01.04.2007 | Rückwärtsfahren
Sorgfaltspflicht beim Rückwärtsfahren
Den auf einem Tankstellengelände an einer Tanksäule rückwärts fahrenden Pkw-Fahrer trifft gegenüber dem hinter ihm stehenden Fahrzeug nur die sich aus § 1 Abs. 2 StVO ergebende allgemeine Rücksichtnahmepflicht, nicht jedoch die erhöhte Sorgfaltspflicht aus § 9 Abs. 5 StVO (OLG Dresden 11.12.06, Ss (OWi) 650/06, Abruf-Nr. 070724). |
Sachverhalt
Der Betroffene hatte sich mit seinem Pkw an einer Tankstelle versehentlich an einer Zapfsäule für Lkw-Diesel eingeordnet. Er wollte daher an eine andere Zapfsäule fahren und setzte zurück. Dabei kollidierte er aus Unachtsamkeit mit einem etwa 5 bis 6 Meter hinter ihm stehenden Lkw. Das AG hat den Betroffenen wegen eines fahrlässigen Verstoßes gegen §§ 9 Abs. 5, 1 Abs. 2 StVO zu einer Geldbuße von 60 EUR verurteilt. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen hatte Erfolg. Das OLG hat gegen den Betroffenen wegen Verstoßes gegen die allgemeine Rücksichtnahmepflicht aus § 1 Abs. 2 StVO eine Geldbuße von nur 35 EUR festgesetzt.
Entscheidungsgründe
- Der Betroffene hat sich beim Zurücksetzen auf dem Tankstellengelände im öffentlichen Verkehrsraum befunden. Öffentlich sind auch die Wege und Plätze, die aufgrund Billigung des Verfügungsberechtigten für die Benutzung durch jedermann tatsächlich freigegeben sind. Das gilt für eine Tankstelle jedenfalls solange die Abgabe von Treibstoff möglich ist.
- § 9 Abs. 5 StVO ist jedoch nicht anwendbar. Die Vorschrift regelt vor allem die besondere Sorgfaltspflicht gegenüber dem fließenden Verkehr. Der mit dem fließenden Verkehr verbundenen erhöhten Unfallgefahr soll durch eine gegenüber der allgemeinen Sorgfaltspflicht aus § 1 Abs. 2 StVO gesteigerte Sorgfaltspflicht desjenigen begegnet werden, der im fließenden Verkehr rückwärts fährt oder in diesen Verkehr rückwärts einfährt. Das ist bei dem Verkehr auf einem Tankstellengelände nicht der Fall. Denn hier hat weniger das Bestreben nach möglichst zügiger Ortsveränderung Bedeutung, sondern das Befahren des Tankstellengeländes dient dem Aufsuchen von Tanksäulen oder sonstiger Einrichtungen der Tankstelle. Diese Verkehrssituationen sind vielmehr mit denen auf Parkplätzen sowie in Parkhäusern und Tiefgaragen vergleichbar.
Praxishinweis
Die Entscheidung entspricht der hM zum Anwendungsbereich des § 9 Abs. 5 StV. Die Vorschrift schützt den „fließenden Verkehr“ (OLG Jena NZV 05, 432). Um fließenden Verkehr handelt es sich aber nicht in Parkhäusern und auf Parkplätzen (OLG Stuttgart NJW 04, 2255), so dass die Vorschrift hier nur mit Einschränkungen angewendet werden kann (dazu OLG Stuttgart, a.a.O.; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Aufl., § 9 StVO Rn. 51 m.w.N.). Für den Betroffenen ist im Hinblick auf eine Eintragung im Verkehrszentralregister von Bedeutung, ob ein Verstoß gegen § 9 Abs. 5 StVO angenommen wird (mind. 50 EUR nach lfd. Nr. 44 BußgeldkatalogVO) oder nur ein Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO (35 EUR nach lfd. Nr. 1.4 BußgeldkatalogVO).
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