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  • 19.02.2009 | Geschwindigkeitsüberschreitung

    Aktuelles zur Geschwindigkeitsüberschreitung: Allgemeine Fragen und Messverfahren

    von RA und RiOLG a.D. Detlef Burhoff, Münster/Augsburg

    Die Geschwindigkeitsüberschreitung gehört zu den im Straßenverkehr am häufigsten begangenen Verkehrsordnungswidrigkeiten. In diesem Bereich ist für den Verteidiger die Kenntnis der Rechtsprechung von erheblicher Bedeutung, da für den Mandanten nicht nur oft ein Regelfahrverbot droht, sondern nach den Änderungen im BKat zum 1.2.09 nun auch (noch) erheblichere Geldbußen. Wir haben daher die wichtigsten aktuellen Entscheidungen für Sie zusammengestellt.  

     

    I. Allgemeine Fragen/Verfahrensfragen/Beweiswürdigung

    Umstände des Einzelfalls  

    Rechtsfolge  

    Fundstelle  

    Geschwindigkeitsüberschreitung in einer Fahrradstraße.  

    Eine Geschwindigkeit ist als mäßig anzusehen, die derjenigen des Fahrradverkehrs angepasst ist, schneller als 30 km/h darf nicht gefahren werden.  

    OLG Karlsruhe VA 07, 34  

    = NJW 07, 1299, Abruf-Nr. 063635  

    Wirksamkeit des Bußgeldbescheids wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung.  

    Ein wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung erlassener Bußgeldbescheid kann auch genügend bestimmt sein, wenn als Tatort ein signifikanter Streckenabschnitt eindeutig bezeichnet und die Tatzeit mit einem Zeitintervall von wenigen Minuten eingegrenzt ist.  

     

    Praxishinweis: Das OLG Bamberg lässt zur Überprüfung der genügenden Bestimmtheit den Rückgriff auf die Akten zu (so auch schon BayObLG NZV 94, 448).  

    OLG Bamberg  

    VA 09, 49,  

    Abruf-Nr. 090110  

     

    Entbindung von der Pflicht zur Anwesenheit in der Hauptverhandlung, wenn der Betroffene bei einer Messung durch Nachfahren lediglich die Richtigkeit des beim Nachfahren abgelesenen Tachometerwerts bestreitet.  

    Die Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung ist nicht erforderlich (§§ 73, 74 OWiG), weil die gebotene ergänzende Aufklärung auch ohne die Präsenz des Betroffenen durch Vernehmung von Polizeibeamten und/oder Sachverständigengutachten durchgeführt werden kann.  

    OLG Bamberg zfs 08, 413  

    Der Betroffene behauptet, sein Fahrzeug habe die ihm vorgeworfene Geschwindigkeit von 120,9 km/h nicht erreichen können. Wegen des defekten Katalysators sei ein so erheblicher Leistungsverlust aufgetreten, dass er nicht schneller als 80 km/h habe fahren können.  

    Es ist rechtsfehlerhaft und widerspricht technischen Erfahrungssätzen, wenn der Tatrichter dieser Einlassung jegliche Relevanz abspricht, denn durch die unrichtige Annahme, ein defekter Katalysator beeinträchtige die Motorleistung nicht, begibt sich der Tatrichter der Möglichkeit, der Einlassung des Betroffenen nachzugehen.  

    KG NZV 07, 323  

    = VRS 112, 293  

    In der Hauptverhandlung wird die Kopie des Eichscheins verlesen.  

     

    Das ist grds. zulässig, da ein Erfahrungssatz des Inhalts besteht, dass die von einer Polizeibehörde gefertigte Fotokopie des Eichscheins des Geschwindigkeitsmessgeräts den Schluss zulässt, dass diese mit dem Original übereinstimmt.  

     

    Praxishinweis: Der Verteidiger muss also entgegenstehende Anhaltspunkte geltend machen.  

    OLG Jena  

    VRS 114, 453  

     

     

    Nur Inaugenscheinnahme und kein Verlesen von Eichschein und Messbild.  

    Keine ordnungsgemäße Einführung des Inhalts von Urkunden in die Hauptverhandlung.  

    OLG Jena  

    VRS 114, 37  

    Augenblicksversagen  

    Kein Augenblicksversagen, wenn der Betroffene vor Erreichen der Messstelle bereits drei beidseitig an einer BAB aufgestellte Zeichen 274, durch die die zulässige Höchstgeschwindigkeit zunächst auf 100 km/h und sodann auf 80 km/h mit dem Zusatzschild „Straßenschäden“ beschränkt worden war, passiert hat.  

     

    Praxishinweis: Der Tatrichter muss bereits ein mögliches Augenblicksversagen prüfen, wenn der Betroffene sich dahin einlässt, er habe das geschwindigkeitsbeschränkende Schild nicht wahrgenommen (OLG Hamm VA 07, 165, Abruf-Nr. 072595).  

    OLG Hamm  

    VA 08, 194, Abruf-Nr. 082619  

     

    Der Betroffene lässt sich bei einer innerörtlichen Geschwindigkeitsüberschreitung ein, er habe das Ortseingangsschild übersehen, und es habe sich ihm auf Grund der äußeren Umgebung der Bundesstraße auch nicht aufdrängen müssen, dass er sich innerorts befand.  

    Eine Bezugnahme auf die von der Fahrtstrecke aufgenommenen Lichtbilder der Ermittlungsakte reicht allein nicht aus, um dem Rechtsbeschwerdegericht die Prüfung zu ermöglichen, ob sich das Tatgericht ausreichend mit der Einlassung des Betroffenen auseinandergesetzt hat. Insbesondere wenn die Lichtbilder verschiedene Rückschlüsse zulassen, bedarf es zumindest einer knappen Beschreibung der einzelnen Lichtbilder, die die Innerörtlichkeit ausreichend belegen.  

    OLG Dresden 18.12.07,  

    Ss (OWi) 779/07, Abruf-Nr. 082358  

    Rechtfertigungsgrund:  

    Stuhldrang  

    Im Einzelfall kann eine Geschwindigkeitsüberschreitung durch einen Notstand (§ 16 OWiG) gerechtfertigt sein, wenn der Betroffene sie begangen hat, um einem plötzlich aufgetretenen und „unabweisbaren“ Stuhldrang (Durchfall) nachzukommen  

     

    Praxishinweis: Zum rechtfertigenden Notstand bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung s. Burhoff in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 2. Aufl. 2009, Rn. 1561.  

    OLG Düsseldorf VA 08, 53  

    = NZV 08, 470, Abruf-Nr. 080340  

     

     

    Gleichzeitige Verurteilung wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit und wegen Verstoßes gegen ein Überholverbot.  

    Unzulässig, das stellt eine Doppelsanktionierung des selben Verhaltensunwerts dar.  

    OLG Hamm  

    VRR 07, 473  

    Mehrere Geschwindigkeitsüberschreitungen auf einer Fahrt.  

    Bei mehreren Geschwindigkeitsüberschreitungen im Verlaufe ein und derselben Fahrt handelt es sich regelmäßig um mehrere Taten im materiellen und prozessualen Sinne.  

     

    Praxishinweis: Handlungseinheit ist lediglich anzunehmen, wenn sich die Verstöße bei natürlicher Betrachtungsweise objektiv auch für einen Dritten als einheitliches zusammengehörendes Tun darstellen.  

    OLG Brandenburg 18.2.08, 1 Ss (OWi) 266 B/07, Abruf-Nr. 090577; OLG Hamm  

    VA 07, 221,  

    Abruf-Nr. 073342  

     

    Verhältnis von Nichtanlegen des vorgeschriebenen Sicherheitsgurts und Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit.  

    Es besteht Tateinheit.  

    OLG Stuttgart VRS 112, 59  

    Verhältnis von Geschwindigkeitsüberschreitung und verbotswidriger Benutzung eines Mobiltelefons.  

    Es handelt sich um einen einheitlichen Lebensvorgang.  

     

    Praxishinweis: Wird zunächst nur wegen eines der beiden Verstöße ein Bußgeldbescheid erlassen, der rechtskräftig wird, steht dem Erlass eines Bußgeldbescheids wegen des anderen Verstoßes ein Verfahrenshindernis entgegen.  

    AG Homburg NStZ-RR 08, 122  

     

    Auswertung des Schaublatts eines Fahrtenschreibers im Sinne von § 57a Abs. 1 StVZO oder eines EG-Kontrollgeräts gem. Art. 3 Abs. 1VO EWG Nr. 3821/85 zum Zwecke der Feststellung von Geschwindigkeitsverstößen durch das Tatgericht.  

    Kann im Regelfall ohne Hinzuziehen eines Sachverständigen vorgenommen werden, zum Ausgleich von Fehlerquellen ist aber ein Toleranzwert von 6 km/h von der festgestellten Geschwindigkeit in Abzug zu bringen.  

     

    Praxishinweis: Dieser Toleranzwert wird aus Anhang I Nr. 3 Buchst. f Nr. 3 Buchst. b zur Verordnung EWG Nr. 3821/85 hergeleitet.  

    OLG Bamberg NZV 08, 45  

    = zfs 08, 295  

     

     

     

    II. Messverfahren

    Verwendung des Geräts VuiDistA VDM-R zur Geschwindigkeitsmessung.  

    Werden die gemessenen Daten nicht direkt zum Messgerät geleitet, sondern über einen zwischengeschalteten CAN-Bus, ist das Messergebnis nicht verwertbar.  

     

    Praxishinweis: Das AG hielt auch einen (höheren) Toleranzabzug für die Verwertbarkeit des Messergebnisses nicht für ausreichend. Das ist jedoch eine nicht zutreffende Schlussfolgerung (vgl. OLG Hamm VA 08, 156).  

    AG Senftenberg VA 08, 211,  

    Abruf-Nr. 083079  

     

     

    Geschwindigkeitsmessung mit dem Geschwindigkeitsüberwachungsgerät TRAFFIPAX TraffiStar S 330.  

    Sog. standardisiertes Messverfahren i.S. der Rechtsprechung des BGH.  

     

    Praxishinweis: Bei der Verwendung eines standardisierten Messverfahrens drängt sich eine weitere Beweisaufnahme nur auf bzw. liegt diese nur nahe, wenn konkrete Anhaltspunkte für technische Fehlfunktionen des Messgeräts behauptet werden (OLG Hamm VA 07, 32 = VRR 07, 195, Abruf-Nr. 070236).  

    OLG Jena  

    VA 08, 211  

    = VRS 114, 464, Abruf-Nr. 083090  

     

     

    Lichtschrankenmessung mit einem Gerät der Marke ESO Typ ES 1.0 mittels passiver Messung ohne Lichtsender.  

    Es handelt sich um ein standardisiertes Messverfahren im Sinne der Rechtsprechung des BGH (BGHSt 39, 291; 43, 277).  

    OLG Stuttgart  

    VA 08, 18  

    = NZV 08, 43, Abruf-Nr. 073783  

    Fehlerhafte Eichung von Provida-Fahrzeugen.  

    Einstellung des Verfahrens.  

    AG Lüdinghausen  

    VA 07, 106,  

    Abruf-Nr. 071423  

    Lasermessung entspricht nicht den Vorgaben des Herstellers des Messgeräts.  

    Die Grundsätze für sog. standardisierte Messverfahren gelten nur, wenn das Messgerät standardmäßig, d.h. in geeichtem Zustand, seiner Bauartzulassung entsprechend und gemäß der vom Hersteller mitgegebenen Bedienungs-/Gebrauchsanweisung verwendet worden ist, und zwar nicht nur beim eigentlichen Messvorgang, sondern auch und gerade bei den ihm vorausgehenden Gerätetests.  

     

    Praxishinweis: Die Messung kann nur mit höherem Toleranzabzug verwendet werden.  

    OLG Hamm  

    VA 08, 156  

    = VRS 115, 53, Abruf-Nr. 082068;  

    OLG Koblenz  

    VA 05, 214  

    = DAR 06, 101, Abruf-Nr. 053136  

     

     

    Ggf. Verstoß gegen Wartungsvorschriften der Piezorichtlinie der PTB.  

    Fraglich, ob das bei einer Sensorgeschwindigkeitsmesseinrichtungen allein schon zur Unverwertbarkeit der Messung führt; es genügt die Feststellung im tatrichterlichen Urteil, dass die erforderlichen Wartungen nach der Piezorichtlinie stattgefunden haben.  

    OLG Hamm  

    VA 08, 103  

    = VRR 08, 273, Abruf-Nr. 081488