Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • 25.01.2011 | Aktuelle Gesetzgebung

    Die neue Winterreifenpflicht: Erste Fragen und erste Antworten

    von RA und RiOLG a.D. Detlef Burhoff, Münster/Augsburg und VRiOLG a.D. Dr. Christoph Eggert, Düsseldorf

    Der Bundesrat hat am 26.11.10 die Änderung zur Winterreifenpflicht beschlossen (BR-Drucks. 699/10/B). Die folgenden Ausführungen geben Ihnen einen ersten Überblick über die neue Rechtslage.  

     

    Die Neuregelung (§ 2 Abs. 3a StVO) lautet wie folgt:
    1. Bei Glatteis, Schneeglätte, Schneematsch, Eis- oder Reifglätte darf ein Kfz nur mit Reifen gefahren werden, welche die in Anhang II Nr. 2.2 der Richtlinie 92/23/EWG des Rates vom 31.3.92 über Reifen von Kfz und Kfz-Anhängern und über ihre Montage (ABl. L 129 vom 14.5.92, S. 95), die zuletzt durch die Richtlinie 2005/11/EG (ABl. L 46 vom 17.2.05, S. 42) geändert worden ist, beschriebenen Eigenschaften erfüllen (M+S-Reifen).
    2. Kfz der Klassen M2, M3, N2 und N3 gemäß Anlage XXIX der StVZO in der Fassung der Bekanntmachung vom 28.9.88, zuletzt geändert durch Verordnung vom 21.4.09 (BGBl. I S. 872) dürfen bei solchen Wetterverhältnissen auch gefahren werden, wenn an den Rädern der Antriebsachsen M+S-Reifen angebracht sind.
    3. Satz 1 gilt nicht für Nutzfahrzeuge der Land- und Forstwirtschaft sowie für Einsatzfahrzeuge der in § 35 Abs. 1 genannten Organisationen, soweit für diese Fahrzeuge bauartbedingt keine M+S-Reifen verfügbar sind.
     

     

    Übersicht 1: Die neue Winterreifenpflicht

    Frage  

    Antwort  

    Welcher Sinn und Zweck wird mit der Neuregelung verfolgt?  

    Aus der der alten Fassung des § 2 Abs. 3a StVO zugrunde liegenden BR-Drucks. 813/05 folgt das Ziel, es zu verhindern, dass Kfz mangels geeigneter Bereifung liegen bleiben und damit erhebliche Verkehrsbehinderungen verursachen (vgl. dort S. 12; s. auch BR-Drucks. 699/10, S. 4, 7).  

    Ist durch die Neuregelung eine generelle Winterreifenpflicht eingeführt worden?  

    Ja, und zwar insoweit, dass bei den in § 2 Abs. 3a StVO genannten winterlichen Straßenverhältnissen nur mit den in der Vorschrift bezeichneten Reifen gefahren werden darf. Für die alte Regelung war diese Frage umstritten (vgl. zu der Problematik Albrecht SVR 06, 41; Burhoff VRR 06, 168; ders., VA 06, 88 ).  

    Ist (jetzt) der Begriff des „Winterreifens“ im nationalen Recht definiert?  

    Nein, die Neuregelung enthält ebenso wie § 2 Abs. 3a StVO a.F. (vgl. dazu Burhoff VRR 06, 168; ders. VA 06, 88; Hentschel/Dauer/König, Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl., 2009, § 2 StVO Rn. 72a) keine Definition des Begriffs des Winterreifens.  

     

    Praxishinweis:  

    In der Literatur wird vertreten, dass in § 36 Abs. 1 S. 3 StVZO eine Legaldefinition des Begriffs enthalten ist (vgl. Schubert DAR 06, 116 zur alten Regelung).  

    Ergibt sich aus EU-Recht etwas anderes?  

    Nein. § 2 Abs. 3a StVO verweist nur auf den Anhang II 2.2 der Richtlinie 92/23/EWG. Aber auch dort ist der Winterreifen nicht definiert, sondern lediglich beschrieben, was unter sog. „M+S-Reifen“ zu verstehen ist.  

    Wie beschreibt Anhang II 2.2 der Richtlinie 92/23/EWG „M+S-Reifen“?  

    Nach aktuellem EU-Recht heißt es: „M+S-Reifen sind Reifen, bei denen das Profil der Lauffläche und die Struktur so konzipiert sind, dass sie vor allem in Matsch und frischem oder schmelzendem Schnee bessere Fahrleistungen gewährleisten als normale Reifen. Das Profil der Laufflächen der M+S-Reifen ist im Allgemeinen durch größere Profilrillen und/oder Stollen gekennzeichnet, die voneinander durch größere Zwischenräume getrennt sind, als dies bei normalen Reifen der Fall ist.“  

    Welche Reifen können auf der Grundlage als „Winterreifen“ i.S. der Neuregelung angesehen werden?  

    Benutzt werden können:  

    M+S-Reifen, die als solche verkauft und mit einem M+S-Symbol gekennzeichnet sind,  

    Reifen, die das sog. Bergpiktogramm mit Schneeflocke aufweisen (vgl. dazu Schubert DAR 06, 112),  

    Ganzjahresreifen, die den Eigenschaften der Richtlinie 92/23/EWG entsprechen und mit einem M+S-Symbol versehen sind (vgl. BR-Drucks. 699/10, S. 5).  

    Können auch Reifen genutzt werden, die zwar als M+S-Reifen gekennzeichnet sind, aber dennoch keine ausreichende Wintertauglichkeit haben?  

    Ja, in der BR-Drucks. 699/10, S. 5 heißt es ausdrücklich: „… als Winterreifen .. verkauft“ werden. Dabei kann es sich z.B. auch um aus Ostasien stammende Importe handeln, die nicht ohne Weiteres wintertauglich sind.  

    Wie alt darf ein Winterreifen maximal sein?  

    Millionen Kfz sind derzeit mit Winterreifen unterwegs, die älter als fünf Jahre sind, oft sogar die Zehn-Jahres-Grenze überschritten haben. StVO, FZV und StVZO geben in der Altersfrage keine Auskunft. § 36 Abs. 2 StVZO regelt lediglich die Profiltiefe (s. nächste Frage). § 3 der 9. AusnahmeVO zur StVO schreibt nur für Anhängerreifen eine Altersgrenze vor (jünger als 6 Jahre). Zum kaufrechtlichen Altersproblem siehe unten.  

    Wie viel Mindestprofil muss ein Winterreifen haben?  

    Die in § 36 Abs. 2 S. 4 StVZO vorgeschriebene Profiltiefe von mind. 1,6 mm gilt auch für M+S-Reifen und Reifen mit Schneeflocke-Symbol. Einen Großteil ihrer Wintertauglichkeit verlieren sie indes schon ab 4 mm Profiltiefe, weshalb z.B. in Österreich mind. 4 mm vorgegeben sind.  

    Welche Fahrzeuge sind betroffen?  

    Die Neuregelung gilt für alle Kfz, also auch für Motorräder (s.u.) und sonstige Krafträder (vgl. § 1 Abs. 2 StVG) sowie für Quads und Geländewagen (trotz grobstolliger Sommerreifen). Anhänger sind Fahrzeuge, aber keine Kraftfahrzeuge, fallen deshalb nicht unter § 2 Abs. 3a StVO.  

    Ergibt sich für Zweiräder ggf. etwas anderes?  

    Nein. Zwar nimmt die in § 2 Abs. 3a StVO in Bezug genommene Richtlinie 92/93/EWG in ihrem Art. 1 für den Begriff des Fahrzeugs auf die Richtlinie 70/156/EWG vom 6.2.70 (Abl. L 42, S. 1) Bezug, in deren Art. 2 bestimmt wird, dass es sich um ein Kfz mit mindestens vier Rädern handeln muss. Die Neuregelung bezieht sich jedoch nur für den Begriff des „M+S-Reifens“ auf die Richtlinie 92/93/EWG und nicht auch für die Definition des Kfz auf die weitere Richtlinie 70/156/EWG vom 6.2.70 (Abl. L 42, S.1). Die Begriffsbestimmung des Kfz in § 1 Abs. 2 StVG, die auch Motorräder umfasst, sollte durch die Reform nicht geändert werden.  

    Was gilt für land- und forstwirtschaftliche Nutzfahrzeuge?  

    Für diese gilt § 2 Abs. 3a S. 3 StVO und danach die Winterreifenpflicht nicht, wenn bauartbedingt keine M+S-Reifen verfügbar sind.  

     

    Praxishinweis: Die Regelung erfasst außerdem Einsatzfahrzeuge von Bundeswehr, Bundespolizei, Feuerwehr, Katastrophenschutz, Polizei und Zolldienst (vgl. zu den Gründen BR-Drucks. 699/10/B, S. 2).  

    Gibt es Ausnahmen?  

    Ja, eine Ausnahme ist in § 2 Abs. 3a S. 2 StVO enthalten. Danach genügt es für den Betrieb folgender Fahrzeugarten, dass lediglich auf den Antriebsachsen M+S-Reifen montiert sind:  

    für die Personenbeförderung ausgelegte und gebaute Kfz mit mehr als acht Sitzplätzen außer dem Fahrersitz und einer zulässigen Gesamtmasse bis zu 5 t (M2) oder darüber (M3),  

    für die Güterbeförderung ausgelegte und gebaute Kfz mit einer zulässigen Gesamtmasse von mehr als 3,5 t bis 12 t (N2) oder darüber (N3).  

    Gilt die Neuregelung auch für den ruhenden Verkehr?  

    Nein, aus § 2 Abs. 3a StVO folgt ausdrücklich („… gefahren werden“), dass der ruhende Verkehr nicht erfasst wird. Abgestellte Kfz müssen also nicht mit Winterreifen ausgerüstet sein.  

    Für welche Verkehrslagen gilt die „Winterreifenpflicht“?  

    § 2 Abs. 3a StVO a.F. stellte auf die „Wetterverhältnisse“ und damit auf die „winterlichen Wetterverhältnisse“ ab. Jetzt heißt es, dass bei „Glatteis, Schneeglätte, Schneematsch, Eis- oder Reifglätte“ nur mit „Winterreifen“ gefahren werden darf.  

     

    Praxishinweis: Entscheidend ist also, ob sich auf der vom Betroffenen genutzten Straße Glatteis, Schneeglätte, Schneematsch, Eis- oder Reifglätte gebildet hat, nicht von Bedeutung sind die allgemeinen Wetterverhältnisse unabhängig von der benutzten Straße.  

    Gibt es eine gesetzliche Definitionen der beschriebenen Straßenverhältnisse?  

    Nein. In der BR-Drucks. 699/10, S. 6 wird auf die die o.a. Straßenverhältnisse verursachenden Niederschlagsarten verwiesen, nämlich auf „Schneefall (inkl. Schneeregen und Schneegriesel), Eiskörner, Glatteis bzw. gefrierender Regen (umgangssprachlich Eisregen), gefrierender Nebel und Schneeverwehungen (fallender bzw. abgesetzter Schnee in Verbindung mit starkem Wind). Diese Wettererscheinungen und -verhältnisse können bereits bei Lufttemperaturen einige Grad über dem Gefrierpunkt auftreten.“ Weiter heißt es, dass bei diesen Wetterverhältnissen mit Sommerreifen nicht mehr sicher am Straßenverkehr teilgenommen werden kann.  

    Was gilt, wenn es gerade erst angefangen hat zu schneien?  

    So lange nicht Glatteis, Schneeglätte, Schneematsch (vgl. dazu BayObLG NZV 89, 433), Eis- oder Reifglätte vorliegen, kann u.E. auch mit Sommerreifen gefahren werden.  

    Was gilt bei geräumten Straßen?  

    Da dann die o.a. Straßenverhältnisse nicht (mehr) vorliegen, kann wieder ohne Winterreifen gefahren werden.  

    Ab wann gilt die Neuregelung?  

    Die Änderungs-VO ist am 3.12.10 im BGBl I, 1737 verkündet worden. Die Neuregelung ist damit seit 4.12.10 in Kraft.  

    Kann die Rechtsprechung zur alten Regelung weiter verwendet werden?  

    Rechtsprechung zu § 2 Abs. 3a S. 1 und 2 StVO ist in den vergangenen Jahren - bis auf den Beschl. des OLG Oldenburg (VA 10, 172) kaum bekannt geworden (vgl. aber auch noch AG Velbert DAR 10, 594).  

    Wie wird ein Verstoß gegen § 2 Abs. 3a StVO geahndet?  

    Die Bußgeldtatbestände in Nr. 5a und 5a.1 BKat sind gegenüber der alten Rechtslage geändert und an die Neuregelung angepasst worden. Außerdem wurden die Geldbußen erhöht. Bei einem Verstoß ohne Behinderung (Nr. 5a BKatV) ist ggf. eine Geldbuße von 40 EUR verwirkt. Bei einem Verstoß mit Behinderung kann eine Geldbuße von 80 EUR verhängt werden. In beiden Fällen wird ein Punkt im VZR in Flensburg eingetragen. Teilweise hatten die Bundesländer, wie z.B. Bayern, noch sehr viel höhere Bußgelder gefordert (vgl. BR-Drucks. 699/2/10 [neu]).