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  • 25.06.2008 | Gebrauchtwagenkauf

    Mangel oder Verschleiß oder Verschleißmangel?

    von VRiOLG Dr. Christoph Eggert, Düsseldorf

    Die Abgrenzung zwischen einem Mangel im kaufrechtlichen Sinn einerseits und „normalem“ Verschleiß andererseits ist eine der größten Herausforderungen im Umfang mit den Fällen des Alltags, weiß Joachim Otting, einer der profiliertesten Kenner der Materie, zu berichten (SVR 04, 45). Gemeistert hat die Praxis diese Herausforderung bisher nicht, wie Entscheidungen aller Instanzen Woche für Woche zeigen. VA bringt Sie auf den neuesten Stand der Technik.  

     

    Checkliste I: Praxiswissen kompakt in 10 Punkten

    1. Problemaufriss: Warum war unser Thema jahrzehntelang out und warum ist es jetzt in? Antwort: Durch den Wegfall des umfassenden Gewährleistungsausschlusses beim Verbrauchsgüterkauf. Wo zulässigerweise die Sachmängelhaftung ausgeschlossen ist, interessiert i.d.R. nicht, ob ein bestimmter Schaden die Folge von normalem oder anormalem Verschleiß ist.  

     

    2. Definition: Verschleiß ist der „fortschreitende Materialverlust aus der Oberfläche eines festen Körpers, hervorgerufen durch mechanische Ursachen, d.h. Kontakt und Relativbewegung eines festen, flüssigen oder gasförmigen Gegenkörpers“ (DIN 503209).  

     

    3. Erscheinungsformen: Verschleiß ist – vom Einlauf- bzw. Einfahrverschleiß abgesehen – ein unerwünschter, aber unvermeidbarer Vorgang. Deshalb ist von „natürlichem“ bzw. „normalem“ Verschleiß die Rede. Abgegrenzt wird er gegen „vorzeitigen“ bzw. „übermäßigen“ Verschleiß. Kategorien, die nicht allen Sachverständigen geläufig sind und deren Definition und forensische Feststellung schwierig sind.  

     

    4. Kritische Fälle: Von den rund 6.000 Einzelteilen eines Pkw unterliegen die meisten einem „natürlichen“ Verschleiß und normaler Alterung. Kaufrechtlich interessant sind nur wenige, vor allem die Verschleißzonen der Triebwerke und der Steuerung von Motoren, ferner Verschleiß bei Getrieben.  

     

    5. BGH-Kernaussage zu § 434 BGB: Bei einem Gebrauchtfahrzeug ist – sofern keine besonderen Umstände vorliegen – der normale alters- und gebrauchsbedingte Verschleiß üblich und vom Käufer hinzunehmen. Ein Mangel i.S.d. objektiven Kriterien des § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB ist also zu verneinen (BGH NJW 08, 53; NJW 06, 434).  

     

    6. Vier-Punkte-Katalog OLG Düsseldorf (DAR 07, 211 = ZGS 07, 320):  

    • Schäden an Verschleißteilen können zwar unter die Sachmängelhaftung fallen. Für normalen (natürlichen) Verschleiß muss der Verkäufer mangels gegenteiliger Vereinbarung nicht einstehen, gleichviel, welche Auswirkungen der Defekt hat.

     

    • Ausgenommen von der Mängelhaftung ist nicht nur normaler Verschleiß, der im Zeitpunkt der Übergabe bereits vorhanden war. Auch nach der Übergabe fortschreitender Normalverschleiß begründet i.d.R. keinen vertragswidrigen Zustand.

     

    • Der Verkäufer haftet auch nicht für einen Defekt, der nach Übergabe infolge normalen Verschleißes eintritt, sei es am Verschleißteil selbst (z.B. Zahnriemen), sei es an einem anderen Teil, das selbst kein Verschleißteil ist.
    • In Betracht kommt eine Haftung des Verkäufers, wenn normaler Verschleiß einen Defekt verursacht, den der Verkäufer oder ein Vorbesitzer bei eigenüblicher Sorgfalt, insbesondere durch Wartung und Inspektion, hätte verhindern können.

     

    7. Darlegungs- und Beweislast: Grundsätzlich muss der Käufer nach Übernahme des Fahrzeugs darlegen und beweisen, dass es im Zeitpunkt der Übergabe mangelhaft war (BGH NJW 04, 2299). Er muss die für ihn nachteilige Abweichung der Ist-Beschaffenheit von der Soll-Beschaffenheit beweisen. Letztere bestimmt sich vorrangig nach den getroffenen Vereinbarungen, nur hilfsweise nach den objektiven Standards des § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB (Nr. 1 ist i.d.R. nicht einschlägig).  

     

    8. Beweisvermutung nach § 476 BGB: Da der Käufer die Ist-Beschaffenheit im Moment der Übergabe nach längerem Eigengebrauch häufig nicht mehr beweisen kann, könnte die Beweisvermutung gem. § 476 BGB für ihn eine echte Erleichterung bedeuten. Sie hilft indes nur begrenzt: Dem Verbraucher-Käufer wird nicht der Mangel-Nachweis abgenommen. § 476 BGB enthält keine Mangel-Vermutung, sondern nur eine Zeitpunkt-Vermutung. Es wird vermutet, dass ein innerhalb von sechs Monaten aufgetretener Mangel schon bei Übergabe vorhanden war (BGH NJW 04, 2299; VA 06, 154).  

     

    9. § 476 BGB in „Verschleißfällen“: Da die Beweisvermutung ohne feststehenden Mangel (im Rechtssinn) nicht aktiviert wird, hilft dem Käufer noch nicht das Auftreten eines „verschleißbedingten Mangels“ innerhalb der Sechsmonatsfrist (so aber OLG Koblenz VA 07, 137; Hinweis: das im dortigen Praxishinweis zitierte Dortmunder Urteil betrifft evtl. keinen Verbraucherfall). Nach OLG Köln MDR 06, 1391 und AG Offenbach NJW-RR 07, 1546 gilt richtigerweise: Wenn der Verkäufer den Einwand „normaler Verschleiß“ erhebt (wobei auf eine nähere Darlegung geachtet werden sollte), ist es Sache des Käufers zu beweisen, dass derjenige Zustand, den er als Mangel i.S.d. § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB geltend macht, kein Fall von normalem Verschleiß ist (so auch OLG Hamm 18.6.07, 2 U 220/06, Abruf-Nr. 081109). D.h., die Verschleißfrage wird vor die Klammer gezogen. Sie ist also kein Thema der beiden Unvereinbarkeitstatbestände des § 476 BGB.  

     

    Praxishinweis für Käufer-Anwalt: Gericht und Gutachter sollten ausdrücklich auf die verschiedenen Verschleißarten und insbesondere den richtigen Vergleichsmaßstab hingewiesen werden (Stichwort „fabrikatsübergreifender Vergleich“). Instruktiv OLG Düsseldorf NJW 06, 2858 und OLG Stuttgart NJW-RR 06, 1720; weitere Hinweise zur Feststellung eines vorzeitigen bzw. unüblichen Verschleißes in den Entscheidungen Checkliste II. Ist das Teil nicht mehr vorhanden, z.B. in der Werkstatt „abhanden gekommen“, kommt eine Beweisvereitelung in Betracht (AG Offenbach NJW-RR 07, 1546 – Getriebe).  

     

    10. Prüfreihenfolge bei der Fallbearbeitung (Käufer-Anwalt):  

    a) Hat der Verkäufer ausdrücklich oder konkludent eine Erklärung abgegeben, der zufolge der Käufer mit einem besseren Zustand als dem normalen rechnen darf? In Frage kommen Angaben wie „scheckheftgepflegt“ oder „werkstattgeprüft“; selbst eine Mitteilung wie „Gesamtfahrleistung 96.000 km“ soll etwas zum Verschleißzustand des Motors besagen (OLG Düsseldorf DAR 06, 633; OLG Brandenburg 13.6.07, 13 U 162/06, Abruf-Nr. 073149).
    b) Wenn, wie meist, einschlägige Verschleiß-Informationen fehlen, hängt die Haftung davon ab, ob der Zustand des strittigen Bauteils bei Übergabe üblich i.S.v. „normal“ war oder nicht (§ 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB). Sofern es bei Übergabe funktioniert hat, ist nach der Ursache des Ausfalls zu forschen. Es kann normaler, aber auch ungewöhnlicher Verschleiß sein, auch ein Fahr- oder Bedienungsfehler. Mit dem o.a. Vier-Punkte-Katalog des OLG Düsseldorf lassen sich rechtlich die Weichen stellen. Tendenziell käufergünstiger, weil die Defektfolgen einbeziehend, OLG Celle (16.4.08, 7 U 224/07, Abruf-Nr. 081499).
     

     

    Checkliste II: Aktuelle Rechtsprechung „Mangel ja“
    • Automatikgetriebe, serienmäßiger Werkstofffehler an Bauteil der hydraulischen Kupplung: Renault Laguna, 84.000 km (OLG Düsseldorf NJW 06, 2858),
    • Automatikgetriebe, vorzeitige Materialermüdung als Ursache für den Bruch von Federn: Volvo C 70 (LG Köln DAR 07, 34),
    • Bremsanlage mangelhaft: Opel Astra Caravan, 86.000 km (AG Kenzingen SVR 04, 276),
    • Getriebe, vorzeitige Abnutzung der Zahnflanken infolge eines „Konstruktionsmangels“: Ford Windstar aus den USA (OLG Stuttgart NJW-RR 06, 1720),
    • Katalysator defekt: älterer Opel Astra Caravan (Kat sei kein Verschleißteil, so – unrichtig – AG Zeven DAR 03, 379, Abruf-Nr. 030897),
    • Kraftstoffzuleitung, Leckage im Motorraum: Ford Galaxy, 10 Jahre (OLG Celle 16.4.08, 7 U 224/07, Abruf-Nr. 081499),
    • Scheinwerfer, innere Feuchtigkeit: Mercedes C 200 T, 5 Jahre, ca.110.000 km (LG Oldenburg SVR 04, 144, Abruf-Nr. 041931),
    • Scheinwerfer milchig: älterer Opel Vectra (OLG Celle NJW 04, 3566, Abruf-Nr. 042288),
    • Zahnriemen, übermäßiger Verschleiß der Befestigungsschraube der Spannrolle mit der Folge ihres Abknickens und der weiteren Folge des Überspringens des Zahnriemens, was zu einer Kollision von Kolbenböden und Ventilfedern und damit zu einem „kapitalen“ Motorschaden führte (OLG Hamm 18.6.07, 2 U 220/06, Abruf-Nr. 081109),
    • Zylinder, Anriss/Bruch der Ventilfeder: Porsche 944 S, 11 Jahre, 122.000 km (OLG Köln DAR 04, 91),
    • Zylinderkopfdichtung defekt und gerissene Ventilstege: Pkw, bei Übergabe 159.100 km gelaufen (BGH NJW 07, 2621).
    • Zylinderköpfe, besondere Schadenanfälligkeit mit nachfolgenden Rissen: Jeep Cherokee, 5 Jahre, Schaden bei 94.000 km (Thüringer OLG SVR 06, 262).