01.08.2005 | Unfallschadensregulierung
BGH zur Unfallbedingtheit von Folgeschäden
1. Auch eine Beweiswürdigung nach § 287 ZPO kann vom Revisionsgericht (wie bei Anwendung des § 286 ZPO) lediglich darauf überprüft werden, ob sich der Tatrichter mit dem Streitstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Beweiswürdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungsgrundsätze verstößt. |
2. Die Annahme eines Ursachenzusammenhangs erfordert im zivilen Haftungsrecht auch im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität nicht die Feststellung einer richtunggebenden Veränderung, vielmehr reicht schon eine bloße Mitverursachung aus, um einen Ursachenzusammenhang zu bejahen. |
(BGH 19.4.05, VI ZR 175/04, Abruf-Nr. 051584) |
Sachverhalt
Der Kläger war im Alter von 21 Jahren überfallen worden und ist seitdem querschnittsgelähmt. Etwa vier Jahre nach dem Überfall erlitt er einen Verkehrsunfall. Nach den unangefochtenen Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Kläger sich dabei eine HWS-Distorsion leichteren bis höchstens mittleren Grades zugezogen. Hauptstreitpunkt sind die von ihm geltend gemachten Folgeschäden. Wie er vorträgt, habe sich seine Gesamtverfassung unfallbedingt erheblich verschlechtert. Auch könne er seit dem Unfall wegen Schwächung der Armmuskulatur nur noch mit Hilfe Dritter erforderliche Lagewechsel ausführen. Mit seiner Klage verlangt er Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldes. Ferner macht er eine Kapitalabfindung, hilfsweise eine indexierte Rente wegen erhöhten Pflegebedarfs geltend. Auf die Berufungen beider Parteien hat das KG Berlin über den vorprozessual gezahlten Betrag von 1.500 DM hinaus weitere 1.766,94 EUR Schmerzensgeld zuerkannt, die weitergehende Klage einschließlich des Feststellungsantrags aber aus tatsächlichen Gründen abgewiesen. Der BGH hat auf die Revision des Klägers das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das KG zurückverwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Erwägungen, mit denen das KG die Unfallbedingtheit der geltend gemachten Folgeschäden verneint hat, halten revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand. Allerdings sei auch eine tatrichterliche Beweiswürdigung nach § 287 ZPO (haftungsausfüllende Kausalität) nur in Grenzen überprüfbar, siehe 1. Leitsatz. Zu beanstanden sei das Berufungsurteil deshalb, weil ihm ein rechtsfehlerhaftes Verständnis des Ursachenzusammenhangs im Haftungsrecht zugrunde liege. So gehe es nicht an, auf das Kriterium der „richtunggebenden“ Verschlechterung/Veränderung abzustellen. Es habe seinen Platz im Sozialversicherungsrecht. Für die Beurteilung der Kausalität im zivilen Haftungsrecht gebe es nichts her. Die volle Haftung, so der BGH weiter, sei auch zu bejahen, wenn der Schaden auf einem Zusammenwirken körperlicher Vorschäden und den Unfallverletzungen beruhe, ohne dass die Vorschäden „richtunggebend“ verstärkt werden. Die bloße Mitverursachung durch den Unfall könne für eine Haftung grundsätzlich auch dann ausreichen, wenn eine psychische Fehlverarbeitung hinzu komme.
Praxishinweis
In einem Zivilurteil über die haftungsrechtlichen Folgen eines Verkehrsunfalls die Formulierung „richtunggebende Veränderung“ zu verwenden, ist ein so krasser Fehler, dass die Urteilsaufhebung vorprogrammiert ist. Näheres zum komplexen Thema „Kausalität“ im Schwerpunktbeitrag dieser Ausgabe auf den Seiten 137 ff.
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