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  • 25.05.2010 | OWi-Recht

    Verkehrs-OWi-Sachen: Die Rechtsprechung in 2009

    von RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Münster/Augsburg

    Wir haben Ihnen in VA 10, 68 die wichtigsten Urteile des Jahres 2009 aus dem Verkehrsstrafrecht vorgestellt. Das setzen wir hier für die Verkehrsordnungswidrigkeiten fort (im Anschluss an VA 09, 122). Ausgenommen sind die mit der Verhängung eines Fahrverbots zusammenhängenden Fragen und zum Teil auch verfahrensrechtliche Fragen. Darüber werden wir gesondert berichten.  

     

    Rechtsprechungs-ABC

    Abstandsmessung  

    Bei einer Messung mit dem System ProVida 2000 muss das Urteil Ausführungen zum Inhalt des Videobands sowie zur Berechnung des Abstands und deren tatsächlichen Grundlagen aufweisen (OLG Hamm VA 09, 103). Die Urteilsgründe müssen auch bei einer mit einem standardisierten Messverfahren durchgeführten Abstandsmessung Angaben dazu enthalten, ob und wie sich der Betroffene zur Sache eingelassen hat und ob der Tatrichter der Einlassung gefolgt ist (OLG Bamberg VA 09, 21)  

     

    Akteneinsicht  

    Der Verteidiger hat grds. einen Anspruch auf Einsicht in alle Unterlagen, die regelmäßig einem Sachverständigen vorgelegt werden. Das gilt auch für ein Messfoto (AG Liebenwerda VA 09, 196). Die Einsicht hat z.B. durch Zusendung des konkreten Messfotos per Email oder auf einer der Verteidigung zur Verfügung zu stellenden CD zu erfolgen. Ein Akteneinsichtsrecht in den Räumen der Bußgeldbehörde reicht nicht aus (AG Bad Liebenwerda, a.a.O.; a.A. AG Bad Kissingen zfs 06, 706 für die Bedienungsanleitung; vgl. auch AG Schwelm VA 10, 103).  

     

    Beweisantrag  

    Zur Formulierung des Beweisantrags beim standardisierten Messverfahren hat das OLG Celle darauf hingewiesen, dass dieser eine konkrete auf den Verkehrsvorgang bezogene Beweisbehauptung hinsichtlich der Fehlerhaftigkeit des Messverfahrens aufstellen muss (OLG Celle VA 09, 195; vgl. dazu OLG Hamm VA 06, 193; 07, 32). Siehe auch „Täteridentifizierung, Beweisantrag“.  

     

    Geldbuße  

    Die gesetzliche Höchstgrenze für die Festsetzung einer Geldbuße für fahrlässiges Handeln (§ 17 Abs. 3 OWiG; § 24 Abs. 2 StVG) gilt auch, wenn das Gericht von einem im Bußgeldbescheid festgesetzten Fahrverbot absieht oder dieses herabsetzt (OLG Köln VA 10, 46). Obwohl in § 11 Abs. 2 OWiG keine dem § 17 S. 2 StGB entsprechende Milderungsmöglichkeit normiert ist, muss auch bei der Bußgeldbemessung eine Milderung erwogen werden (OLG Koblenz NZV 09, 573). Eine Geldbuße in Höhe von 1.000 EUR ist nicht geringfügig i.S. des § 17 Abs. 3 S. 2 OWiG, so dass die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen nicht völlig ausgeblendet werden dürfen. Die Feststellung, der Betroffene habe ein geregeltes Einkommen, ist nichtssagend; sie trifft auch auf einen Empfänger von „Hartz IV“ zu (OLG Koblenz, a.a.O.).  

     

    Geschwindigkeitsüberschreitung, Allgemeines  

    Nach Auffassung des AG Dillenburg (VA 10, 14) und des AG Lübben (22.1.10, 40 OWi 1511 Js 33710/09 - 348/09, Abruf-Nr. 100602) muss das PoIiScanSpeed-Messverfahren so nachgerüstet werden, dass eine nachträgliche Richtigkeitskontrolle durch einen Sachverständigen möglich ist. Anderenfalls entspricht das Verfahren nicht rechtstaatlichen Anforderungen. Auch das AG Mannheim (23.12.09, 21 OWi 506 Js 19870/09 - 445/09, Abruf-Nr. 100896) hat die Verwertbarkeit der Messung mit Poliscan von weiteren Voraussetzungen abhängig gemacht (vgl. zu Fehlerquellen Wittinghoff/Weyde/Hahn, Wietschorke DAR 10, 106). Inzwischen haben jedoch mehrere OLG das Verfahren Poliscan Speed als standardisiertes Messverfahren angesehen (vgl. u.a. OLG Düsseldorf VA 10, 64 mit Rechtsprechungsübersicht). Zum (Konkurrenz)Verhältnis mehrerer kurz aufeinander folgenden Geschwindigkeitsüberschreitungen, die im Verlauf einer Fahrt begangen worden sind, s. OLG Hamm zfs 09, 561.  

     

    Geschwindigkeitsüberschreitung, standardisiertes Messverfahren  

    Die Geschwindigkeitsmessung mittels des Messgerätes ES 3.0 des Herstellers ESO ist standardisiertes Messverfahren i.S. der BGH-Rechtsprechung in NJW 93, 3081 (AG Lüdinghausen VA 09, 103; zu standardisierten Messverfahren s. auch VA 09, 52).  

     

    Geschwindigkeitsüberschreitung, tatsächliche Feststellungen  

    Die Feststellungen zum Umfang einer Geschwindigkeitsüberschreitung sind lückenhaft, wenn das Urteil keine Angaben enthält, mit welcher Messmethode die Geschwindigkeit ermittelt worden ist. Dies ist nur unschädlich, wenn der Betroffene den gegen ihn erhobenen Vorwurf uneingeschränkt einräumt. Räumt er die Tat nicht in vollem Umfang glaubhaft ein, müssen die Urteilsgründe die tragenden Beweismittel wiedergeben und sich mit ihnen auseinandersetzen (OLG Bamberg VA 09, 157; OLG Frankfurt a.M. VA 09, 157; zur Geschwindigkeitsüberschreitung VA 09, 50 und VA 09, 69).  

     

    Handyverbot im Straßenverkehr, Allgemeines  

    Das AG Gummersbach hat dem BVerfG die Frage vorgelegt, ob § 23 Abs. 1a StVO gegen Art. 2 Abs. 1 GG und den Gleichheitssatz des Art. 3 GG verstößt und deshalb verfassungswidrig ist (AG Gummersbach VA 09, 209). Nach Auffassung des OLG Celle ist ein kabelloses Festnetzgerät ein Mobil- oder Autotelefon i.S. des § 23 Abs. 1a StVO, wenn hiermit auch eine Kommunikation im öffentlichen Fernsprechnetz möglich ist. Ein Fahrzeugführer verstößt daher gegen das Verbot nach § 23 Abs. 1a StVO, wenn er zur Benutzung ein solches Funkgerät aufnimmt oder hält. Die tatsächliche Verwendung des Geräts zur Kommunikation im öffentlichen Fernsprechnetz im konkreten Fall ist hierbei nicht erforderlich (OLG Celle VA 09, 159). Das Führen des Kraftfahrzeugs mit überhöhter Geschwindigkeit und das teils zeitgleiche Benutzen eines Mobiltelefons i.S.d. § 23 Abs. 1a StVO stehen im Konkurrenzverhältnis der Tateinheit i.S.d. § 19 OWiG (OLG Jena VA 10, 65).  

     

    Handyverbot im Straßenverkehr, Benutzung  

    Der Begriff der „Benutzung“ i.S. des § 23 Abs. 1a StVO ist nach wie vor noch in der Diskussion. Die Benutzung eines Mobiltelefons setzt immer voraus, dass das Handy dafür in der Hand gehalten wird (vgl. z.B. OLG Stuttgart VA 08, 17). Im Übrigen gilt: Ein verbotswidriges Benutzen eines Mobiltelefons liegt auch vor, wenn der Fahrzeugführer das Gerät aufnimmt, um dieses zum Telefonieren einzuschalten, das Einschalten aber am entladenen Akku scheitert (OLG Köln VA 09, 15). Auch das Halten eines Mobiltelefons ans Ohr zum Abhören von Musik ist eine verbotswidrige Benutzung des Mobiltelefons i.S. von § 23 Abs. 1a StVO (OLG Köln VA 09, 192).  

     

    Hauptverhandlung, Entbindungsantrag  

    Ein Antrag auf Entbindung von der Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung nach § 73 Abs. 2 OWiG kann noch zu Beginn der Hauptverhandlung gestellt werden (OLG Celle VA 09, 176). Für eine Entbindung des Betroffenen von der Anwesenheit in der Hauptverhandlung ist es nicht ausreichend, wenn sein Verteidiger dem Gericht lediglich mitteilt, dass er das Erscheinen des Betroffenen für entbehrlich halte, da das Verfahren seines Erachtens auch ohne mündliche Verhandlung im Rahmen einer Einstellung erledigt werden könne (OLG Hamm VA 10, 17). Die Nichtentbindung des Betroffenen vom Erscheinen zur Hauptverhandlung kann dann nicht rechtsfehlerhaft sein, wenn der Betroffene nur angeregt hat, das Fahrverbot aus beruflichen Gründen entfallen zu lassen, seine Angaben hierzu unzureichend sind und er nicht unmissverständlich klargestellt hat, auch hierzu keine weiteren Angaben machen zu wollen (OLG Oldenburg VRR 09, 314 = NZV 09, 405).  

     

    Hauptverhandlung, Rechtlicher Hinweis  

    Wird der Regelsatz des Bußgelds, der mit dem Bußgeldbescheid verhängt wurde, vom Gericht verdoppelt, ohne dass dem Betroffenen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wurde, liegt eine Verletzung rechtlichen Gehörs vor (OLG Hamm VA 10, 31 = DAR 10, 99 m. abl. Anm. Sandherr).  

     

    Pflichtverteidigung im OWi-Verfahren  

    Auch im OWi-Verfahren ist über §§ 60 OWiG, 140 StPO die Beiordnung eines Pflichtverteidigers möglich. Dazu liegen inzwischen einige Entscheidungen vor:  

     

    • LG Mainz (VA 09, 176): Im Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren ist bei der Prüfung der Frage der Beiordnung eines Pflichtverteidigers hinsichtlich der Beurteilung der Schwere der Tat die für den 61-jährigen, vorbelasteten Betroffenen mittelbar drohende Folge des Führerscheinentzugs durch die Fahrerlaubnisbehörde in die Beurteilung einzubeziehen.
    • LG Köln (VA 10, 54): Dem Betroffenen ist im OWi-Verfahren ein Pflichtverteidiger beizuordnen, wenn er die Fahrerlaubnis für seinen Arbeitsplatz in einem kleinen Betrieb benötigt und gegen den Betroffenen noch weitere Bußgeldverfahren wegen ähnlicher - zum Teil auch erheblicher - Geschwindigkeitsüberschreitungen laufen.
    • OLG Bremen (VA 09, 176): Ist in der Hauptverhandlung eine Auseinandersetzung mit der Frage erforderlich, ob das Ergebnis eines Blutalkoholgutachtens wegen Verletzung des Richtervorbehalts einem Verwertungsverbot unterliegt, ist wegen der Schwierigkeit der Rechtslage von einem Fall notwendiger Verteidigung auszugehen. Davon ist auch im OWi-Verfahren auszugehen (offen gelassen von OLG Hamm VA 10, 102).
    • Zur Begründung der Rechtsbeschwerde, mit der geltend gemacht wird, dass dem Betroffenen im OWi-Verfahren ein Pflichtverteidiger hätte beigeordnet werden müssen, vgl. KG VRR 09, 293.

     

    Rotlichtverstoß, Rotlichtzeit  

    Grundsätzlich kann - jedenfalls bei einer gezielten Ampelüberwachung - die Feststellung eines qualifizierten Rotlichtverstoßes aufgrund der Schätzung eines Polizeibeamten festgestellt werden, wenn dieser durch Zählen („einundzwanzig, zweiundzwanzig“) zu einer Schätzung gelangt, wonach die Rotlichtphase bei Überfahren der Haltelinie schon mindestens zwei Sekunden andauerte. Diese Schätzung muss aber für Tat- und Rechtsbeschwerdegericht überprüfbar sein. Deshalb muss das tatrichterliche Urteil Feststellungen dazu enthalten, nach welcher Methode die Zeit geschätzt wurde und Angaben zum Ablauf des Rotlichtverstoßes, zur Entfernung des Fahrzeugs zur Lichtzeichenanlage und zu einer gegebenenfalls vorhandenen Haltelinie treffen (OLG Hamm VA 09, 156).Beruht die Feststellung der Dauer der Rotlichtphase auf Angaben zufällig anwesender Zeugen, muss die Fehleranfälligkeit solcher Schätzungen bei der Beweiswürdigung im Urteil eingehend anhand objektiver Anknüpfungstatsachen erörtert werden, um bloß gefühlsmäßige „freie“ Schätzungen auszuschließen (OLG Hamm VA 09, 17).  

     

    Täteridentifizierung, Beweisantrag  

    Die Behauptung des Betroffenen, dass zwischen ihm und der auf einem als Beweismittel dienenden Radarfoto nur teilweise erkennbaren Person keine Identität besteht, benennt ein Beweisziel und keine Beweistatsache. Den Schluss, ob die fragliche Identität besteht oder nicht, zieht das Gericht aus einem Vergleich zwischen Foto und Betroffenem sowie aufgrund von erkennbaren Merkmalen (OLG Hamm VA 10, 18; ähnlich OLG Hamm VRR 10, 113).  

     

    Terminsverlegung/Einspruchsverwerfung  

    Gebietet es die Fürsorgepflicht des Gerichts, die Hauptverhandlung wegen der angespannten Terminslage des Verteidigers zu einem späteren Zeitpunkt beginnen zu lassen oder zu verlegen, so kann eine gegenteilige Verfahrensweise die Rechtsbeschwerde nach § 338 Nr. 8 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG begründen (OLG Braunschweig VA 09, 108). Eine beantragte Terminsverlegung darf nach einem rechtzeitig eingegangenen Verlegungsantrag nicht abgelehnt werden, wenn der Angeklagte auf Antrag seines Verteidigers vom persönlichen Erscheinen entbunden worden war und deshalb darauf vertrauen konnte, in der Hauptverhandlung von diesem vertreten zu werden, der Verteidiger an der Hauptverhandlung aber wegen einer Erkrankung nicht teilnehmen kann. Der Verteidiger ist im Übrigen nicht verpflichtet, die Erkrankung über die anwaltliche Versicherung hinaus glaubhaft zu machen (OLG Koblenz NZV 09, 569).  

     

    Trunkenheitsfahrt, Verwertung der Messung  

    Das OLG Bamberg (DAR 10, 143) hat die Frage, ob ggf. bei § 24a Abs. 1 StVG bei der Messung mit dem Gerät Draeger Alcotest 7110 Evidential von einer längeren als der allgemein zugrunde gelegten Wartezeit von 20 Minuten zwischen Trinkende und erster Messung ausgegangen werden muss, verneint (vgl. dazu Iffland DAR 08, 383 ff.). Aus der Nichteinhaltung der Wartezeit von 20 Minuten zwischen Trinkende und Beginn der Messung folgt nach einem Teil der Rechtsprechung aber nicht zwingend die Unverwertbarkeit des Messergebnisses einer Atemalkoholmessung, wenn bei einer deutlichen Überschreitung des Gefahrengrenzwerts (hier: Atemalkoholkonzentration von 0,36 mg/l und damit 40 % über der Gefahrengrenze) die mit der Nichteinhaltung der Wartezeit verbundenen Schwankungen, ob und ggf. in welchem Umfang sich die Unterschreitung der Mindestzeit seit Trinkende ausgewirkt hat, durch die Hinzuziehung eines Sachverständigen geklärt werden können (s. jetzt auch OLG Hamm VA 10, 50).  

     

    Trunkenheitsfahrt, tatsächliche Feststellungen  

    Bei einer Trunkenheitsfahrt muss das tatrichterliche Urteil das angewendete Messverfahren, also den zur Bestimmung der Atemalkoholkonzentration konkret verwendeten Gerätetyp, mitteilen. Diese Angabe ist erforderlich, um zu überprüfen, ob überhaupt ein standardisiertes Messverfahren eingesetzt worden ist (OLG Hamm VA 10, 12).  

     

    Umweltzonenplakettenpflicht  

    Der Verstoß gegen ein Verkehrsverbot zur Verminderung schädlicher Umwelteinwirkungen stellt auch dann, wenn das Fahrzeug bei der Kontrolle im ruhenden Zustand vorgefunden wird, keinen Halt- oder Parkverstoß i.S.d. § 25a StVG dar. Dem Halter eines Fahrzeugs, welches ohne vorgeschriebene Plakette in einer Umweltzone abgestellt worden ist, können daher nicht die Kosten des Verfahrens auferlegt werden, wenn der Fahrer nicht rechtzeitig ermittelt werden kann (AG Bremen DAR 10, 593; AG Frankfurt DAR 09, 593). Insoweit ist aber darauf zu achten, dass in der Streitfrage (vgl. zur a.A. AG Tiergarten DAR 09, 409) zum 1.9.09 eine Klarstellung durch Art. 1 Nr. 28 der 46. VO zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 5.8.09 erfolgt ist. Daraus ergibt sich jetzt, dass auch der ruhende Verkehr erfasst ist (vgl. auch Jlussi NZV 09, 483).  

     

    Verjährungsfragen, Allgemeines  

    Das OLG Brandenburg ist der Auffassung, dass nach der Änderung des § 33 Abs. 1 Nr. 9 OWiG die Vorschrift des § 24 Abs. 3 2. HS StVG in dessen Licht auszulegen ist. Folge ist, dass auch die Verlängerung der Verjährungsfrist nur eintritt, wenn der Bußgeldbescheid innerhalb von zwei Wochen zugestellt wird (OLG Brandenburg VA 09, 107; so bereits auch schon BGH NJW 00, 920; KG VRS 96, 281; OLG Bamberg VA 06, 103; OLG Jena VRS 108, 272).  

     

    Verjährungsfragen, Unterbrechung der Verjährung  

    Die Verjährungsunterbrechung nach § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 OWiG tritt nur ein, wenn sich die in der Vorschrift genannten Unterbrechungshandlungen gegen eine individuell bestimmte Person richten, die von der Verwaltungsbehörde als Täter verdächtigt wird. Eine Versendung des Fragebogens für Fahrzeughalter an eine GmbH ohne Konkretisierung in Bezug auf den Betroffenen reicht für eine Unterbrechung der Verjährung nicht aus (OLG Hamm VA 09, 136). Eine Unterbrechung der Verjährung durch Gewährung von Akteneinsicht (§ 33 Abs. 1 Nr. 1 OWiG) ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn die dem Verteidiger gewährte Akteneinsicht zur Information des Betroffenen über Existenz, Inhalt und Umfang des Ermittlungsverfahrens dienen soll und auch tatsächlich gedient hat, wobei es auf die Umstände des Einzelfalls ankommt (OLG Saarbrücken zfs 09, 532).  

     

    Verkehrszeichen  

    Das Verkehrszeichen 260 verbietet weder das Schieben von Krafträdern im gesperrten Verkehrsbereich noch deren Halten oder Parken (OLG Karlsruhe DAR 09, 340. Ein Zusatzschild, welches sich unter mehreren Verkehrszeichen befindet, gilt nur für das unmittelbar über ihm angebrachte Verkehrszeichen (OLG Hamm VA 09, 74). Zur Eindeutigkeit von Verkehrsschilderkombinationen bei Einschränkungen durch Anwohnerparken kann verwiesen werden auf OLG Hamm DAR 09, 281.  

     

    Videoaufzeichnung, Bezugnahme, Urteilsgründe, Zulässigkeit  

    Auch Videoaufzeichnungen stellen für die Bezugnahme geeignete Abbildungen dar, auf die der Tatrichter bei Identifizierung eines „Verkehrssünders“ in den Urteilsgründen wegen der Einzelheiten verweisen darf. Eine für die Bezugnahme geeignete Abbildung liegt nämlich auch vor, wenn technische Hilfsmittel notwendig sind, um sie betrachten zu können (OLG Dresden VA 09, 160; a.A. OLG Brandenburg DAR 05, 635; einschränkend VA 10, 51; zweifelnd OLG Hamm VA 10, 52).  

     

    Videomessung, Zulässigkeit  

    Das BVerfG (VA 09, 172) hat eine (verdachtsunabhängige) Videoüberwachung als einen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Art 1, 2 GG) angesehen, die nur auf der Grundlage eines Gesetzes und nicht nur aufgrund einer Verwaltungsanweisung erlaubt ist. Diese Entscheidung hat zu einer heftigen Diskussion in Rechtsprechung und Literatur geführt, die sich u.a. darauf erstreckt, welche Ermächtigungsgrundlage für eine Videomessung herangezogen werden kann und ob ggf. ein Beweisverwertungsverbot besteht, wenn keine Ermächtigungsgrundlage vorliegt. Letzteres wird inzwischen vom OLG Oldenburg (VA 10, 47), vom OLG Düsseldorf (9.2.10, 2 Ss OWi 4/10, Abruf-Nr. 100960) und von einigen AG bejaht, vom OLG Jena (VRR 10, 115) hingegen verneint. Wir haben über die erste Rechtsprechung zu dieser Problematik bereits in VA 10, 14 berichtet (vgl. auch Niehaus DAR 09, 632). Die aktuelle Rechtsprechung ist bei OLG Düsseldorf VA 10, 84 zusammengestellt. Die Rechtswidrigkeit der Videoabstandsmessung nach dem Verfahren VKS 3.0 und der Verstoß gegen ein daraus resultierendes Beweisverwertungsverbot sind i.Ü. in der Rechtsbeschwerde mit einer Verfahrensrüge geltend zu machen (OLG Hamm 11.11.09, 3 Ss OWi 856/09, Abruf-Nr. 100347). Dafür ist allerdings ein in der Hauptverhandlung erhobener Widerspruch erforderlich (OLG Rostock VRR 10, 37; OLG Hamm VA 10, 52; OLG Bamberg 25.2.10, 3 Ss OWi 206/10, Abruf-Nr. 100955).  

     

    Zustellung des Bußgeldbescheids  

    Die Zustellung des Bußgeldbescheids an den Wahlverteidiger kann nicht wirksam bewirkt werden, wenn dessen Vollmacht zu diesem Zeitpunkt nicht in der Akte ist. Das bloße Auftreten des Verteidigers gegenüber der Bußgeldbehörde genügt nicht, die gesetzlich fingierte Zustellungsvollmacht gemäß § 51 Abs. 3 S. 1 OWiG auszulösen. Der Zustellungsmangel ist jedoch ggf. nach § 51 Abs. 5 S. 3 OWiG i.V.m. § 8 VwZG i.d.F. vom 12.8.06 geheilt, wenn der Betroffene den Bußgeldbescheid tatsächlich erhalten hat. Der Zugang des Bußgeldbescheids bei ihm kann sich daraus ergeben, dass er persönlich von der Bußgeldbehörde unter Beifügung einer Abschrift des Bußgeldbescheids über dessen Erlass und die an den Verteidiger veranlasste Zustellung unterrichtet wird (OLG Saarbrücken zfs 09, 469 m. abl. Anm. Gebhardt). Nach § 51 Abs. 3 OWiG kann der Bußgeldbescheid an den Verteidiger zugestellt werden, dessen Vollmacht sich bei den Akten befindet. Ein Zustellungsmangel liegt aber vor, wenn der Bußgeldbescheid an eine aus mehreren Anwälten bestehende Kanzlei zugestellt wird, obwohl die bei den Akten befindliche Vollmacht nur auf einen einzelnen Rechtsanwalt ausgestellt ist. Der Zustellungsmangel wird durch den tatsächlichen Zugang bei dem Zustellungsbevollmächtigten nach dem einschlägigen § 9 Abs. 2 SächsVwZG nicht geheilt, weil mit der Zustellung eine Frist für die Einlegung oder Begründung eines Rechtsbehelfs beginnt. Dies gilt auch für andere mit der Zustellung verbundene Rechtswirkungen wie die Unterbrechung der Verjährung (OLG Dresden VA 09, 137).  

     

     

    Quelle: Ausgabe 06 / 2010 | Seite 104 | ID 135845