01.06.2005 | Straf- und Owirecht
Straßenverkehrsrechtliche Grundbegriffe
Die Tatbestände des Verkehrsstrafrechts und des Verkehrsowirechts sind dadurch gekennzeichnet, dass einige Begriffe in den einschlägigen Tatbeständen immer wieder auftauchen. Dabei handelt es sich um die Begriffe:
1. Fahrzeug,
2. Kraftfahrzeug,
3. Führen,
4. (öffentlicher) Verkehr,
5. (öffentlicher) Straßenverkehr.
Je nachdem, wie diese Begriffe in den jeweiligen Tatbeständen kombiniert werden, ergeben sich Einschränkungen im Anwendungsbereich der Vorschrift. Der Verteidiger muss diese Begriffe und ihren Anwendungsbereich kennen, wenn er im Straßenverkehrsrecht erfolgreich verteidigen will. Wir stellen Ihnen diese Begriffe in der nachfolgenden Checkliste vor.
1. Begriff des Fahrzeugs
Der Begriff „Fahrzeug“ wird in § 315c StGB und in § 316 StGB verwandt. Fahrzeuge i.S. dieser Vorschriften sind – anders als in § 69 Abs. 1 StGB – nicht nur Kfz, sondern alle Fahrzeuge, die zur Beförderung von Personen oder Sachen dienen und am Verkehr auf der Straße teilnehmen (Schönke/Schröder/Cramer, StGB, 26. Aufl., § 315c Rn. 5). Erfasst werden alle Verkehrsarten einschließlich des Eisenbahn-, Schiffs- und Luftverkehrs, soweit dieser bodengebunden ist. Dabei ist es letztlich gleichgültig, ob sich die Fahrzeuge mit eigener Kraft bewegen oder auf andere Weise fortbewegt werden können.
Praxishinweis: Nicht zu den Fahrzeugen i.S.d. §§ 315cund 316 StGB gehören die besonderen Fortbewegungsmittel des § 24 StVO.
Keine Fahrzeuge sind: Fußgänger, Beifahrer, Reiter, Viehtreiber, Ski- und Schlittschuhläufer, Rollbrettfahrer, Roller-Skater, Führer von Handwagen, Kinderwagen, Schubkarren oder Rodelschlitten. Unter den Begriff „Fahrzeug“ fallen auch nicht Kinderfahrräder („Dreirädchen‘‘), die entsprechend den Körpermaßen von Kindern im Vorschulalter gebaut sind und zum spielerischen Umherfahren benutzt werden (OLG Karlsruhe NZV 91, 355). Ebenfalls nicht unter den Fahrzeugbegriff fallen Rollstühle, die geschoben werden oder vom Kranken selbst durch Handbetrieb von Greifreifen fortbewegt werden (Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl., § 24 StVO Rn. 6).
Zu den Fahrzeugen zählen hingegen Pferdefuhrwerke, wenn sie mit Zügel und Peitsche und mit einer Bremsvorrichtung bedient werden (OLG Hamm VRS 19, 367). Motorisierte Krankenfahrstühle, die maschinell oder elektrisch betrieben werden, sind ebenfalls Fahrzeuge (BayObLG DAR 00, 532 = NZV 00, 509 m.w.N.), daran ändert die Regelung in § 24 StVO nichts. Auch Transportschlitten zum Abtransport von Hölzern in Gebirgsregionen dürften wie entsprechende Flöße Fahrzeuge i.d.S. sein.
2. Begriff des Kraftfahrzeugs
Der Begriff des Kraftfahrzeuges hat Bedeutung für § 21 StVG und vor allem auch für die Fragen der Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB.
Kfz sind nach § 1 Abs. 2 StVG Landfahrzeuge, die durch Maschinenkraft bewegt werden, ohne an Bahngleise gebunden zu sein. Das sind neben den Kraftfahrzeugen i.e.S., wie z.B. Pkw oder Lkw, auch ein Motorrad oder Moped. Nach dieser eindeutigen Definition sind also auch die Fortbewegung eines Mopeds oder Fahrrads mit Hilfsmotor oder eines Leichtmofas durch Treten der Pedale erfasst (OLG Düsseldorf VM 74, 13.). Nicht erfasst wird aber das in Bewegung Setzen durch Abstoßen mit den Füßen ohne die Absicht, den Motor anspringen zu lassen (OLG Düsseldorf VRS 62, 193).
3. Begriff des Führens eines Kraftfahrzeuges
3.1 Bestimmungsgemäße Anwendung der Antriebskraft
Ein Kfz wird geführt, wenn es unter bestimmungsgemäßer Anwendung seiner Antriebskraft unter eigener Allein- oder auch Mitverantwortung in Bewegung gesetzt worden ist und der Täter es unter Handhabung der technischen Voraussetzungen während der Fahrbewegung durch den Verkehrsraum ganz oder wenigstens zum Teil leiten will (Hentschel, a.a.O., § 21 StVG Rn. 10; BGH NJW 62, 2069; BGH NJW 90, 1245; wegen der Einzelh. s. Burhoff, in Ludovisy (Hrsg.), Praxis des Straßenverkehrsrechts, 3. Aufl., Teil 6, Rn. 23 ff., 538 ff.).
Praxishinweis: Das ist immer dann nicht der Fall, wenn die Motorkraft des Fahrzeugs beim Führen nicht eingesetzt wird und auch nicht eingesetzt werden soll. In der Praxis von Bedeutung sind insoweit die Fälle des Anschiebens und des Abschleppens (s. dazu unten).
3.2 Vorbereitende Handlungen
Während man früher unter dem Begriff des Führens eines Fahrzeuges auch die vorbereitenden Handlungen verstanden wurden, die dazu dienten, das Fahrzeug alsbald in Bewegung zu setzen (Einführen des Zündschlüssels, Lösen der Handbremse, Betätigung der Gangschaltung, Anlassen des Motors, Antreten eines Motorrades, Einschalten des Abblendlichtes), stellt die neuere Rspr. und Lit. darauf ab, dass von einem stehenden Fahrzeug keine unter § 316 StGB fallende abstrakte Gefährdung des Straßenverkehrs ausgehen kann.
Das Führen eines Fahrzeugs setzt danach deshalb voraus, dass das Fahrzeug in Bewegung gesetzt wird (BGH BGHSt 35, 390 = NZV 89, 32; BayObLG NZV 92, 197; OLG Karlsruhe NZV 92, 493; OLG Düsseldorf NZV 92, 197; kritisch Hentschel JR 90, 32). So beginnt bei einem Fahrrad das Führen dann, wenn der Fahrer bei rollendem Rad mit beiden Füßen den Kontakt mit dem Boden aufgibt (LG Frankfurt VM 86, 7).
Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung gilt:
- Bloße vorbereitende Maßnahmen in der Absicht, das Fahrzeug alsbald zu bewegen, sind ein strafloser Versuch des § 316 StGB. Darunter fallen neben den notwendigen Handhabungen zum Anlassen des Motors (BGHSt 35, 390 = NZV 89, 32) auch vergebliche Versuche dazu, wie z.B. das Freibekommen eines im Morast, im Graben, im weichen Sand oder in einer Schneewehe stecken gebliebenen Fahrzeugs (OLG Karlsruhe NZV 92, 493).
- Wer das Fahr- oder Triebwerk eines Kfz in der Absicht bedient, dieses fortzubewegen, führt das Fahrzeug nicht, wenn eine alsbaldige Fortbewegung objektiv unmöglich ist. Das ist z.B. der Fall, wenn das Fahrzeug auf einen Betonsockel aufgesetzt worden ist, von dem es mit einfacher Körperkraft nicht heruntergebracht werden konnte (BayObLG 17.2.86, RReg 1 St 364/85).
- Es ist auch noch kein „Führen eines Fahrzeugs“, wenn sich der Fahrer auf den Steuersitz des fahrbereiten Fahrzeugs setzt (BGH, a.a.O.; OLG Köln NJW 64, 2026).
- Ebenso wenig reicht das Schlafen im abgestellten Wagen bei laufendem Motor. Auch das Schieben des Wagens zu einer Gefällstrecke, wo er in Gang gesetzt werden soll, genügt nicht (OLG Karlsruhe DAR 83, 365; nach a.A. wird überhaupt kein Fahrzeug geführt: OLG Oldenburg MDR 75, 421; OLG Düsseldorf VRS 50, 426).
Praxishinweis: Nicht nur Handlungen vor Antritt der Fahrt können problematisch sein, sondern auch Handlungen nach Beendigung der Fahrt. Wer die Handbremse nicht anzieht oder den Wagen sonst nicht absichert, soll einen Fahrfehler beim Führen des Fahrzeugs begehen (BGHSt 19, 371; Schönke/Schröder/Cramer, a.a.O., § 316 Rn. 20). Das ist nicht zutreffend, da die mangelnde Sicherung nach Fahrtende keine auf Fortbewegung abzielende Handlung darstellt (Tröndle/Fischer, StGB, 52. Aufl., § 315c Rn. 3 m.w.N.).
3.3 Anschieben und Abschleppen
In der Praxis haben die Fälle des Anschiebens und des Abschleppens erhebliche Bedeutung. Insoweit gilt (wegen weiterer Einzelh. Ludovisy/Burhoff, a.a.O., Teil 6, Rn. 26 f. m.w.N. ):
- Für die Fälle des Anschiebens von Kfz gilt: Wird das Kfz von einem Dritten angeschoben, um den Motor zum Anspringen zu bringen, so führt der Fahrer am Steuer es als Kraftfahrer und es gilt damit z.B. die Grenzregelung für die absolute Fahrunsicherheit von 1,1 ‰ (OLG Oldenburg MDR 75, 241). Wird das liegen gebliebene Kfz hingegen von einem Dritten über eine gewisse Strecke bis zu einem Tankstellengelände geschoben, um es dort wieder fahrtüchtig machen zu lassen, so wird das Kfz zwar gem. § 316 StGB vom Fahrer am Steuer geführt, nicht aber als Kraftfahrer (OLG Koblenz VRS 49, 366), und zwar auch dann nicht, wenn durch das Anschieben der Wagen einige Meter selbstständig weiterrollt (OLG Celle DAR 77, 219 zu § 24a StVG; a.A.: OLG Koblenz VRS 49, 366).
- Eine besondere Fallgruppe der Form der Arbeitsteilung stellen die Abschleppfälle dar. Nach der insoweit nunmehr h.M. führt ein Fahrzeug i.S.d. § 316 StGB auch derjenige, der am Steuer eines abgeschleppten Fahrzeugs sitzt (BGH NJW 90, 1245 m. Anm. Hentschel, JR 91, 113; OLG Celle NZV 89, 317; OLG Frankfurt NJW 85, 2961). Die Fortbewegung des geschleppten Fahrzeugs hängt dabei in erster Linie zwar vom Verhalten des Führers des ziehenden Fahrzeugs ab. Gleichwohl hat aber auch der Lenker des geschleppten Fahrzeugs einen nicht unerheblichen Einfluss auf dessen Fortbewegung.
4. Begriff des (öffentlichen) Verkehrs
Was unter dem allgemein gehaltenen Begriff des ,,Verkehrs‘‘ i.S.d. § 316 StGB zu verstehen ist, ergibt sich aus dem gesetzlichen Klammervermerk in der Vorschrift, der auf die §§ 315bis 315d StGB verweist. Somit erfasst die Vorschrift nicht nur den Straßenverkehr, sondern auch den Luft-, Schienenbahn- und Schwebebahnverkehr einschließlich der damit vergleichbaren Verkehrsmittel (Zeppelin, Rakete, Satellit, Drahtseilbahn, Sessellift).
Praxishinweis: Zum öffentlichen Verkehr gehören außer den straßen- und wegerechtlich öffentlichen Straßen alle Verkehrsflächen, auf denen aufgrund ausdrücklicher oder stillschweigender Duldung des Verfügungsberechtigten die Benutzung durch jedermann tatsächlich zugelassen ist. In der Praxis von Bedeutung ist vor allem der öffentliche Straßenverkehr.
5. Begriff des (öffentlichen) Straßenverkehrs
Der Begriff des Straßenverkehrs i.S. des StGB entspricht dem des StVG, der StVO und der StVZO. Er bezieht sich daher auf Vorgänge im öffentlichen Verkehrsraum.
Nach st. Rspr. ist ein Verkehrsraum öffentlich, wenn er entweder ausdrücklich oder mit stillschweigender Duldung des Verfügungsberechtigten für jedermann oder aber zumindest für eine allgemein bestimmte größere Personengruppe zur Benutzung zugelassen ist und auch so benutzt wird (BGHSt 16, 7, 9 f.; BGH VRS 12, 414, 415f.; BGHR StGB § 315b Abs. 1 Straßenverkehr 1; vgl. auch Hentschel, Straßenverkehrsrecht, § 1 StVO Rn. 13 bis 16 m.w.N.; Tröndle/Fischer, § 315b Rn. 3 m.w.N.). Umfasst werden demnach nicht nur Verkehrsflächen, die nach dem Wegerecht dem allgemeinen Straßenverkehr gewidmet sind, sondern auch solche, deren Benutzung durch eine nach allgemeinen Merkmalen bestimmte größere Personengruppe ohne Rücksicht auf die Eigentumsverhältnisse am Straßengrund oder auf eine verwaltungsrechtliche Widmung durch den Berechtigten ausdrücklich oder faktisch zugelassen wird. Dabei nimmt es der Verkehrsfläche nicht den Charakter der Öffentlichkeit, wenn für die Zufahrt mit Fahrzeugen eine Parkerlaubnis oder für die Nutzung ein Entgelt verlangt wird (BGH NJW 04, 1965 = DAR 04, 399 m.w.N.; s. auch BGH DAR 04, 529 = NStZ 04, 625).
Für die Beurteilung, ob eine auf einem Betriebsgelände gelegene Verkehrsfläche dem öffentlichen Verkehrsraum zuzurechnen ist, kommt den äußeren Gegebenheiten, die einen Rückschluss auf das Vorhandensein und den Umfang der Gestattung bzw. Duldung des allgemeinen Verkehrs durch den Verfügungsberechtigten zulassen, maßgebliche Bedeutung zu (BGH, a.a.O.). Die Frage der Eigentumsverhältnisse ist ohne Belang (Tröndle/Fischer, a.a.O., § 142 Rn. 9 ff.; Hentschel, a.a.O., § 1 StVO Rn. 13 ff.).
Entscheidend ist, wie eng der Kreis der Berechtigten umschrieben ist. So kann sich etwa aus einer entsprechenden Beschilderung als „Privat-/Werksgelände“, einer Einfriedung des Geländes und einer Zugangsbeschränkung in Gestalt einer Einlasskontrolle ergeben, dass der Verfügungsberechtigte die Allgemeinheit von der Benutzung des Geländes ausschließt. Wenn aufgrund solcher Maßnahmen nur einem beschränkten Personenkreis Zutritt zu dem Betriebsgelände gewährt wird, handelt es sich um eine nicht öffentliche Verkehrsfläche.
Beispiele: Zugang nur für Betriebsangehörige (OLG Braunschweig VRS 27, 458 [Parkplatz einer Fabrik]), mit einem besonderen Ausweis ausgestattete Personen (BGH NJW 63, 152 [städtischer Großmarkt], individuell zugelassene Lieferanten und Abholer (OLG Köln, VersR 02, 1117 [Produktionsstätte für Baustoffe]). In diesen Fällen ist der Kreis der Berechtigten so eng umschrieben, dass er „deutlich aus einer unbestimmten Vielheit möglicher Benutzer ausgesondert ist“ (BGHSt 16, 7, 11). Ist dagegen ein Betriebsgelände der Allgemeinheit, d.h. einem nicht durch persönliche Beziehungen miteinander verbundenen Personenkreis, zugänglich, sind die darauf befindlichen Verkehrsflächen öffentlicher Verkehrsraum.
Praxishinweis: Der Verteidiger muss folgende Kontrollfrage stellen: Ist der Raum, in dem sich die Tat abgespielt haben soll, der Allgemeinheit zugänglich, d.h. kann er von einem zufälligen Personenkreis genutzt werden? Ist diese Frage zu bejahen, handelt es sich um einen „öffentlichen“ Verkehrsraum, anderenfalls ist das nicht der Fall (BGH NJW 04, 1965; DAR 04, 529). Zu den Umständen, die die Einordnung ermöglichen, müssen im tatrichterlichen Urteil tatsächliche Feststellungen getroffen werden (BGH NJW 04, 1965).
6. Übersicht zur Anwendung der Grundbegriffe
Vorschrift | Verkehr | Straßenverkehr | Öffentlichkeit | Fahrzeug | Kraftfahrzeug | Führen |
§ 315b StGB |
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§ 315c StGB |
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§ 316 StGB |
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§ 142 StGB |
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§ 21 StVG |
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§ 6 PflVersG |
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(Kfz + Anhänger) |
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§ 24a StVG |
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§ 69 StGB |
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