man davon ausgegangen, dass die angezeigte Zeit in dem sich in dem Gerät befindenden Charaktergenerator mit der Videostoppuhr CG-P50E, der zwischen Kamera und Videorekorder geschaltet wird, gebildet und das Videobild eingeblendet wird. Der Sachverständige Wietschorke hat nun durch einen Versuch nachgewiesen, dass in dem Geschwindigkeits- und Abstandsmessgerät JVC/Piller CG-P50E keine Uhr eingebaut ist, welche zur Einblendung der Zeit in dem Videobild führt. Die Videostoppuhr CG-P50E misst nicht wirklich die Zeit, sondern nur die Bilder pro Sekunde, die die Kamera aufgenommen hat. Die Zeitanzeige erfolgt dann durch Umrechnung anhand des nicht veränderbaren Faktors von 50 Halbbildern pro Sekunde (PAL-Standard, entspricht 0,02 Sek. pro Bild). Filmt man aber mit mehr oder weniger Halbbildern (z.B. NTSC-Standard: 60), dann erhält man mehr oder weniger Zeit, die tatsächlich gar nicht zutrifft (bei NTSC um 20%). Nach Ansicht von Wietschorke (a.a.O.) kann die Videostoppuhr CG-P50E daher weder als Uhr anerkannt, noch als solche zugelassen werden. Es mangele vor allem an einer (erforderlichen) Selbstüberprüfung durch einen Zeitvergleich. Das Gerät erzeuge nicht einmal eine Fehlermeldung bei Verwendung von mehr oder weniger Halbbildern. Damit entspricht die Videostoppuhr CG-P50E nicht der Richtlinie PTB-A 18.13 für Videostoppuhren. Die PTB habe dies – so Wietschorke (a.a.O.) – bei der Zulassung übersehen. Die Zulassung sei unwirksam. Die (vorgenommene) Eichung ändere daran nichts, da die bei der Eichung verwendete Kamera und die später bei der Messung von Fahrzeugen eingesetzte Kamera nicht identisch sind (zur Eichung Wietschorke a.a.O; s. auch Böttger in Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, Rn. 73).  

     

    Praxishinweis: Durch die fehlende Uhrenfunktion entsteht im NTSC Format eine gewollte Zeitabweichung im Verhältnis zum in Europa verwendeten PAL Format, die im Versuch von Wietschorke (a.a.O.) genutzt wurde, den Nachweis der fehlenden Uhr zu führen. Aber auch bei Verwendung einer Kamera im PAL Format kann es zu zeitverzögerten Aufzeichnungen kommen, wodurch eine falsche Uhrzeit im Videobild erzeugt wird, die im Nachhinein nicht mehr überprüft werden kann.  

     

    III. Auswirkungen im Verfahren 

     

    1. Verwertbarkeit der Messung  

    Im Bußgeldverfahren stellt sich vor allem die Frage der juristischen Verwertbarkeit der Messungen. Von den Obergerichten noch nicht entschieden ist der Fall, dass die Zulassung des Messgerätes fehlerhaft ist, weil ein Gerät unzutreffend als Messgerät mit eigener Uhr zugelassen wurde, obwohl tatsächlich keine Uhr eingebaut ist. Dazu schweigen auch EichO und EichG. M.E. sind die mit dem Abstands- und Geschwindigkeitsmessgerät CG-P50E durchgeführten Messungen nicht ohne weiteres verwertbar. Allerdings wird man nicht davon ausgehen können, dass die Messung insgesamt unverwertbar ist. Es bietet sich vielmehr an, die insoweit zum Rotlichtverstoß vorliegende Rechtsprechung entsprechend anzuwenden. In der wird, wenn eine Messung durch eine nicht geeichte Überwachungskamera durchgeführt worden ist, der Messung der Beweiswert nicht insgesamt abgesprochen, sondern die Messung für verwertbar gehalten, wenn ein höherer Toleranzwert abgezogen wird (dazu grundlegend KG DAR 92, 224; ähnlich OLG Hamm VRS 85, 466; OLG Celle NZV 96, 419). Ähnlich argumentiert Wietschorke (a.a.O), der die Messung mit dem Gerät CG-P50E als eine Messung mit einem nicht geeichtem Messgerät ansieht und dann ebenfalls – die Verwertbarkeit unterstellt – einen hinreichend großen Toleranzzuschlag fordert.  

     

    2. Höherer Toleranzabzug  

    Dieser Toleranzzuschlag wird im Verfahren nur durch einen Sachverständigen ermittelt werden können (OLG Hamm NZV 93, 361 für den Rotlichtverstoß). Dessen Zuziehung muss der Verteidiger in einem Beweisantrag beantragen, wobei er Vorgaben hinsichtlich der Höhe des Toleranzabzugs machen sollte. Fraglich ist allerdings die Höhe des Toleranzzuschlags. Im Versuch hat Wietschorke (a.a.O.) einen Fehler von 20 % erzeugt, allerdings mit einer Kamera, die in Europa üblicherweise nicht verwendet wird. Es muss auch eindeutig gesagt werden, dass ein Fehler, der bei der Aufzeichnung entstanden ist, später weder festgestellt, geschweige denn in seiner Größenordnung bestimmt werden kann. Vor diesem Hintergrund ist es schwierig, sich auf eine Fehlergröße festzulegen. Sinnvoll erscheint es, eine maximale Abweichung theoretisch zu bestimmen und ggf. im Versuch zu überprüfen. Als Denkansatz kann dabei dienen, dass nach ihrer Systembeschreibung manche Kameras eine Veränderung der Bildfolge zulassen, wobei eine „Verlangsamung“ um 2,5 Halbbilder baubedingt vorgesehen ist. Nimmt man diesen Fehler als maximalen „Laborfehler“ an – eine Überprüfung hat ja nicht statt gefunden – , so beliefe sich der in der Praxis maximale Fehler bei einer Verdoppelung auf 5 Halbbilder oder (bezogen auf 50 Halbbilder pro Sekunde) auf 10 % der jeweils gemessenen Zeit.  

     

    Praxishinweis: Während Provida dann von 5 % auf 20 % steigt, steigt Piller von 0,1 % auf 10 %. Ein Maß für einen zusätzlichen Toleranzabzug könnte auch die Fehlermöglichkeit einiger handelsüblicher Video-kameras festlegen, die nach ihrer Bauartbeschreibung um bis zu 2,5 Halbbilder verlangsamt werden können. Unterstellt man diesen maximal mögliche Fehler als Laborfehler, führt die Verdoppelung in der Praxis zu einer Fehlergröße von 5 Halbbildern oder (bezogen auf die Basis von 50 Halbbildern je Sekunde) 10 % der jeweils gemessenen Zeit. Hinzuweisen ist in dem Zusammenhang auf die Rspr. zur Verwertung der mit einem ungeeichten Messgerät durchgeführten Geschwindigkeitsmessung. In dem Bereich wird von sonst 5 % (vgl. Burhoff/Burhoff, a.a.O., Rn. 1292 m.w.N.) auf einen Sicherheitsabschlag von 20 % erhöht (KG NZV 95, 37 = VRS 90, 62).  

     

    Praxishinweis: Der Verteidiger sollte auf jeden Fall unter Hinweis auf die durch ein Sachverständigengutachten entstehenden erheblichen Kosten einen Einstellungsantrag stellen. Der empfiehlt sich vor allem in den Fällen, in denen dem Betroffenen kein Fahrverbot droht. Denn gerade in solchen Fällen dürfte der durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens entstehende Aufwand unverhältnismäßig sein.  

     

    3. Behandlung bereits abgeschlossener Fälle (Wiederaufnahme prüfen) 

    Bei durch Urteil abgeschlossenen Fällen wird die Frage der Wiederaufnahme zu prüfen sein. Insoweit gilt nach § 85 Abs. 1 OWiG die Vorschrift des § 359 Nr. 1bis 6 StPO entsprechend. Zu beachten ist dabei die Einschränkung für den Wiederaufnahmegrund des § 359 Nr. 5 StPO. Danach ist die Wiederaufnahme wegen neuer Tatsachen und Beweismittel unzulässig, wenn gegen den Betroffenen lediglich eine Geldbuße oder eine vermögensrechtliche Nebenfolge bis zu 250 EUR verhängt worden ist (§ 85 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, S. 2 OWiG) sowie, wenn seit Rechtskraft der Entscheidung 3 Jahre verstrichen sind (§ 85 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 OWiG).  

     

    Praxishinweis: Wenn ein Fahrverbot verhängt worden ist, gilt die Einschränkung des § 85 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 OWiG nicht (AG Wetzlar DAR 00, 376). In dem Zusammenhang wird die Frage eine erhebliche Rolle spielen, inwieweit die jetzt bekannt gewordenen Umstände „neue Tatsachen“ i.S.d. § 359 Nr. 5 StPO sind und zu einer Wiederaufnahme führen können (zu „neuen Tatsachen“ vgl. Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl., § 359 Rn. 21 ff. m.w.N.).  

     

    Quelle: Ausgabe 09 / 2007 | Seite 167 | ID 112062