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  • 05.01.2009 | Haftpflichtprozess

    Grundrecht auf Sachverständigen-Anhörung

    1. Das Gericht muss auf Antrag der Partei einen radiologischen Sachverständigen anhören, wenn das Gutachten des vom Gericht beauftragten orthopädischen Sachverständigen auf einer lediglich telefonischen Erläuterung des radiologischen Gutachtens beruhen kann.  
    2. Der Antrag auf Anhörung eines Sachverständigen, der erst nach Ablauf einer Frist zur Stellungnahme zu dessen Gutachten gestellt wird, ist nicht verspätet, wenn die Partei erstmals in der mündlichen Verhandlung nach Fristablauf davon Kenntnis erhält, dass der (weitere) gerichtliche Sachverständige sein Gutachten auf eine telefonische Erörterung mit dem erstgenannten Sachverständigen stützt.  
    3. Die Anwendung des § 287 Abs. 1 ZPO ist nicht auf Folgeschäden einer Verletzung beschränkt, sondern umfasst neben einer festgestellten oder unstreitigen Verletzung des Körpers i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB entstehende weitere Körperschäden aus derselben Schädigungsursache.  
    (BGH 14.10.08, VI ZR 7/08, Abruf-Nr. 083794)

     

    Sachverhalt und Entscheidungsgründe

    Strittig war allein die Frage, ob der Versicherte der Klägerin bei einem Unfall mit seinem Motorroller außer Becken- und Rippenbrüchen sowie Schulterprellungen auch die bei ihm festgestellten Rotatorenmanschettenrupturen erlitten hat. Das LG hat das aufgrund eines Gutachtens bejaht. Im Berufungsverfahren wurde erneut Beweis erhoben durch Einholung eines orthopädischen und eines radiologischen Gutachtens. Den Orthopäden hat das OLG angehört, den Radiologen nicht, obgleich die Klägerin dies am Ende des Anhörungstermins beantragt hatte. Der Orthopäde hatte hier erstmals erklärt, mit dem Radiologen telefoniert zu haben und seine (mündliche) Gutachtenerläuterung auch auf die Telefonauskunft zu stützen.  

     

    In der Zurückweisung des Anhörungsantrags hat der BGH auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hin einen Verfahrensfehler in Form eines Grundrechtsverstoßes (Art. 103 GG) gesehen. Der Anhörungsantrag sei weder verspätet noch rechtsmissbräuchlich gewesen. Er habe auch noch nach Ablauf der gesetzten Stellungnahmefrist (§ 411 Abs. 4 S. 2 ZPO) gestellt werden dürfen. Für das weitere Verfahren weist der BGH darauf hin, in welchem Bereich das strenge Beweismaß des § 286 ZPO und wo die Beweiserleichterung nach § 287 ZPO gilt (siehe Leitsatz c).  

     

    Praxishinweis

    Verletzungen des in §§ 397, 402 ZPO verbrieften Rechts, den gerichtlich bestellten Sachverständigen mündlich zu befragen, kommen in der Praxis immer wieder vor (Näheres dazu in VA 07, 103 ff.). Darauf, dass auch ein Privatsachverständiger in einem Anhörungstermin durchaus eine aktive Rolle spielen kann, weist der BGH ausdrücklich hin. Wichtiger ist seine „Segelanweisung“ zu §§ 286, 287 ZPO. Was bei einer Mehrheit von angeblichen Unfallverletzungen und Beschwerden Primärschaden (dann § 286 ZPO) und was Sekundärschaden (dann § 287 ZPO) ist, kann in Grenzfällen Zuordnungsschwierigkeiten machen, zumal in HWS-Sachen. Geschädigten muss daran gelegen sein, so früh wie möglich die Tür zu § 287 ZPO zu öffnen. Dabei kann der vorliegende Beschluss helfen. Zum Nachweis von Unfallverletzungen und deren Folgen ausführlich Ernst, VA 08, 186 ff.