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  • 01.12.2007 | Fahrverbot

    10-Punkte-Checkliste der Verteidigungsstrategie gegen ein Fahrverbot

    von RiOLG Detlef Burhoff, Münster

    Ein Fahrverbot trifft den Betroffenen in der Regel schwerer als eine – ggf. erhöhte – Geldbuße. Deshalb erwartet er von seinem Verteidiger, dass es diesem gelingt, die Verhängung eines Fahrverbotes zu verhindern. Wir zeigen Ihnen, worauf Sie dabei achten müssen.  

     

    Checkliste

    I. Welche allgemeine Rechtsgrundlagen sind zu beachten? 

    Der Verteidiger muss sich zunächst die Rechtsgrundlage für die Verhängung eines Fahrverbotes bewusst machen. Dies ist nach h.M. in der obergerichtlichen Rechtsprechung allein § 25 Abs. 1 StVG (BGHSt 38, 125; 43, 241 = NJW 97, 3252; OLG Dresden DAR 01, 318; vgl. im Übrigen Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 39. Aufl., § 25 StVG Rn. 20 m.w.N.). § 4 Abs. 1 BußgeldkatalogVO stellt lediglich für die dort ausdrücklich genannten besonders schwerwiegenden Verkehrsverstöße eine Konkretisierung der eigentlichen Androhungsnorm des § 25 StVG dar. Das bedeutet: Das Vorliegen einer der Fälle des § 4 BußgeldkatalogVO genügt nicht bereits als solches für die Anordnung des Fahrverbots oder macht dies gar zwingend. Vielmehr müssen zusätzlich auch die Merkmale des § 25 Abs. 1 StVG erfüllt sein. Es muss also in objektiver und subjektiver Hinsicht eine grobe Pflichtwidrigkeit bzw. ein beharrlicher Verstoß vorliegen. Ist das der Fall, greift die so genannte Regelwirkung der Katalogtat ein, die dann aber im Einzelfall widerlegt werden kann, was dann zum Absehen vom Fahrverbot führt.  

     

    Praxishinweis: Daraus ergibt sich für den Verteidiger folgende Fragestellung:  

     

    1. Zunächst ist zu fragen: Sind hinsichtlich des Betroffenen die Voraussetzungen einer Katalogtat nach § 4 Abs. 1 BußgeldkatalogVO festgestellt worden?

     

    2. Dann: Handelt es sich ggf. dennoch nicht um eine objektiv und subjektiv grobe Pflichtwidrigkeit – Stichwort: Augenblicksversagen?

     

    3. Schließlich: Ist das Fahrverbot aber ggf. trotzdem ausgeschlossen, weil es nicht erforderlich ist oder hinsichtlich seiner Folgen beim Betroffenen unangemessen wäre – Stichwort: Regelwirkung der Katalogtat, aber diese Vermutung kann widerlegt werden.

     

    II. Frühzeitige Verteidigung gegen ein Fahrverbot kann sich lohnen! 

    Leider wird von Verteidigern nicht selten übersehen, dass die Verteidigung gegen ein Fahrverbot nicht erst in der Rechtsbeschwerde beim OLG beginnt. Sie beginnt vielmehr spätestens beim AG. Das gilt vor allem auch deshalb, weil die Tatrichter häufig großzügiger hinsichtlich des Absehens vom Fahrverbot sind als die Obergerichte. Das Rechtsbeschwerdegericht ist zudem an die tatsächlichen Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils gebunden. Es bringt daher nichts mehr, wenn ggf. erst hier zu einem „Augenblicksversagen“ oder zu den beruflichen Fragen Stellung genommen wird.  

     

    Praxishinweis: Noch besser ist es, mit der Verteidigung gegen ein Fahrverbot noch früher zu beginnen. Der Verteidiger sollte, wenn das möglich ist, den Kontakt zum Sachbearbeiter bei der Bußgeldbehörde suchen und bereits dort alle Umstände vortragen, die gegen ein Fahrverbot sprechen. Es ist besser, es erst gar nicht zur Verhängung eines Fahrverbotes kommen zu lassen, als später zu versuchen, das Absehen von einem verhängten Fahrverbot zu erreichen.  

     

    III. Lohnt es sich, eine höhere Geldbuße anzubieten? 

    Nach der obergerichtlichen Rspr. kann von einem Fahrverbot abgesehen werden, wenn die mit dem Fahrverbot gewünschte Erziehungswirkung auch mit einer empfindlicheren Geldbuße erreicht werden kann. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass inzwischen die Höchstgrenzen für Bußgelder verdoppelt worden sind und nach § 17 Abs. 1und 2 OWiG bei Vorsatz 1.000 EUR und bei Fahrlässigkeit 500 EUR betragen. Das sind Sätze, durch die der normale Durchschnittsverdiener mit entsprechenden Unterhaltspflichten mehr als in der Vergangenheit auch ohne Fahrverbot von der erneuten Begehung schwerwiegender Verkehrsverstöße abgehalten werden kann (so auch Deutscher NZV 99, 113.).  

     

    Praxishinweis: Diese Argumentation (dazu auch OLG Hamm VA 01, 151, Abruf-Nr. 010986; VRR 05, 155 = StraFo 05, 257) sollte sich der Verteidiger zu nutze machen und darauf schon bei der Verwaltungsbehörde hinweisen. Diese ist dann nicht selten bereit, auf ein Fahrverbot zu verzichten. Insbesondere das OLG Hamm weist immer wieder darauf hin, dass von einem Fahrverbot aber nur gegen eine massive Erhöhung der Geldbuße abgesehen werden kann. Dazu hat es konkret in einer Entscheidung die Anhebung der an sich verwirkten Regelgeldbuße von 100 EUR auf 200 EUR als nicht ausreichend angesehen (dazu OLG Hamm VA 06, 174, Abruf-Nr. 062641; NZV 07, 263). Es muss also eine deutlich erhöhte Geldbuße „angeboten“ werden.  

     

    IV. Die fünf Stufen der Fahrverbotsverteidigung 

    Der Verteidiger muss sich bewusst machen, dass die Verteidigung gegen ein Fahrverbot verschiedene Stufen durchläuft, und zwar:  

     

    1. Stufe: Ggf. Angreifen der tatsächlichen Voraussetzungen des dem Mandanten zu Last gelegten Verkehrsverstoßes
    Dazu gehört neben der Prüfung der Messung (dazu Burhoff/Neidel/Grün, Geschwindigkeits- und Abstandsmessungen im Straßenverkehr, 2007) – beim bestreitenden Mandanten – die Frage, ob dieser überhaupt als Täter/Fahrer zum Vorfallszeitpunkt identifiziert werden kann (dazu zuletzt Burhoff VA 06, 125; 06, 144). Der Verteidiger muss insbesondere ein von dem Verkehrsverstoß gefertigtes Lichtbild daraufhin prüfen, ob es die Identifizierung des Mandanten zulässt (dazu OLG Hamm zfs 05, 413 = DAR 05, 462 = NZV 06, 162, und zuletzt OLG Düsseldorf VA 07, 49 Abruf-Nr. 070473 = VRR 07, 194 = VRS 112, 43).

     

    2. Stufe: Prüfung des Bußgeldbescheides im Hinblick auf seine Wirksamkeit
    Einzelheiten dazu siehe Burhoff VA 03, 73; s. auch noch OLG Hamm VA 07, 186, Abruf-Nr. 072831, und OLG Brandenburg VA 07, 86, Abruf-Nr. 071072).

     

    3. Stufe: Vorbereitung der Hauptverhandlung (vgl. dazu schon VA 02, 121)
    Eine gute Vorbereitung der Hauptverhandlung (HV) ist wichtig, da in der HV häufig wegen der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit kaum verteidigt werden kann. Deshalb sind z.B. Beweisanträge so weit wie möglich schon vorab zu stellen. Sie müssen dann in der HV aber wiederholt werden (zum Beweisantrag im OWi-Verfahren VA 07, 205).

     

    4. Stufe: Verteidigung in der Hauptverhandlung gegen ggf. neu aufgetretene Umstände
    Dazu gehören z.B. die aufgrund einer Zeugenaussage bestehende Möglichkeit eines Messfehlers und der sich daraus ergebenden Notwendigkeit eines Beweisantrages (zum Beweisantrag VA 07, 205).

     

    5. Stufe: Verteidigung im Rechtsbeschwerdeverfahren
    Wenn der Mandant verurteilt worden ist: Verteidigung im Rechtsbeschwerdeverfahren durch sorgfältige Prüfung des Urteils und ebenso sorgfältige Begründung des Rechtsmittels, um im Hinblick auf den Zeitablauf eine Aufhebung des amtsgerichtlichen Urteils und damit Zeitgewinn zu erzielen (zur Rechtsbeschwerde VA 01, 90).

     

    Praxishinweis: Zur Verteidigung im Rechtsbeschwerdeverfahren gehört auf jeden Fall, dass der Verteidiger noch einmal Akteneinsicht nimmt, um so Verfahrensverstöße, die ggf. die Verfahrensrüge begründen können, festzustellen (zur Begründung der Verfahrensrüge PA 02, 127 ff., 139 ff. – beide Beiträge können Sie kostenlos bei der Redaktion anfordern: Fax: 02596 92299 – kein Fax-Abruf!).  

     

    V. Lohnt sich eine Verteidigung auf Zeit? 

    Die Verteidigung gegen ein Fahrverbot ist immer auch eine Verteidigung auf Zeit. Denn die obergerichtliche Rechtsprechung geht davon aus, dass (zumindest) ab einem Zeitraum von 2 Jahren zwischen Tat und (rechtskräftiger) Verurteilung ein Absehen vom Fahrverbot möglich ist (vgl. dazu die Zusammenstellung bei Burhoff VA 00, 77; siehe auch VA 02, 135 und zuletzt z.B. KG VA 07, 219, Abruf-Nr. 073349; OLG Düsseldorf DAR 05, 164 f.; OLG Hamm VA 05, 212, Abruf-Nr. 053139; OLG Karlsruhe DAR 05, 168; OLG Schleswig SchlHA 05, 334.). Hinzu kommen muss allerdings außerdem, dass der Betroffene in dieser Zeit straßenverkehrsrechtlich nicht erneut in Erscheinung getreten sein darf (z.B. OLG Hamm DAR 00, 580). Der lange Zeitablauf darf zudem nicht auf unlauterem Prozessverhalten des Betroffenen beruhen (KG VRS 102, 127; OLG Hamm VA 04, 30, Abruf-Nr. 040149 = zfs 04, 135; OLG Rostock DAR 01, 421). Das Ausschöpfen von Rechtsmitteln und Rechten durch den Betroffenen ist aber grundsätzlich nicht als unlauter anzusehen (OLG Hamm VA 05, 212, Abruf-Nr. 053139).  

     

    Praxishinweis: Die Regelgrenze von 2 Jahren ist in der OLG-Rspr. inzwischen ins Wanken geraten. Das OLG Hamm hat für das Absehen vom Fahrverbot schon einen Zeitraum von einem Jahr und neun Monaten als ausreichend angesehen (OLG Hamm VA 04, 157, Abruf-Nr. 041714 = StraFo 04, 282 = NZV 04, 598). Auch andere Obergerichte haben inzwischen kürzere Zeiträume genügen lassen (dazu VA 07, 152, und zuletzt OLG Karlsruhe VA 07, 164, Abruf-Nr. 072500; siehe auch AG Bensheim NZV 06, 442 [15 Monate bei einem Verstoß gegen § 24a StVG]).  

     

    Der Verteidiger muss auch darauf achten, dass dann, wenn ein Fahrverbot wegen Zeitablaufs nicht mehr in Betracht kommt, die Geldbuße nicht erhöht werden darf (OLG Hamm 2.7.07, 3 Ss OWi 360/07, Abruf-Nr. 073332 = zfs 07, 591).  

     

    VI. Kann von einem Fahrverbot nach verkehrspsychologischer Maßnahme abgesehen werden? 

    Während im Verkehrsstrafrecht die Teilnahme an einer verkehrspsychologischen Maßnahme in aller Regel zur Abkürzung der Sperrfrist führt (§§ 69, 69a StGB; hierzu Himmelreich DAR 04, 8 ff. m.w.N.), sind solche Maßnahmen in der Vergangenheit nicht zur Vermeidung eines Fahrverbotes nach § 25 StVG genutzt worden (siehe aber BayObLG zfs 95, 603 zum Absehen vom Fahrverbot wegen Absolvierung eines mehrstündigen Verkehrsunterrichts). Hier scheint ein Umdenken in der Rechtsprechung einzusetzen. Einige AG haben nun ausgeführt, dass dann, wenn der Betroffene eine anerkannte verkehrspsychologische Intensivberatung in Anspruch genommen hat, vom Fahrverbot abgesehen werden kann und aufgrund der mit dieser Maßnahme verbundenen Kosten aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ggf. auch von der Erhöhung der Regelbuße gem. § 4 Abs. 4 BKatV abzusehen ist (AG Bad Segeberg VA 05, 178, Abruf-Nr. 052582; AG Rendsburg zfs 06, 231; AG Lübeck 5.6.06, 64 OWi 52/06, Abruf-Nr. 073419; AG Essen DAR 06, 344, und zwar selbst dann, wenn der Betroffene in der Vergangenheit bereits dreimal in Erscheinung getreten ist; siehe auch Schmitz DAR 07, 603 unter Hinw. auf AG Recklinghausen 8.9.06, 37a OWi 55 Js 1562/05, Abruf-Nr. 073420, und AG Duderstadt zfs 01, 519).  

     

    Praxishinweis: Der Verteidiger muss diese Vorgehensweise mit dem Amtsrichter und der StA absprechen. Die Teilnahme an einer solchen Maßnahme muss auch frühzeitig vor der Hauptverhandlung (HV) in die Wege geleitet werden, damit sie zum Zeitpunkt der HV bereits erledigt ist. Dann kann der Verteidiger mit der erfolgreichen Teilnahme an der Maßnahme argumentieren. Es nutzt wenig, erst in der HV die Teilnahme an einer solchen Maßnahme „anzubieten“. Das wird dem Amtsrichter im Zweifel nicht genügen.  

     

    VII. Ist die Beschränkung des Fahrverbots auf eine bestimmte Kraftfahrzeugart möglich?  

    Es wird häufig übersehen, dass § 25 Abs. 1 S. 1 StVG die Möglichkeit vorsieht, das Fahrverbot auf eine bestimmte Kraftfahrzeugart zu beschränken (dazu die Tabelle bei Hentschel, a.a.O., § 6 FeV Rn. 2 bzw. § 5 StVG Rn. 11). Diese nach § 25 StVG also durchaus statthafte Möglichkeit ist nach der OLG-Rspr. insbesondere zu erwägen, wenn sonst eine außergewöhnliche und nicht mehr mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in Einklang zu bringende Härte eintreten würde (z.B. BayObLG DAR 91, 110 f.; OLG Hamm VRS 53, 205 f.; OLG Karlsruhe VA 05, 13, Abruf-Nr. 043015). Dies ist in Betracht zu ziehen, wenn z.B. eine Geschwindigkeitsüberschreitung beim Führen eines Pkw und nicht eines Lkw begangen wurde (OLG Düsseldorf NZV 94, 407; OLG Celle Nds.Rpfl. 92, 290 f.) oder, wenn es darum geht, dass dem Betroffenen die Möglichkeit erhalten werden kann, bestimmte im Rahmen seine Betriebes erforderliche Fahrzeuge zu führen (OLG Karlsruhe, a.a.O., für einen Landschaftsgärtner). Auch kann so ggf. erreicht werden, dass der mit einem Krad begangene Verkehrsverstoß nur zu einem Fahrverbot hinsichtlich des Krades führt (OLG Bamberg 19.10.07, 3 Ss OWi 1344/07, Abruf-Nr. 073335). Es muss sich allerdings um eine bestimmte „Kraftfahrzeugart“ handeln (OLG Hamm VA 07, 34, Abruf-Nr. 070097).  

     

    Praxishinweis: Das OLG Jena (VRS 113, 71) geht in diesen Fällen davon aus, dass nach der Beschränkung des Fahrverbotes dann aber die Geldbuße erhöht werden kann.  

     

    VIII. Muss/kann ein Augenblicksversagen geltend gemacht werden? 

    Nach der BGH-Rechtsprechung zum „Augenblicksversagen“ (BGHSt 43, 241 = NJW 97, 3252 = NZV 97, 255) kommt die Verhängung eines Fahrverbots nicht in Betracht, wenn dem Betroffenen nur ein leichter Fahrlässigkeitsvorwurf gemacht werden kann (zu allem Burhoff VA 01, 169; Deutscher NZV 99, 111). Es fehlt dann an dem für die Verhängung des Fahrverbotes erforderlichen subjektiven Element der groben Pflichtwidrigkeit. Allgemein ist für die Verteidigung in dem Zusammenhang von Bedeutung:  

     

    • Bußgeldstellen und Gerichte dürfen grds. davon ausgehen, dass Vorschriftszeichen von Verkehrsteilnehmern in der Regel wahrgenommen werden. Ein „Augenblicksversagen“ muss deshalb nur geprüft werden, wenn sich dafür Anhaltspunkte ergeben oder der Betroffene dies im Verfahren einwendet. Hier ist also wieder der Verteidiger gefordert, der im Gespräch mit dem Mandanten diese Anhaltspunkte klären muss (zur Rspr. zum „Augenblicksversagen s. unsere Rspr.-Übersicht in VA 07, 150 m.w.N.).

     

    • Wird ein Fahrverbot wegen eines „Augenblicksversagens“ nicht verhängt, darf die Regelgeldbuße nicht erhöht werden (BayObLG NZV 98, 255; OLG Düsseldorf NZV 99, 391; OLG Hamm NZV 99, 215; OLG Frankfurt DAR 00, 177). Es handelt sich dann nämlich nicht um einen Fall des Absehens vom Fahrverbot.

     

    • Die BGH-Rspr., die einen Fall der Geschwindigkeitsüberschreitung betraf, ist von den Obergerichten auch auf den Rotlichtverstoß ausgedehnt worden (BayObLG NZV 02, 576; OLG Hamm VRS 96, 64 = NZV 99, 176).

     

    IX. Stehen berufliche Gründe dem Fahrverbot entgegen? 

    Die Verhängung eines Fahrverbotes muss angemessen sein. Gegen die Angemessenheit können schwerwiegende berufliche Folgen sprechen, zu denen es bei Betroffenen durch die Vollstreckung des Fahrverbotes kommen kann. Das wird von der Rechtsprechung allerdings erst angenommen, wenn die Verhängung des Fahrverbotes eine unzumutbare Härte für den Betroffenen darstellt. Erforderlich ist beim angestellten Betroffenen der Verlust des Arbeitsplatzes und beim Freiberufler die drohende Existenzgefährdung (dazu OLG Hamm NZV 96, 118; OLG Düsseldorf NZV 92, 373; OLG Celle NZV 96, 291; siehe auch Burhoff VA 01, 104; Deutscher NZV 97, 27 m.w.N.).  

     

    Praxishinweis: Der Verteidiger muss dazu konkret vortragen, und zwar schon beim AG. Allerdings reicht nicht die bloße Vermutung oder Befürchtung, der Arbeitsplatz werde verlustig gehen oder der Verlust könne eintreten (OLG Hamm VA 07, 33, Abruf-Nr. 070095; VA 06, 102, Abruf-Nr. 061248; DAR 96, 325; OLG Düsseldorf NZV 92, 373 f; vgl. aber auch die Fallgestaltung bei AG Hof DAR 07, 40). Auch die „große Angst“ des Betroffenen um seinen Arbeitsplatz ist nicht ausreichend (OLG Hamm VA 06, 138, Abruf-Nr. 062130). Zum Arbeitsplatzverlust muss also konkret vorgetragen werden. Es empfiehlt sich, dazu bei abhängig Beschäftigten eine Bescheinigung des Arbeitgebers über die im Fall der Verhängung eines Fahrverbotes drohende Kündigung vorzulegen oder in einem Beweisantrag entsprechenden Zeugenbeweis anzubieten. Aus der Bescheinigung bzw. der Zeugenaussagen muss sich ergeben, dass die Kündigung konkret droht.  

     

    X. Sprechen sonstige Gründe gegen ein Fahrverbot 

    Der Verteidiger muss schließlich auch berücksichtigen, dass auch sonstige persönliche Gründe zum Absehen vom Fahrverbot führen können. Das ist in der Vergangenheit z.B. bejaht bzw. verneint worden:  

     

    Sachverhalt  

    Entscheidung:  

    Fahrverbot  

    Fundstelle  

    querschnittgelähmter Ersttäter  

    bejaht  

    AG Hof NZV 98, 388  

    allein stehender querschnittgelähmter Rollstuhlfahrer muss alle Besorgungen des täglichen Lebens mit dem Kfz machen  

    bejaht  

    OLG Frankfurt NZV 95, 366  

    allein schwere Gehbehinderung  

    verneint  

    OLG Frankfurt NZV 94, 286; OLG Hamm DAR 99, 325  

    Pflege und Versorgung pflegebedürftiger Angehöriger ist ggf. erheblich gefährdet  

    bejaht  

    OLG Hamm DAR 96, 387 b. Bur-hoff; NZV 97, 185; NZV 97, 281  

    Praxishinweis: Soll vom Fahrverbot abgesehen werden, muss die verstärkte Pflege- und Betreuungsbedürftigkeit feststehen, außerdem keine sonstigen unentgeltlichen Betreuungspersonen aus der Familie vorhanden und die Einstellung einer professionellen Hilfe nicht zumutbar sein (OLG Hamm VA 06, 86, Abruf-Nr. 060966).  

    Betroffene muss nach Herzoperation regelmäßig 1 bis 3 x pro Woche zur Behandlung in die Uni-Klinik fahren  

    bejaht  

    AG Meldorf zfs 00, 366; siehe aber OLG Hamm DAR 99, 325 = VRS 97, 69.  

    75 Jahre alter, zu 50 % schwer behinderter Betroffener, der seit 37 Jahren straßenverkehrsrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist  

     

    nein, und zwar insb. dann nicht, wenn sich der Betroffene hinsichtlich des Verkehrsverstoßes (Rotlichtverstoß mit Unfall) uneinsichtig gezeigt hat  

    OLG Hamm VA 07, 33, Abruf-Nr. 070095 

     

     

     

    Quelle: Ausgabe 12 / 2007 | Seite 224 | ID 116275