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  • 23.10.2008 | Blutentnahme

    Nochmals: Beweisverwertungsverbot bei
    Blutentnahme ohne richterliche Anordnung

    Die Auffassung in der strafgerichtlichen Rechtsprechung, dass allein die fehlende Dokumentation der Umstände, die zur Annahme von Gefahr in Verzug hinsichtlich der Anordnung einer Blutentnahme geführt haben, nicht zu einem Beweisverwertungsverbot führt, ist aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden, wenn diese Rechtsprechung die Möglichkeit offen lässt, den Dokumentationsmangel entsprechend seinem Gewicht im Einzelfall als Gesichtspunkt in der vorzunehmenden Abwägung zu berücksichtigen (BVerfG 28.7.08, 2 BvR 784/08, Abruf-Nr. 083084).

     

    Sachverhalt

    Der Angeklagte verursachte sonntags gegen 10 Uhr wegen alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit einen Verkehrsunfall. Die herbeigerufenen Polizeibeamten ordneten, ohne zuvor StA oder Ermittlungsrichter zu verständigen und ohne die Gründe für die Annahme von „Gefahr im Verzug“ zu dokumentieren, die Entnahme einer Blutprobe an. Diese ergab eine BAK von 0,43 Promille. Das AG hat den Angeklagten wegen eines Verstoßes gegen § 315c StGB verurteilt. Seine Sprungrevision, mit der er weiterhin ein Beweisverwertungsverbot wegen der Verletzung des Richtervorbehalts bei der Blutentnahme geltend gemacht hat, hat das OLG verworfen. Die dagegen eingelegte Verfassungsbeschwerde des Angeklagten hatte keinen Erfolg.  

     

    Entscheidungsgründe

    Zwar bezieht sich das Gebot effektiven Rechtsschutzes auch auf Dokumentations- und Begründungspflichten. Es gilt auch für Maßnahmen, die nicht – wie die Wohnungsdurchsuchung – einem verfassungsrechtlichen, sondern nur einem einfachgesetzlichen Richtervorbehalt unterliegen (BVerfG VA 07, 109). Jedoch obliegt die Beurteilung der Frage, welche Folgen ein möglicher Verstoß gegen strafprozessuale Verfahrensvorschriften hat und ob hierzu insbesondere ein Beweisverwertungsverbot zählt, in erster Linie den zuständigen Fachgerichten. Wenn diese davon ausgingen, dass fehlende Dokumentation allein nicht zu einem Verwertungsverbot führe (so BGH NJW 07, 2567), ist das aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden, zumal hierbei die Möglichkeit offen blieb, den Dokumentationsmangel entsprechend seinem Gewicht im Einzelfall in der vorzunehmenden Abwägung zu berücksichtigen. Es ist auch nicht zu prüfen, ob der in der Blutentnahme liegende Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Angeklagten als solcher Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG verletzt. Das ist nicht Gegenstand des Verfahrens. Auch gebietet Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG nicht ohne weiteres, im Falle eines – unterstellten – Verstoßes gegen § 81a StPO im Zuge einer richterlich nicht angeordneten Blutentnahme ein Verwertungsverbot hinsichtlich der erlangten Beweismittel anzunehmen. Schließlich ist in Fällen wie dem vorliegenden die Annahme eines Beweisverwertungsverbots unter dem Gesichtspunkt des rechtsstaatlichen Mindeststandards nicht geboten.  

     

    Praxishinweis

    Ob bei einer Verletzung des Richtervorbehalts in den Blutentnahmefällen ein Beweisverwertungsverbot anzunehmen ist, wird in der Rechtsprechung inzwischen weitgehend verneint (OLG Hamburg VA 08, 104; OLG Stuttgart VA 08, 29; LG Hamburg VA 08, 15; LG Itzehoe NStZ-RR 08, 249; inzwischen auch AG Berlin-Tiergarten 28.5.08, (310 Gs) 3032 Pls 4513/08 [52/08], Abruf-Nr. 083080, und zwar ausdrücklich gegen LG Berlin). Nur das AG Essen (VA 08, 14) und das LG Berlin (VA 08, 139) haben bisher ein Beweisverwertungsverbot bejaht. Die Entscheidung des BVerfG gibt den Vertretern der strengen Auffassung zumindest Argumentationshilfe in dem Streit. Für den Verteidiger wird es nun noch schwerer werden, beim Tatgericht ein Beweisverwertungsverbot zu erreichen. Das gilt vor allem auch, wenn man – wie das AG Tiergarten – damit argumentiert, dass die Polizisten sich auf eine „jahrzehntelange Praxis“ berufen können und deshalb Willkür nicht vorliegt. Das mag für die Vergangenheit gelten, aber nicht für die Zukunft (s.a. OLG Stuttgart zum „Wissensstand“ der Polizeibeamten). Das Argument „das haben wir immer schon so gemacht“ zählt m.E. nicht. Man wird auch von Polizisten erwarten müssen, dass sie sich mit neuerer Rechtsprechung vertraut machen. Zudem: Der Richtervorbehalt in § 81a Abs. 2 StPO ist nicht neu. Ihn hat in der Vergangenheit nur niemand beachtet.