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  • 01.11.2006 | Unfallschadensregulierung

    Die Haftung bei Auffahrunfällen in der aktuellen Rechtsprechung

    von VRiOLG Dr. Christoph Eggert, Düsseldorf

    „Wenn es hinten knallt, gibt’s vorne Geld“ – diese Rechnung geht nicht immer auf, wie zahlreiche aktuelle obergerichtliche Entscheidungen zeigen. Ob und in welchem Umfang sein Mandant mithaftet, ist für den Anwalt aus vielfältigen Gründen wichtig, egal, ob er den Vorder- oder den Hintermann vertritt. Über den derzeitigen Stand der – uneinheitlichen – Rechtsprechung informieren die folgenden Fallgruppen-Übersichten.  

     

    Leser-Service: Lesen Sie dazu auch unseren Schwerpunktbeitrag in VA 02, 165 ff.  

     

    Fallgruppen

    1. Auffahren auf ein stehendes/liegengebliebenes Fahrzeug  

     

    Auffahrer  

    Sachverhalt  

    Fundstelle  

    100 %  

    Nach unverschuldetem Unfall musste der Kl. seinen Pkw anhalten (BAB); kein Sicherungsverschulden;  

    volle Haftung beim auffahrenden Pkw  

    OLG Karlsruhe 12.10.01, 14 U 146/00, Abruf-Nr. 062921 

    70 %  

    Kl. mit Pkw (nicht angegurtet) kollidiert auf BAB mit  

    verlorener Lkw-Ladung und Anhänger; Übermüdung des Lkw-Fahrers als primäre Unfallursache  

    OLG Koblenz NZV 06, 198; s. auch OLG Koblenz DAR 01, 404  

    2/3  

    Lkw bleibt nachts mit Reifenschaden am rechten Rand einer BAB stehen; mit 105 km/h folgender Tanklastzug fährt auf  

    Saarl. OLG 5.4.05, 4 U 21/05, Abruf-Nr. 062922 

    2/3  

    Sattelzug bleibt wegen Defekts auf Verzögerungsstreifen liegen; Porsche fährt auf  

    OLG Düsseldorf 19.7.04, I-1 U 52/04, Abruf-Nr. 062923 

    1/3  

    Ortsunkundiger hält mit Pkw im Großstadtverkehr  

    bei Grünampel an; Hintermann fährt auf  

    AG Berlin-Mitte SP 06, 237  

     

     

    2. Auffahren nach Bremsen des Vordermannes  

     

    Vordermann  

    Sachverhalt  

    Fundstelle  

    100 %  

    Nach Umschalten auf Grün fährt Kl. (Pkw) an, bremst nach wenigen Metern ohne triftigen Grund, Hintermann (Pkw) fährt auf; mangels Typizität (!) kein Anscheinsbeweis für Auffahrverschulden  

    OLG Frankfurt VA 06, 112, Abruf-Nr. 061656 = zfs 06, 259 = NZV 06, 372  

    100 %  

    Nach Anfahren an Ampel im Kreuzungsbereich einer Großstadt (München) starkes Abbremsen ohne  

    verkehrsbedingten Grund  

    LG München I DAR 05, 690  

    100 %  

    Vordermann bremst scharf ab, um Hintermann zu disziplinieren  

    OLG Düsseldorf 12.12.05, I-1 U 91/05, Abruf-Nr. 061657 

    2/3  

    Ein Pkw wird außerorts aus einer Geschwindigkeit von mind. 70 km/h stark abgebremst, weil ein Eichhörnchen über die Straße lief.  

    Der nachfolgende Kradfahrer bremst gleichfalls stark,  

    gerät ins Schlingern und stürzt.  

    Eine Berührung mit dem Pkw erfolgt erst in der Auslaufphase  

    Saarl. OLG zfs 03, 118; anders AG Nürnberg NZV 06, 86, s. unten  

    50 %  

    Kollision auf BAB-Ausfahrt; grober Fahrfehler des Vordermanns, weil er Kupplung und Bremse beim Automatikwagen verwechselt hat  

    KG DAR 06, 506  

    40 %  

    Nach dem Ampelstart bremst ein Pkw grundlos stark ab, der nachfolgende Pkw fährt auf.  

    OLG Celle 27.6.02, 14 U 248/01, Abruf-Nr. 032474 

    1/3  

    Ein Pkw will nach links abbiegen, starkes Bremsen ohne Grund; der Hintermann fährt auf  

    KG VersR 02, 1571 = NZV 03, 41  

    30 %  

    Der Vordermann hat ein Problem mit der Kupplung, er bremst ab um anzuhalten; ein Pkw fährt auf  

    OLG Hamm NZV 94, 319  

    25 %  

    Wegen eines Eichhörnchens auf einer Schnellstraße wird Pkw abrupt abgebremst, der Hintermann fährt mit seinem Pkw auf  

    AG Nürnberg NZV 06, 86  

    25 %  

    Wegen einer Taube auf der Fahrbahn wird ein Pkw gleich nach dem Ampelstart abgebremst;  

    der Hintermann (Pkw) fährt auf  

    AG Solingen zfs 03, 539  

    25 %  

    Auf der Höhe eines „Starenkastens“ wurde ein Pkw bis zum Stillstand abgebremst, angeblich weil ein vorausfahrender Pkw stark gebremst hatte, was nicht zu klären war.  

    Der Hintermann fährt mit seinem Pkw auf.  

    Kein Anscheinsbeweis gegen ihn, dennoch Verschulden bejaht  

    LG Dresden NZV 04, 367  

    25 %  

     

    Nach gemeinsamem Anfahren bei Grün bremst der Vordermann (Pkw) ohne zwingenden Grund auf innerörtlicher Kreuzung zum Stillstand ab; starkes Bremsen nicht feststellbar. Ein Lkw fährt auf  

    OLG Düsseldorf VA 03, 181, Abruf-Nr. 032473; s. auch KG NZV 04, 526  

    0 %  

    Anfahren nach Umschalten der Ampel auf Grün, plötzlich starkes Bremsen des Vordermanns zwar behauptet, aber nicht bewiesen;  

    Auffahrverschulden nach Anscheinsgrundsätzen  

    KG NZV 04, 526  

    0 %  

    Pkw-Pkw-Kollision nach Abbremsen des Vordermanns, Grundlosigkeit nicht nachweisbar; keine Erschütterung des Anscheinsbeweises  

    AG Erkelenz SP 05, 406  

    0 %  

    Pkw wird wegen eines innerorts auf die Fahrbahn laufenden Dackels aus ca. 50 km/h abgebremst,  

    Abstand zum Hintermann ca. 25 m, dennoch Kollision  

    KG DAR 01, 122  

    0 %  

    Transporter fährt auf Pkw mit Heck-Vorschaden auf, Provokation nicht bewiesen  

    LG Bremen NJW-RR 05, 1050  

    3. Auffahren und Spurwechsel  

     

    Vordermann  

    Sachverhalt  

    Fundstelle  

    100 %  

    Kl. will mit seinem Pkw von der Beschleunigungsspur auf die A 3 auffahren und sich vor einen Lkw setzen, der jedoch gegen sein Heck fährt. Argument „Reißverschluss“ sticht nicht  

    OLG Köln VA 06, 37, Abruf-Nr. 060439 = NZV 06, 420 = SP 06, 163  

    100 %  

    Erwiesener Spurwechsel eines BMW, nachfolgender Mercedes trifft BMW hinten rechts. Verschulden beim BMW nach Anscheinsgrundsätzen, kein Auffahrverschulden  

    KG KGR 04, 106  

    100 %  

    Pkw-Fahrer schert unter Verletzung seiner 2. Rückschaupflicht zum Überholen aus und bremst ab; Kradfahrer fährt auf  

    OLG Celle 25.4.02, 14 U 183/01, Abruf-Nr. 062630 

    75 %  

    Ampelstart von mehreren Fahrzeugen auf zwei Spuren: Bekl.-Pkw gerät von linker auf die rechte Spur, wodurch ein anderer Pkw abgedrängt wird und liegen bleibt; Kl. fährt auf. Anscheinsbeweis für Auffahrverschulden verneint, nur 25 % gegen ihn  

    LG Gießen NZV 04, 253  

    50 %  

    Vorausgegangener Spurwechsel (innerorts) als Unfallursache zwar nicht erwiesen, aber ernsthafte Möglichkeit  

    KG NZV 06, 374; ebenso KG DAR 05, 157  

    50 %  

    Kollision kurz vor Ortseingangsschild, mehrspurige Straßenführung; Spurwechsel des ortsunkundigen Vordermanns nicht bewiesen, aber naheliegend; Anscheinsbeweis für Auffahrverschulden schon mangels Typizität verneint (!)  

    OLG Hamm NJW-RR 04, 173 = VersR 05, 1303; s. auch OLG Düsseldorf 8.3.04, 1 U 97/03, Abruf-Nr. 041793 

    50 %  

    Pkw schert auf BAB zum Überholen aus; nachfolgender Pkw fährt auf; kein Auffahrverschulden prima facie  

    OLG Saarbrücken VA 05, 188, Abruf-Nr. 052865 = MDR 06, 329  

    20 %  

    Behaupteter, aber nicht nachgewiesener Spurwechsel; innerstädtisch; Anscheinsbeweis nicht erschüttert  

    OLG Köln VersR 04, 77 = NZV 04, 30  

     

     

    4. Kettenauffahrunfall  

     

    Quote  

    Sachverhalt  

    Fundstelle  

    75:25  

    gegen Nr. 3  

    Dreierkette: Nr. 1 bremst plötzlich, Nr. 2 fährt auf Nr. 1 auf, Nr. 3 kollidiert mit Nr. 2, behauptetes, aber unbewiesenes Zurückprallen; Anscheinsbeweis gegen Nr. 3 und Mithaftung von Nr. 2 wegen möglicher Verkürzung des Bremswegs von Nr. 3  

    LG Hanau DAR 06, 330  

    100:0 gegen Nr. 3  

    BAB-Kettenauffahrunfall in ungeklärter Reihenfolge; Kl. (BMW) = Nr. 2; ob aufgefahren und/oder aufgeschoben von Nr. 3 (Audi) ist ungeklärt; volle Haftung Nr. 3, angeblich von Nr. 4 aufgeschoben  

    OLG Hamm DAR 02, 268 = NZV 02, 175  

    75:25  

    gegen Nr. 2  

    Dreierkette: Kl. = Nr. 2 und nimmt Nr. 3 in Anspruch, die aber nur aus Betriebsgefahr haftet (25 %). Nr. 2 war schuldhaft auf Nr. 1 aufgefahren  

    OLG Frankfurt OLGR 02, 261  

    2/3:1/3  

    gegen Nr. 3  

    Dreierkette: Kl. = Nr. 2 verlangt von Nr. 3 Ersatz seines Front- und Heckschadens, kann Auffahrverschulden nicht beweisen; Nr. 3 haftet zu 2/3, aber nur für Heckschaden von Nr. 2  

    OLG Düsseldorf 12.6.06, I-1 U 206/05, Abruf-Nr. 062924