23.07.2010 | Blutentnahme
Bestandsaufnahme: Richtervorbehalt für die Anordnung einer Blutentnahme
von RA und RiOLG a.D. Detlef Burhoff, Münster/Augsburg
Vor mehr als drei Jahren hat das BVerfG (VA 07, 109) auf den einfach gesetzlichen Richtervorbehalt für die Entnahme einer Blutprobe (§ 81a Abs. 2 StPO) hingewiesen. Sehr schnell hat diese Entscheidung, die die Entnahme einer Blutprobe zur Abklärung eines BtM-Verdachts betraf, auch ihren Weg in den straßenverkehrsrechtlichen Bereich gefunden. Verkehrsrecht aktuell bringt Sie mit einer Bestandsaufnahme auf den neuesten Stand zur mittlerweile fast unüberschaubaren Rechtsprechung.
Nach dem BVerfG gilt folgender Grundsatz: Die Entnahme einer Blutprobe muss i.d.R. vom Richter angeordnet werden. Nur bei „Gefahr im Verzug“ sind der Staatsanwalt oder eine seiner Ermittlungspersonen (§ 154 GVG) für die Anordnung zuständig (vgl. aktuell BVerfG 11.6.10, 2 BvR 1046/08, Abruf-Nr. 102140).
- vgl. im Übrigen Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 5. Aufl. 2010, Rn. 461g; siehe auch noch Heinrich NZV 10, 278.
Checkliste 1: Was muss der Verteidiger beachten? |
1. Die Grundsätze der Entscheidung des BVerfG sind von der OLG-Rechtsprechung ohne Weiteres auf den straßenverkehrsrechtlichen Bereich übertragen worden (vgl. dazu Fikentscher/Dingelstadt NStZ 09, 124: krit. insoweit aus staatsanwaltschaftlicher Sicht Brocke/Herb StraFo 09, 46, 49; Laschewski BA 08, 232; s.a. OLG Hamm VA 09, 84; LG Hamburg VA 08, 15; LG Braunschweig Nds.Rpfl. 08, 84).
2. Vor den folgenden Prüfungsschritten (vgl. Nr. 6 ff.) muss der Verteidiger vorab immer prüfen, ob sich der Beschuldigte/Betroffene nicht ggf. mit der Blutentnahme einverstanden erklärt hat (vgl. dazu OLG Bamberg VA 09, 101; LG Saarbrücken VA 09, 29), da dann nach h.M. das Erfordernis der richterlichen Anordnung entfällt (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl., § 81a Rn. 3 f.).
3. Es muss sich aber um wirksame Einwilligung handeln. Für die Wirksamkeit gilt: Die bloße Hinnahme des Eingriffs reicht nicht (OLG Bamberg, a.a.O.; OLG Celle VA 09, 154; a.A. offenbar OLG Brandenburg 22.9.09, 1 Ss 66/09, Abruf-Nr. 101188). Darüber hinaus wird zudem verlangt, dass der Beschuldigte vor Erteilung des Einverständnisses regelmäßig über sein Weigerungsrecht belehrt werden müsse. Das LG Saarbrücken (a.a.O.) geht davon aus, dass eine wirksame Einwilligung aber auch vorliegt, wenn durch die einschreitenden Polizeibeamten lediglich eine Belehrung nach § 163a Abs. 4, § 136 Abs. 1 S. 2 StPO erfolgt sein sollte, ohne darüber hinaus auch über das bestehende Weigerungsrecht im Rahmen des § 81a StPO belehrt zu haben. Die Einwilligung darf dem Betroffenen/Beschuldigten gegenüber auch nicht als bloße „Formalie“ dargestellt werden.
4. Zudem ist darauf zu achten, ob der Betroffene über die erforderliche Einwilligungsfähigkeit verfügte oder ob diese aufgrund des Alkohol- oder Drogenkonsums eingeschränkt war. Insoweit wird man die Grundsätze von BGHSt 39, 349 entsprechend anwenden können. Danach wird von der Unverwertbarkeit von Angaben des Beschuldigten ausgegangen, wenn er aufgrund einer „geistig-seelischen Störung“ eine zuvor erfolgte Belehrung durch Polizeibeamte nicht verstanden hat. Von einer „geistig seelischen Störung“ wird aber auch ausgegangen, wenn der Beschuldigte so alkoholisiert war, dass er deshalb die Belehrung nicht verstanden hat (vgl. für das Verkehrsstrafrecht LG Osnabrück zfs 99, 491). Davon wird man ab einer BAK von 1,8 ‰ ausgehen können.
5. Zu unterscheiden sind bei der Anwendung der BVerfG-Rechtsprechung zwei Schritte:
6. Im Verfahren gilt die Widerspruchslösung mit der Folge, dass sowohl der Verlesung als auch der Verwertung des Blutalkoholgutachtens zu widersprechen ist und zwar spätestens bis zu dem in § 257 StPO genannten Zeitpunkt (vgl. OLG Hamburg NJW 08, 2597; OLG Hamm VA 09, 28; 09, 100). Zu beachten ist, dass es sich um einen sog. spezifizierten Widerspruch handeln muss. Es muss also im Einzelnen dargelegt werden, welche Fehler geltend gemacht werden sollen (OLG Hamm, a.a.O.). Der Verteidiger muss auch widersprechen, wenn er mit einem Freispruch rechnet bzw. dieser sich nach seiner Auffassung abzeichnet, da er den Widerspruch auch im Fall der Aufhebung und Zurückverweisung nicht nachholen kann (OLG Hamm VA 10, 48).
7. Revisionsrechtlich ist u.a. die Entscheidung des OLG Hamburg (NJW 08, 2597) von Bedeutung, da vor allem diese sich zu den Anforderungen an die Verfahrensrüge in diesen Fällen verhält. Zur i.S. des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO ausreichenden Begründung gehört, dass u.a. auch vorgetragen wird, dass der Betroffene/Angeklagte nicht mit einer freiwilligen Entnahme einverstanden war (OLG Hamm VA 09, 28; OLG Jena DAR 09, 283; OLG Celle VA 09, 154). Auch werden ggf. Ausführungen dazu erforderlich sein, dass kein Nachtrunk vorgelegen hat (OLG Hamburg a.a.O ) bzw., dass es beim zuständigen AG einen Eildienst gegeben hat (OLG Hamm VA 09, 100), oder dass rechtzeitig widersprochen worden ist (OLG Hamm zfs 10, 227).
8. Bei der Prüfung des Urteils muss der Verteidiger sein Augenmerk auch auf die getroffenen Feststellungen richten und prüfen, ob diese ausreichend sind (vgl. dazu OLG Brandenburg VA 09, 84).
9. Und: Ist in der Hauptverhandlung voraussichtlich eine Auseinandersetzung mit der Frage zu erwarten, ob eine Verwertung des eingeholten Blutalkoholgutachtens in der HV zulässig oder ob insoweit ein Verwertungsverbot anzunehmen ist, weil die untersuchten Blutproben ohne richterliche Anordnung entnommen worden sind, ist dem Angeklagten wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage (§ 140 Abs. 2 StPO) ein Verteidiger beizuordnen. Das gilt auch im OWi-Verfahren (OLG Brandenburg VA 09, 83; LG Freiburg StraFo 09, 516; LG Koblenz NZV 10, 103, LG Schweinfurt VA 08, 155; für das OWi-Verfahren OLG Bremen DAR VA 09, 175; OLG Hamm VA 10, 102).
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