01.07.2007 | RVG
Abrechnung von OWi-Verfahren: Aktuelle Tendenzen
Der nachfolgende Beitrag stellt die derzeit bestehenden Anwendungsprobleme des RVG im Bereich der Abrechnung von OWi-Verfahren dar.
Checkliste | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||
I. Verfahren vor der Verwaltungsbehörde und gerichtliches Verfahren dieselbe Angelegenheit? Im RVG sind die mit dem Begriff der „Angelegenheit“ zusammenhängenden Fragen, die früher über die gesamte BRAGO verteilt waren, in den §§ 15 ff. RVG geregelt. Ausdrücklich nicht geregelt (worden) ist, ob im Bußgeldverfahren das Verfahren vor der Verwaltungsbehörde und das gerichtliche Verfahren dieselbe Angelegenheit sind. Die Frage ist in Rspr. und Literatur umstritten.
Praxishinweis: Geht man von verschiedenen Angelegenheiten aus, dann kann der Verteidiger zweimal die Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG abrechnen. Zudem kann es zu Auswirkungen im Hinblick auf das Übergangsrecht kommen. Je nach dem Zeitpunkt der Auftragserteilung kann ggf. das Verfahren bei der Verwaltungsbehörde noch nach BRAGO abgerechnet werden, während für das gerichtliche Verfahren schon das RVG anwendbar sein kann.
II. Strafverfahren und sich anschließendes Bußgeldverfahren (§ 17 Nr. 10 RVG) 1. Keine doppelte Grundgebühr Bei der BRAGO war umstritten, in welchem Verhältnis zueinander Strafverfahren und sich anschließendes Bußgeldverfahren stehen. Diesen Streit hat das RVG in § 17 Nr. 10 RVG i.S.d. h.M. zur BRAGO gelöst und ausdrücklich bestimmt, dass es sich um verschiedene Angelegenheiten handelt.
Praxishinweis: Das hat zur Folge, dass der RA, der den Beschuldigten/Betroffenen sowohl im Strafverfahren als auch in einem sich anschließenden Bußgeldverfahren verteidigt, neben den im Strafverfahren verdienten Gebühren zusätzlich auch noch die entsprechenden Gebühren des Bußgeldverfahrens erhält. Eine Anrechnung findet nicht statt (Burhoff/Burhoff, a.a.O., Vorbem. 5 Rn. 26). Eine Ausnahme macht das RVG, wenn Straf- und OWi-Verfahren wegen derselben Tat oder Handlung geführt werden. Ist insoweit dann bereits eine Grundgebühr nach Nr. 4100 VV RVG entstanden, entsteht für das OWi-Verfahren nach Abs. 2 der Anm. zu Nr. 5100 VV RVG die Gebühr nach Nr. 5100 VV RVG nicht noch einmal (Burhoff, a.a.O., Nr. 4100 VV RVG Rn. 39).
Beispiel: Der Beschuldigte hat infolge falschen Überholens einen Verkehrsunfall verursacht. Nach dem Unfall hat er sich unerlaubt vom Unfallort entfernt. Das Verfahren wird zunächst auch wegen des § 142 StGB geführt, die StA stellt jedoch das Verfahren ein und gibt es wegen des Verstoßes gegen die StVO an die Verwaltungsbehörde ab, die nunmehr noch ein OWi-Verfahren gegen den Betroffenen betreibt. Hier entsteht im Bußgeldverfahren die Grundgebühr Nr. 5100 VV RVG nicht noch einmal. Strafverfahren und Bußgeldverfahren werden wegen „derselben Tat“ geführt.
2. Befriedungsgebühr Nr. 4141 VV RVG entsteht Die Anwendung des § 17 Nr. 10 RVG macht in der Praxis nicht unerhebliche Schwierigkeiten bei der Frage, ob dann, wenn die StA das Strafverfahren eingestellt und das Verfahren an die Verwaltungsbehörde abgegeben hat, für die anwaltliche Tätigkeit die Gebühr Nr. 4141 Anm. 1 Ziff. 1 VV RVG entsteht. Gegen deren Ansatz machen insb. die RSV geltend, dass das Verfahren nicht endgültig beendet sei und deshalb die Befriedungsgebühr nicht angesetzt werden könne. Das ist aber gebührenrechtlich falsch und widerspricht der Neuregelung in § 17 Nr. 10 RVG. Der Gesetzgeber hat Strafverfahren und Bußgeldverfahren ausdrücklich als verschiedene Angelegenheiten geregelt. Wenn aber das Strafverfahren eingestellt wird, dann ist die gebührenrechtliche Angelegenheit „Strafverfahren“ endgültig erledigt und es ist – (geringe) Mitwirkung des Verteidigers unterstellt – die Gebühr Nr. 4141 Anm. 1 Ziff. 1 VV RVG entstanden. Im Strafverfahren findet eine Hauptverhandlung nicht statt. Das reicht aus für das Entstehen der Gebühr (so auch AG Regensburg RVG prof. 06, 21, Abruf-Nr. 060200 = AGS 06, 125 = StraFo 06, 88; AG Köln AGS 06, 234 = JurBüro 07, 83; AG Hannover AGS 06, 235; AG Bad Kreuznach 5.5.06, 2 C 1747/05, Abruf-Nr. 071077; AG Nürnberg zfs 06, 345 [für § 84 Abs. 2 BRAGO]; a.A. nur AG München, RVG prof. 06, 203, Abruf-Nr. 062986 = JurBüro 07, 84.
Beispiel: Geht man im vorherigen Beispiel davon aus, dass die Verwaltungsbehörde gegen den Betroffenen im OWi-Verfahren eine Geldbuße von 100 EUR festsetzt, RA R gegen den Bußgeldbescheid Einspruch einlegt und dann beim AG eine eintägige Hauptverhandlung stattfindet, in der B verurteilt wird, ergibt sich folgende Abrechnung der anwaltlichen Vergütung des R:
III. Gebührenbemessung im OWi-Verfahren Grundlage der anwaltlichen Gebührenbemessung ist auch im Bußgeldverfahren § 14 RVG. Auszugehen ist grds. von der Mittelgebühr (AnwKomm-RVG/N.Schneider, Vor VV Teil 5 Rn. 51 ff.; Jungbauer DAR 07, 56 ff.; Hansens RVGreport 06, 210; Leipold, Anwaltsvergütung in Strafsachen, Rn. 495; s. dazu auch LG Stralsund zfs 06, 407; AG Altenburg RVG prof. 06, 3, Abruf-Nr. 053291 ; AG Chemnitz AGS 06, 113; AG Darmstadt AGS 06, 212 = zfs 06, 169; AG Frankenthal RVG prof. 05, 117, Abruf-Nr. 051672, das die Mittelgebühr zumindest gewähren will, wenn es im Verfahren um die Verhängung eines Fahrverbotes geht oder dem Betroffenen Punkte im VZR drohen). OWi-Verfahren sind auch nicht generell als einfach bzw. einfacher gelagert anzusehen. Entscheidend für die Gebührenbemessung ist der konkrete Einzelfall (AG Fürstenwalde 24.10.06, 3 jug OWi 291 Js-Owi 40513/05 (26/05), Abruf-Nr. 071078).
Praxishinweis: Die Höhe der verhängten Geldbuße ist allein kein Anknüpfungspunkt für die Bemessung der anwaltlichen Rahmengebühr (AG Viechtach AGS 07, 83; a.A. LG Deggendorf RVGreport 06, 341). Sonst würde gegen ein „gebührenrechtliches Doppelverwertungsverbot“ verstoßen (Burhoff RVGreport 05, 361 ff.; so auch Jungbauer, DAR 07, 56; Hansens, RVGreport 06, 210; AnwKomm-RVG/N.Schneider, Vorb. 5.1 Rn. 6; a.A. Pfeiffer, DAR 06, 653 f.).
Die AG-Rspr. stellt zunehmend auf die (Gesamt)Umstände des Einzelfalles ab (LG Kiel zfs 07, 106 m. zust. Anm. Hansens; AG Saarbrücken 19.5.06, 42 C 377/05, Abruf-Nr. 071079; AG Viechtach RVGreport 05, 420 = AGS 06, 239) und berücksichtigt deren Gewicht im Einzelnen. Insoweit lässt sich aber zur jeweiligen Bewertung der einzelnen Kriterien keine allgemeine Aussage treffen, da diese in den Entscheidungen unterschiedlich gewichtet werden. Der Verteidiger hat daher keine andere Möglichkeit, als die vorliegende Rspr. auszuwerten und auf der gefundenen Grundlage den von ihm als angemessen angesehenen Gebührenbetrag zu begründen (z.B. instruktiv AG München AGS 07, 81). Anhand der Rspr.-Übersicht am Ende des Beitrages können Sie sich einen guten Überblick verschaffen.
Für die Anforderung eines Vorschusses gelten in den straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldsachen die allgemeinen Regeln (dazu Burhoff/Burhoff, a.a.O., ABC-Teil: Vorschuss [§ 9]). Grds. ist daher auch in einer Verkehrs-OWi-Sache die Anforderung eines Vorschusses i.H.d. Mittelgebühr angemessen (AG Chemnitz AGS 05, 431; AG München RVGreport 05, 381 = AGS 06, 213).
IV. Befriedungsgebühr (Nr. 5115 VV-RVG) Nr. 5115 VV RVG hat die Regelung in § 84 Abs. 2 BRAGO, die über § 105 Abs. 2 BRAGO im Bußgeldverfahren anwendbar war, weitgehend übernommen. Hierzu ist auf folgende Rspr. hinzuweisen:
Praxishinweis: Im Strafverfahren wird z.T. davon ausgegangen, dass für die Gebühr Nr. 4141 Anm. 1 Ziff. 3 VV RVG die Anberaumung eines Revisions-HV-Termins erforderlich ist (so OLG Zweibrücken AGS 06, 74; OLG Hamm (4. Strafsenat) StraFo 06, 474 = AGS 06, 548 = JurBüro 06, 519; OLG Saarbrücken JurBüro 07, 28 m. abl. Anm. Madert; OLG Stuttgart 9.2.07, 1 Ws 34/07, Abruf-Nr. 071085). Andere verlangen zumindest eine Begründung der Revision (KG JurBüro 05, 533 = AGS 05, 434 m. Anm. N.Schneider; OLG Braunschweig RVGreport 06, 228 = AGS 06, 232; OLG Hamm StraFo 06, 433 = AGS 06, 600 = JurBüro 07, 30; s. auch LG Duisburg RVGreport 06, 230). Wendet man diese Rspr. entsprechend auf die vergleichbare Vorschrift Nr. 5115 VV RVG an, sollte der Verteidiger eine Rechtsbeschwerde auf jeden Fall sofort bei Einlegung des Rechtsmittels zumindest mit der allgemeinen Sachrüge begründen.
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Rspr.-Übersicht zur Gebührenbemessung im OWi-Verfahren | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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