24.06.2010 | Akteneinsicht
Akteneinsicht in die sog. Lebensakte
Dem Verteidiger ist im Bußgeldverfahren auch Einsicht in die sog. Lebensakte zu gewähren (AG Erfurt 25.3.10, 64 OWi 624/10, Abruf-Nr. 101732). |
Sachverhalt und Entscheidungsgründe
Der Verteidiger hat in dem gegen den Betroffenen anhängigen Bußgeldverfahren Akteneinsicht auch in die sog. „Lebensakte“ des verwendeten Messgeräts beantragt. Die Verwaltungsbehörde lehnte das ab. Der dagegen gerichtete Antrag auf gerichtliche Entscheidung hatte Erfolg.
Es besteht ein Recht auf Einsicht auch in die sog. Lebensakte. Für den Betroffenen wäre nämlich jede Möglichkeit der Verfahrenseinflussnahme von vornherein zum Scheitern verurteilt, wenn er nicht die Erwägungen der Verwaltungsbehörde, die zu einer bestimmten Entscheidung hin führen sollen oder schon geführt haben, an Hand der Aktenführung genau nachvollziehen und gegebenenfalls kontrollieren kann. Insbesondere wenn sich der Bürger eines Verteidigers als Wahrer seiner rechtlichen Interessen bedient, umfasst dieses Recht auf Akteneinsicht alle Akten und Aktenteile, auf die der Schuldvorwurf tatsächlich oder rechtlich gestützt wird und die zur Begründung des Ausspruchs über die Rechtsfolgen herangezogen werden. Dahinstehen kann, ob die Verwaltungsbehörde grds. zur Vorlage der Verfahrensakte mit allen Bestandteilen, die irgendwie für die Bewertung des Vorwurfs von Bedeutung sein können, im Rahmen der Akteneinsicht als verpflichtet anzusehen ist. Sie ist jedenfalls zu einer spezifizierten Vorlage verpflichtet, wenn es die Verteidigung verlangt. Hier hat der Verteidiger im Rahmen seines Akteneinsichtsgesuchs konkret dargelegt, was er von der Verwaltungsbehörde mit der Verfahrensakte vorgelegt bekommen möchte.
Praxishinweis
Wir haben gerade in VA 10, 103 über eine Entscheidung des AG Schwelm berichtet, das dem Verteidiger zwar Einsicht in die Bedienungsanleitung gewährt hat, einen Anspruch auf Einsicht in die sog. Lebensakte aber verwehrt hatte. Das AG Erfurt sieht das zutreffend anders. Es hat es auch nicht ausreichen lassen, den Verteidiger - wie es die Verwaltungsbehörde getan hatte - auf die Möglichkeit der Beiziehung der Lebensakte im gerichtlichen Verfahren zu verweisen. Dadurch würde der Rechtsschutz des mit einem Vorwurf konfrontierten Bürgers verkürzt. Zudem führe die Verweisung der Verwaltungsbehörde auf das Gericht dazu, dass dort umfangreiche und kostentreibende Mehrarbeiten anfallen, die durch entsprechendes Tätigwerden der Verwaltungsbehörde leicht vermieden werden könnten und die angesichts der vorherrschenden Kostenreduktionsstrategie im öffentlichen Dienst mit zunehmender Mehrbelastung des vorhandenen Personals auch in der Justiz vom Gericht nicht hingenommen werden müssten. Der Verteidiger wird sich in Zukunft, wenn ihm nicht auch Einsicht in die Lebensakte gewährt wird, auf diese Entscheidung des AG Erfurt berufen (müssen), wenn er gegen die ablehnende Entscheidung der Verwaltungsbehörde mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung (§ 62 OWiG) vorgehen will.
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