24.11.2010 | Kaskoversicherung
Unfall: Bei relativer Fahruntüchtigkeit Kürzung um mindestens 50 Prozent
Bei Vorliegen relativer Fahruntüchtigkeit zum Unfallzeitpunkt und demgemäß ab circa 0,3 Promille wird in der Regel mit einer Kürzungsquote von 50 Prozent zu beginnen sein. Diese Quote ist nach dem Grad der Alkoholisierung bis auf 100 Prozent bei Erreichen einer absoluten Fahruntüchtigkeit mit 1,1 Promille zu steigern. Nach diesen Maßstäben rechtfertigt das Geradeausfahren in einer Linkskurve bei 0,59 Promille eine Einstiegsquote von 60 Prozent. Liegen besondere Umstände vor, die das Maß des Verschuldens in einem anderen Licht erscheinen lassen, kann die Quote nach unten korrigiert werden (OLG Hamm 25.08.10, I-20 U 74/10, Abruf-Nr. 103689). |
Sachverhalt und Entscheidungsgründe
Das LG hat den Anspruch der Kl., die nach einem Unfall vollen Ersatz ihres Pkw-Schadens verlangt, wegen relativer Fahruntüchtigkeit (0,59 Promille) um 75 Prozent gekürzt. Auf ihre Berufung hin hat das OLG 50 Prozent zugesprochen. Den Einwand eines Verwertungsverbots bei der Feststellung relativer Fahruntüchtigkeit (Richtervorbehalt nach § 81a Abs. 2 StPO) weist der Senat zurück; auch wegen der schriftlichen Einwilligung der Kl. vor der Blutprobe. Eine alkoholbedingte Ausfallerscheinung sieht er im grundlosen Abkommen von der Straße in einer Linkskurve. Die Kürzung um 50 Prozent entspreche der Schwere des Verschuldens, wobei der Senat das sog. flexible Quotenmodell zugrunde legt und dem Goslarer Orientierungsrahmen eine Absage erteilt. Die Ansicht der Bekl., bei grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls durch Alkoholeinfluss sei in jedem Fall eine vollständige Kürzung berechtigt, lehnt das OLG ausdrücklich ab, verbunden mit dem Hinweis, bei absoluter Fahruntüchtigkeit sei der VR i.d.R. leistungsfrei. Für den Einstiegsbereich der relativen Fahruntüchtigkeit ab einer Schwelle von 0,3 Promille bei Vorliegen einer Straftat nach den §§ 315c bzw. 316 StGB hält der Senat eine Kürzung um 50 Prozent für angemessen, was bei 0,59 Promille an sich eine Anhebung auf 60 Prozent rechtfertige. Wegen der emotional belastenden Situation der Kl. (kranke Eltern) sei diese Einstiegsquote auf 50 Prozent herabzusetzen.
Praxishinweis
Soweit ersichtlich handelt es sich um die erste (rkr.) OLG-Entscheidung zur Quotenbildung nach dem neuen VVG, zumindest in einem Fall relativer Fahruntüchtigkeit. Das macht das Urteil besonders interessant, zumal die Rspr. des 20. ZS OLG Hamm erfahrungsgemäß starken Einfluss auf die Entwicklung im ganzen Bundesgebiet hat. Dass der Goslarer Orientierungsrahmen (VA 10, 3; VK 10, 1) abgelehnt wird, überrascht nicht. Ab 0,5 Promille bis zur Grenze der absoluten Fahruntauglichkeit sieht er eine Kürzung um 50 Prozent vor. Die flexible Quotenbildung des OLG Hamm, auch in 10er Schritten, eröffnet VN die Möglichkeit, „mildernde Umstände“ auch in ihrer Person zur Geltung zu bringen. Das sollte der VN-Anwalt beachten.